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Das Eskurial

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CCLXIII. Schloss Schwarzburg in Thüringen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLXIV. Das Eskurial
CCLXV. Der Plauen’sche Grund bei Dresden: Tharand
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DAS ESCURIAL

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CCLXIV. Das Eskurial.




Man kann reich seyn und recht arm sich fühlen, blos weil man in seinem Ueberflusse den Werth der Dinge zu schätzen verlernt hat. Wer achtet der Blumen noch, wenn der Weg damit so dicht bestreut ist, daß jeder Tritt welche zerknickt? Mag dann auch die Rose am Wege noch so lieblich blühen und duften; man hält’s der Mühe nicht mehr werth, sie zu pflücken. Gähnend und unbefriedigt sucht der Uebersättigte Blüthen auf in unerreichbaren Fernen, läßt sein verlangendes Auge zu unersteiglichen Höhen irren, in den Wolken, zur Sonne fliegen, bis es, vom blendenden Glanze erblindet, weder Blumen noch Früchte auf Erden mehr sehen kann.

So geht’s dem Vielreisenden, so dem Vielbeschreibenden, so dem Viellesenden. Es ist unglaublich, wie pretentiös man werden kann, wenn man von einer Bravour-Parthie der Natur zur andern eilt, von Wunderwerk zu Wunderwerken gezogen wird. Der Genügsamste und Anspruchloseste muß ein Gourmand werden unter solchen Umständen, schon der alten Regel nach, – „je mehr man genießt, je mehr will man genießen.“ Das Schöne, welches man unter andern Verhältnissen überschwänglich finden würde, wirft man nach dem Genusse des Schönern von sich, als wenn es schlecht wäre; von dem Schönsten wendet man sich in Ueberdruß zum Allerschönsten; und hat man auch das gesehen und genossen, dann wünscht man noch Etwas, was man nicht zu nennen weiß und fängt an zu gähnen.

Nicht die tausendfältige Befriedigung, Mäßigkeit allein macht für das Schöne und die Freude dauernd empfänglich, und wenn dieß in Bezug auf jede Art von Genüssen, groben und feinen, sinnlichen und übersinnlichen Geltung hat, so soll auch der Beschreibende manchmal das Kleine und Unbedeutende vorzugsweise festhalten und seinem Leser die Empfänglichkeit dafür zu erhalten suchen. Dieß möge erklären, warum ich den Umfang meiner Beschreibungen niemals ängstlich nach der Wichtigkeit des Gegenstandes bemesse, sondern beziehungsweise Unbedeutendes nicht selten mit sichtbarer Vorliebe ausmale, während ich große, zumal allbekannte Sujets mit breitem Pinsel als bloßen Umriß behandle. –

Wer hätte vom Eskurial nicht gehört? von diesem finstern, stolzen Prachtgebäude in einer Wüste, welches zugleich Kloster, Schloß, Kathedrale und Mausoleum ist? Kein anderer Mensch, als ein Philipp II. konnte es erdenken und kein anderer es ausführen. Das achte Wunderwerk der Welt nennt’s der Spanier, und [83] Philipp’s Ablaßbrief nannten’s die Spötter des Fürsten. Anlaß zu seiner Erbauung war ein Gelübde. Philipp hatte nämlich in seinem Kriege mit den Franzosen den letztern am Laurentiustage 1557 bei St. Quentin eine Schlacht geliefert. Tapferkeit war nie eine Eigenschaft jenes Königs. Während der Schlacht ließ er sich von seinem Beichtvater Messe lesen und betete. Als der Sieg für ihn entschieden war, sagte er: „Das danke ich dem Heiligen des Tags; ich habe ihm was dafür gelobt und will es halten, so wahr ich selig zu werden gedenke!“ Das Eskurial ist das jenem Gelübde und jenem Siege errichtete Denkmal. Der Bau kostete die Summe von 5 Millionen Dukaten; nach gegenwärtigem Geldwerth über 45 Millionen Thaler. Er beschäftigte 15 Jahre lang 12,000 Menschen.

Dieser größte Palast Europa’s liegt sechs Meilen nordwärts von Madrid in einer wasserarmen und ziemlich öden Gegend. Er bildet ein Viereck, wovon jede Seite 740 Fuß lang ist. Auf diesem ungeheuern Raume umschließen die, schachbretartig und in sich durchkreuzenden Linien geordneten Gebäude 22 große, innere Höfe. Die vordere Fronte mit den drei Haupteingängen nimmt das Kloster ein. 200 Mönche wurden hier, umgeben von fürstlicher Pracht, fürstlich gepflegt, bis sich vor 3 Jahren der Staat, in der äußersten Bedrängniß, des Klosterguts bemächtigte, als er alle Klöster aufhob. 900 Zimmer und Säle nimmt die königliche Wohnung ein. Bei aller Pracht und Verschwendung in kostbaren Baumaterialien und Verzierungen, sind diese Theile des Gebäudes doch kleinlich, gewissermaßen im Kasernenstyl, und geben Zeugniß von dem damaligen Sinken des Geschmacks. Aber überaus herrlich ist die Kathedrale, welche fast die ganze vierte Fronte einnimmt. Sie ist eine treue Nachahmung der Peterskirche in Rom und nicht viel kleiner als diese; ganz so groß als die Paulskirche in London. Das Dach des Hauptdoms ist vergoldet; Vergoldung deckt alle innern Räume und die herrlichsten Gemälde von den größten Künstlern damaliger Zeit schmücken die Decken. 48 Altäre sind eben so viel Meisterstücke der Kunst und die Verschwendung edler Metalle zu ihrer Ausstattung erregt Erstaunen. Den Hauptaltar von schwarzem Marmor und orientalischem Porphyr umgeben Heiligenstatuen von massivem Gold, oder Silber. Fußböden und Treppen des ganzen Gebäudes sind von Marmor und Jaspis, sogar die Höfe sind mit Marmor gepflastert.

Unter dem Hochaltare ist das Mausoleum der spanischen Könige. Dieser unterirdische Todtenpalast ist das Edelste, was in seiner Art jemals erdacht worden ist. Um eine Vorstellung davon zu erhalten, denke man sich das römische Pantheon in die Tiefe der Erde versetzt. Eine Treppe von schwarzem Marmor führt auf 60 Stufen hinab. Du siehst zwei Riesenpforten von vergoldeter Bronze vor dir; sie öffnen sich; du trittst ein in die ungeheuere Rotunda. Das Licht von 300 Kerzen strahlt an den mit geschliffenem Jaspis, Calzedon und Gold ausgelegten Wänden und Decken wider; geblendet bist du; nur allmählich lernt dein Auge den Abglanz so vieler Pracht ertragen. Rundum in 26 Nischen und zwischen herrlichen Säulen sind sechs und zwanzig Sarkophage von schwarzem Marmor, mit [84] silbernen Ornamenten und Wappenschildern. Hier ruhen die Gebeine aller spanischen Monarchen seit Philipp II. Viele der Särge sind noch leer. – Werden sie jemals alle ihre Bestimmung erfüllen? – –

Das prächtigste aber ist die Todtenkapelle, von der großen Rotunda durch ein silbernes Gitter geschieden. Alles, was Kunst und Kostbarkeit des Stoffs, vereint, Schönes hervorbringen konnten, ist da zu sehen. Die Zierrathen und alle Statuen sind von Gold oder von Silber. Das Kruzifix auf dem Altare ist eine Mosaik aus strahlenden Diamanten. Den gesammten Kirchenschatz an Gold, Silber und Juwelen schätzte man noch vor 10 Jahren auf 14 Millionen Piaster. Ob er sich noch unangetastet vorfindet, oder ob die Revolution einen Theil desselben schon verschlungen hat, ist nicht bekannt geworden. Beute derselben wird er seiner Zeit gewiß.

Das Eskurial ist auch berühmt wegen seiner Bibliothek, deren handschriftliche Schätze nur zum Theil durchforscht und bekannt geworden sind; nicht minder wegen seiner Gemälde. In den königl. Zimmern und in der Hauptkirche hängen über 2600 Bilder, meistens Werke vom großen Kunstwerthe. Zu früherer Zeit wurde im Schlosse, obschon oft viele Jahre vergingen, ehe der Monarch das Eskurial nur einmal besuchte, eine königliche Dienerschaft von 1500 Personen unterhalten; aber die Noth des Staates hat so unsinniger Fürstenverschwendung längst ein Ziel gesteckt. Jetzt sind das Domcapitel mit dem Erzbischof, die Professoren und die Schüler des theolog. Seminars, die Inspektoren der Kunst- und Literatur-Schätze, und eine kleine Anzahl invalider königl. Diener die einzigen Bewohner des ungeheuern Gebäudes und Todenstille waltet in den meisten seiner prunkvollen Räume[1].





  1. Der ausführlichste Beschreiber des Eskurials, Francisco de Los Santos, hat berechnet, daß der Weg durch alle Zimmer und Räume des Palastes eine Länge von 22 geographischen Meilen habe, und ein tüchtiger Fußgänger 4 volle Tage dazu brauche. Alvarez de Rosa gibt die Zahl der Fenster auf 30,000, die der Thüren zu 11,000 an.