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Das Jubiläum einer Weltreisenden

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Textdaten
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Autor: Alfred Moschkau
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Titel: Das Jubiläum einer Weltreisenden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 301–303
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[301]

Das Jubiläum einer Weltreisenden.

Es ist eine kleine Dame in unscheinbarem, dünnem Gewande. Vor fünfzig Jahren ist sie aufgebrochen aus ihrer Heimath England, und seither hat sie Länder und Völker besucht, deren wir uns kaum aus dem Geographieunterricht entsinnen, so fernab sind sie gelegen. Immer noch ist sie unterwegs und sucht nach neuen Gebieten, die ihr noch fremd geblieben sind, sie strebt ihnen zu mit dem Trieb eines Welteroberers, und vielleicht wenn wir in fünfzig Jahren wieder nach ihr fragen, hat sie ihr letztes Ziel, den letzten Erdenwinkel erreicht, und überall kennt man die kleine Dame in ihrem unscheinbaren dünnen Gewande, die große Weltreisende, die – Postmarke.

Welche gewaltige Wandlungen hat das Postwesen im Verlaufe des letzten halben Jahrhunderts erfahren! War ein geregeltes Postwesen vordem eine Art Sonderrecht der von der Kultur besonders bevorzugten Völker, so giebt es in unseren Tagen kaum noch einen Strich Landes auf der großen weiten Welt, der nicht die Segnungen dieser Einrichtung sich anzueignen bestrebt gewesen wäre.

Figur 1.

Sardinischer Stempel
von 1818.

Figur 2.

Sardinischer Stempel
von 1820.

Für unsere Begriffe recht kindlich waren die Postverhältnisse noch zu Anfang dieses Jahrhunderts. Schwerfällige Verbindungen nicht nur von Staat zu Staat, sondern oft sogar von Stadt zu Stadt, dazu umständliche Portoberechuungen und hohe Portokosten[1]. Mit dem Ende der Befreiungskriege, als alle Völker danach trachteten, die geschlagenen Wunden zu schleuniger Vernarbung zu bringen, da brach eine andere Zeit heran, ein schwaches Morgenroth unserer derzeitigen preiswürdigen Verkehrszustände! Dieser „neuen Zeit“ entgegenzukommen, war die Post bereit, sie vermochte dies aber nur im Rahmen ihrer verhältnißmäßig noch schwachen Macht. An Stelle schwerer, unförmlicher Postkutschen traten schnellbeweglichere Eilpostwagen, die Zahl der Posthaltestellen wurde vermehrt und damit auch die der Postanstalten. Hiermit erlangte die briefschreibende Menschheit bereits Vortheile, welche den größten Anklang finden mußten. Dann kam die Zeit der Dampfkraft und des Telegraphen. Die Dampfschiffahrt in Amerika (1807) und der erste Dampfer, welcher 1838 den Ocean sozusagen überbrückte, weiterhin die Eisenbahn, deren erste Linie in England 1825, auf europäischem Festland, bezw. auf deutschem Boden 1835 eröffnet wurde, endlich in den Jahren 1833 bis 1837 die Einführung der elektrischen Telegraphie – sie gaben zu Hoffnungen auf einen gänzlich veränderten Weltverkehr den gerechtesten Anlaß. Das Bahn- und Telegraphennetz, welches sich in einer ungeahnt schnellen Weise ausbreitete, ließ den berittenen Postkurier und die Eilpostkalesche bald nur im Dienste solcher Gegenden bestehen, die den neuzeitlichen Verkehrsmitteln noch fern lagen.

Einer der ersten Erfolge der Fortschritte auf dem Gebiete der Beförderungsmittel war eine wesentliche Ermäßigung des Briefportos. Noch zu Ausgang des 18. Jahrhunderts behauptete sich dasselbe auf einer Höhe, daß der kleine Geschäftsmann eher zu jeder noch so langsamen Privatgelegenheit seine Zuflucht nahm, ehe er das theure Geld für die öffentliche Post aufwendete. Gewiß war es nun schon ein bedeutsamer Fortschritt, daß man Briefe von Berlin nach Potsdam für 30 Pfennig, von ebenda nach Marseille für 1 Mark 35 Pfg., nach Kopenhagen für 1 Mark 45 Pfg., nach London für 2 Mark 75 Pfg. zu versenden in die Lage kam und noch dazu auf eine viel raschere [302] Beförderung rechnen durfte. Indessen sollte dieser erlangte Vortheil nur wenig Jahrzehnte befriedigen, eine neue Postreform bereitete sich vor, die ihren Ausgang von England nahm.

Wohl waren auch hier infolge der neuen Errungenschaften die Porti zeitgemäß herabgesetzt worden, aber nicht nur die Portoberechnung nach Zonen und nach der Zahl der Bogen, sondern die ganze Versendungsweise war keine dem riesigen Postverkehr entsprechende mehr. Dies in vollem Umfang zuerst mit erkannt und mit Mühe und Fleiß auf eine feste Grundlage gebracht zu haben, so daß die reformatorischen Ideen nicht nur in England zur vollständigen Besserung, sondern auch in der gesammten kultivirten Welt zur Nachahmung führten, ist das Verdienst Sir Rowland Hills, geboren 1795 in Kidderminster, gestorben 1879, eines Mannes, der als Neuschöpfer des Postwesens für alle Zeit in Ehren genannt werden muß. Seine berühmte „Penny-Porto-Reform“, die für ganz England ein einheitliches Porto von 1 Penny (= 10 Pfennig) für den einfachen Brief bestimmte, trat nach vielen Kämpfen im Unterhause am 10. Januar 1840 ins Leben, mit diesem Gesetze ging aber auch Hand in Hand die Einführung von Postwerthzeichen, von Postmarken und gestempelten Postumschlägen! Am 10. Mai 1840 wurde das erste Postwerthzeichen an das Londoner Publikum ausgegeben – die kleine Dame war reisefertig. – Sie war kein Kind mehr, wie wir bald sehen werden, und sie hatte auch ihre Ahnen, deren Schicksale wir durch einige Jahrhunderte verfolgen können.

Figur 3.

Erster amtlicher Briefumschlag der englischen Post (sog. „Mulready-Couvert“ 1840)

Des Postwerthzeichens Urahn ist das Stempelpapier! Schon zu Ausgang des 16. Jahrhunderts soll in Spanien für fiskalische Zwecke Stempelpapier in Verwendung gewesen sein. Im 17. Jahrhundert war es in Holland, Frankreich, Brandenburg, Kursachsen etc. nachweislich eingeführt. Die Verwendung desselben für Zwecke der Post, zum „Freimachen“ der Briefe, geschah zuerst in Frankreich, woselbst, und zwar in Paris, ein Herr de Velayer laut Dekret vom 8. August 1653 eine Stadtpost einrichtete und eine Art gestempelter Bänder ausgab. das Stück zu 1 Sou (5 Centimes oder 4 Pfennig), die einfach um den Brief geschlungen und durch Ausfüllung des Datumvordruckes entwerthet wurden. Dieses Ereigniß war für die Pariser ein derart wichtiges, daß es sogar dichterisch verherrlicht wurde. Trotzdem Velayer seine Stadtpost höchst zweckmäßig eingerichtet, Portoeinheit, Frankaturzwang, Briefkastenanlage mit regelmäßiger Abholung, regelmäßige Austragung u. s. f. durchgeführt hatte, war sein Unternehmen nicht von Bestand, und bald waren die Savoyarden wieder in ihre einstige Stellung als Briefbeförderer getreten.

Ein zweiter Versuch, Stempelpapier für Briefbeförderung zu verwenden, wurde in den Jahren 1818 und 1820 von dem damaligen Königreich Sardinien unternommen. Dort verausgabte man eine besondere Art von mit Wasserzeichen versehenen und gestempelten Bogen zur Versendung von solchen Briefen, welche auf anderem Wege als mittels der Staatspost befördert wurden. Die Stempel, welche unsere Abbildungen (Fig. 1 und 2, Seite 301) veranschaulichen, enthalten einen Postkurier zu Pferde und die betreffende Werthangabe.

Figur 4.

Chalmers’ erste Probe 1834.

Figur 6 und 7.

Die ersten amtlichen Freimarken
Englands (1840).

Im Gebrauch waren diese Vorläufer unserer heutigen Postbriefumschläge, welche die Form des gefalteten Bogens hatten, bis zum Jahre 1837. Obwohl Sardiniens Briefumschläge nachweislich wenig benutzt wurden, so gab ihr Dasein doch den Anlaß, daß man auch in anderen Staaten Versuche ähnlicher Art wagte. So schlug in Schweden 1823 der Lieutenant v. Treffenberg der zuständigen Behörde die Einführung von Frankozeichen für die Briefbeförderung vor, so brachten ferner die beiden Engländer Charles Whiting 1830 und Charles Knight 1834 eine Art Briefumschläge zu öffentlicher Besprechung, und in eben dieser den üblichen Stempelbogen ähnlichen Form glaubte auch Rowland Hill das Postwerthzeichen der Zukunft gefunden zu haben. Er machte in seiner Reformschrift, durch welche er dem Pennyporto Bahn brach, gleichzeitig auf die Einführung von Briefumschlägen mit aufmerksam. Die Erfahrungen der Gegenwart haben bewiesen, daß die Einführung von Umschlägen allein nur der halbe Weg zur Vereinfachung des Briefverkehrs gewesen wäre.

Da tritt denn mit dem englischen Buchhändler und Buchdrucker James Chalmers (geb. 1782 in Arbroath, gest. 1853 in Dundee) die Persönlichkeit auf den Schauplatz, die bei Gelegenheit des jetzigen Jubiläums als Erfinder der aufklebbaren Postmarke in den Vordergrund gehört. Chalmers, der als Geschäftsmann einen großen Briefwechsel zu führen hatte, beschäftigte sich in seinen Mußestunden längst mit Plänen eines vereinfachten, weniger zeitraubenden Verfahrens im Freimachen der Briefe. Zuletzt kam er auch auf die rückseitig gummirte Freimarke; er fertigte alsbald Proben derselben an und ließ sie bereits im Februar 1834 in Bekanntenkreisen zur Prüfung herumgehen.

Figur 5.

Chalmers’ zweite Probe 1838.

Figur 8.

Erste Marke von Brasilien
(1843).

Der erste Versuch (Fig. 4) scheint ihn aber, obwohl er das Wesen der heutigen Postmarke schon vollständig verkörpert, selbst nur halb befriedigt zu haben. Denn zugleich mit einer wichtigen Denkschrift über Förderung des Postwesens legte er am 8. Februar 1838 neue, wesentlich zweckentsprechendere Markenproben vor (Fig. 5), die beifällige Aufnahme fanden, dem Wesen nach die schließlich eingeführte Postmarke darstellen, ja als unmittelbare Vorbilder der nachmaligen Postwerthzeichen von Britisch-Guyana und den Sandwich-Inseln und einzelner nord- und südamerikanischen Lokalpostmarken betrachtet werden können.

Calmers’ und seiner Freunde Bemühungen gelang es, daß mit Annahme des Hillschen „Pennyportos“ und des Postbriefumschlags auch die Postmarke als Mittel zum Freimachen angenommen wurde, wenn auch schließlich eine andere Zeichnung den Sieg davontrug. Die öffentliche Ausschreibung zu Lieferung von Marken- und Briefumschlagentwürfen brachte an 50 solcher für Marken, gegen 2000 solcher für Umschläge zur Wahl. Von letzteren erhielt der Maler Mulready für seine Englands Weltbriefverkehr darstellende Vignette (Fig. 3) den ersten Preis. Die Markenproben aber gefielen durchweg nicht, und erst eine bei dem Kupferstecher Bacon bestellte Probe, sein „Kopf der Königin“, gelangte zur Annahme (Fig. 6 und 7). Das „Mulready-Couvert“ und die mit dem Kopf der Königin Viktoria gezierten Marken sind es also, welche vor nun fünfzig Jahren den Reigen der ersten wirklichen Postwerthzeichen der Welt eröffneten, indem sie zugleich rücksichtlich der Postmarke den Gedanken ihres Erfinders James Chalmers zur Verwirklichung brachten. Wir sehen, es hat viele Mühe gekostet, das Kostüm unserer Weltreisenden festzustellen. Seither hat sie auch darin weibliche Sitte nicht verleugnet, daß sie oft und gern die Mode wechselte, ein neues und möglichst hübsches Gewand sich aussuchte und manchmal sogar recht absonderlichen Geschmacksrichtungen huldigte. Aber ihrem eigentlichen Daseinszwecke ist sie infolge dieser kleinen Schwächen doch nicht untreu geworden.

Wie Sir Rowland Hill mit seiner „Postreform“ im wahren Sinne des Wortes die Welt eroberte und noch die Krönung des von ihm begonnenen Werkes durch die unter hochverdienstlicher Mitwirkung des deutschen Generalpostmeisters Dr. v. Stephan 1879 erfolgende Schöpfung des „Weltpostvereins“ erleben konnte, sah auch Chalmers noch die von [303] ihm erfundene, aufklebbare Postmarke den Siegeslauf durch die ganze Welt antreten. Denn auf England folgten mit Einführung von Postmarken 1843 Brasilien (Fig. 8) und Zürich, 1844 Genf und Basel, 1845 Finnland, 1848 Belgien, Spanien und Rußland, 1849 Bayern (Fig. 9) und Frankreich, 1850 Preußen, Oesterreich, Sachsen (Fig. 10) Hannover etc., so daß bis zum Jahre 1855 32, bis 1864 110 Staaten dem neuen Systeme huldigten, während diese Zahl gegenwärtig auf 220 sich beläuft. Chalmers hat aber außerdem noch über Mulready gesiegt, denn seine Form des Postwerthzeichens ist nicht nur die meist benutzte geworden, sondern auch in Verwendung gekommen zum Aufdruck auf Umschläge, Postanweisungen, Streifbänder und Postkarten.

Figur 9.

Erste Marke von
Bayern (1849).

Figur 10.

Erste Marke von
Sachsen (1850).

Annähernd gleich großen Erfolg wie die Postmarke hat in den letzten zwei Jahrzehnten die Postkarte zu verzeichnen. Von Stephan auf dem 5. deutschen Postkongreß zu Karlsruhe im Jahre 1865 erstmalig als neues Verkehrsmittel vorgeschlagen, von Oesterreich am 1. Oktober 1869 eingeführt, betrug ihre Verwendung im Weltverkehr im Jahre 1886 bereits über eine Milliarde. Ganz riesige Ziffern ergiebt der jährliche Verbrauch an Postwerthzeichen überhaupt. Nur einige Beispiele: England, das vor Hills Reform jährlich nur 75 Millionen Briefe verzeichnete, hatte deren in runder Zahl: 1845 270 Millionen, 1882 einschließlich 150 Millionen Postkarten 11/4 Milliarde; das Deutsche Reich, welches 1872 307 Millionen Briefe und 8 Millionen Postkarten in der Poststatistik vermeldet, brachte es 1878 schon auf zusammen 553 Millionen, 1887 aber auf fast 11/2 Milliarde. Darf es dann wundernehmen, wenn die kaiserliche Reichsdruckerei zu Berlin zur Herstellung deutscher Postmarken täglich allein einen Centner Klebgummi und zur Postkartenerzeugung täglich 45 Centner Kartonpapier verarbeitet?

Die Zahl der seit Einführung verausgabten Postwerthzeichen ist, die außer Kurs gesetzten inbegriffen, auf rund 10000 nach Form, Zeichnung, Herstellungsart und Farbe verschiedene Muster zu veranschlagen. Seit dem Jahre 1858 gewann alt und jung, vornehm und gering Gefallen am Sammeln der Postwerthzeichen. Diese Liebhaberei („Philatelie“) rief eine umfängliche Litteratur hervor und wird gegenwärtig von einer großen Zahl von Vereinen in aller Welt nach festen Regeln gepflegt. Gegen 50 Zeitschriften in allen Weltsprachen widmen sich der Briefmarkenkunde, von denen beispielsweise Heitmanns „Illustrirte Briefmarken-Zeitung“ zugleich als Organ von 24 Vereinen dient. Wie die Handbücher von Lindenberg, Meyer und Moschkau und der Katalog der Sammlung des Reichspostmuseums sorgfältige Ausstellungen und Beschreibungen aller erschienenen Postwerthzeichen der Erde geben, so dienen die Sammelbücher von Schwaneberger, Köppe, Schaubek, Zschiesche etc. zur Aufnahme der gesammelten Stücke. Einen Namen weit über Sammlerkreise hinaus genießen die Sammlungen im Reichspostmuseum zu Berlin, die des Herrn Philipp von Ferrary in Paris und die des „Internationalen Postwerthzeichen-Museums“ zu Wien-Unterdöbling.

Ein übersichtliches Bild des Postmarkenwesens, von Chalmers’ Proben bis zur Entwicklung in unseren Tagen, werden die anläßlich des Jubiläums unserer Weltreisenden veranstalteten öffentlichen Postwerthzeichen-Ausstellungen zu London, Wien, Magdeburg und anderwärts geben.

Ohnedies werden aber alle briefschreibenden Völker an dem Jubiläumstage der Postmarke gern und freudig sich vergegenwärtigen, wie bedeutsam sie den Weltpostverkehr gehoben und vereinfacht hat, und daß ihr an der hochentwickelten Blüthe desselben ein namhafter Antheil gebührt.

Dr. Alfred Moschkau.     




  1. Vergl. den Artikel „Die Weltpost“ im Halbh. 14 des vor. Jahrgangs der „Gartenlaube“.