Das Lauchstädter Kostümfest
[516_a] Das Lauchstädter Kostümfest. Im Anschluß an die diesjährige Goethe-Versammlung in Weimar, die durch die Einweihung des neuen Goethe-Schiller-Archivs (vgl. diesen Jahrgang der „Gartenlaube“ S. 507) eine ganz besondere Weihe erhalten hat, fand am 2. Juli in dem thüringischen Landstädtchen Lauchstädt eine bedeutungsvolle Feier statt. Die Eisenquelle, die hier seit Ende des 17. Jahrhunderts von Kranken benutzt wird, erfreute sich in der Zeit Karl Augusts eines vortrefflichen Rufes. Die Lage Lauchstädts zwischen Weimar und Halle erwies sich besonders günstig. Seit dem Jahre 1791 gaben die unter Goethes Leitung stehenden Weimarischen Hofschauspieler hier alljährlich im Sommer, zur Badezeit, Vorstellungen. Fern vom Getriebe der großen Welt, nur einer kleinen Gemeinde zur Freude, schritten die herrlichsten Gestalten der Dichtung über die Bretter des unansehnlichen Hauses. Die von Goethe als Euphrosyne gefeierte Schauspielerin Christiane Neumann entzückte hier als Marianne in den „Geschwistern“ den Meister und die Hörer; der Epilog zu Schillers Glocke, das gewaltige Klagelied des Freundes um den zu früh verlorenen Freund, erscholl hier zuerst der Welt. Diese Zeit klassischer Erinnerungen sollte wieder lebendig werden.
Durch die langen herrlichen Alleen des Lauchstädter Kurparkes drängte sich am Nachmittag des 2. Juli eine festliche, buntgeschmückte Menge im Kostüm der damaligen Zeit. So hatte man es strenge bestimmt, und kein profaner „Moderner“ störte den malerischen Eindruck des entzückenden Bildes – nur einige der aus Halle herübergekommenen Studenten wollten mit ihrem „Wichs“ in das Gesamtbild nicht passen. Duftige Frauen- und Mädchengestalten im Empirekostüm, vornehme Hofleute mit sammet- und seidengestickten Röcken, kraftvolle Bürgergestalten, Studenten mit flatternden Haaren, den Säbel umgeschnallt, die Thonpfeife im Munde, wackere Nachkommen der einst berüchtigten „Renommisten“, sie alle stellten ein Bild dar, das den Teilnehmern unvergeßlich bleiben wird. Um 4 Uhr ertönte der Ruf ins Theater. Das alte Gebäude, mehr einem Stall als einem Musentempel ähnlich, füllte sich in kurzem mit der buntbelebten Menge. Der Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar nahm auf der ersten Reihe Platz. Drei wuchtige Schläge auf der Bühne verkündeten den Anfang der Vorstellung. Ein von Professor Burdach in Halle gedichteter Prolog ging der Aufführung der „Geschwister“ durch Mitglieder des Weimarischen Hoftheaters voran; es folgte der dritte Akt aus den „Piccolomini“, und ein gleichfalls von Burdach gedichteter Epilog machte den Schluß. Der Vorhang senkte sich, verrauscht waren Spiel und Wort, die trüben Oellampen nur leuchteten noch in dem verlassenen Hause, aus dem die bunte Menge zu anderen Belustigungen geströmt war.
Inzwischen entfaltete sich draußen im Kurgarten ein reges Leben, alles eilte zum lecker bereiteten Mahle, das im Kursaale zugerüstet war. Abends erstrahlte der ganze Park im herrlichsten Lichtschmuck, und zu den Klängen einer fröhlichen Tanzmusik bewegten sich die anmutigen Paare in belebtem Rhythmus. Allmählich verstummte das Jubeln der Menge, tiefer senkten sich die Schatten der Nacht, in ihren Mantel gehüllt verließ Frau Anmut den Tummelplatz der kurzen Freuden, rasches Gefährt entführte die Gäste in die Heimat. Alles war bald wieder wie sonst, hie und da flammte noch ein Licht, leises Rauschen ging durch Busch und Baum, raunend von vergangener Lust und Herrlichkeit. P. W.