Verwaist

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Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Verwaist!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 513, 516
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[513]

Verwaist!
Nach dem Gemälde von J. Schmitzberger.

[516] Verwaist! (Zu dem Bilde Seite 513.) Der Pirschgang ist des Jägers größte Kunst und größte Lust. Sich hinsetzen und dem heranziehendcn Bocke die Kugel zuzusenden – das kann jeder, aber den Bock geräuschlos schleichend aufsuchen und dann bei wenig Deckung schußmäßig an den alten schlauen Burschen heran zu weidewerken – das ist des Jägers höchste Befriedigung. Beim Weidewerken hat man alles im Auge und sieht auch manches, was man sonst nicht zu sehen bekommt – da steht auch einmal auf der Waldblöße eine Ricke, umtollt von ihren buntgefleckten Kitzchen; in dir macht sich der Wunsch rege, das reizende Familienidyll ganz in der Nähe zu betrachten, und du pirschst heran. Du verstehst die Sache und bist endlich nur noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt, so daß du genau die Zeichnung ihrer Decke unterscheiden kannst – die hellen Tupfen auf braungrauem Grunde und die dunklen treuen Rehaugen. Jetzt, wo du den lieblichen Geschöpfen so nahe bist, möchtest du eins fangen und als alter Praktikus weißt du auch, wie man es macht.

Mit laut gellendem Aufschrei springst du plötzlich hinter dem Busche hervor – die Ricke rennt ins Dickicht und wie vom Blitz erschlagen sind die Kitzchen im langen Grase verschwunden. Rasch eilst du nach der Stelle hin, wo du sie eben noch hast spielen sehen – da liegt eins platt auf die Erde gedrückt, und wenn du es aufhebst, stellt es sich leblos und ist steif, als wäre es vom Starrkrampf befallen. Allein bald erholt es sich von seinem Schreck und auf den gellenden Hilferuf eilt schmälend sofort die Mutter herbei bis unmittelbar vor dich, umkreist dich, „schnellt“ mit den Vorderläufen den Boden und schimpft und tobt so lauge, bis du dem Kitzchen die Freiheit giebst.

Des Jägers Feind ist jeder, der Flinte und Büchse führt und nicht den Weidmannsspruch befolgt:

„Das ist des Jägers Ehrenschild,
Der treu beschützt und hegt sein Wild,
Weidmännisch jagt, wie sich’s gehört,
Den Schöpfer im Geschöpfe ehrt“ –

sein größter Feind aber der Wilderer, der alles niederknallt, was er sieht und was er mit seinem Mordgewehr erreichen kann – ja, der den Hilferuf des Kitzchens nachahmt, um die Ricke heranzulocken und ihr meuchlings das todbringende Geschoß zuzusenden.

Dort, wo solches Raubgesindel sein Unwesen treibt, kann es dem weidewerkenden Jäger begegnen, daß er eine verendende Ricke im Buschwerk findet. Neben ihr stehen die verwaisten, schmachtenden Kitzchen, zupfen trauernd an der kalten Mutter herum und können nicht begreifen, daß sie nicht aufsteht, um ihnen Nahrung zu reichen und mit ihnen durch Hain und Feld zu ziehen. Aber die Ricke steht nicht auf; und ein Glück für die Kleinen ist es, wenn der Jäger sie findet und mit nach Hause nimmt, um sie dort mit Hilfe der Milchflasche zu Spielgenossen der Kinder aufzuziehen. Karl Brandt.