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Das Lied vom ersten Mai

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Das Lied vom ersten Mai.
Untertitel: Mai-Festzeitung der Sozialdemokratie
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Herausgeber: Buchhandlung Vorwärts
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Paul Singer
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Erscheinungsort: Berlin
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Kurzbeschreibung:
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Das Lied vom ersten Mai.

So brause denn mit vollem Feierklange,
Du Lied der Lieder, über Fels und Meer ―
Geleite es auf seinem Leidensgange,
Auf seinem Siegesmarsch, der Arbeit Heer!

5
Mit Eisenfinger sollst Du mahnend klopfen

An der Paläste erzgeformtes Thor,
Und ob mit Wachs die Ohren sie verstopfen,
Aus trägem Schlummer reisse sie empor!

Sie haben Grund, bei Deinem Klang zu zittern!

10
Du bist der Trauermarsch für ein System,

Du hörst Dich an, wie morscher Throne Splittern,
Wie Würfelrollen um ein Diadem.
Du rufst zum Kampf mit dumpfem Glockendröhnen,
Bei dem das Herz der Herrschenden sich krampft ―

15
Du übertäubst der Ueberwundnen Stöhnen,

Die eines Volkes Massentritt zerstampft.

Du hast die wilden, urgewalt’gen Klänge
Der aufgewühlten, der empörten See ―
Du übertönst der Kirchen Chorgesänge

20
Und alle Trommelwirbel der Armee.

Was Blechmusik und was der Orgeln Brausen,
Das von der Dome Wölbung widerklingt!
Du bist der Sturm, der sie mit hellem Sausen
Zerbläst, ersäuft, bewältigt und verschlingt.

25
Es singen Dich die Kinder und die Greise

Im Moor des Nordens, wie am Palmenstrand.
„Ein’ feste Burg“ und die Marseiller Weise
Sie reichen sich in Dir die Bruderhand,
Und alles Weh, das jemals uns betroffen,

30
Das wir vom Herzen in der Nacht geweint,

Der finstre Zorn und das verklärte Hoffen ―
In Deinen Klängen rauschen sie vereint.

Es regt in Dir gewaltig seine Schwingen
Der Geist der neuen, einer bessern Zeit,

35
Die allen Völkern will den Frieden bringen,

Vernunft und Freiheit und Gerechtigkeit.
Und diesen Geist, man wird ihn nicht ersticken
Und nicht versenken in die alte Nacht,
Und allen Waffenprunk wird er zerknicken

40
Wie Kinderspielzeug in der Hand der Macht.


Was sie an Liedern sonst den Völkern brachten,
Hat sie getrennt, verfeindet und verhetzt;
In ihnen hat der finstre Gott der Schlachten
Sein Schwert, das roth von Völkerblut, gewetzt.

45
Du bist das Lied, das alle Zwietracht endet,

In der so lang die Herzen sich versteint,
Du bist das Lied, das Alle, die verblendet,
In einem hohen Ziel versöhnt und eint.

Drum ist man gram der Weise und dem Liede,

50
Das seine Klarheit in die Tiefen schickt;

Sie wollen nicht, dass ungestört der Friede
Ins weisse Banner rothe Rosen stickt.
Sie spotten Dein, doch nur mit bleichen Lippen,
Und frostig ist, gezwungen ist der Scherz;

55
Sie spotten Dein, doch pocht an ihre Rippen

Verzagt und ängstlich ein gepresstes Herz.

Drum brause fort, Du festlich-hohe Weise,
Und woge auf bis an das Sternenzelt;
Vollende sie, die ruhmgekrönte Reise,

60
Von Land zu Land, die Reise um die Welt!

Von Fels zu Fels sollst feierlich Du wallen
In linder Frühlingsnacht, von Bai zu Bai,
Dem Feind zum Trotz, dem Freund ein Wohlgefallen,
Du unser Lied, Du Lied vom ersten Mai!
                                                                           R. L.