Das Lied vom gehorsamen Mägdlein
[37] Das Lied vom gehorsamen Mägdlein
Die Mutter sprach in ernstem Ton:
Du zählst nun sechzehn Jahre schon;
Drum, Herzblatt, nimm dich stets in acht,
Besonders bei der Nacht.
Nie seitwärts ins Geheg,
Geh immer artig kerzengrad’
Den goldenen Mittelweg.
Da kommt nun in der Dämmerstund’
Küßt mich – mir ward gleich angst und bang –
Wohl auf die rechte Wang’:
O Heinrich, das verbitt’ ich mir;
Sieht’s Mutter, setzt es Schläg’.
Den goldenen Mittelweg.
Und plötzlich schreit er glutentflammt:
Ich führe dich zum Standesamt! –
Schweig, sag’ ich, unverschämter Wicht;
[38] Da flüstert er und freut sich schier,
Weil ich’s mir überleg’:
Nun gut, mein Schatz, dann wählen wir
Den goldenen Mittelweg.
Mir träumt vom goldenen Mittelweg;
Mein Spielzeug macht mir kein Pläsier,
Ich gäb’ es gern dafür,
Gäb’ meine Schuh’, mein Röcklein fein,
Hätt’ nie geglaubt, daß ich solch ein
Gehorsam Mägdlein wär’.