Das Lynchgericht in Californien
[295] Das Lynchgericht in Californien. Ein Europäer hat gar keinen Begriff davon, wie wesentlich dies Lynchen gegenwärtig noch ist; nur ein Monate langes Leben in den Bergen könnte es ihm lehren. Denkt euch, ihr steht auf dem Gipfel eines Hügels in einem Fichtenwalde; die Stumpfen gefällter Bäume stehen umher; Reihen schindelgedeckter Blockhäuser an den Abhängen des Hügels bilden die Stadt. Oben ist eine Schaar rauhaussehender, bärtiger Männer in Filzhüten, rothen Flanellhemden und großen Stiefeln. Sie erwählen einen Präsidenten durch Acclamation, und Einer aus dem Haufen, auf einen Baumstumpf [296] steigend, setzt auseinander, daß der Zweck der Zusammenkunft sei, über gewisse Männer zu richten, welche aus einem Laden in der Stadt einen Beutel mit Goldstaub gestohlen hätten. Die Gefangenen seien in den Händen des Sheriffs, und es sei beschlossen, sie in’s Gefängniß nach Marysville abzuliefern. Ob es der Wille der Versammlung sei, solcher Verbrechen verdächtige Männer laufen zu lassen? Gelächter und Geheul antwortet dieser Anspielung auf die Entfernung von Marysville und die bekannte dort herrschende Schlaffheit in Fällen solcher Art. Immer von ihrem Präsidenten geleitet – die Amerikaner sind äußerst geschickt in der Leitung öffentlicher Versammlungen – wählen sie einen zeitweiligen Sheriff und ein Sicherheitscomité. Ein prachtvolles Exemplar von einem Goldgräber tritt vor; ihm folgt sein Comité. Sie werden von dem Haufen beauftragt, die Gefangenen der gesetzlichen Obbut, der Behörde zu entreißen und sie sogleich zur Stelle zu bringen.
Bald kehren sie mit den Schuldigen zurück. Die Behörden hätten widerstanden, sagt der Sheriff, Bericht abstattend, und ihre beschworene Pflicht erfüllt. Aber sie waren überwältigt worden, wodurch sie in den Augen des Volks nichts an Ansehen einbüßten. Der Sheriff bildete dann einen Kreis, und die Gefangenen setzten sich, von ihren Wächtern umgeben, auf den Boden. Sachwalter werden von der Versammlung ernannt und ihnen hundert Dollars für ihre Dienste bestimmt. Die Gefangenen machen ihr Unvermögen geltend. Sechs Geschworene werden vereidet. Verschiedene zu Geschwornen Bestimmte machen Einwendungen. Ihre Einreden werden zur Abstimmung gebracht und anerkannt oder verworfen. Der Sheriff des Volks wird beauftragt, die Zeugen für und wider herbeizuschaffen, und ein Richter wird ernannt, freilich nicht ohne einige Mühe. Denn diejenigen, welche Aemter in den Staaten gehabt haben, protestiren gegen die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens und sagen, sie hätten geschworen, die Verfassung zu vertheidigen. Ein alter Mann mit grauen Haaren erhebt sich, den Hut in der Hand, und sagt den Versammelten gerade heraus, daß sie Unrecht thäten. Man hört ihn ruhig und ohne Störung an. Endlich wird der Präsident zum Richter bestimmt, und die Gerichtssitzung beginnt.
Die Untersuchung gegen die drei Golddiebe dauert zwei Tage, und sie werden in der That schuldig befunden. Einer der Gefangenen, der gewesene Officier, erhebt sich vom Boden und bekennt seine Schuld. Er hatte die letzte Unze des erworbenen Goldes verspielt und die Reue in Spirituosen ertränkt. Betrunken, wurde er von einem der beiden Anderen, den er bezeichnete, aufgefordert, eine Schachtel zu stehlen, von welcher der Versucher wußte. Dieses leugnete der Bezeichnete standhaft; als aber die Vollstreckung des Urtheils, das auf neununddreißig Hiebe lautete, herannahte, erklärte er sich bereit, den Ort, wo er seinen Antheil am Raube verborgen, anzugeben, wenn man ihm nur einen Theil der Strafe erlassen wolle. Die Geschwornen versammelten sich auf’s Neue und milderten das Urtheil in Betreff des ersten und zweiten Verbrechers.
Am nächsten Morgen führte der Sheriff in Regen und Wind die Verurtheilten hinaus. Sie wurden mit Händen und Füßen an einen Baum gebunden und gepeitscht, daß sie, losgebunden, halbohnmächtig, elend und stöhnend, sich am Boden wanden. Kaum gestattete man ihnen den Aufenthalt in der Stadt, bis ihre Wunden geheilt waren, und einer starb. Die Andern machten sich hinweg, ich weiß nicht wohin.