Das Nachtessen

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Autor: Heinrich Gottlob Gräve
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Titel: Das Nachtessen
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aus: Volkssagen und volksthümliche Denkmale der Lausitz, S. 99–102
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Erscheinungsdatum: 1839
Verlag: F. A. Reichel
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Erscheinungsort: Bautzen
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Quelle: MDZ München, Commons
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XXXIII. Das Nachtessen.

In der Nähe von Marklissa erhebt sich der sogenannte Zangenberg, auf welchem in den Zeiten des Faustrechts sich ein Raubschloß befand, das, so wie der Auerberg, mit der Landskrone in Verbindung stand und ihren Bewohnern durch aufgesteckte Feuerzeichen – wie in neuern Zeiten durch Telegraphe – Nachrichten und im Fall der Noth Warnungen ertheilte.

Einst ereignete es sich am Tage St. Jakobi des 1649 Jahres, daß sich ein ehrsamer marklissaer Bürger – da man zu damaligen Zeiten die Bürgerlisten nicht so genau wie gegenwärtig führte, ist sein Name nicht auf die Nachwelt gekommen – im Kruge in trauter Freunde Kreise, wo weidlich über die ausgestandenen Drangsale des so eben beendeten schrecklichen Krieges, der so lange hindurch in Teutschland gewüthet, seine blühenden Städte eingeäschert, seine fetten Gauen verödet, kurz, welcher namenloses [100] Elend – dessen Adern sich leider selbst noch jetzt hin und wieder zeigen – verbreitet hatte, gesprochen wurde, verspätet hatte.

Endlich schickte sich die Gesellschaft zum Nachhausegehen an, von welcher nach der Trennung Einer links- der Andere rechtswärts sich wendete.

Unser Mann nun, der wider seine Gewohnheit zu lange gewacht und so zu sagen den Schlaf übergangen, hatte eben so wenig Lust nach Hause zu kehren, als sich wiederum in das Schankhaus zu wenden; daher er beschloß – weil die Nacht ungemein anmuthig war, auch morgen der Sonntag fiel, wo er Zeit genug zum Ausschlafen hatte – das Ende der Nacht in Gottes freier Natur zuzubringen; er ging daher zwecklos, wohin ihn seine Füße trugen.

Zufällig kam er so in die Nähe des Zangenberges; und als er in dem sogenannten Bauche des Berges starke Erleuchtung erblickte, ging er furchtlos hin, wo er ein offenstehendes Thor, hinter welchem sich eine Glasthüre befand, erblickte. Er trat näher und sahe in einem geräumigen, durch viele Lampen erleuchteten Gewölbe, an einer großen runden Tafel sieben lange, abgemergelte Männer, mit wilden sonneverbrannten Gesichtern, starken schwarzen Schnautz- und Zwickelbärten, kleinen feuersprühenden Augen, hellblauen Baretts, in schwarzen Wämmsern, Schwerter an der Seite, Dolche im Gürtel, sitzen und Abendtafel halten, welche von vierzehen in Knappentracht gekleideten, wüst aussehenden Kerls bedient wurden.

Da ein Windstoß die Thüre öffnete, ohne daß es die Speisenden bemerkten, machte sich unser Wanderer näher, [101] stellte sich an eine Ecke und betrachtete aufmerksam die aufgetragenen Speisen.

Gleich einem beliebten Schriftsteller, der es nie ohne Speisezettel thut, lasse auch hier denselben ich folgen, mit der Versicherung, daß sich unser Nachtwandler sehr wunderte, Gerichte zu erblicken, welche wohl schwerlich dem Gaumen eines Erdbürgers behagt haben würden; denn da wurde gekochtes Wolfs- und Iltisfleisch (mustela putorius) mit Koloquinten (cucumis colocynthus) und Wasserschierling (cicuta virosa) aufgetragen, dann folgte eine Mehlspeise von Taumellolch (lolium temulentum) reichlich mit Arsenik bestreut, dann gebratene Igel (erinaceus europaeus), Steinmarder (mustela foina) mit Taranteln (aranea tarantula), Kreuzspinnen (aranea diadema), spanischen Fliegen (musca vesicatoria) gespickt, nebst Salat von Hundspetersilie (aethusa cynapium) und Blutschierling (conium maculatum) reichlich mit Glätte (lithargium), Bleiweiß (cerussa) und Mennige (minium) überschüttet. Die Stelle der Fische und Krebse vertraten Kreuzottern (coluber chersea) europäische Nattern (c. berus) Kreuzkröten (rana bufocalamita) Feuerkröten (r. b. bombina) Sumpfsalamander (lacerta palustris) und orientalische Skorpionen (scorpio Afer); nach diesen ward ein köstliches Ragout von Ratten, Mäusen, Eidechsen, Maulwürfen, Fledermäusen, Todtenkopf-Fichtenschwärmern und Weidenbohrer-Raupen mit einer Sauce von Stechäpfeln, Herbstzeitlosen, Nachtschatten und Sturmhutwurzeln aufgetragen, welchem ein gebratener Geier mit Spießglas und Phosphorus und dann ein großer Uhu (stryx bubo) mit Höllenstein gespickt und als Salat eingemachte [102] Tollkirsche und Kellerhals folgte. Statt der Großvögel wurden Krähen, Alastern, Wiedehopfe und Nachtraben mit einer ausgesuchten Brühe von Fliegen- (agaricus muscarius) Satanspilz (boletus satanas) Schwefelkopf (agaricus fascicularis) Speiteufel (agaricus emeticus) aufgetragen. Der Nachtisch bestand in Liebesäpfeln, Melangan- und Stechäpfeln, Wolfskirschen und spanischem Pfeffer. Statt des Weins wurde – wie der Geruch lehrte – Pech und Schwefel und Statt der Liqueure Vitriol und Scheidewasser in goldenem und silbernem Geschirr kredenzt.

Wäre der ehrliche Bürger ein Literat gewesen, so würde ihm gewiß die Teufelsküche in Shakespear’s Macbeth eingefallen seyn; so aber überfiel ihn blos Entsetzen und Grauen, ihm ward unheimlich und der Pech- und Schwefelgeruch erregte bei ihm ein heftiges Niesen. Dieses nun erweckte die Schlemmergesellschaft. – „Ich wittre einen Erdwurm!“ – rief Einer der Ritter, den goldenen Becher wüthend nach dem Armen schleudernd, der jedoch durch eine Wendung dem Wurf glücklich entging. Alles verschwand in einem Nu, – der Marklissaer befand sich vor’m Thore und hielt den in seiner Herzensangst aufgegriffenen Becher noch in der Hand.

Dieser Becher soll noch vor ungefähr achtzig Jahren auf dem Schlosse zu Sagan gezeigt worden und gegenwärtige Sage, fein sauber auf Pergament geschrieben, in selbigem verwahrt gewesen seyn.[1]


  1. Vorstehende Sage hat Aehnlichkeit mit dem Gesicht, welches im Jahr 1570 der Schweidnitzer Bürger, Johannes Bär, auf dem Zobtenberge gehabt.