Das Pariser Annoncen- und Reclamewesen

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Titel: Das Pariser Annoncen- und Reclamewesen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 745–748
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Pariser Annoncen- und Reclamenwesen.

Unter den Mitteln und Wegen, die von den Pariser Künstlern und Gewerbtreibenden als Brücke zur Oeffentlichkeit benutzt werden, stehen die Anzeigen und die auf Bestellung gefertigten Empfehlungen (Reclamen) obenan. Obgleich die eigentliche Reclame beim Pubiicum so ziemlich in Mißcredit gekommen, werden doch noch fortwährend bedeutende Summen dafür verausgabt, und von den sogenannten „sechs großen Pariser Journalen“ (Siècle, Patrie, Presse, Journal des Debats, Constitutionnel, Pays) erscheint wohl keine Nummer, die nicht mindestens ein halbes Dutzend solcher bezahlter unter dem Titel Faits divers (Verschiedenes) erscheinender Feuilletonartikel enthielte. Diese Art von Reclame hatte deshalb lange Zeit und hat in der Provinz auch jetzt noch eine gewisse Bedeutung, weil das Publicum den Zusammenhang dieser Empfehlungen nicht kannte und solche, weil sie eben im redaetionellen Theile des Blattes abgedruckt standen, aus der Ueberzeugung der Redaction hervorgegangen glaubte.

Um sich einen Begriff von dem Umfange der Geschäfte, zu denen Anzeigen und Reklamen Anlaß geben, machen zu können, muß man wissen, daß eine einzige Annoncenseite in einem größeren Pariser Journale dem Eigenthümer jährlich 2–300,000 Francs an Pacht einbringt, und daß trotz dieser enormen Pachtsumme dem Pächter einer solchen Seite noch genug übrig bleibt, um auf einem großen Fuße zu leben. Der Beweis ist leicht beizubringen.

Die Annoncenseite in einem der genannten Journale enthält sechs Spalten à 216 Petitzeilen, also im Ganzen 1296 Petitzeilen, welche, die Zeile zu 1 Frc. (dem Tarifpreise) gerechnet, eine ebenso große Summe von Francs abwerfen. Nehmen wir nun an, daß das Journal an den drei Hauptfesttagen im Jahre (Weihnacht, Ostern und Pfingsten) nicht erscheint, so haben wir jene Summe mit 362 zu multipliciren und erhalten ein Resultat von 469,152 Francs, so daß dem Pächter, nach Abzug der Pachtsumme, der Maklergebühren, Bureaumiethe u. s. w, noch 150,000 Francs übrig bleiben.

Oft aber geschieht es auch, daß die Annoncen außer der vierten noch den größten Theil der dritten Blattseite beanspruchen, wodurch, dieser Ueberschuß im Durchschnitt nur zu einer Drittelseite angeschlagen, ein Plus von 156,384 Francs, im Ganzen pro größeres Journal für die Anzeigen eine Summe von 625,536 Francs herauskommt.

Die zwischen der Annonce und der Reclame die Mitte haltenden, d. h. „unter dem Strich stehenden“[1] Inserate produciren sich nicht in so großer Anzahl wie erstere, werden dafür aber auch 11/2mal besser bezahlt und können auf circa 100 Zeilen pro Nummer veranschlagt werden, was 100 X 362 = 36,200 Zeilen zu 21/2 Francs = 90,500 Francs ergiebt.

Die eigentliche Reclame unter den Faits divers (Verschiedenes) wird mit 4 Francs die Zeile bezahlt und ergiebt pro Journal und pro Jahr (die Nummer zu 60 Zeilen gerechnet) ein Minimum von 80,880 Francs.

Demnach bringt ein solches großes Journal seinem Eigenthümer jährlich ein:

a) an Anzeigen, 4te Seite 469,152 Francs;
b) an Anzeigen, 3te Seite 156,384 Francs;
c) an Reclamen unter dem Strich 90,500 Francs;
d) an Faits divers (eigentlichen Reclamen) 86,880 Francs.
Zusammen 802,910 Francs.

Diese gewiß gering angeschlagenen Sätze ergäben für die sechs großen Journale zusammen schon 4,817,496 Francs. Allein es ist erwiesen, daß das Siècle für sich allein jährlich nahezu 900,000 Francs an Anzeigegeldern einnimmt, und bringen wir nun erst noch die vielen kleineren Special- und sonstigen Journale, sowie die amtlichen Intelligenzblätter in Anschlag, so hält es nicht schwer, nachzuweisen, daß in Paris jährlich circa 15–20 Millionen Francs für Anzeigen und Reclamen in Fluß kommen.

Deshalb können auch alle Geschäfte, die in Paris mit dem der „Insertion“ in Verbindung stehen, als mehr oder minder lucrativ betrachtet werden. Der Pariser Annoncier (mit andern Worten, der Mann, welcher ein Geschäft daraus macht, zum Inseriren [746] anzuregen und Anzeigen zu sammlen) muß sich schon sehr schlecht auf sein Geschäft verstehen, wenn er es nicht täglich auf eine Summe bringt, vor der das Tagesgehalt manches hochgestellten deutschen Beamten ganz winzige Verhältnisse annimmt. Aber ein echt französisches Rednertalent muß ein solcher haben, wenn er überhaupt nur angestellt sein will, denn darauf kommt hier begreiflicherweise in den meisten Fällen Alles an, davon kann das Eingehen von Tausenden und aber Tausenden abhängen.

Es sind mir Anzeigenmakler (courtiers d’annonces) vorgekommen, welche mit einer solchen Sicherheit Geschäfte machten, daß sie sich zeitweise verpflichteten, in einem angegebenen Zeiträume so und so viel Annoncen zu liefern, was sie auch immer zu ihrem Nutzen und Frommen pünktlich ausführten. Als Beleg für unsere Aussage sei hier nur ein Beispiel angeführt. Der hiesige Buchhändler und Buchdruckereibesitzer G. stand im Begriff, eine neue Eisenbahnkarte zu veröffentlichen, als ihm der Gedanke kam, statt einer gewöhnlichen Einfassung möchte auch eine aus gedruckten Annoncen am Platze sein, zumal eine solche, nach genauer Berechnung, ein Sümmchen von 36,000 Francs abwerfen müßte. Geschwind theilte er seinen Einfall einem seiner gewandtesten und nobelsten Annonciern mit, und wer sich, trotzdem er schon alle Hände voll zu thun hatte, verpflichtete, en passant in Zeit von sechs Wochen die kostbare Anzeigen-Einfassung herbeizuschaffen, das war dieser Herr. Dieselbe brachte ihm beiläufig – (ich selbst sah die Rechnung) – 3000 Thaler (10,000 Francs) ein. Nun ist dies freilich ein sehr gewandter Bursche, dessen Unverschämtheit unter Umständen seiner Liebenswürdigkeit die Wagschale hält, bei dem man Alles voraussetzen darf, nur keine Liebe zur Wahrheit, dessen Decorum von untadelhaftester aristokratischer Verfassung, und der bei den Clienten der Geschäfte, für die er „macht“, in so hohem Ansehen steht, daß man ihm auf zehn Schritt Entfernung mit einem Stuhl entgegenkommt. Gleichwohl giebt es viele andere, die nicht so erhabene Eigenschaften haben und doch gute Geschäfte machen.

Seit Emil v. Girardin’s Eingriffen in die französische Presse – Emil Girardin war einer der Ersten, die das Anzeigen- und Reclamenwesen in Frankreich aufbrachten, eigentlich der Gründer desselben – läßt sich mit dem, was in Paris darauf abzielt, die Aufmerksamkeit des Publicums rege zu machen, und „Reclame“ genannt werden kann, eine großartige Eintheilung treffen. So haben wir hier die Zeitungsreclame: die literarische, artistische, industrielle Reclame; – die Mauerreclame: die Journal-, Grundstück-, Häuser-, Theaterreclame; – die Gassenreclame: die Manufacturisten-, Restaurant-, Zahnarzt-, Sprachlehrer-, Leichdornschneiderreclame; – die Negerreclame: auf der Straße, im Vorzimmer; – die Fensterreclame; – die Reclame durch den Unfall aus Absicht; – die mimische und oratorische Reclame; – die Reclame der Rattengifthändler, Wasserträger etc. –

Die Zeitungsreclame (als Anzeige, Feuilletonartikel oder Reclame im weiteren Sinne) nimmt unter den Reclamen ihrer größeren Verbreitung sowohl als ihrer Kostspieligkeit wegen den ersten Rang ein, da die unentgeltliche Aufnahme, zu der es hier und da, in Erwartung eines splendiden Gabelfrühstücks oder eines lucullischen Diners, ein dienstfertiger Journalist bringt, kaum in Anschlag gebracht werden kann. Giebt es doch, sogar Journale, auf deren mit etlichen tüchtigen Federn ausgestattetem Redactionsbureau gar nie etwas Anderes geschrieben und getrieben wird als Reclame, ja wo die Raffinirtheit so weit gegangen, das; man für die einlaufenden bezahlten Manuskripte ein Reclamen-Fachwerk mit Aufschriften errichtet, deren chromatische Stufenfolge die lieben Mitarbeiter belehrt, inwiefern Herr X., der 1000 Fr. bezahlt, zu loben, inwiefern Herr Y der nur 100 Fr. bezahlt, zu tadeln, und in welchem Grade Herr Z., der noch weniger oder gar nicht generös gewesen, mit Geißelhieben zu bedenken.

Die Coterieen der Herren Literaten treten hier, wie anderwärts, mit Im-Auge-Behaltung des Sprüchworts: „Eine Hand wäscht die andere“, in der literarischen Reclame zu Tage. Die Vergütung erfolgt, wo sie vorkommt, in natura, d. h. in Exemplaren und Dejeuners, wiewohl die unter den Faits divers veröffentlichten Reclamen, die übrigens auch Niemanden, als den Verleger angehen, vor dem gestrengen Anzeiger keine Gnade finden und ihre 4 oder 6 Franken pro Zeile zahlen müssen, wie die des gemeinsten Professionisten.

In der artistischen Zeitungsreclame, die hier und da mit einem Gefolge von Attesten und marktschreierischem Pompe auftritt, begegnen wir gewöhnlich Allem, nur nicht dem mindesten Kunstverständniß. Der Berichterstatter zieht über den ersten besten Kunstgegenstand nach mitgetheilten Notizen in echt ritterlicher Weise zu Felde, legt sich dabei nach Kräften auf die Phrasendrechslerei, wobei Sinn und Inhalt natürlich oft den Kürzern ziehen müssen, und bringt nicht selten ein Ding zu Stande, dem nur die materielle Form fehlt, um für eine Drommete gelten zu können. In diesen beiden Arten waltet zum Theil die Camaraderie ob.

In tausend Farben spielt und schillert die Theaterreclame. Hier bietet sich den diversen Recensenten in der That ein so weites Feld für ihre mehr oder minder egoistischen Bestrebungen dar, daß sie darauf in den sonderbarsten Sprüngen und Stellungen einhersetzen können. Der Schauspieler und die Schauspielerin treten dabei nicht selten vor dem Mann und der Männin in den Hintergrund. Der Mann ist überhaupt vor den Verlockungen des Sündenapfels nie sicher, geschweige denn ein Pariser Journalist, dessen Bekanntschaften sich durch alle Schichten der bürgerlichen Gesellschaft, vom Boudoir der Soubrette bis zum Putzzimmer der Hofdame hinauf, verzweigen. Die reizende Donna Blanca mag noch so oft ein cis für ein c, ein dis für ein d singen – der Pariser Journalist, den sie mit ihrem Lächeln beglückt, macht sie in seinem Bericht zu einer Nachtigall. Tönen die Mißtöne der neronischen Heldin allzustark in’s Publicum hinein, so daß ihr Lob als Unverschämtheit erscheinen könnte, so trägt der Berichterstatter in einer andern Beziehung stark auf, hebt ihr Spiel hervor, lobt ihre Aussprache, preist ihren vollen Busen, steigt am Ende auch wohl noch tiefer hinab, indem er ihr holdes Füßchen rühmt, und siegt so trotz Allem und Allem. Und von welch’ schlagender Wirkung sind beim Pariser Journalisten nicht ein halbes Dutzend Freibillete, ihm vom Theaterdirector höchst eigenhändig adressirt! – Doch lüften wir den Schleier nicht weiter, wir könnten uns sonst am Ende noch hinter die Coulissen verlieren.

Die Concertreclame ist in Paris die erbärmlichste von allen. Eine grössere Lobhudelei kann gar nirgends vorkommen. Liest man die Pariser Musikzeitungen, so meint man, die Seinestadt müsse von musikalischen Berühmtheiten wimmeln. Dem ersten besten Tastenhämmerer, und wenn er bisher in der größten Obskurität gelebt, wird mindestens, wenn er leidlich bezahlt, das Adjectiv célèbre beigelegt. Wenn alle die Pianisten, Violinisten und Violoncellisten, Tenoristen, Bassisten und Baritonisten, die hier Concerte geben oder mit concertiren, berühmte Künstler, nur überhaupt Künstler wären, möchte ich wissen, wo die nichtberühmten stecken sollen, ja ob es überhaupt noch nichtberühmte giebt. –

Die Reclamenwuth ist unter den berühmten, d. h. allen Pariser Künstlern ordentlich grassirend; das Wort „Reklame“ macht den stolzesten Kunstjünger – und ist er der verwegensten Dandy's einer – lammsanft und aalgeschmeidig. Einem vornehmen Gönner macht der Pariser Sänger oder Pianist einen Katzenbuckel; vor dem Journalisten bückt er sich zur Erde. Geht ein solcher Allerweltskünstler gar mit dem großen Gedanken um, ein Concert geben zu wollen, dann wird der Journalist erst recht von ihm in den Himmel gehoben. Freilich ist dessen Feder ihm zur Lösung seiner Aufgabe ein mächtiger Hebel und das Zusammenbringen eines Concert-Auditoriums in Paris nicht das Werk eines Augenblicks, wie es denn des artistes célèbres genug giebt, die, nachdem sie sich drei Monate lang in Regen und Sonnenschein auf dem Pariser Straßenpflaster umhergetrieben, gleichwohl am Abende, wo ihr Concert die Welt in Staunen setzen soll, kaum ein Dutzend Menschenkinder zu ihren Zuhörern zählen.

Am einträglichsten für den Journalisten ist die Reclame der Erfindungen, da sie durchgehends von Solchen hervorgerufen wird, die das goldene Kalb anbeten und es bequem finden, gegen eine Anzahl Goldstücke ihr geistloses Haupt mit dem Nimbus zu umgeben, der irgend einem denkenden armen Teufel Jahre des Nachsinnenn gekostet. Wie viel scharfsinnige Erfinder kommen nicht aus Deutschland nach Paris und London herüber, die gezwungen sind, gegen einige hundert Franken oder Schillinge den mühsam und obscur erworbenen Ruhm auf einen reichen Explorateur zu übertragen!

Doch der geneigte Leser verzeihe, daß ich mich so lange bei Dingen aufhielt, die sich am Ende in jeder größern Stadt in Deutschland wiederholen. Als ob Paris in Hinsicht auf Reclame [747] nicht seine Besonderheiten, seine Specialsitten hätte! Namentlich ist Wien in dem bezahlten Lobhudeleigeschäft schon ziemlich weit vorgeschritten und einige der größern Zeitungen schämen sich gar nicht, bestimmte Preise für Reclamen über dem Redactionsstrich zu fordern.

Wenn der größere Theil des Pariser Publicums, um bekannt zu werden, zu Journalen seine Zuflucht nehmen muß, so sind diese ihrerseits gezwungen, einige tausend Quadratschuh Wand zu miethen und sich durch den Pinsel eines Malers dem Publicum vorzustellen. Das ruft die gemalte Mauerreclame in’s Leben. Doch nicht dem Journalismus allein steht dieser Riesenweg in die Öffentlichkeit offen – es kann ihn betreten, wem’s überhaupt auf einige tausend Franken nicht ankommt. Denn man glaube nur ja nicht, daß etwa der Eigenthümer einer solchen Wand die Malereien darauf als Dinge betrachtet, die seinem Hause zur Zierde gereichen könnten. Bewahre! wer sich weigert, für den Quadratschuh Raum den Satz von dessen ungedrucktem Tarife zu entrichten, kann seine Reclame anderwärts aufführen lassen.

Die vielen riesigen Intelligenzblätter, die in der Seinestadt in Gestalt von siebenstöckigen, buntschimmernden Mauerwänden in die Lüfte ragen, bilden ein eigenes – industrielles – Pariser Blaubuch. Examiniren wir davon das erste beste!

Hoch oben im letzten Plan erinnert ein Zahnarzt mit ellenlangen goldenen Lettern an die Gebrechlichkeit der menschlichen Kauwerkzeuge. Im zweiten Plan von oben findet ein Ehemann Stoff, Betrachtungen über das Wetterwendische der Launen seiner modesüchtigen Frau anzustellen; derselbe enthält ein riesiges Modebild mit der Unterschrift: „Modewaaren“. Daneben figurirt mit schwarzen Buchstaben auf rothem Grunde ein Spirituosenhändler, der das Problem gelöst hat, Liebhabern des materiellen Spiritualismus echten Jamaicarum zu 1 Fr. 50, ausgezeichneten Cognac zu 1 Fr. 20 die Flasche zu liefern – von Bordeauxwein zu 12 Sous der Liter gar nicht zu reden. Das dritte Drittel dieses Planes nimmt ein Parfumeriewaarenhändler ein, gewiß nicht der erste seines Zeichens, der da behauptet, sein Rosenwasser, sein Vinegar, seine Seife sei bisher noch von nichts Aehnlichem übertroffen worden und besitze ausschließlich die Kraft des Verjüngens. Unter Modewaaren-, Spirituosen- und Parfümeriewaarenhändler macht sich eine Gesellschaft breit, die es à tout prix auf das Wohl der Menschheit abgesehen hat, da sie ihr das Pfund Chocolade zu dem erstaunlich billigen Preise von 24 Sous pr. Pfund (hört! hört!) anbietet. Basis der Chocolade, Parfümieriewaaren, Spirituosen, Moden und Zahnausreißerei ist ein gewaltiges Unding von Anzeige, das von einem modernen Naturkünstler (gemeiniglich Photograph) ausgeht, und Schön und Häßlich einladet, sich gegen Erlegung von 1–20 Frcs. und darüber conterfeien zu lassen. Zum Fundament der ganzen riesigen Blattseite aber hat ein Holz- und Kohlenhändler Anlaß gegeben, dem’s mit seinen Brennmaterialien so gut um Hitze und Einheizen zu thun ist wie dem marchand de vins en gros.

Aber auch die unermüdliche, Alles verschlingende Presse ist an den Pariser Mauerwänden vertreten. Dieselbe klammert sich mit ihren Erzeugnissen jedoch nur an Orte an, denen der Wille des Eigenthümers nicht das Schreckenswort „Defense d’afficher“ aufgestempelt hat, dieselben müßten denn schon allgemein interessanten, d. h. politischen Inhalts sein, wie z. B. eine Rede des Kaisers.

Auf einem solchen Felde entwickelt sich der Drang nach Oeffentlichkeit in erstaunlich rascher Weise. Wer einige Groschen für den Truck von Anschlagzetteln zu verausgaben hat, läßt solche drucken und möglichst an die neuesten Häusermauern anschlagen. Berühmte Aerzte, die ein neues Mittel entdeckt haben, den Bandwurm zu tödten; liebenswürdige Insectenpulverfabrikanten, die sich rühmen, Millionen von blutdürstigen Flöhen und Schwaben (Wiener Ausdruck) das Lebenslicht ausgeblasen und dafür diverse Medaillen bezogen zu haben; uneigennützige Schuh- und Stiefelfabrikanten, denen es einzig darum zu thun ist, ihre Mitmenschen bei warmen Füßen zu erhalten, und die für ein Spottgeld von sechs Thalern sich von einem Paar ihrer „Glanzledernen“ oder „Wasserdichten“ trennen; talentvolle Pianisten, die am Hofe Sr. Majestät So-und-so unter der Last der ihnen gespendeten Lorbeerkränze die Auszehrung bekommen haben und vor ihrem Ableben noch das Pariser Publicum beglücken und entzücken wollen; humangesinnte Handschuhmacher, die es sich zur Pflicht gemacht haben, die fashionable Welt stets neue Handschuhe besitzen zu lassen; Allerwelts-Sprachlehrer, die zehn Sprachen „loshaben“ und die leichteren darunter, wie die deutsche z. B., in 25 Lectionen mit derselben Leichtigkeit beibringen, mit der ein Arzt seinen Patienten einen Löffel voll Medicin einnehmen läßt; – doch wir würden nicht enden, wollten wir die intelligenten Geister, welche sich die Verschönerungsgelüste des Pariser Stadtregiments in solcher Weise zu Nutze machen, nur alle beim Namen nennen.

Verliert die gedruckte Mauerreclame schon Etwas von der majestätischen Haltung und „dignité“ der gemalten, so ist dies in einem noch weit höhern Grade der Fall mit der Gassenreclame. Die an allen Ecken und Enden von buckligen und andern Individuen mit und ohne Uniform an die Vorübergehenden ausgetheilten gedruckten Flugblättchen bilden zusammengethan ein Werkchen, das interessante Blicke in das industrielle und überhaupt das öffentliche Leben der französischen Hauptstadt thun läßt, zugleich aber auch die Chronique scandaleuse der Pariser Concurrenz genannt zu werden verdient.

Das bei Weitem überwiegende Element in dieser Chronik bilden die Reclamen der Manufacturisten. Diese Herren ziehen mit einer Todesverachtung gegen einander zu Felde, vor der selbst der Heldenmuth eines Don Quixote in den Hintergrund tritt. In Prosa und in Versen fliegen ihre Wurfgeschosse in die Welt hinein. Um ihre Absicht zu erreichen, bedienen sie sich der abgeschmacktesten und lächerlichsten Mißgriffe. Unter den pompösesten Namen kündigen sie sich auf ihren Prospecten dem Publicum an. Zum Köder ist ihnen nichts zu gering. Der Leser urtheile!

Das Haus „zum guten Teufel“ sagt wörtlich: „Wir geben einen vollständigen Anzug dem, der beweist, daß ein einziger von unsern Artikeln anderwärts weniger kostet!“ – Weiter unten auf demselben Prospect steht: „Wir glauben unserer Kundschaft eine Gefälligkeit zu erweisen, wenn wir ihr ein Volkslied mit in den Kauf geben, das uns von einem unserer Clienten zugeschickt worden.“ Den Refrain in diesem Volksliede bildet natürlich die Aufforderung: „Kauft, kauft beim guten Teufel!“

Da seine Gesellschaft sich aufgelöst hat, so ladet das Haus „zu den Sultaninnen“ die Pariser Damen ein, aus einer Wohlfeilheit Nutzen zu ziehen, die bis Dato noch nicht dagewesen. 50 (sage fünfzig) Procent Rabatt!! Wegen der großen Hitze findet der Verkauf nur von elf Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends statt! Wer zwischen den Zeilen zu lesen versieht, der lese!

In einem Geschäft der Chaussée d’Antin, wo 1/3 unter dem Einkaufspreise abgegeben wird, opfert man aus Liebe zum Publicum 150,000 Kaschmirshawls. Eine solche Opferbereitwilligkeit war selbst bei den alten Griechen und Römern nicht zu Hause.

Der uneigennützigste Mann von der Welt ist der Eigenthümer der „Indischen Ueberlandpost“. Nachdem er mit Fettschrift erklärt hat, daß sein Geschäft das einzige in Paris, welches indische Taschentücher verkaufe, wird er sogar erbötig, jeden Artikel, der aufgehört hat, zu gefallen, ohne Widerrede gegen einen andern wieder einzutauschen.

Schnürleibchen waren von jeher den Aerzten ein Dorn im Auge. Warum nicht gar! Madame Martin bietet den Damen Corsets, die gar keine Naht haben, nicht den mindesten Druck üben und (hört! hört!) den Namen der Kaiserin an der Stirn tragen. Was will man mehr!

In zweiter Linie machen sich die kleinern Restaurants breit. Tag aus, Tag ein regnet es in den Hauptstraßen von Paris, wo man geht und steht, Restaurant-Reclamen, vorzüglich aber in der Stunde, welche der Essenszeit vorhergeht; dann ist es aber auch eine wahre Sündfluth. Die Besitzer der „Petit Rocher de Cancale“ und anderer ähnlicher, zur Sättigung der Hungrigen beitragenden Eßanstalten versprechen ihren Gästen goldene Berge. Ein Mittagsessen zu 1 Fr. 75 Cent. (14 Silbergroschen) z. B. besteht aus einem Teller voll Suppe, einer Portion Rindfleisch, einem Zugericht, einem Gericht Gemüse, einer Portion Braten, einem Teller voll Salat, einer halben Flasche Wein und Brod nach Belieben. Ein armer Teufel, der sich durch den niedern Satz verleiten läßt, hinzugehen, verlangt und erhält auch der Reihe nach das auf der Reclame Verheißene. Aber in was für einem Zustande? Die Suppe – nicht versalzen, aber ohne Saft und Kraft – das Fleisch dürftig, trocken, kurz fabelhaft erschöpft – den Wein – um Gotteswillen, erlassen Sie mir die Analyse – –

Mein Hals, der stets ein Weincanal,
Verwandelt sich zu meiner Qual
In eine Wasserleitung!

[748] kann der bedauernswerthe Gast allenfalls ausrufen, vorausgesetzt, daß er je in der Lage gewesen, wirklichen Wein zu trinken. Dazu kommt noch die unglaubliche Raffinirtheit des Küchenpersonals, welches in seinem verborgenen Schacht mit einer solchen Liebe zur Oekonomie zu wirthschaften versteht, daß z. B. gar nicht selten ein Beefsteak an einer Fischsauce statt an seinem jus naturel auf den Tisch gelangt, und umgekehrt. Alles dieses bezieht sich jedoch nur auf die Restaurants untergeordneten Ranges.

Damit gelangen wir an das Heer der sonstigen Gassenreclamen. Hier preist ein Freund der Philanthropie dem Publicum seinen „nordischen Gesundheitstrank“ an. Nektar ist Wasser dagegen! Das sehr angenehme Getränk, welches – cela va sans dire – das Blut reinigt und den Magen „stärkt“, bildet einen Uebergang vom Wein zu den Liqueuren und kann in übergroßen Quantitäten getrunken werden, ohne nur im Mindesten zu schaden. Deshalb schmeckt das billige Getränk auch Jedermann vortrefflich; ja, die Damen können sich gar nicht satt daran trinken!

„Herbei! herbei!“ schreit dort Herr Billardins. „Großer Wettkampf auf dem Billard zwischen mir und dem. Partie en 3000 points!“ Unten steht: „Dies Kaffeehaus ist das größte in ganz Frankreich. Für 2 Franken frühstückt man darin. Speisen und Getränke von bester Qualität!“ –

„Keine Copirpressen, keine Ballen für Stempel und Petschafte mehr!“ ruft ein glücklicher Erfinder aus. „Ein neues chemisches Verfahren ersetzt sie auf vortheilhafte Weise. Unentbehrlich zu Duplicaten und Correspondenz! Unschätzbar auf Reisen! Nur ein Brief wird geschrieben, und zehn Briefe entstehen. In der ganzen civilisirten Welt patentirt. Jede Contrefaçon wird auf’s Strengste geahndet.“ – „Kauft Pressen, Copirpressen, große, mittelgroße, kleine!“ protestirt ein Erfinder älteren Datums. „Die ganze intelligente Kaufmannswelt versieht sich damit. Noch nie hat eine Erfindung in so kurzer Zeit so große Anerkennung gefunden“ etc.

„Ich!!!“ ruft ein bescheidener Adept Hans Sachsens des Schusters in die Welt hinein. „Ich!!! bin einzig in meiner Art in der ganzen Capitale. Durch übermenschliche Anstrengungen bin ich in den Stand gesetzt, mich zum Absatz meiner tadellos gefertigten Waaren keines Zwischenhändlers mehr bedienen zu müssen. Deshalb grenzenlose Billigkeit bei außerordentlicher etc.“ – 140,000 Paar Schuhe für Männer, Weiber und Kinder bietet ein anderer ähnlicher Kunstjünger dem Publicum an. Rabatt 30 Procent, 40 Procent! Auf zwanzig, dreißig andern Prospekten ist accurat dasselbe zu lesen. Wir gehen daher weiter zur Negerreclame.

Nicht zufrieden damit, für seine Privatzwecke Kunst und Industrie auszubeuten, muß der Pariser Industrielle hie und da auch noch den physischen Racenunterschied benutzen, um an sein Ziel zu gelangen. Kostet ihm auch der Unterhalt eines solchen schwarzen Wüstenkindes einige tausend Francs pr. Jahr– was thut’s? das gute Publicum muß es ja bezahlen.

Erst vor einigen Tagen noch sah ich, wie weit die Reclamenwuth der Pariser sich versteigen kann. Indem ich eine der lebhaftesten Straßen der Hauptstadt betrat, wälzte sich mir ein Menschenstrom entgegen, der zum Mindesten eine Regimentsmusik zu begleiten schien. Was war’s? Ein kleiner Neger, der, ein ihm jocharlig übergehängtes buntbemaltes Doppelschild auf Brust und Rücken tragend, gemüthlich seine Sprünge machte und der neugierigen Menge kundthat, daß sein Herr die echtesten indischen Strohhüte in ganz Paris verkaufe. Nicht so ostensibel in Anspruch genommen wird der thürstehende Neger. Hier liegt auch ein eventuell vernünftiger Zweck vor. Dem thürstehenden Neger verdankt das aristokratische Publicum, daß es in einen der prachtvollen Läden der Rue Vivienne, Rue Richelieu u. a. hineinspazieren kann, ohne genöthigt zu sein, auf Augenblicke seinem persönlichen Gleichgewicht zu entsagen, was bei 20 Grad Kälte allerdings sein Angenehmes hat. Will ein Fremder einen solchen Laden betreten, so mag er sich wundern, daß ihm die Thüre vor der Nase aufgeht, als ob er sie aufgeblasen hätte; den dastehenden Neger als lebendige schwarze Reclame gelten zu lassen, wird ihm jedoch schwerlich einfallen. Und doch ist für den in Pacht genommenen Thürsteher kein Ausdruck bezeichnender und logischer.

Vorzugsweise bei Restaurateuren und Friseuren, Parfumeuren und Rotisseuren wird die Fensterreclame ausgehängt, die jedoch im weitem Sinne in jedem Erdreich wuchert. Wo nur ein freies Plätzchen für ihren Autor nutzenbringend werden kann, ist es gewiß bald von ihr in Beschlag genommen. Daß Herr N. N. Unterricht in der englischen Sprache giebt, kann man z. B. in der Boutique einer Weißwäscherin lesen. In einem Tabaksladen lesen wir, daß Don Rodrigo Fechtstunden ertheilt, und daß Mousieur Pas als Tanzlehrer seinen Lebensunterhalt verdient, erfahren wir in der rußigen Höhle eines Kohlenhändlers und Wasserträgers. Das Sprüchwort sagt ja: Practica est multiplex; wir haben ehemalige Universitäts-Professoren mit ihren Fensterreclamen sich gemüthlich bei Victualienhändlerinnen und Milch- und Kaffeewirthinnen einnisten sehen!

Mit Einem Schlage viele Fliegen zu fangen, dazu ist die Reclame durch den Unfall aus Absicht da. Das Geheimniß derselben besteht factisch in Folgendem.

Man geht zu einem Buchdrucker, läßt sich einige hundert Adressen mit fetter Schrift drucken, klebt solche je auf ein Päckchen Waare oder in Ermangelung solcher auf beschwerte Papierröllchen, schüttet den ganzen Vorrath in eine lose zusammengenagelte Kiste, belastet mit dieser seinen Hausknecht oder ein zweirädriges Handkärrchen und instruirt Erstern genau, wie er sich zu verhalten habe. Der trabt dann als Last- oder Zugthier fort, sieht sich eine Straße aus, wo recht viel Lärmen, also Neugierde zu Hause ist, – in Paris gar nichts Seltenes! – und stößt nun mit seiner Last wie von ungefähr gegen eine Mauer oder rennt damit gegen ein Fuhrwerk, bis plötzlich die Geschichte losgeht, die losen Breter nach rechts und links auseinanderfliegen und der ganze Inhalt auf’s Pflaster rollt. Macht dann der Hausknecht noch eine recht verlegene Miene dazu und läßt die Päckchen ja recht lange liegen, damit alle Umstehenden sich die Adresse merken können, so ist die List gelungen, und es kann wieder von vorn angefangen werden.

Haben gewisse Charlatane vor, zu „arbeiten“, wie sie sich selbst ausdrücken, so bedienen sie sich der oratorischen und mimischen Reclame. Für diese Sorte haben wir bereits (Gartenlaube Nr. 23 dieses Jahrg.) das glänzendste Beispiel in dem Bleististhändler Mengin unsern Lesern vorgeführt. Was ließen sich sonst nicht noch für Reclamen anführen! – die der Wasserträger, Kesselflicker, Kleidertrödler z. B. – Aber zu weit gehen hieße am Ende den in den meisten Fällen die Reclame hassenden Pariser selbst für eine Reclame erklären. Und davor bewahre uns der Himmel!




  1. d. h. gleich nach den von der Redaction vertretenen politischen Mittheilungen und von diesen durch einen Querstrich getrennt.