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Das Prinzip der Relativität und die Grundgleichungen der Mechanik

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Textdaten
Autor: Max Planck
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Titel: Das Prinzip der Relativität und die Grundgleichungen der Mechanik
Untertitel:
aus: Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 8. Jg., Heft 7, S. 136–141
Herausgeber: Karl Scheel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Friedrich Vieweg und Sohn
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Erscheinungsort: Braunschweig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Themenseite: Relativitätstheorie
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[136]
Das Prinzip der Relativität und die Grundgleichungen der Mechanik;
von Max Planck.
(Vorgetragen in der Sitzung vom 23. März 1906.)
(Vgl. oben S. 120.)

Das vor kurzem von H. A. Lorentz[1] und in noch allgemeinerer Fassung von A. Einstein[2] eingeführte „Prinzip der Relativität“, welches besagt, daß von zwei durch die Beziehungen:

. . . 1)
( Lichtgeschwindigkeit im Vakuum)

zusammenhängenden Bezugssystemen (, , , ) und (, , , ) keines mit größerem Rechte als das andere für die Grundgleichungen der Mechanik und Elektrodynamik benutzt werden und daher als „ruhend“ bezeichnet werden kann, bedingt, wenn es sich allgemein bewähren sollte, eine so großartige Vereinfachung aller Probleme der Elektrodynamik bewegter Körper, daß die Frage seiner Zulässigkeit in den Vordergrund jeglicher theoretischer Forschung auf diesem Gebiete gestellt zu werden verdient. Freilich scheint diese Frage durch die neuesten wichtigen Messungen von W. Kaufmann[3] bereits erledigt zu sein, und zwar in negativem Sinne, so daß sich jede weitere Untersuchung erübrigen würde. Indessen möchte ich es im Hinblick auf die immerhin nicht ganz einfache Theorie dieser Versuche noch nicht für ganz ausgeschlossen halten, daß das Relativitätsprinzip sich bei näherer Ausarbeitung vielleicht doch noch mit den Beobachtungen verträglich erweisen könnte. Auch dem Bedenken, [137] daß nach dem Relativitätsprinzipe ein bewegtes Elektron einer besonderen Deformationsarbeit unterliegen würde, möchte ich kein entscheidendes Gewicht beimessen, weil man ja diese Arbeit allgemein mit zur kinetischen Energie des Elektrons rechnen kann. Allerdings bleibt damit die Frage nach einer elektrodynamischen Erklärung der Trägheit eine offene; aber dafür erwächst andererseits der Vorteil, daß man dem Elektron weder Kugelgestalt noch überhaupt irgend eine bestimmte Form zuzuschreiben braucht, um zu einer bestimmten Abhängigkeit der Trägheit von der Geschwindigkeit zu gelangen.

Wie dem übrigens auch sein mag: ein physikalischer Gedanke von der Einfachheit und Allgemeinheit, wie der in dem Relativitätsprinzipe enthaltene, verdient es, auf mehr als eine einzige Art geprüft, und, wenn er unrichtig ist, ad absurdum geführt zu werden; und das kann auf keine bessere Weise geschehen, als durch Aufsuchung der Konsequenzen, zu denen er führt. Vielleicht kann also wenigstens von diesem Standpunkte aus betrachtet die folgende Untersuchung einigen Nutzen gewähren. Es wird darin die Aufgabe behandelt, diejenige Form der Grundgleichungen der Mechanik zu bestimmen, welche an die Stelle der gewöhnlichen Newtonschen Bewegungsgleichungen eines freien Massenpunktes:

, , . . . 2)

treten muß, wenn das Relativitätsprinzip allgemeine Gültigkeit besitzen soll.

Nach diesem Prinzipe können nämlich jene einfachen Gleichungen nur mehr für einen ruhenden Punkt (, , ) Gültigkeit beanspruchen. Für eine endliche Geschwindigkeit des Punktes:

. . . 3)

bedürfen sie einer Erweiterung. Man könnte zwar auch für beliebige Werte von einfach durch Definition die Größen , , gleich dem Produkte aus Masse und Beschleunigung setzen und sie als die Komponenten der bewegenden Kraft bezeichnen, wie das ja in vielen Darstellungen der Mechanik direkt geschieht. Allein dann würde die so definierte bewegende Kraft keine selbständige physikalische Bedeutung besitzen, insbesondere würde [138] ihr einfacher Zusammenhang mit der potentiellen Energie verloren gehen. Denn da nach dem Relativitätsprinzipe auch für das durch die Gleichungen 1) definierte „gestrichene“ Bezugssystem die Gleichungen:

, ,

allgemein gelten müßten, so würden sich für die Beziehungen zwischen , , und , , sehr verwickelte Gleichungen ergeben, die man mittels der nach 1) zwischen und usw. gültigen Relationen abzuleiten hätte, und die eine einfache physikalische Bedeutung dieser Größen ausschließen.

Um den allgemeinen Zusammenhang zwischen Beschleunigung und bewegender Kraft kennen zu lernen, empfiehlt es sich, von einem speziellen Falle auszugehen, in dem man den Zusammenhang zwischen den Komponenten der bewegenden Kraft in beiden Bezugssystemen kennt; ein solcher Fall ist die Wirkung eines elektromagnetischen Feldes im Vakuum auf einen mit einer Elektrizitätsmenge geladenen Massenpunkt . Dann gelten nämlich für die elektrischen und magnetischen Feldstärken in beiden Bezugssystemen 1) die Beziehungen[4]:

4)

Wir denken uns den Massenpunkt etwa im Anfangspunkte der Koordinaten des „ungestrichenen“ Systems (, , , ) befindlich und mit den Geschwindigkeitskomponenten , , in bezug auf dies System behaftet und fragen nach den Bewegungsgleichungen. Diese Frage läßt sich eindeutig beantworten dadurch, daß wir uns zunächst in dem Massenpunkte den Anfangspunkt eines neuen Bezugssystems denken, der sich gegen den des ursprünglichen Systems mit den konstanten Geschwindigkeitskomponenten , , bewegt. Die -Achse dieses Systems möge mit der Richtung der Geschwindigkeit des Massenpunktes, deren Größe durch 3) ausgedrückt ist, zusammenfallen. Dann ruht der Massenpunkt in dem neuen Bezugssystem und es gelten für ihn in diesem [139] Systeme die Bewegungsgleichungen in der einfachen Form 2), wobei als bewegende Kraft das Produkt aus der elektrischen Ladung und der elektrischen Feldstärke einzusetzen ist. Nun transformieren wir die Bewegungsgleichungen auf ein zweites Bezugssystem, dessen -Achse wiederum mit der Richtung der Geschwindigkeit zusammenfällt, welches aber nun in dem System (, , , ) ruht. Dazu dienen einerseits, was die Beschleunigungskomponenten betrifft, die Beziehungen 1), andererseits, was die Kraftkomponenten betrifft, die Beziehungen 4), indem überall an die Stelle von gesetzt wird. Schließlich geht man noch durch einfache Drehung der Koordinatenachsen in das System (, , , ) über, und erhält so, nach Ausführung aller dieser elementaren Rechnungen, die Bewegungsgleichungen in der Form:

. . . 5)

Von der allgemeinen Zulässigkeit dieser drei Gleichungen kann man sich hinterher direkt überzeugen durch die Erwägung, daß die Gleichungen nach dem Relativitätsprinzipe richtig bleiben müssen, wenn man in ihnen statt der ungestrichenen Größen überall die gestrichenen schreibt und die Konstanten , und beibehält. In der Tat bestätigt sich dies ganz allgemein infolge der Beziehungen 1) und 4), für jeden beliebigen Wert von .

Wir wollen nun die Bewegungsgleichungen auf ihre einfachste Form bringen. Multipliziert man sie beziehungsweise mit , , und addiert, so folgt:

und dies in 5) substituiert ergibt, wenn man noch setzt:

, usw.
, usw. . . . 6)

[140] Diese Gleichungen enthalten die Lösung der gestellten Aufgabe, sie bilden diejenige Verallgemeinerung der Newtonschen Bewegungsgleichungen 2), welche durch das Prinzip der Relativität gefordert wird.

Vergleicht man sie mit den Lagrangeschen Bewegungsgleichungen:

, usw. . . . 7)

wo das kinetische Potential bezeichnet, so ergibt sich:

. . . 8)

Den Satz der lebendigen Kraft gewinnt man, wenn man die Gleichungen 7) beziehungsweise mit , , multipliziert und addiert. Dann folgt:

,

und aus dieser Beziehung geht der Ausdruck der lebendigen Kraft des Massenpunktes hervor:

.

Die Bewegungsgleichungen 7) lassen sich auch darstellen in der Form des Hamiltonschen Prinzips:

,

wobei die Zeit , sowie die Anfangs- und Endlage unvariiert bleibt, und die virtuelle Arbeit bezeichnet:

.

Endlich stellen wir noch die Hamiltonschen kanonischen Bewegungsgleichungen auf. Hierzu dient die Einführung der „Impulskoordinaten“ , , , wobei:

, usw.

[141] Betrachtet man nun die lebendige Kraft als Funktion von , , , und setzt zur Abkürzung: , so ergibt sich:

und die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen werden:

,
.

Alle diese Beziehungen gelten, wie für das hier benutzte Bezugssystem (, , , ), ebenso auch für jedes andere Bezugssystem (, , , ), welches mit diesem durch die Gleichungen 1) verbunden ist.




  1. H. A. Lorentz, Versl. Kon. Akad. v. Wet. Amsterdam 1904, S. 809.
  2. A. Einstein, Ann. d. Phys. (4) 17, 891, 1905.
  3. W. Kaufmann, Sitzungsber. d. preuß. Akad. d. Wiss. 1905, S. 949; Ann. d. Phys. (4) 19, 487, 1906.
  4. A. Einstein, l. c., S. 909.