Das Recht des Stärkeren
[740] Das Recht des Stärkeren. (Zu dem Bilde S. 737.) Im hohen Riedgras einer einsamen herbstlichen Au, am Rande eines Gehölzes, von dessen Bäumen der Oktoberwind längst das Laub zu Boden gefegt hat, liegt ein stattlicher Rehbock verendet, den erst vor wenigen Minuten des Jägers Blei erreichte. Neben ihm stehen die Hunde; hier der kleine schwache, aber „schneidige“ Dachshund, dort der große starke und gelehrige Hühnerhund. Jener hat das Wild im Lager „hoch gemacht“ und laut auf der Fährte jagend seinem Herrn vors Rohr gebracht, diesen hat der Weidmann, von dessen Fuß er sich früher nicht entfernen durfte, erst nach dem Schuß dem flüchtigen „kranken“ Stück zur Verfolgung nachgeschickt. So finden sich beide beim Verendeten zusammen.
Welch ein Hochgenuß wäre es für den kurzläufigen kleinen Burschen, jetzt an seinem todten Opfer zu zerren, den warmen, aus der Schußwunde triefenden „Schweiß“ (Blut) zu lecken oder das Wildbret „anzuschneiden“, um so auf eigene Faust sich den Antheil an der Beute zu nehmen, die der im Hintergrunde auftauchende Jäger am Ende doch nur ihm zu verdanken hat! Und wie hübsch ließe sich das nun ausführen, wenn er allein wäre!
Aber leider hat sein Unstern eben den stärkeren Kameraden, den Hühnerhund, hergeführt, der gleichfalls auf den Bock Anspruch erhebt. Dieser steht nun, dem Dachshund die Zähne weisend, drohend hinter dem erlegten Wilde und läßt den kleinen lüsternen Gesellen keinen Schritt näher herankommen.
Armer Dächsel! Was bleibt dir unter solchen Umstanden übrig? – Nichts, als ärgerlich über die Vereitelung deiner schönsten Hoffnungen und Wünsche mit eingezogener „Ruthe“ davonzutrollen und knurrend das Recht des Stärkeren anzuerkennen. J. C. Maurer.