Das Renchthal und die Klosterruine Allerheiligen im Schwarzwald

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Titel: Das Renchthal und die Klosterruine Allerheiligen im Schwarzwald
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38–39, S. 605–607, 618–621
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Renchthal und die Klosterruine Allerheiligen im Schwarzwald.


Die Ruinen der Abtei Allerheiligen.
Nach der Natur aufgenommen von C. G. Winckler.

Wenn die feuchten Herbstnebel sich breit und träge hinlagern über die gelbrothen Rebgelände der Vorhügel des Schwarzwaldes, über die kahlen Stoppelfelder und bereiften Matten des Flachlandes, wogt droben über die wolkenlosen Kuppen der Berge, über dunkle Forst- und frischgrüne Bergmatten hin ein Meer wonnig warmen Sonnenscheins, einzelne Käfer und Schmetterlinge freuen sich der letzten Sommertage, Heerden von Rindern und Ziegen grasen an den würzigen Sommerhalden, und die Bewohner einsamer Höfe und weitumher zerstreuter Weiler sammeln ringsum den letzten Segen ihrer mühsam gepflegten Ernte.

Also fort auf den Fittigen des Dampfes, an den langgestreckten, bunten Vorhügeln und Vorbergen, an den freundlichen Städtchen und Dörfern zu ihren Füßen, an der nahen, im heimeligen Thale verborgenen Bäderstadt an der Oos, der römischen Civitas aquensis Aurelia vorüber! Kaum gedenken wir flüchtig dahineilend der Zeiten, wo Hadrian und der fromme Antonin hier neben den trotzenden Castellen ihrer Zwingherrschaft die Heimstätte römischer Gesittung und südländischen Lebensgenusses gründeten, wo Trajan und Caracalla in ländlicher Zurückgezogenheit lebten, wo der Bewohner stolz des römischen Bürgerrechtes sich rühmte, bis der Sturm germanischer Stämme all die Römerherrlichkeiten zerstörte, und über den Trümmern das fränkische Banner, abermals fremder Herrschaft Zeichen, von den Mauern des königlichen Meierhofes flatterte. Jetzt ziehen die letzten Sommergäste, Einer nach dem Andern, von den heilbringenden Quellen und von den grünen Tischen des Herrn Benazet der fernen oder nahen Heimath zu.

Wir aber eilen weiter. Das Denkmal Erwin’s von Steinbach, des deutschen Meisters, der Straßburgs Riesenbau zu den Wolken thürmte, grüßt uns von der Spitze des trauten Rebhügels, die stolze Iburg schaut von ihrer schwindelnden Höhe auf uns nieder, die sonnigen Thäler, an deren Wänden der edle Mauerwein, der Steinwein, der Affenthaler reift, fliegen an uns vorbei, Alt- und Neuwindeck überragen die Thürme von Bühl und Achern, hinter welchem die Pfleganstalt für geistig Kranke, Illenau, in paradiesisch schöner Umgebung hervorblickt. Dort oben schimmert hoch am Berge das weithinschauende Brigittenschloß, und in himmelanstrebender Ferne strecken die Hornisgründe, die mächtige Grenzmauer des Badener und Württemberger Landes, ihren kahlen, waldumkränzten Rücken weithin über die niedrigere Bergwelt zu ihren Füßen.

Noch eine kurze Fahrt, und die Locomotive läßt abermals ihren [606] gellenden Ruf vernehmen; zur Rechten dehnt sich eine fruchtbare Ebene, einst das inselreiche Bett des breit dahinfließenden Rheinstromes, auf dem des Römers Ruderflotte herrschte, in dessen Moorgebieten das Mittelalter seine Tiefburgen und Weiherhäuser baute, – und in nebeliger Ferne, vor dem blauen Hintergründe der Vogesen ragt der Dom Erwin’s, ein einsam stehender Riese, zum Himmel. Zur Linken öffnet sich das breite Renchthal. Wir sind in Appenweier, der Hauptzug eilt weiter dem badischen Oberlande zu, eine Seitenbahn fährt rechts ab nach Kehl und Straßburg. Wir verlassen hier den Schienenweg. Lachender Sonnenschein lagert sich über Feld und Wald, ein frischer Herbstwind bringt uns aus dem Thale den trauten Gruß der Berge. In einer Breite von einer Stunde öffnet sich vor uns das Thal; zur Linken, an der fernen Hügelkette, glänzt zwischen wechselnden Rebgeländen, Wäldern und Matten Giebel an Giebel; auf dem trümmerbedeckten Vorhügel stand ehemals, wie eine Vorwache des Thales, Schloß Ulmburg. Zur Rechten, über rebenbedeckte, fruchtbare Vorhügel und lichtgrünen Buchenwald herüber, grüßen die Zinnen von Staufenberg, und über demselben, im Hintergründe erhebt sich die dunkle, waldbedeckte Kuppe des Stollenwaldes, auf dessen Höhe einst schon der Römer seine weithin herrschende Zwingburg errichtet und kleine Rittergeschlechter des Mittelalters, Staufenbergische Gauerben, gesessen hatten.

Als 1683 von dem kaiserlichen Hoflager in Ungarn aus der Türkensieger, Markgraf Ludwig von Baden, mit unserm Staufenberg und der ganzen Herrschaft Oberkirch belehnt worden, wurde dies die Veranlassung schwerer Drangsale für das Schloß und sein Gebiet, denn 1689 fiel es in plündernde Feindeshand, und die Durbacher Bauern konnten nur unter blutigen Opfern den beutegierigen Feind aus ihren Bergen jagen. Im Jahre 1693 wütheten neue Kämpfe zwischen den welschen Mordbrennern und den Oesterreichern rings in unsern Bergen und Thälern, und der übel berüchtigte Führer des schlimmen Feinden, General Melac, beehrte Staufenberg mit einem Besuche, um es zur Feste wiederherzustellen. Aber dies kam nicht zur Ausführung.

An den sonnigen Bergen und Hügelzügen zu Füßen des Schlosses bis hinab zu dem Dorfe Durbach im Thale wächst der süße, feurige Durbacher Wein, unter den Mauern desselben, in sonnenhellem, lustigem Bezirk, der edle würzige Klingelberger, den im Jahre 1770 der österreichische Feldzeugmeister von Ried, der damalige Inhaber des Schlosses, zuerst hierher verpflanzte, späten Enkelgeschlechtern zu süßer, wonnespendender Labung.

Durch den Großherzog Leopold wurde Schloß und Gut Staufenberg dem Fiscus abgekauft, und ist jetzt noch in den Händen seiner Nachkommen. Um die finstern Höhen des Stollenwaldes, auf denen, über den Grundmauern des alten Römerbaues, die weiten Trümmer eines mittelalterlichen Herrensitzen, des sogenannten „versunkenen Schlosses“, umhergestreut liegen, schweben noch heute die Geister der Sage, und nur mit Bangen geht zur nächtlichen Stunde der Wanderer an dem überwachsenen Gemäuer vorüber, auf dem die „Waldfrau“ noch jetzt ihr Lieblingsplätzchen hat. Dort war’s, wo einst Sobald, des Amtmanns Sohn von Staufenberg, im Waldbusch die schöne Melusine, die Himmel-Stollen-Tochter, erblickte und ihr gelobte, sie in dreien Tagen nach einander mit einem Kuß auf Mund und Wangen zu erlösen, wogegen sie ihm einen reichen Brautschatz, nebst sich selber zum Weibe versprach. Am ersten und zweiten Tage that der Jüngling, wie ihm geboten, obwohl die Waldfrau bereits Flügel und Drachenschweif trug, aber zum dritten Male hatte das Angesicht der Schönen sich in einen Krötenkopf verwandelt. „Kannst Du Dein Antlitz nicht entblößen, so kann ich Dich nicht küssen,“ sprach der bebende Sebald und eilte, vom Schrecken gejagt, den Berg hinab, während unter lautem Schrei Melusine ihre Arme nach dem Fliehenden ausstreckte. Mehrere Jahre nachher saß Sebald in fröhlicher Tafelrunde neben seiner angetrauten Braut, da fiel von der leise gespaltenen Decke herab ein Tropfen auf seinen Teller in seine Speise; ohne es zu wissen, aß er davon und sank augenblicklich todt zur Erde.

Drunten auf dem Staufenberg aber gebot in alten Zeiten Ritter Peter, ein männlicher Held. Heimkehrend von edlen Thaten, findet er neben dem Burgweg eine wunderliebliche Jungfrau sitzend. Die Flamme der Liebe loderte jählings in seinem Herzen.

Ich bin Deine, ewig Dein,
Doch mußt Du auch der Meine sein!

erwiderte die Jungfrau seinem werbenden Worte, und der Bund der Liebe mit der Waldfei war geschlossen.

Unangefochten wirst Du nicht bleiben.
Man wird Dich treiben, Dich zu weiben.
Wo Du es thust, red’ ich ohn’ Zagen.
So bist Du todt in dreien Tagen,

so hatte die Schöne drohend hinzugesetzt, und er hatte ihr freudig Treue geschworen. Allnächtlich kehrte nun zu süßer Minne das schöne Traumbild bei ihm ein, und wenn er erwachte, so erschien ihm Alles wie ein seliger Traum. Da zog Herr Peter fort zur Kaiserkrönung und vergaß dort seines Gelübdes auf der heimischen Burg und freite eine Verwandte des Königs zum Weibe.

Und als zur festlichen Hochzeit die Gäste in der Runde saßen, der Ritter kosend neben der strahlenden Braut, da spaltete sich über ihnen des Saales Decke, und, wie sie vorausgesagt, zeigte die Meerfei durch die Oeffnung den wunderlieblichen Fuß bis an das Knie, und der Ritter fühlte, daß sein Urtheil gesprochen. Der Hochzeitjubel verhallte, die Gäste eilten in banger Sorge von dannen, in drei Tagen war Peter von Staufenberg eine Leiche. So die Sage.

Doch wir eilen weiter im Renchthale vorwärts. Fruchtbares Ackergelände, herbstlich geröthete Rebhügel, liebliche Waldschluchten mit einsamen Hütten, dunkler Tannenbusch, wechselnd mit lichtem Birkenschlag zur Rechten, breite, reichbewässerte Wiesengründe zur Linken, erreichen wir das in einem Walde von Obstbäumen liegende Dorf Nußbach.

Das Dorf sieht gar freundlich und wohlhäbig drein mit seinen großen, stattlichen Bauernhöfen, seinen freundlichen Häusern an der breiten Straße, mit dem schönen Pfarrhof zwischen blühenden Gärten, an dessen Vorderseite eine Steinschrift bekundet, daß der Abt von Allerheiligen des Hauses Gründer gewesen. Trotz dem neuen Aussehen ist aber Nußbach schon ein alter Ort, vielleicht das älteste Dorf des Thales, denn als Uta von Schauenburg 1196 das Kloster Allerheiligen gründete, vergabte sie demselben auch die hiesige Kirche.

Die Aepfel-, Birn- und Nußbäume, bisher unsere steten Begleiter am Wege hin, machen dem weniger empfindlichen Kirschbaume Platz, ein Zeichen, daß wir uns der Heimath des besten Kirschwassers nähern, von dem mancher Hofbauer seine 1200 Maß im Keller hat. Der Vogelbeerbaum wiegt im Herbstwinde seine rothbehangenen Zweige; Elster, Rabe, Häher, die beweglichen, unruhigen, schreienden Gäste des Herbstes, hüpfen um uns her, jetzt führt der Weg hart um den Vorsprung eines waldigen Hügels zur Rechten, und wie mit einem Zauberschlage liegt das liebliche, großartig eingerahmte Oberkircher Thal vor uns ausgebreitet.

Wir rasten eine kurze Weile auf dem Steindamm am Rande der Straße, in dem zauberischen Anblick versunken, der sich vor uns ausbreitet, aber nicht lange, denn es treibt uns vorwärts, mitten in die reiche Gebirgsherrlichkeit hinein, die uns in buntem, wechselvollem Rundgemälde umgiebt. In wenigen Minuten stehen wir mitten in dem Thale. Nahe vor uns liegt die von modernem Sprengwerk getragene Brücke über die rauschende Rench; überall ziehen sich lebendige Wasser und glitzernde Rinnsale durch die dunkelgrünen Wiesen; zur Linken treten die steilen Rebgehänge näher heran, zur Rechten erheben sich die Waldgebirge über Fürsteneck hinauf bis zu der weit über 2000 Fuß emporragenden langen Kupp: des Mooswaldes, der Scheide des Rench- und vordern Kinzigthales; im Hintergründe umsäumen, immer höher und wilder emporsteigend, die gewaltigen Berge des obern Renchthals bis gegen den Kniebis hin, aus dessen Wurzeln jene perlenden Quellen hervorsprudeln, aus denen schon so mancher Leidende und dem Tode Verfallene den lindernden und rettenden Trank geschöpft; vor uns, von eilenden Wassern getrieben und gefördert, klappern, stampfen, ächzen die Mühlen, rauchen die Schornsteine, rühren sich Hunderte geschäftiger Arme, und dort stehen in behaglicher Ruhe die altersgrauen Giebel und Thürme des Städtchens Oberkirch. Wahrlich, selten wirst Du ein Plätzchen finden, an dem so viel liebliche und großartige, so viel anmuthig milde und wilde Natur, so viel idyllisch ländliches, so viel reges, rastlos geschäftiges Menschenleben, so viel Gegenwart und so viel Vergangenheit im engen Rahmen eines kleinen Bildes sich vereinigt.

Blicken wir von der Brücke an der linken Thalwand gerade, fast senkrecht empor, so sehen wir auf steilem Felsenvorsprung die noch in ihrer Zertrümmerung stolz herabschauenden Mauern der Schauenburg, einst ein zähringisch Erbgut, und drüben auf [607] der Höhe zur Rechten, hinter dem Tannenwald verborgen, liegen die Trümmer des Schlosses Fürsteneck, von einem Erben der Zähringer, Heinrich von Fürstenberg, 1260 zu besserem Schutze seiner Herrschaft Oberkirch erbaut.

Nähern wir uns nun langsamen Schrittes dem Städtchen Oberkirch. Wir stehen hier im Herzen der gesegneten Ortenau, jetzt einer der schönsten und verhältnißmäßig bevölkertsten Gegenden des herrlichen badener Landes. Die Felder bringen Getreide aller Art, Hanf, Kartoffeln, die Fluren und Hügel den reichsten Obstsegen an Aepfeln, Birnen, Nüssen, Kirschen, womit ganze Märkte an Ort und Stelle veranstaltet und fremde, weit entlegene Märkte versehen werden, sowie auch zahme Kastanien hervor, die sonnigen, den warmen Süd- und Westwinden offenen Halden trefflichen Wein; aus den Wäldern wird Holz in Scheiten, Kohlen, Baustämmen, Bretern und Latten theils nach den reich versehenen Lagerplätzen in den Städtchen und Dörfern im Thal, theils geraden Weges an den Rhein und nach Straßburg verführt; Pech und Harz siedet der Hinterwäldler und versendet es in schweren Ladungen; der Viehstand ist blühend, süßen Honig in Menge liefern die würzigen Bergkräuter; frisches, labendes Trinkwasser sprudelt allenthalben aus den Rinnsalen der Berge, wässert in künstlichen und natürlichen Runsen die Matten, und selbst die Göttin der Gesundheit, die wohlthätige Hygiea, läßt an vielen Stellen aus dem Schooß der Berge ihre heilbringenden Quellen strömen.

In solcher glücklichen Natur ist auch die Anlage der Menschennatur eine glückliche und kernhafte. Natürliche Gutmüthigkeit, Gottesfurcht, Offenheit, Redlichkeit, unverdrossener Fleiß, heitere Lebensanschauung, Gehorsam gegen Gesetz und Obrigkeit, Treue gegen das Fürstenhaus sind von jeher hervortretende Züge in dem Charakterbilde des wackern Völkleins gewesen, und selbst da, wo die Verfeinerung der neuern Zeiten dieselben etwas verwischt hat, ist das alte gute Gepräge nicht ganz unkenntlich geworden. Nächst dem Bau des Bodens ist der Handel mit dessen Erzeugnissen, so wie mit Durchgangswaaren ihre vornehmliche Nahrungsquelle.

Frühe schon theilte sich, wie die Geschichte der genannten Geschlechter und Herrensitze zeigt, die alte fränkische Gaugrafschaft Mortenau (Ortenau) in kleinere Gebiete. Das größte derselben blieb die Herrschaft Ulmburg, später Herrschaft Oberkirch genannt, welche von dem Fuße des Kniebis bis in die Rheinebene durch das Renchthal und Kappeler Thal sich erstreckte.

Wir übergehen die wechselnden Schicksale des Ländchens in älterer Zeit, in welcher die oft streitbaren Bischöfe von Straßburg mancherlei Kriegsnoth herbeiführten und der Krummstab schwer auf dem Nacken des armen Volkes lag. Die Tage des Bauernkrieges riefen mit dem Ortenauer Haufen auch unsere Oberkircher unter die Waffen, aber der edle Markgraf Philipp von Baden, zu dessen Landeshoheit die Herrschaft gehörte, brachte am 22. Mai 1525 den glücklichen Tag zu Renchen zu Stande. Den Bauern ward großmüthig Vergebung zu Theil, nur Korn, Mahlfrüchte und Wein sollten fortan den ganzen Zehnten leisten, der Kleinzehnten ward zur Hälfte herabgesetzt, Jagd- und Waldrecht wurden geregelt, Wölfe, Bären und Wildschweine sollten zur freien Jagd zählen, die Frohnden wurden gemildert, der Todfall abgeschafft, nur der Ehrschatz als Erbsteuer für Güter beibehalten. Der Sturm des Bauernkrieges umtobte rechts und links unser friedliches Eiland, es gewann aus demselben seine bessern Zustände. Der dreißigjährige Krieg löste abermals auch hier alle Bande, Schweden und Kaiserliche wütheten abwechselnd in dem schönen Ländchen; mehr denn einmal flüchteten die Bewohner das nackte Leben in die Berge. Im Jahre 1648 kam die Herrschaft abermals als Reichslehen pfandweise an Württemberg, bis 1665 Straßburg sie wieder einlöste. Als aber in den Kriegen des Reiches mit Ludwig XIV. der Bischof Egon von Straßburg zu dem Reichsfeind sich neigte, wurde 1683 Markgraf Ludwig von Baden mit der Herrschaft Oberkirch belehnt, welche dafür die schwere Rache der Franzosen zu tragen hatte, bis sie 1699, freilich als eine öde Brandstätte, wieder an Straßburg kam.

Das 18. Jahrhundert brachte langwierige Waldprocesse mit dem Stift; der französische Revolutionskrieg konnte unser Thal als Durchgang zu dem wichtigen Kniebispaß nicht unberührt lassen. Drei Mal standen die tapfern Bewohner des Thales in offenem Kampfe wider den zügellosen Feind, im Jahr 1800 starben 70 Bürger bei Bolzhurst den Tod für’s Vaterland. Das Jahr 1801 brachte Friede und eine neue bessere, die badische Herrschaft.

Unser Städtchen Oberkirch selbst, welches sich malerisch an den linken Fuß des Gebirges anlehnt, und an welchem die lustige Rench vorüberfließt, hat seinen Namen offenbar daher, daß in ältern Zeiten nach der ersten Kirche des Thales zu Nußbach die zweite weiter oben im Thale hier entstand, sodaß hier die obere, dort die untere Kirche war. Unter straßburgischer Herrschaft war Oberkirch nicht nur Sitz des Oberamtes, sondern auch Hauptort eines eigenen Gerichtsbezirkes, dem ein Schultheiß, Stabhalter und 10 Richter vorstanden, und hatte das Münzrecht in einem dazu bestimmten Gebäude. Auch bestand hier ein jetzt eingegangenen Kapuzinerkloster. Jetzt ist es Sitz eines Decanates und Bezirksamtes, sowie der übrigen herrschaftlichen Stellen. Auf der Höhe nordöstlich davon steht zwischen herrlichen Nebengebäuden das freundliche Landhaus des Herrn v. Haber, und die Geselligkeit der friedlichen Bewohner hat sich manches traute Plätzchen geschaffen, an welchem auch der fremde Gast eine stets freundliche Aufnahme und eine frohe Abendstunde im trauten Kreise findet.

[618] Am andern Morgen wandern wir zum Städtchen Oberkirch hinaus in’s duftig dämmernde Thal; die Berge rücken uns näher von der Rechten und Linken. Es ist Sonntag. Aus den Seitenthälern, von den Höfen und Weilern an den Thalwänden her strömen festlich geschmückte Gäste zur Mutterkirche. Die Männer und Knaben in rothbodiger Pelzmütze oder breitrandigem, schwarzem Hut, dem schwarzen, weiß oder roth gefütterten Tuch- oder Zwillichrock, der rothen Weste, langen schwarzen Zeughosen oder kurzen Lederhosen mit Halbstiefeln, selten Schuhen mit weißen Strümpfen, die Weiber mit schwarzer Bänderhaube, die Mädchen, unter denen wir manches edle, liebliche Gesichtchen heraus finden, mit unbedecktem, in verschiedene Form geflochtenem Haupthaar, rothem Halstuch, schwarzer, kurzer Leibjacke und blauem Rock.

In einer halben Stunde haben wir Lautenbach erreicht, dessen berühmte, einst von Allerheiligen aus versehene Wallfahrtskirche ein gutes Altargemälde und zur Linken im Hauptschiff ein nicht minder sehenswerthes Oelbild enthält. Hier haben wir die Wahl zwischen drei Wegen nach Allerheiligen, entweder der Thalstraße nach über Oppenau, und von da weitere zwei Stunden das reizende Lierbacher Thal hinauf, ohne Zweifel der bequemste, aber längste, oder von Lautenbach an über den Soolberg, oder durch das Sulzbachthälchen über den Brunnberg. Wir wählen den Letzten.

Nach zehn Minuten biegen wir links in das enge Thälchen ein, in dem wir nach weitern zehn Minuten das Badhaus Sulzbach erreichen. Zwischen den beiden Badhäusern, unter einem bedeckten Gange hindurch, an dem Ausfluß der Quelle vorbei, steigen wir bergauf in eine einsame, wilde, reiche Gebirgswelt hinein. Eine gute halbe Stunde führt uns so der rauhe Bergweg steil im Walde aufwärts, dann öffnet sich vor uns die Waldgegend, mächtige dunkle Berge ragen zur Linken und Rechten empor, tief eingeschnittene Wiesenecken ziehen sich unter ihnen hin; noch fünf Minuten steigen wir empor; Aepfel- und Birnbäume, an deren entlaubten Aesten noch das spätreifende Obst hängt, sind uns die Verkündiger naher Menschenwohnungen, und nach wenigen Schritten stehen wir in dem Gehöfte des Brunnberghofes. Heerden von Schweinen und Kühen ziehen an den Höhen umher, tief über die niedern Fenster hängt das schützende Strohdach, im untern Stockwerke reihen sich die Stallungen für das zahlreiche Vieh, Scheunen und Schoppen aneinander, in den zweiten Stock, zu den Wohnungen der Familie, führt die hohe starke Holztreppe; das Ganze macht den Eindruck einer wohnlichen Stätte in dieser wilden Gebirgseinsamkeit.

Die rothwangige Bäuerin streckt den Kopf zum Fenster heraus und deutet uns die Richtung des Weges an. Wir folgen über eine kahle Bergwiese der angegebenen Richtung. Eine fliegende Nebelwolke hüllt uns plötzlich in ihren feuchten Schooß, aber ein Windstoß jagt sie stäubend über uns hinweg, die blinkenden Sonnenstrahlen drücken sie an die dämmernde Bergwand zur Rechten; wenige Schritte, und wir stehen an dem Saum der Bergmatte, und – eine ungeahnte, wunderherrliche Gebirgswelt liegt, wie aus dem Schooße der Wolke gezaubert, zu unseren Füßen. Es ist das Lierbacher Thal, in dessen Tiefe das Nordwasser rauscht, an dessen Hängen einsame Berghütten nisten oder durch steigende Rauchsäulen ihre Stätte in der verborgenen Schlucht verrathen, über dem gewaltige Bergrücken mit ihren Waldsäumen und Waldkronen, ihren Wiesengründen, ihren Felsenzinnen sich hinziehen – wahrlich ein Anblick, ein Stück idyllisch schöner Schöpfung, wie uns wohl selten ein zweites begegnet, und wohl werth des Schweißes, den uns der Bergpfad vom Sulzbachthälchen herauf gekostet. Noch einmal werfen wir den Blick hinüber auf jene Felsenspitze über dem Thale. Es ist die Felsenkirche, der Siebenschwesternfelsen, einst ein Kirchlein, in welches sich sieben Schwestern vor der Gewaltthat verfolgender Hunnen geflüchtet hatten. In ihrer Noth flehten sie zur Mutter Gottes, welche das Kirchlein in einen Felsen verwandelte und so die Schwestern hinter den Felsenmauern rettete.

Neugestärkt, nichts mehr fühlend von der Beschwerde des Weges hinter uns, durchrieselt von der reinen, kühlenden Berglust, geleitet vom wärmenden Sonnenstrahl, folgen wir langsamen, zögernden Schrittes dem bequemen, in Sommertagen dicht beschatteten Fußpfade, der uns jetzt durch stolzen Buchen- und Ahornwald, jetzt durch dichten, dunkelgrünen Tannenschlag, jetzt an lichten Gebüschen mit dem zarten, seidenblätterigen Berggras, der [619] rothblühenden Haide, der späten Heidelbeere vorüber, hinunter führt in das Lierbacher Thal. Die warme Herbstsonne hat sich in seinem Schooße gelagert, ihren Lebensodem noch einmal durch die hinsterbende Natur ergießend; es ist, als wollte sich in dem sonnigen Herbstmorgen Alles, Alles noch einmal an ihren Funken erfreuen und neu beleben: an dem erwärmten Felsen rollt bröckelndes Gestein herab, das dürre Laub rauscht, die Elster hüpft durch die Büsche, der schwanke Birkengipfel, das Gras wiegt sich leise träumend im Herbstwinde, die Eidechse huscht über die Baumwurzeln, der letzten Käfer einer glitzert im Sonnenstrahl, und auch um des Wanderers Herz legt sich der Sonnenglanz wonnigen, glückseligen Behagens. Das Rauschen der Wasserfälle dringt, wie aus unterirdischen, verschlossenen Kammern, in gedämpften, ahnungsvollen Tönen fernher aus dem Schooß des Berges herüber. Wir wandern, stillen Träumen nachhängend, des Weges im Thale weiter, die steilen, waldigen Berge treten hochaufstrebend heran, sie schließen unsere Straße – eine Wendung zur Linken, die Schranke öffnet sich, aber nur um uns eine neue zu zeigen. Ein mächtiges Felsenthor erhebt vor uns seine Pfeiler; auf dem linken, in schwindelnder Höhe steht ein einfaches Holzkreuz, um des rechten kahle Zacken schlingen kühne Tannen ihre Wurzeln.

Es ist der Eingang zu den Büttenschröffenfelsen und den Wasserfällen von Allerheiligen. Wir treten über eine schmale hölzerne Brücke ein. Unter vier bis fünf hohen, dichten Tannen reihen sich in dem dämmernden Dunkel ihres Schattens bequeme Rasenbänke im Halbkreise. Von da folgen wir, den Bach zur Linken, dem ebenen Fußwege und erreichen bald den ersten, nur wenige Fuß hohen Fall, dann den zweiten, der über eine etwa zwölf Fuß lange, halb flach liegende Felsenplatte herunterschießt.

Wir stehen in einem tiefen Felsenkessel; unten am Wasser sind die Steinwände mit dichtem Moose bekleidet, weiter hinauf hängen einzelne Büsche, niedrige Tannen mit grüngelben Flechten an den Felsen, und staffelförmig ansteigend schließen in schauerlicher Höhe die kahlen Zinnen den Rand des Wasserkessels, über welchen der Sage nach einst ein von Kaiserlichen verfolgter schwedischer Reiter den Sprung auf Leben und Tod wagte, doch in der Tiefe zerschellte, woher der Felsen noch jetzt den Namen „Reitersprung“ führt. Ein dritter Fall stürzt sich etwa zehn Fuß hoch über eine steile Felsenwand. Wir überschreiten eine zweite Brücke, um nach der anderen Seite zu gelangen. Dort führen uns hart an der linken Felsenwand Treppen mit sicherndem Geländer an den wildrauschenden Fällen empor. Senkrecht, wohl 400 Fuß hoch, starrt drüben die steile Steinwand empor, dürre Tannen und mageres Buschwerk klammern sich in ihre Ritzen, zu ihren Füßen stürzt sich über 20 Fuß hoch der vierte Fall schäumend in das aufgewühlte Steinbecken, über ihm rieselt der Bach in kleinern sprudelnden Fällen von Steinstufe zu Steinstufe, eine dritte schmale Brücke führt gerade über die kleinen Cascaden hinüber auf eine Felsenstaffel, auf welcher ein gar liebliches, herrliches Ruheplätzchen unter der ansteigenden Felswand angebracht ist. Unter uns schäumt der eben bewunderte vierte Fall, über uns aus der Tannenschlucht heraus stürzt dröhnend der fünfte, größte unter der Brücke vor uns vorbei, weiterem Sturze entgegeneilend. Hier, auf dem Belvedere, ist unstreitig der schönste Platz der ganzen Partie. Ringsum, über uns, unter uns, rauscht und sprudelt und schäumt es, rings thürmen sich die Berge, die Felsen, die Klüfte, der dunkelnde Wald um uns empor, und über die Fälle zu unsern Füßen hinaus senkt sich das Auge hinab durch die Tannenschlucht und streift in die duftigen, sonnig beglänzten Berge des Lierbacher Thales. Aber auch an unser traulich Plätzchen wirft die Sonne ihren erwärmenden Strahl und spiegelt sich in tausend und abertausend schäumenden Silberperlen, und spiegelt sich in der freudig verklärten Tiefe unserer eigenen Seele.

Drüben, an dem Felsen des anderen Ufers, steigt eine morsche Treppe zu einem nicht minder zerbrechlichen Gerüste empor. Ob wohl der Maler hier gesessen, als er unsere Ansicht von den Wasserfällen genommen? Wir wissen es nicht, sicher aber ist, daß sich von da aus das schönste Bild der drei größten aufeinander folgenden Fälle gewinnen läßt.

Widerstrebenden Herzens verlassen wir unser Ruheplätzchen, über die Brücke nach dem andern Ufer zurückkehrend. In einer zwanzig Fuß breiten, fünfzig Fuß tiefen Spalte, links am Wege, klafft dort die geborstene Granitwand auseinander, über eine tischförmig runde Felsenplatte stürzt etwa acht Fuß hoch der sechste Fall, und wenige Schritte über demselben strömt über die ganze Breite des Baches der siebente oder, wenn man will, der erste. Die Waldgebirge zu beiden Seiten werden niedriger, wir verfolgen in einem fast ebenen Hochthälchen den Lauf des Baches. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren, als ein blutjunges Bürschlein, hat der Verfasser schon diese wildromantischen Gegenden besucht; aber damals war wohl hier eine wilde Bergschlucht, das schäumende Bergwasser brauste durch dieselben hinab, von oben und von unten im Thale konnte man sein Rauschen vernehmen, von einer thurmhohen Felsenspitze zur Seite konnte man da und dort hinabschauen in die schaurige Tiefe; vielleicht mochte auch ein waghalsiger Bergsteiger hinabsteigen in den tosenden Schlund; aber erst 1840 hat ein wackerer Mann, Bezirksförster Eichrodt, Hand an’s Werk gelegt, diesen einzig schönen Punkt zugänglich zu machen, und so selbst dem Fuße des zartern Geschlechtes Weg und Steg sicher zu bereiten. Seitdem ist Allerheiligen mit seinen Wasserfällen ein von Nah und Fern oft besuchter Ort geworden, und allsommerlich wandern die Badegäste von Sulzbach, Freiersbach, Petersthal, Arbogast und Grießbach einzeln ober in Gesellschaften hierher.

Das Waldthälchen, in dem wir fortschlendern, wird licht, ein freundlicher, welliger Wiesenplan breitet sich vor uns aus, und nach einer Krümmung des Weges nach links erblicken wir in dem ringsum von hohen Waldgebirgen umschlossenen Wiesenkessel die Gebäude des ehemaligen Klosters Allerheiligen. Jenseits des forellenreichen Baches stehen noch die Steinpfosten des ehemaligen sogenannten Gastgartens, zur Rechten stand vor dem Thore das Schlachthaus und das lange Werkstättengebäude, links am Thore das ehemalige Gasthaus und die Stallungen. Wir treten durch das Thor ein, von dem noch die Fundamente eines runden Thorthurmes stehen. In gerader Flucht zu unserer Rechten stand der Speisesaal, die Abtei, hinter derselben der Conventsgarten und weiter zurück das Holzhaus. An die Abtei stieß der Bau, welcher oben die Krankenzimmer, unten Kellerei und Küche enthielt, und hinter demselben befand sich, über dem großen gewölbten Keller, der geräumige, viereckige innere Klosterhof; von dem Conventshaus, dem Capitelhaus und an der westlichen Seite von der Klosterkirche eingeschlossen. Neben der Kirche lag der Friedhof, nordwestlich davon eine Sägemühle, und dem Abteigebäude und vordern Klosterhofe gegenüber befand sich südlich der große, noch jetzt in seiner Einfassung erhaltene Abteigarten, in dessen Mitte das Gymnasium stand. Jetzt stehen noch einzelne von den Neben- und Wirthschaftsgebäuden, von wenigen Tagelöhnern bewohnt, zerfallend unter dem wechselnden Einfluß der Monden und Jahre. In dem Abteigebäude hat die Regierung eine Wirthschaft errichtet.

Wir treten durch ein Vorgewölbe, in welchem rechts und links Säulenstücke aller Art, Capitäle, Schäfte, Füße umherliegen, durch das Portal, dessen Wappen die Zahl 1669 trägt, in den Raum des Hauptschiffes ein. Der Baustyl ist ein schöner altdeutscher, der Chorbogen, die Bögen zu den Seitenchören waren Rundbogen, das Hauptschiff und der Chor selbst ein Kreuzgewölbe. Von dem Langhause ist das nordwestliche Seitenschiff ganz verschwunden, 2–3 Fuß hohe Säulenfüße ragen noch aus dem moosbedeckten Boden hervor. Von der südöstlichen Seite stehen noch drei Säulen des Hauptschiffes, die Außenmauern und der Bogen einer Seitencapelle. Durch den Bogen des Chores aber blicken wir hinaus in die waldige Gebirgslandschaft. Auf den zerfallenden Mauern wächst die Dornenhecke, der wilde Brombeerstrauch und die genügsame Zwergtanne, um die Säulenfüße, über die umherliegenden Friese und Säulenschäfte, über den Deckelplatten einsinkender Grabgewölbe wuchert üppiges Moos und weiches Berggras, und unwillkürlich trägt es die Seele auf den Fittigen des Gedankens zurück in jene Tage, in welchen noch Gebet und Gesang in den heiligen Hallen des Gotteshauses ertönten und reges, emsiges, oft lärmendes und heiteres Leben waltete in den Häusern ringsumher, und Hunderte frommer Anbeter zur Wallfahrt um des Tempels Pforten sich sammelten. Die Klosterkirche, ehemals ein schönes, stattliches Gebäude, war aus Quadern erbaut, groß und reich verziert, hatte einen prachtvollen Hauptaltar und sechs Nebenaltäre und ein schönes vergoldetes Ciborium mit biblischen Darstellungen in getriebener Arbeit. Auch die Klosterbibliothek war nicht unbedeutend.

Wir blicken weiter zurück in die Tage, in welchen noch die Grabesstille des Urwaldes über Bergen, Schluchten und Thälern lag, stiller und tiefer als jetzt über diesen zerbröckelnden Trümmern, in die Tage, in welchen zuerst des Menschen Hand die Axt legte an

[620]

Die Wasserfälle von Allerheiligen.
Nach der Natur aufgenommen von C. G. Winckler.

die Bäume des Waldes, und zuerst des Menschen, eines Weibes frommer Wille auch hier in dieser Gebirgseinöde eine Heimathstätte menschlicher Gesittung und traulichen Erdenlebens gründete.

Es war um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, als Uta, die Tochter des rheinischen Pfalzgrafen Gottfried und der Luitgardis, der Tochter Berthold’s des Dritten von Zähringen, mit dem in Baiern, Schwaben und Italien länderreichen Herzog Welf IV. sich vermählte. Der einzige Sohn ward ihnen bald entrissen. Der Herzog aber fand keinen Gefallen an den Freuden des Hauses, sondern führte ein unstätes, sittenloses Leben, trennte sich von seiner Gemahlin, welche einsame Jahre der Wittwenschaft in Italien vertrauerte. Da traf die Rache des Himmels den leichtfertigen Gemahl: erblindet, mit reuiger Seele kehrte er zu der vorher Verlassenen zurück. Als ein Büßender, ein Wohlthäter der Kirche und [621] der Armen lebte er bis 1191. Uta aber, welche als ihrer Mutter Erbgut das Zähringische Allod Schauenburg mit umliegenden Gütern erhalten hatte, nannte sich nach dieser Veste und verlebte daselbst ihre letzten Wittwenjahre in frommen Uebungen. Wohl in Folge getroffener Verabredung mit Welf gedachte sie sofort daran, ein Kloster zu stiften. Sie liebte die Regel Norbert’s von Prämonstrat. Ihr Kloster sollte dieser Regel gehorchen.

In dem Bergwinkel, aus welchem das Nordwasser durch wilde Schluchten hinabstürzt, um nach wenigen Stunden sich mit der Rench zu vereinigen, begann sie den Bau einer Kirche, welche, schon 1193 vollendet, allen Heiligen geweiht ward, und beschenkte das Kloster mit reichen Gütern. Anfangs war es eine Propstei mit fünf Geistlichen. Die Geldnoth des Adels, die fromme Sitte der Zeiten mehrte ihre Besitzungen so rasch, daß schon die Grafen von Freiburg fernere Veräußerungen an dasselbe zu verbieten suchten.

Der Ruf guter Sitte, reger Thätigkeit und wissenschaftlichen Strebens mehrte sein Ansehen so, daß demselben schon um 1250 das Kloster Lorsch einverleibt und mit Geistlichen aus Allerheiligen besetzt wurde. Die Mönche, deren Zahl auf 30–40, deren Einnahme über 20,000 Fl. gestiegen war, beschäftigten sich theils mit der Seelsorge im Kloster und auswärts, theils mit dem Unterricht in Elementar- und wissenschaftlichen Gegenständen, und ihre Bodencultur wurde ein Muster für die ganze Umgegend.

1657 war es zur Abtei erhoben worden, aber dennoch entging es nicht den Stürmen der Zeiten. Der Bauernkrieg, Unruhen gegen die Bischöfe von Straßburg, die französische Revolution brachten wirkliche oder doch schwer drohende Drangsale, und das Jahr 1802 endlich führte seine Aufhebung und 1803 die Auswanderung der Mönche nach Lautenbach herbei. Man berathschlagte hin und her, ob man dasselbe seinem Zweck erhalten, oder ein Besserungshaus für Geistliche, oder sogar eine Spinnerei daraus machen wolle, als am 6. Juni 1803 ein Blitz vom Himmel allen Berathungen ein Ende machte, und die Flamme Kirche und Klostergebäude in einen Trümmer- und Schutthaufen verwandelte.

Vor uns, auf der Höhe des Soolberges, rinnt die frische Quelle des Eselsbrunnens, der uns daran erinnert, daß auch an die Gründung dieses Gotteshauses eine Sage sich knüpft.

Lange Zeit, so wird erzählt, war Uta unschlüssig, wohin sie die Zellen ihres Gotteshauses bauen wollte. Da beschloß sie, die Entscheidung dem Himmel (!!) anheimzugeben. Am Tage der h. Ursula ließ sie mit dem zum Bau bestimmten Gelde einen Esel beladen und diesen frei seines Weges gehen. Von ferne beobachtete man, wo er sich zuerst niederlegen würde. Dort sollte das Kloster sich erheben. Das Thier lief zwei Stunden bergan, bis der Durst es zwang, an einer Quelle zu trinken, welche jetzt noch der Eselsbrunnen heißt. Von da setzte es gestärkt seinen Weg durch das Dickicht des Waldes fort, bis auf die Höhe des Soolberges, wo es seine Last abwarf. Hier aber war es zu rauh und winterlich zur Errichtung eines bewohnten Gotteshauses, man baute daher daselbst nur eine Kapelle zur h. Ursula, und wählte zur Gründung des Klosters die Wiesenau am Nordwasser zu Füßen des Berges.

Lange saß ich träumend und alter Zeiten gedenkend in den zerbröckelnden Klostertrümmern, da mahnte der rasche Flug der Stunden zum Aufbruch.

Von den Klostertrümmern hinweg stieg einige hundert Schritte die breite Fahrstraße bergan, dem dunklen Tannenwalde zu, dann neigte sich der breite, aber grasbedeckre Weg schnell bergab. Wohl drei Viertelstunden führt er durch den hohen Tannenforst unaufhaltsam thalwärts hinab, da auf einmal öffnet sich das dämmernde Dunkel des Waldes, und vor uns liegt, nach der fernen Rheinebene sich hinziehend, das liebliche Thal der Acher. Die weithin zerstreuten Häuser von Ottenhöfen, der lebendige Fluß zur Seite, die grünen Matten, die fruchtbaren Hügelgelände geleiten uns freundlich weiter. Das Edelfrauengrab hinter Ottenhöfen, die Veste der Röder von Hohenrod, die Trümmer des Bosensteiner Schlosses, der Herrensitz zum Neuenstein über dem Dorfe Kappel, nichts vermag unsere eilenden Schritte zu hemmen. Durch Kappel, an Oberachern, an der Illenau vorüber, durch Achern geht es ohne Aufenthalt zur Eisenbahn. Es war ein rascher Marsch, die vierthalb Stunden Weges vom Kloster bis zur Station, eines Zwanzigjährigen nicht unwerth, aber wer möchte in solchem vorüberfliegenden, immer neu überraschenden Wechsel der wunderherrlichen Landschaft der gemeinen Prosa blasiger Fersen oder enger Stiefeln gedenken, wer dürfte träge einherschlendern, wenn schon die schwarze Maschine pfeift, die uns mit dämonischer Gewalt im Fluge entführen soll?