Das Rockenweibchen

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Textdaten
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Autor: Alois Wilhelm Schreiber
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Titel: Das Rockenweibchen
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 300–303
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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Das Rockenweibchen.

Die hohe Felsenwand im Rücken des Schloßes Eberstein im Murgthale heißt der „Rockenfels“. Darin wohnte vor [301] Zeiten in einer unterirdischen Kammer ein Bergweiblein, zwar weder jung mehr noch schön von Gestalt, doch gar freundlich und dienstfertig über die Maßen. Oft pflegte sie des Abends die Spinnstuben der umwohnenden Landleute zu besuchen und erzählte dann dem lauschenden jungen Völkchen allerlei seltsame Märchen, heitere und schaurige. Wo sie weilte, füllten sich die Spulen noch einmal so schnell als sonst, und der Faden wurde noch viel feiner und gleicher.

Damals lebte auf Eberstein ein Burgvogt, ein gar harter, finsterer Mann; der zwang die Mägde im Frauenhaus täglich bis in die tiefste Nacht zur Arbeit und gönnte ihnen kaum ein bischen Brod und Erholung. Unter denselben befand sich auch eine junge schmucke Dirne, Namens Klara, ein ausnehmend frommes, ehrbares Kind; die hatte der Schloßgärtner schon längst zu seiner Liebsten erkoren und sie kam ihm mit gleichen Gefühlen entgegen. Weil sie aber eine Leibeigene von Eberstein war, durfte sie sich, ohne des Vogts Bewilligung, nicht verheirathen, und dieser wußte jedesmal, wenn ihn das liebende Pärchen mit Bitten[1] darum bestürmte, irgend eine Ausflucht, um dies Glück zu verzögern. Einst, als das arme Mädchen recht flehend in ihn drang, nahm er sie an’s Fenster und sagte höhnisch, indem er nach dem nahen Friedhof im Thale deutete:

„Siehst du dort jenes grünbewachsene Grab, neben dem großen Leichenstein?“

„Ach!“ – seufzte Klara, und die hellen Thränen rieselten ihr über die blühenden Wangen – „ach! das ist ja das Grab meiner armen Eltern!“

„Die Nesseln gedeihen ja prächtig auf diesem Grabe!“ – fuhr der Vogt lachend fort; – „Es ist ja ganz davon überwuchert! Nun, höre mich an: ich habe mir sagen lassen, man habe die Erfindung gemacht, aus diesem Unkraut einen überaus zarten Faden zu spinnen, und darum will ich dir jetzt einen Vorschlag thun. Du sollst mir nämlich aus jenen Nesseln ein Stück Leinwand spinnen, das gerade zu zwei Hemden reicht, aber nicht größer und nicht kleiner. Das eine wird dann dein Brauthemd, und in dem andern soll man mich einst begraben.“

Mit diesen Worten ging er, boshaft kichernd, seiner Wege; die arme Dirne stund aber voll Bestürzung da und wußte weder [302] Rath noch Trost. In der Trauer ihres Herzens eilte sie dann hinunter zu dem Grab ihrer Eltern und betete und weinte, daß es einen Stein erweichen hätte mögen. Da stund plötzlich das Bergweiblein neben ihr und fragte nach der Ursache ihres Grames. Als ihr Klärchen Alles erzählt, was vorgefallen war, verfinsterte sich das sonst so gutmüthige Gesicht des Bergweibleins und es sagte: „Sey nur ruhig und getrost, es soll dir schon geholfen werden! – Sprachs und riß einen Arm voll Nesseln aus dem Grabe und verschwand damit vor Klara’s Blicken. Diese ging mit erleichtertem Herzen zur Ruhe.

Kurze Zeit nachher jagte der Vogt im Forst über der Murg und kam zufällig auch an den Rockenfels. Dort saß das Bergweiblein am Eingang seiner Höhle und schnellte recht wacker die zierliche Spindel.

„Du spinnst dir wohl ein Brauthemd, du graue Schönheit?“ – lachte der Vogt.

„Ein Brauthemd und ein Todtenhemd, Herr Vogt, zu dienen!“ – versetzte das Mütterchen.

„Du hast ja da gar einen schönen Flachs; den hast du gewiß irgendwo gestohlen?“

„Mit nichten! dort unten ist er gewachsen auf einem armen Bauerngrabe!“

Den Vogt überlief es kalt. Die Jagd war ihm nun entleidet und er kehrte sogleich mit bangem Herzen nach Eberstein zurück, mit sich selbst im Kampfe, ob er das Jawort zu Klärchens Heirath geben solle oder nicht. So vergingen einige Tage, ohne daß er zu einem festen Entschlusse gelangen konnte. Gegen Abend, als er eben beim vollen Humpen im Rittersaal seine ängstlichen Gedanken nieder zu trinken versuchte, erschien Klara, zwei zierliche Hemden auf dem Arme tragend.

„Herr Vogt,“ – sagte sie – „Eurem Verlangen ist nun willfahrt. Hier sind die zwei Hemden aus den Nesseln von meiner Eltern Grabe; das eine für Euch und das andere für mich! Jetzt haltet aber auch Ihr Euer gegebenes Wort!“

„Das will ich gewiß, das will ich!“ – stotterte der Vogt, dem es ganz unheimlich zu Muthe war, – „morgen soll deine Hochzeit seyn!“ – In der That gab er auch sogleich dem Schloßgärtner die Erlaubniß zur Trauung mit Klärchen und [303] versprach, sich selber dem Ehrengeleit in die Kirche anzuschließen. Aber am nächsten Morgen lastete schon die kalte Hand des Todes auf seinem sündigen Herzen, und als Klärchen und ihr Bräutigam den Segen des Priesters am Altar empfingen und aus der Kirche gingen, lag der Burgvogt auf der Bahre, mit dem Leichenhemd aus Nesseln angethan.

(Siehe Al. Schreiber’s „Sagen aus den Rheingegenden“ etc.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Biiten