Das Sakramentshäuschen in der St. Lorenzkirche zu Nürnberg
[36] Das Sakramentshäuschen in der St. Lorenzkirche zu Nürnberg. (Zu dem Bilde S. 28 und 29.) Die jüngere der beiden Nürnberger Hauptkirchen, die Lorenzkirche, hat den außerordentlichen Vorzug, daß sie noch nie restauriert wurde und daher ein treffliches, sehr malerisches Bild eines reich ausgestatteten mittelalterlichen Gotteshauses bietet.
Zu den hervorragendsten Werken altdeutscher Kunst aus Nürnbergs
großer Blütezeit, welche die Lorenzkirche birgt, ist vor allem Meister
Adam Kraffts weitberühmtes Sakramentshäuschen zu rechnen, das an
einer Säule des hohen Chores angelehnt ist und bis zu einer Höhe von
etwa 64 Fuß emporragt. Es ist das größte, reichste und phantasievollste
der Gehäuse mit turmartigem Aufbaue, welche im 15. Jahrhundert zur Aufbewahrung der Hostie errichtet wurden.
Der reiche Kaufherr Hans Imhoff d. Ae., Pfleger der Pfarrkirche von
St. Lorenz, schloß am 25. April 1493 mit „Meister Adam Krafft Bildhauer“
einen Vertrag, wonach sich dieser verpflichtete, „ein schön wolgemacht
künstlich und werklich Sakramentshaus von Steinwerk“ nach
seinem eigenen Entwurfe zu machen. In drei Jahren hatte der
wackere Meister sein großartiges Werk vollendet, für welches ihm außer
den vereinbarten 700 Gulden noch 70 Gulden als Ehrengeld ausbezahlt
wurden. Das wunderbare Werk wird von den knieenden Figuren
des Meisters und der beiden Gesellen, die ihm hauptsächlich dabei
geholfen, getragen. Ueber ihnen befindet sich eine Galerie mit prächtiger
Brüstung und dem Tabernakel. Dasselbe wird durch eine großartige,
wie Filigran wirkende Spitze von durchbrochener Arbeit gekrönt, in
welcher mit Bezug auf die Bestimmung des Kunstwerkes die ganze
Leidensgeschichte des Herrn in vornehmem Ernste dargestellt ist. Die
Leichtigkeit und Zierlichkeit, mit welcher dieses
liebliche harmonische Werk in großer Kühnheit
himmelan strebt und am Gewölbe angekommen
sich leicht abwärts senkt, als ob
es bedaure, das Gewölbe nicht durchsprengen
zu können, machen es erklärlich, daß das
Volk glaubte, Meister Adam Krafft besitze
das Geheimnis, die Steine weich und wieder
hart zu machen. Paul Ritter hat dieses Kleinod
deutscher Bildnerkunst zum Mittelpunkt seines
außerordentlich anziehenden Bildes gemacht.
Es stellt den Chor der Lorenzkirche dar,
in welchem soeben der Sprößling einer
Patrizierfamilie getauft werden soll. Ritter
hat es trefflich verstanden, die höchst malerische
Erscheinung des Chores wiederzugeben.
Während an den Pfeiler im Mittelpunkte
sich das Sakramentshäuschen lehnt, sind
andere weit hinauf mit den Totenschilden
Nürnberger Geschlechter geschmückt; unten aber
stehen kunstvoll geschnitzte, reich bemalte und
vergoldete Altäre, auf welche aus den farbensprühenden
glasgemalten Fenstern unterhalb
der reizenden Chorgalerie gar seltsame Lichter
fallen. Hoch oben von der Decke herab aber
hängt der köstliche Rosenkranz von Veit Stoß
mit der Verkündigung in der Mitte, dieses
Meisterwerk deutscher Holzschnitzkunst, das
ein würdiges Seitenstück zu dem großartigen
Kunstwerk des deutschen Steinmetzen Adam
Krafft bildet. Möge das Innere der Lorenzkirche
noch recht viele Jahre unverändert in
seiner ursprünglichen malerischen Schönheit erhalten
bleiben; sie allein schon ist den Besuch
der altehrwürdigen Reichsstadt wert. H. B.