Das Sanct Martinsfest am Rhein

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Textdaten
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Autor: Wolfgang Müller von Königswinter
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Titel: Das Sanct Martinsfest am Rhein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 734–735
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Sanct Martinsfest am Rhein.

Der Zufall wollte es, daß ich am 10. November mit eintretender Dunkelheit zu Coblenz den Eisenbahnzug bestieg, um nach Köln zurückzufahren. Als wir die Brücke über die Mosel passirt hatten, gewahrte ich an der Ecke der Landzunge, von welcher der lotharingische Fluß sich in den Rhein ergießt, ein mächtiges Feuer, um das sich eine Menge von kleinen Flammen springend und hüpfend bewegte, so daß das Ganze einen wunderlichen gespensterhaften Eindruck gewährte. Ich wußte mir die seltsame Erscheinung nicht zu erklären und hatte sie auch schon fast wieder vergessen, als sich auf dem weitern Verlauf der Fahrt durch die breitgestreckten Gefilde des sogenannten Neuwieder Beckens, wie man diese Ausbuchtung zu beiden Ufern des Stromes zwischen dem rechtsseitigen Westerwald und dem linksseitigen Maifeld, einer Partie der Eifel, nennt, an verschiedenen Orten dieselbe Scene wiederholte. Sowohl an den fernen Bergen wie in der Ebene erschienen nämlich ganz ähnliche größere Feuer, die von kleinen zuckenden Flammen umtanzt wurden.

Was hatten denn diese Freudenzeichen zu bedeuten? Ich dachte nach und fand die Lösung auf der Stelle. Am 11. November feiert die katholische Kirche das Fest des heiligen Martin. Heute war der Vorabend des Festes. Mit einem Male kamen mir die alten Angedenken der Jugend zurück. Ich erinnerte mich der Zeit, wo ich noch ein kleiner Knabe war und mit andern Knaben in den niederrheinischen Flächen zu Bergheim am Erft in die Schule ging und spielte und mich ganz besonders auf diesen Tag freute. Die Jugend wurde dann überaus lebendig in dem kleinen Städtchen. Irgend ein munterer kleiner Bursche, der zugleich ein keckes Mundwerk haben mußte, erschien mit Strohbüscheln umwunden und von seinen Genossen umgeben in der Straße. Diese Gestalt hieß das Martinsmännchen. Lärmend und schreiend begab sich darauf die lustige Schaar von einem Haus zum andern, klopfte an jede Thür und heischte Holz- und Strohbündel, die man auch nirgend zu weigern pflegte. Die hierbei übliche Ansprache hieß: „Gebt doch dem armen Martinsmännchen, Schuck, wie kalt!“ Die gesammelten Brennmaterialien wurden nun mitgeschleppt und waren zuletzt so reichlich, daß keiner mehr etwas tragen konnte. So ging es zum Thor hinaus auf einen hochgelegenen Platz im Felde. Das Holz wurde auf einen hohen Haufen geschichtet, das Stroh wurde an Stangen gebunden und zu Fackeln bearbeitet. Sobald aber die Nacht eintrat, zündete man ein Feuer an, dessen Flammen hoch in die Luft flatterten, und um dieses Feuer tanzte die Jugend mit ihren angesteckten Fackeln einen wilden phantastischen Tanz, indem sie zugleich wilde Lieder durch das weite Dunkel erschallen ließ. Diese Scene dauerte so lange, wie das Feuer hielt. Dann ging die junge Schaar nach Hause und hatte einen überaus vergnügten Tag gehabt, dessen Erinnerung sie in den stillen Betten ausschlief.

Als ich später das Gymnasium in Düsseldorf besuchte, fand ich noch das Fest wieder, aber es hatte hier eine ganz andere Gestalt angenommen. Die ländliche Feier war offenbar in eine städtische umgeschaffen worden. Wenn man nämlich am Martinsabend hinaus auf die Straße geht, so findet man in derselben fast die ganze Jugend in fröhlichem Auf- und Abwandern. In jeder Hand aber befindet sich ein ausgehöhlter Kürbis, der in einigen Bindfäden hängt und in dessen Innern eine kleine brennende Kerze steht, welche die Wände, aus denen allerlei Figuren ausgeschnitten sind, erhellt und, je nach der Farbe der Frucht, ein grünes, gelbes oder rothes Licht ausstrahlt. Die Kinder singen dabei in eintöniger Melodie folgendes Lied:

Sanct Märten, Sanct Märten,
Die Kalver (Kälber) han lang’ Sterten (Schwänze),
Die Jonge kriege Rabaue (Aepfel),
Die Weiter (Wichter, Mädchen) welln mer haue,
Die Jonge kriege gebackene Fesch,
Die Weiter werfe mer onger den Desch.

Darauf gehen die Kleinen nach Hause und beschließen den Tag, indem sie „über das Kerzchen (d. h. den Kürbis) springen“ und Aefel und Nüsse verzehren. Es muß noch dabei bemerkt werden, daß die Mädchen den ebenerwähnten Vers anders singen und ihn gegen die Knaben wenden, denen sie Prügel androhen und die sie unter den Tisch werfen wollen. Jedenfalls ist aber dieses Fest in seiner äußern Erscheinung allerliebst. So hat es denn auch manche der besten Düsseldorfer Maler zu Darstellungen aller Art angeregt. Vielleicht sind dem einen oder andern Leser davon die Bilder zu Gesicht gekommen, die Adolf Schrödter, Alfred Rethel, Eduard Geselschap und Ludwig Knaus dem Düsseldorfer Sanct Martinsabend gewidmet haben.

In Bonn fand ich während meiner Studienjahre die Feier wieder. Sie hatte indeß in der Gegend des Siebengebirges jene Form, unter welcher ich sie in meiner frühesten Jugend kannte. Wir versäumten es damals nicht, am Martinsabend auf den alten Zoll hinauszugehen und die hellen Freudenfeuer der Jugend aller jener Dörfer aus der Ferne anzuschauen, welche sich längs des Siebengebirges und der Vorhügel der rheinischen Höhen erstrecken. Da zuckten denn überall die Flammen empor, um dieselben übersprangen die dunkeln Gestalten mit ihren Strohfackeln, und es erklangen jene Lieder, die mein Freund und Meister, der treffliche Karl Simrock, besonders gesammelt hat.

Und woher stammt nun diese Feier? Wollte man ihren Ursprung in der katholischen Kirche suchen, so würde man sich sehr irren. Es ist bekannt, daß der christliche Cultus seine Feste den Festen aller Naturvölker angepaßt und sie so zu sagen in dieselben hineingeschmiegt hat. Alle alten Feste sind Producte der Natur, es sind Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterfeste. Die Kirche hat sehr wohl gethan, sie mit Heiligenfesten zu identificiren. Darüber ist ihr Ursprung aber nie verloren gegangen. Ostern entspricht dem Frühling, Pfingsten dem Sommer, Sanct Michael und Martin dem Herbste, Weihnachten dem Winter. Diese Vergleiche könnten noch weiter ausgeführt werden. Ich muß indeß hier auf die Forschungen unserer deutschen Mythologen verweisen. Jedenfalls ist auf die christlichen Feste viel von der alten heidnischen Feierlichkeit übergegangen. Und so ist auch das Martinsfest ohne Zweifel aus dem deutschen Heidenthum auf uns gekommen.

Mit dem Martinstage begann wahrscheinlich bei unsern altdeutschen Ahnen der Winter. Der Kreislauf des Jahres war vollendet. Die letzten Früchte lagen in der Scheune, der Wein, wenn sie nämlich schon Reben bauten, lag im Keller. Da war es schon der Mühe werth, den Abschluß der Feldarbeiten und den Beginn [735] der Winterruhe zu feiern. Dies geschah denn auch wahrscheinlich in reichlicher Weise. Vielleicht ist das Verzehren der Martinsgans ein Brauch aus uralter Zeit. Dieselbe mußte in neuem Weine schwimmen. Daher schreiben sich die Gastmahle um diese Tage, zu deren Ehren die Mönche allerlei schnurrige Lieder gedichtet haben:

Herbei, herbei zur Martinsgans,
Herr Burkart mit den Bretzeln – jubilemus
Bruder Urban mit den Flaschen – cantemus
Sanct Bartel mit den Würsten – gaudeamus
     Sind alle starke Patronen
     Zur feisten Martinsgans.

oder:

Bruder Urban, gieb uns Wein,
So trinken wir und schenken ein,
Die Gans, die will begossen sein,
Sie will noch schwimmen und baden,
So wird uns wohl gerathen
Haec anseris memoria

Dann ist aber der Tag auch deshalb merkwürdig, weil an demselben der Pächter seinem Gutsherrn den Zins zu entrichten verpflichtet war. Dieser Gebrauch besteht am Niederrhein noch allerwärts. Außerdem ist Sanct Martin von mystischer Bedeutung in Beziehung auf das Wetter. An seinem Vorabende gehen die Winzer hinaus und betrachten den Himmel. Soviel Sterne dann am Himmel stehen, soviel Ohm Wein bringt die nächste Weinlese. Der in altdeutschen Gedichten vorkommende Martinsvogel ist von besonderer Vorbedeutung: glücklich, wenn er von der linken zur rechten Seite vor dem Wanderer hinfliegt; unglücklich, wenn er sich links vom Wege niedersetzt. Stellen dieser Art finden sich in Reinhardt Fuchs (s. Ausg. von Jakob Grimm, S. 151). Ob die Legendengestalt des heil. Martin, der bekanntlich seinen Mantel mit einem armen Manne theilt, in Zusammenhang mit dem altdeutschen Gotte Wodan steht, wage ich als Laie nicht zu unterscheiden. Der verdienstvolle Forscher der rheinischen Vorzeit, Montanus, stellt diese Hypothese auf.

Leider verschwinden die schönen alten Volksbräuche mehr und mehr vor denen einer sich verallgemeinernden Welt- und Lebensanschauung, welche alle Völker und deren Gesellschaftsschichten durchdringt. Damit soll aber diese Zeit und ihre Bestrebungen nicht getadelt sein, zumal da sie in staatlichen und politischen Beziehungen ungleich bessere und glücklichere Grundlagen gewonnen hat. Es ist nur eine falsche Richtung der Bildung, wenn man die alten Sitten und Bräuche verspottet und verlacht und auf diese Weise zu ihrem Verschwinden beiträgt. Solche Leute haben sich nie die Mühe gegeben, den eigentlichen Sinn dieser Herkömmlichkeiten zu erforschen, sonst würden sie die schönen Feste pflegen und hegen, statt daß sie dieselben beseitigen. Es ist ein Glück, daß man noch in der letzten Stunde auf diese uralten Heiligthümer aufmerksam gemacht und daß ernste Forscher sie wenigstens durch Aufzeichnungen erhalten haben, wie dies namentlich durch die Gebrüder Grimm und ihre Schule geschehen ist.

Auch die deutsche Kunst erleidet durch das Verschwinden der alten Volksfeste keine geringe Einbuße. In einer Zeit, wo der künstlerische Geist sich mit besonderer Vorliebe der Darstellung des Volkslebens zuwendet, hätten manche Vorgänge dieser Art willkommene Vorwürfe zur bildnerischen Darstellung geboten. Als Beweis mögen die oben erwähnten Martinsabendbilder aus der Düsseldorfer Schule gelten. Als Rheinländer, der von früher Jugend her mit den alten Bräuchen der Heimath bekannt ist und dem sie an das Herz gewachsen sind, habe ich gleichfalls versucht, die schönsten und anmuthigsten derselben in poetischer Weise zu schildern. „Die Maikönigin, eine Dorfgeschichte in Versen (Stuttgart, b. Cotta)“, ist ganz besonders in der Absicht entstanden, die verschwindenden Bräuche unseres Landvolks durch den ganzen Kreislauf des Jahres in einer poetischen Erzählung zu fixiren. In derselben heißt es vom Sanct Martinsabend (S. 61):

Drum klingt es rings, ob die Natur
Auch siechend stirbt, ob Berg und Flur
In Nacht schon liegt, noch einmal auf
In Strahlenlust, im Jubellauf.
Schau hin, das ist ein freudig Blitzen,
Denn hoch aus hundert Bergesspitzen
Erlodern hundert Feuer helle;
Im Lichte sprudelt auf die Welle
Des angeschwollnen wilden Rheines;
Es blinkt in’s Land des glühen Scheines
Lichtrothe Loh. In ihrem Glanze
Da springen keck zum Fackeltanze
Die lustberauschten Knaben hin.
Der Schein gestaltet sich dem Sinn
Seltsam wie ein Gespensterreigen.
Geworfne Flammenbündel steigen
Hoch in die Luft; ein zuckend Schrein
Phantastisch klingt in’s Thal hinein;
Es sieht so wirr und bunt und kraus
Gleich einer Hexenküche aus. –

Seltsame Erscheinung! So hatte ich es in meiner Kindheit gesehen und so sah ich es jetzt wieder. Ja, die Jugend läßt sich ihre Spiele nicht nehmen, das thun nur die erwachsenen Leute. Das reizende Maifest, die lustigen Schwingtage, die wilde Thyrjagd, die dem bairischen Haberfeldtreiben gleicht, sind in unseren Gegenden gänzlich verschwunden. Aber der Martinsabend unserer Kinder ist derselbe geblieben. So wird auch das Niklas- und Weihnachtsfest in zäher Lebenslust fortdauern. Ich muß indeß gestehen, daß ich über meinen heurigen Martinsabend im höchsten Maße erstaunt war. So glänzend und herrlich hatte ich ihn in meinen Leben nicht gesehen, wie auf dieser nächtlichen Fahrt. Besonders herrlich wurden die Feuer- und Fackeltänze, als wir unter Andernach in das engere Rheinthal gelangten. Dort erhoben sich über den Dörfern auf allen vorspringenden Kuppen hochauflodernde Feuersäulen, um welche sich die Knaben mit ihren brennenden Strohwischen tummelten. Es war das doppelt schön, weil sich diese Scenen in den Fluthen des breiten majestätischen Rheines spiegelten. Mitunter sah man auch jenseits der Bergränder rothe Gluthen gegen die Wolken steigen. Es waren die Feuer der landeinwärts gelegenen Orte. Wenn der Zug hin und wieder an den Stationen hielt, so vernahm man das alte Lied:

Der hellige Sint Märten
Dat es ’ne brave Mann.

Wer weiß ob die Melodie nicht aus dem Heidenthum stammt. So ging es bis unter das Siebengebirge hinab. Als wir die niederrheinischen Ebenen berührten, war die Zeit für das Kindervergnügen abgelaufen. Ich hatte indeß in dem einsamen Wagen einen so genußreichen Abend gehabt, daß ich dem Leser anrathe, an demselben Tage und zu derselben Zeit einmal dieselbe Reise zu machen.
Wolfg. Müller von Königswinter.