Das Testament (Die Gartenlaube 1888)
[308] Das Testament. (Mit Illustration S. 296 und 297.) Das Gemälde von Bokelmann führt uns gewissermaßen den Höhepunkt einer Situation vor, der mehrere Romankapitel vorausgegangen sind. Ein reicher Patrizier sieht sich durch eine plötzlich eingetretene Erkrankung genöthigt, sein Testament zu machen. Zu seinen Füßen kniet die Tochter, die aus Liebe eine Ehe gegen den Willen der Eltern eingegangen ist und durch eine alte Dienerin von der gefährlichen Krankheit des Vaters Kenntniß erhielt. Sie eilt herbei, um ihn noch einmal zu sehn, und kommt in dem Augenblick an, wo der Notar das fertige Testament vorliest; sie kümmert sich um nichts als um ihren kranken Vater und wirft sich ihm zu Füßen hin. Ihre beiden Kleinen stehen harrend an der Thür. Aus den Mienen des Vaters sieht man, daß er der Tochter volle Verzeihung gewährt, während die beiden andern Damen keinen Zweifel darüber lassen, daß die unerwartete Dazwischenkunft der jungen Frau sie mit höchstem Unmuth erfüllt und alle ihre Hoffnungen zerstört; denn die Intriguen und Zwischenträgereien, welche das Familienglück so lange Zeit trübten, sind jetzt machtlos geworden, die Liebe hat den Sieg davongetragen. Das Testament wird nach dieser Versöhnung zwischen Vater und Tochter eine andere Gestalt erhalten und der würdige Notar wird seine Feder zu einem vollkommen neuen Entwurf desselben ansetzen müssen. †