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Das Unglück am Haut de Cry im Wallis

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Textdaten
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Autor: Abraham Roth
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Titel: Das Unglück am Haut de Cry im Wallis
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 223–224
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[223]
Das Unglück am Haut de Cry im Wallis.
Ein Winterbild aus den Schweizer Alpen.
Von Abraham Roth.

Wer auf der Eisenbahn von Martigny nach Sion, der Hauptstadt des Kantons Wallis, fährt, gewahrt links, unmittelbar hinter dem Dorfe Ardon, einen ziemlich isolirten, 2956 Meter (9755 par. Fuß) hoch in die Luft strebenden Kalkkegel, auf den Karten als Haut de Cry verzeichnet, im Munde des anwohnenden Volkes aber Pic d’Ardon genannt. Es ist ein vorgeschobener Posten der vergletscherten Kette, welche von den Diablerets bis zur Dent de Morcles den westlichen Ausläufer der Berner Alpen bildet. Zwischen dem Haut de Cry und den in gerader Linie nördlich von ihm liegenden Diablerets hindurch führt der Cheville-Paß, welcher nicht selten von Touristen begangen wird, die durch das Gebirge von dem vielbesuchten Bex nach Ardon und weiter nach Sion gelangen wollen. Der Haut de Cry ist gletscherfrei und zeigt während des Sommers nur in der Tiefe seiner verdeckten Schluchten etliche Schneegruben; er kann daher in der schönen Jahreszeit ohne Gefahr bestiegen werden. Allein die Berge dieser Gattung sind just die gefährlichsten im Früh- und Spätwinter: sie sind hoch genug, um, wenn die Novemberstürme durch die Alpen brausen, gewaltige Schneeladungen an ihren Hängen und in ihren Schluchten aufzunehmen, diese luftigen Massen aber finden nicht Halt genug, um jene compacte Verbindung einzugehen, welche das Gletschereis oder der über dem Gletscher festgefrorene Schnee zeigt. An solchen Bergen gehen auch meist die Gemsenjäger zu Grunde, welche im Sturme der Waidmannsleidenschaft vergessen, daß der lose Schnee an Berghängen und in Tobeln das allerperfideste Element in der Alpenwelt ist.

Daß die Expedition, welche am 26. Februar dieses Jahres sich die Besteigung des Haut de Cry zum Ziele gesteckt hatte, diesen, obgleich durch die Erfahrung genugsam erhärteten Satz nicht gehörig beachtete, muß als die Hauptursache ihres Unglückes bezeichnet werden, – eines Unglückes, von dem die Mehrzahl unserer Leser bereits durch die Zeitungen erfahren haben werden. Doch sei zugleich bemerkt, daß die Urheber des Unternehmens, die beiden jungen Schweizer Ingenieure G. und B., daneben nichts weniger als blindlings in die Sache hineintappten und noch weniger blos zur Befriedigung einer touristischen Eitelkeit ihr Vorhaben in’s Werk setzen wollten. Ihr Zweck war ein wissenschaftlicher, insofern sie beabsichtigten, thermometrische und barometrische Beobachtungen anzustellen, wie G. mit Glück in einem Winter auf dem Niesen im Berner Oberlande und nicht minder B. im vergangenen November und December auf dem Aeggischhorn im obern Wallis gemacht hatte. Bei ihren vorgängigen Erkundigungen in Ardon mußten sie vernehmen, daß am Haut de Cry niemals Lawinen vorkämen, und obwohl Beide tüchtige, G. ein erprobter Bergsteiger, wollten sie nicht ohne einen Führer vom ersten Rang vorgehen. Zu dem Ende beschieden sie, außer drei Mann aus Ardon selbst, vom Oberwalliser Dorfe Lax herab den bewährten Johann Bennen, welcher schon beinahe alle höchsten Gipfel der Berner und Walliser Alpen betreten hatte, auf mehreren der schwierigsten, wie z. B. auf dem Weißhorn, der Erste gewesen war und am gefürchteten, noch unbezwungenen Matterhorn mit englischen Kletterern bis dahin am weitesten vordrang. Jetzt freilich, nachdem das Unglück erfolgt ist und der Arme schwer gebüßt hat, muß man es wohl gelten lassen, was ihm hier und da ein Berner Oberländer Führer nachsagte: Bennen sei zu keck, er nehme es mit seiner Verantwortlichkeit zu leicht oder er kenne die Beschaffenheit des Schnees und Firns nicht genug; man werde erleben, daß es ihm einmal schlecht gehe. Gleichwohl wird man aus der nachfolgenden Erzählung ersehen, daß Bennen gerade diesmal nicht der Fehler der Tollkühnheit vorgeworfen werden kann, sondern umgekehrt der der Schwäche, insofern er seine Autorität und Erfahrung als Hauptführer zu wenig geltend machte und sich allzusehr auf die specielle Ortskenntniß der Führer aus Ardon verließ.

Doch nun zur Sache.

Die Expedition brach am Morgen des 28. Februar sehr frühzeitig, kurz nach zwei Uhr, von Ardon auf. Es war eine klare Nacht und der Himmel versprach einen schönen Tag, wie er auch wirklich erfolgte. Nur die Temperatur der Luft war für diese Jahreszeit zu warm: das Thermometer zeigte beim Aufbruche ein bis zwei Grad Réaumur unter Null.

Da der Haut de Cry nach Süden ungangbar steil nach dem Rhonethal abfällt, so muß man ihn von hinten anpacken. Die Karawane bog deshalb in das Thal der Lizerne ein und hielt links an, hoch über dem rechten Ufer des entgegenströmenden Waldbaches, der in der Sohle des Tobels sich durch die Felsen wühlt. Es war ein sehr beschwerlicher Marsch wegen des vielen und weichen Schnees, welcher beständig und tief durchwatet werden mußte. Schon während dieser ersten Etappe äußerte G. Zweifel über die Thunlichkeit der Unternehmung, und Bennen schien ihm beizustimmen, allein die Männer aus Ardon vertrösteten auf die höheren Lagen, wo der dem Biswind (Nordwind) ausgesetzte Schnee fester sein werde, und sie behielten mit ihrer optimistischen Meinung die Oberhand.

Nach etwa fünf Stunden anhaltenden Marsches, um sieben Uhr herum, erreichte die Expedition eine Sennhütte, deren Höhenlage die barometrische Messung auf circa 7000 Fuß herausstellte und die sich am Ausgange der ersten Schlucht des Haut de Cry befindet. Zur Spitze dieses Berges führen nämlich von Nordosten her, vom Hochplateau des rechten Ufers der Lizerne, drei Felsengrate: ein mittlerer, in ziemlich gerader Richtung ungangbar steil; zur Linken ein zweiter, fast parallel mit jenem und kurz vor dem Erreichen der Spitze in scharfem Winkel nach Süden abbiegend; zur Rechten endlich der dritte, in weitem Bogen ausholend, so daß er der höchsten Höhe von Nordwesten zustrebt. Auf dem Gipfel des Berges begegnen sich alle in spitzem Dreieck und erzeugen damit die schmale und steile Spitze. Die Zwischenräume zwischen den drei Graten bilden zwei tiefe Tobel oder Schluchten, in welchen sich des Winters der Schnee massenhaft ansammelt. Einer dieser Tobel, der zwischen dem erst- und zweiterwähnten jener Grate liegende, ist der Schauplatz unserer Katastrophe, und an seinem Ausgange liegt die oben erwähnte Sennhütte.

Die Temperatur der Luft war an dieser Stelle und zu dieser Stunde auf + 0,5° R. gestiegen. Dies machte natürlich den Schnee nicht fester. Schon vorher, wo der Weg durch einen Wald führte, hatte der Sennhütte etwa eine Stunde lang im Zickzack zugestrebt werden müssen, und von der Hütte aufwärts war wieder Zickzack geboten, bei welchem die Mannschaft beständig einsank, mindestens bis an die Kniee, sehr häufig noch tiefer. Man bewegte sich bereits inmitten der Schlucht. Als die Beschaffenheit der Bahn immer nicht günstiger werden wollte, lenkte die Karawane endlich nach der linksseitigen Felsenkante ab, in der Hoffnung, durch Klettern am Gestein rascher vorwärts zu kommen. Sie gewann dadurch einen Punkt, welcher sich bei der Messung als circa 8000 Fuß hoch erwies. Um diese tausend Fuß Distanz von der Sennhütte weg zurückzulegen, waren drei Stunden nöthig gewesen. Es war also bereits zehn Uhr des Vormittags.

Auf dem Felsengrate ließ sich wegen seiner Steilheit doch auch nicht viel weiter kommen, die Rückkehr nach der Schlucht wurde bald wieder als räthlicher erachtet; und merkwürdiger Weise, obschon das Thermometer mittlerweile auf + 1,5° R. gestiegen war, fand sich auf der neuen Bahn eine lange Strecke festen, leicht gangbaren Schnees. Dann aber ging er in raschem Wechsel wieder in weichen über, und es war von da an nur in ganz kleinen Zickzacks hinanzusteigen. Die Leute sanken häufig so tief ein, daß von Schreiten keine Rede mehr sein konnte: den Alpstock mit den ausgestreckten Armen quer in den Schnee vorgeschoben, kletterte man gleichsam an ihm empor, während von unten die Kniee statt der Füße nachschoben.

Dies ging so bis Mittags zwölf Uhr, indeß auch die warme Sonne ihren höchsten Stand erreichte, und schon befand sich die Expedition auf ungefähr 9400 Fuß, also nur noch wenige Hundert Fuß von der Spitze. Allein von da war wegen der zu steil ansteigenden Kehle der Schlucht in bisheriger Weise nicht zum Gipfel zu gelangen, das leuchtete Allen ein. Entweder noch einmal nach links den Felsengrat gewinnen oder – umkehren, das war hier die Frage. Obschon die noch übrige Strecke bis zum Grat nicht so weit reichte, als das mitgebrachte Seil, so erhoben sich doch ernste Bedenken gegen den Vorschlag, überzusetzen; denn gerade bei diesem Uebergange sah der Schnee am gefährlichsten aus und drohte am leichtesten zu brechen. Nicht nur G., auch Bennen bezeugte die Neigung zur Umkehr, und B., der als weniger Erfahrener bisher die drohenden Gefahren geringer geschätzt hatte, als sein Freund, war doch seit ungefähr einer Viertelstunde in eine auffallend ernste, melancholische Stimmung gerathen, gleich als [224] hätte ihn eine Todesahnung beschlichen. Es ist sicher, daß, wenn Bennen an dieser entscheidenden Stelle seine Autorität als Hauptführer geltend gemacht und nach eigenem Instinct befohlen hätte, das Wagniß nicht unternommen worden und das daraus entstandene Unglück nicht geschehen sein würde.

Die Männer aus Ardon waren es, welche auch jetzt noch an keine Gefahr glauben wollten und mit ihrer Sicherheit das Urtheil Bennen’s verwirrten. Zwei derselben wagen sich auch sogleich in die gefürchtete Stelle hinein und zielen in horizontaler Linie gerade nach dem etwa 20 Fuß entfernten Felsengrat. Der Erste sinkt über die Hüfte ein und schreitet nicht mehr, sondern drückt mit der ganzen Vorderfläche seines Körpers eine Bahn, gleich einem Pfadschlitten, so daß in dem Schnee eine tiefe Furche entsteht. Der Zweite folgt nach und sinkt noch tiefer ein. Da protestirt Bennen: „Es geht nicht! kehrt um!“ Mittlerweile aber hat der Vorderste schon den Grat erreicht, er glaubt damit sich und die ganze, an ein und dasselbe Seil gebundene Gesellschaft geborgen und erwidert dem Bennen: „Es geht; machet nur, daß Ihr schnell herüberkommt!“ Bennen sieht, daß in der That keine Zeit zu verlieren ist, wenn nicht die weiche Masse unter der andauernden Last der Männer in Bewegung gerathen soll, er giebt sich in Gottes Namen darein und klettert zur Vorsicht nun hurtig ein paar Schritte höher, als jene Schneefurche, setzt sich an einer weniger bedenklichen Stelle fest und ersucht G., zu folgen. G. schreitet vor, von Bennen oben am Seil gehalten, aber sinkt nach wenigen Schritten bis an die Schultern ein. Neues Stutzen, neue Neigung zur Umkehr. Aber schon ist’s zu spät! Eben folgt B. dem Freunde nach, und die schwerere Körperlast des neu Ankommenden giebt der letzten Tragkraft des Schnees den Stoß; B. sinkt stürzend in die Tiefe. Bennen, der ihn mit ganzer Kraft zurückhalten will, fühlt, daß er selbst hinuntergezogen wird, daß der Grund unter seinen eigenen Füßen rutscht. Mit stoischer Ruhe und Kaltblütigkeit spricht er nur noch das resignirte Wort: „Jetzt sind wir Alle verloren!“ – – im gleichen Augenblick reißt es ihn kopfüber, im Nu liegen fünf Mann wirr durcheinander im langsam gleitenden Schnee, und der Sechste, der bereits auf sicherem Felsen stand, wird mit herabgerissen. Da erfolgt auf den allgemeinen Prall krachend ein gewaltiger Schneeriß längs des Felsengrats, und – die Lawine ist fertig. Wenige Secunden reichen hin, das erst langsam schleichende Ungeheuer in rasche Bewegung zu bringen. Was nicht fest in der Erde wurzelt, bricht los. Die Wucht der sinkenden Masse, der vorauseilende Luftdruck, die überall sich öffnenden Klüfte bewirken, daß von allen Seiten immer neue Schneemassen, Eisschollen, Steinblöcke in den kalten Gischt stürzen und die Gewalt der Lawine immer furchtbarer anschwillt. Rascher, immer rascher-, zuletzt blitzschnell stürmt der entsetzliche Strom zu Thal, es kracht und dröhnt und wiederhallt an den Felsen wie ein wildes Wetter. Und mitten in diesem Strudel rollen sechs Menschen mit, in eine Tiefe von gut 2000 Fuß! – – G. ist es gelungen, sich aufzurichten und aufrecht zu erhalten, er arbeitet mit den Armen, wie wenn er in einem Wasserstrom schwämme, und in der That wälzt sich die Lawine über die abschüssig schiefe Ebene in Gestalt aufschäumender Wogen. Mehr als einmal taucht G. unter, wird gleich darauf von einer Welle hoch in die Luft gespieen und sinkt wieder unter, bis er sich zuletzt vollständig vergraben fühlt, als die Lawine stockt.

Das Unglück war geschehen, und es war das Werk kaum einer Minute. Doch, wie so manches Mal selbst beim gräßlichsten Unheil glückliche Zufälle mitspielen, die an das Wunderbare streifen, so auch hier. Einer der drei Führer aus Ardon war während des Lawinensturzes weit aus dem Strom hinausgeschleudert worden und blieb eine Zeitlang auf sicherem Port besinnungslos liegen.

Ohne diesen glücklichen Zufall wären Alle unrettbar verloren gewesen, denn Keiner hätte sich selbst, geschweige Andere aus den eisigen Banden der erstarrten Lawine zu befreien vermocht; wer nicht schon todt in die Tiefe gelangte, wäre erfroren. Daß Einer frei geblieben, verhalf drei Andern zur Rettung.

Als der bei Seite Geschleuderte wieder zur Besinnung gekommen, herrschte Todesstille ringsum, wo eben noch ein Aufruhr der Elemente getobt. Als ein ungeheures Leichentuch lag die Lawine über der Ausmündung des Tobels gebreitet. Keiner der Gefährten um den einsam Erwachten. Sie liegen Alle im Schnee, todt oder mit dem Tode ringend. Der Gedanke, daß Einer oder der Andere vielleicht noch zu retten wäre, giebt dem Manne plötzlich wieder neues Leben, und wie er sich aufrafft und die Glieder reckt – o Wunder, o Glück! – bemerkt er erst, daß er krampfhaft noch in der Faust das Gletscherbeil hält. Wie ist diese Waffe jetzt so nöthig!

Nachdem der Führer erst der gepreßten Brust durch laute Rufe nach seinen Gefährten Luft gemacht – keine Antwort! – schritt er eilends der Lawine zu. Noch einmal rief er nach allen Seiten. Keine Antwort. Er späht umher, wo das Auge Einen fände. Da auf einmal sieht er in einiger Entfernung etwas an der Oberfläche krabbeln – dort ist Einer, ein Lebender! Und in der That fand er einen Lebenden, einen Cameraden aus Ardon, und gleich darauf den Zweiten. Er befreite sie mittelst des Beiles, nicht ohne große Anstrengung; denn der mächtige Druck der stürzenden Massen hatte den ursprünglich lockeren Schnee fest zusammengepreßt, und die compacten Massen froren bereits ineinander.

Nun spähen die drei Geretteten nach den Uebrigen aus und gewahren an einer Stelle weiter oben zwei aus dem Schnee ragende Hände. Es sind die Hände G.’s. Er lebt noch. Er fühlte, nachdem die Lawine zur Ruhe gekommen, daß seine Hände über dem Kopfe im Freien schwebten, aber er kann sie weder zusammenbringen, noch zurückziehen. Die Arme wie der Leib sind wie eingemauert. Das Einzige, was ihm gelingt, ist, daß er von oben gegen das Gesicht herabkrabbelt, um sich einen Luftgang zum Munde zu graben, da die Lunge nach Atmosphäre seufzt. Aber es gelingt nur so weit, daß das Auge nach einiger Zeit den Tag matt durch die harte Schneedecke dämmern sieht; das Uebrige muß der Athem thun, den der Vergrabene heiß gegen das Licht ausstößt. In dieser Arbeit wird er endlich – endlich unterstützt von den geretteten Führern, die aber wieder mit dem Beil hantiren müssen, bis sie nur den Kopf G.’s freigemacht haben.

Das Erste, was dieser erblickt, ist, ganz in seiner Nähe, ein Fuß des Freundes, dessen Körper köpflings im festgepreßten Schnee steckt. „Rettet ihn! rettet ihn!“

Aber B. war todt.

Es kostete die selber hart mitgenommenen Führer eine schwere Arbeit, den Körper G.’s vollends aus der eisigen Kruste loszuschälen. Während sie eine grausam lange halbe Stunde hackten mit dem Beil, und mit den Händen scharrten, fühlte der Eingemauerte immer deutlicher von den Extremitäten herauf seine Glieder ersterben. Endlich ward er doch erlöst.

Nun aber reichten die Kräfte der Männer kaum mehr aus, den Leichnam B.’s auszugraben, der bis zu diesem letzten Augenblick durch das Seil an den Freund gefesselt geblieben. Nachdem dies vollbracht, waren sie erschöpft. Bennen mußte preisgegeben werden. Auch stand bei Allen die Ueberzeugung fest, daß er todt sei; er lag tief vergraben, und Einer hatte ihn während des Sturzes gesehen, wie er von einer Welle ausgestoßen worden, bleich und starr, die Arme leblos an den Hüften hängend. Außerdem war es zur vollständigen Rettung G.’s dringend nöthig, daß er die erfrorenen Füße durch Bewegung wieder belebe. Wenn er heute, gottlob, nach zweiwöchigem Krankenlager wieder ordentlich in seinem Zimmer herumhumpelt und binnen Kurzem ganz genesen sein wird, so hat dazu wesentlich beigetragen, daß er von der Unglücksstätte bis Ardon hinunter noch vier volle Stunden marschiren mußte.

Etwas nach 1 Uhr Nachmittags brach der traurige Rest der Karawane vom Morgen wieder auf und erreichte Ardon Abends 51/2 Uhr. Hier waren sie mit Angst und Bangen erwartet, denn die Lawine und ihr Wiederhall hatte weit über das Rhonethal hin gedröhnt.

Tags darauf brachen 25 Mann aus Ardon auf, um die Leichname der Verunglückten in das Dorf herabzuholen. Sie fanden jedoch nur B. und brachten ihn für die folgende Nacht in der Kirche unter. Seine bleibende Ruhe hat B. auf dem Friedhofe von Ouchy, an den Gestaden des Leman, gefunden. An seinem Grabe weint eine Wittwe um den einzigen Sohn und gäbe wohl alle ihre reichen Schätze hin, um dieses theuerste Kleinod wieder zu gewinnen. Seine Freunde betrauern in ihm einen jungen Mann von ganz vortrefflichen Geistes- und Charaktereigenschaften, der es verschmähte, nach Art so vieler seiner Standesgenossen auf faulem Erbe zu liegen, der mit ganzem Eifer sich einer Fachwissenschaft hingab und es nach menschlicher Berechnung zu sehr tüchtigen Leistungen gebracht haben würde, wäre sein Leben nicht so grausam in der Blüthe geknickt.

Bennen konnte erst nach dreitägiger Arbeit an’s Tageslicht gefördert werden und er ist seitdem auf dem Kirchhofe von Lax beerdigt. Dort finde der brave Mann den ewigen Frieden. Der alte Berggeist aber, wenn er noch umgeht auf Gletschern und Firnen, wird ihm auf der leuchtenden Zinne des Weißhorns ein Denkmal setzen.