Das Unglück von Szegedin

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Titel: Das Unglück von Szegedin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 222
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[222] Das Unglück von Szegedin. Die tausendjährige Erfahrung des Menschengeschlechts, daß die Segensfülle der Natur verdient sein muß, wenn sie nicht in Fluch sich verkehren soll, ist von Millionen noch nicht verstanden oder beachtet, und so sehen wir auch jedes Jahr ganze Bevölkerungen im Kampfe gegen Naturgewalten unterliegen, weil sie versäumt haben, dieselben zur rechten Zeit in Fesseln zu legen, um sich in Tagen wilder Empörung ihrer erwehren zu können:

Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.

Das schrecklichste der Elemente, wenn es seine Schranken durchbricht, ist das Wasser. War es doch eine Fluth, die Sintfluth – die deutsche Sprache verwandelte sie sehr sinnreich in eine Sündfluth – durch welche die Bibelsage die ersten Völker der Erde vertilgen läßt.

Arbeitsrüstige Völker an den Meeren und Strömen haben schon im Alterthum sich durch die Festungsmauern ihrer Dämme und Deiche gegen den Feind geschützt, der, wenn gebändigt, ihr bester Freund und Ernährer ist. Wo aber solche Vorsicht versäumt oder zu spät in Angriff genommen wurde, fällt nur allzuoft die furchtbare Strafe für die Schuld der Vorfahren auf die Häupter der Nachkommen. Ein solch erschütterndes Beispiel von Naturrache steht heute wieder in dem verheerten Szegedin vor unseren Augen.

Die Lage Szegedins, sowie die vieler anderen Städte an der Theiß und Maros, den beiden wasserreichen und gefahrdrohenden Strömen, an deren Zusammenfluß Szegedin liegt, hätte schon längst die äußerste Anstrengung zur Sicherung ihrer Existenz verdient. Die Theiß ist, wie auch die Maros (Marosch), ein Kind des Hochgebirgs, das, in den Waldkarpathen entsprungen, frisch und klar zwischen den Bergen dahinströmt, bis es die unendliche Ebene betritt; da wird die Theiß zum trägen, gefährlichen Schleicher, der den Schlamm seiner Ufer mit fortträgt und sie meilenweit in Sümpfe verwandelt. Allerdings sah man in neuester Zeit dem heimtückischen Treiben des gewaltigen Stromes nicht mehr unthätig zu; man hat nicht nur mit der Regulirung des Theißbettes begonnen, sondern es auch versucht, die Moräste der Ufer trocken zu legen und das anliegende Land gegen Ueberfluthungen zu sichern. Aber diese Arbeiten waren nicht weit genug gediehen, um Szegedin selbst zu schützen, ja, öffentliche Stimmen haben sogar dargethan, daß die oberhalb dieser Gegenden erbauten Dämme für die tiefer liegenden die Gefahr der Ueberschwemmung vergrößerten. Schon vor zehn Jahren ist der Stadt Szegedin ihr Schicksal verkündigt worden, wie es heute eingetroffen ist. Trotzalledem wollen wir uns nicht zu denen gesellen, welche jetzt, nach dem Unglück, die Häupter der Schuldigen suchen und ihnen das Urtheil sprechen. Das Unglück ist da, und Menschenpflicht ist es, mit allen Kräften zu helfen, damit die Folgen des furchtbaren Schicksals nach Möglichkeit gemildert werden.

Szegedin war eine Stadt von 10,000 „Gebäulichkeiten“, wie die Zeitungen es nennen, weil dazu auch viele kleine Häuser und Hinter- und Nebengebäude gehörten. Die Zahl der Bewohner belief sich nach der jüngsten Zählung (von 1875) auf 75,200. War auch in den fünf Vorstädten die Menge der kleinen Gebäude vorherrschend, so zeigte dagegen die innere Stadt in ihren breiten Straßen viele Neubauten von Geschmack und ansehnlicher Größe. Szegedin war nicht nur eine der berühmtesten und schicksalreichsten Städte Ungarns, sondern zeichnete sich auch durch Gewerbsthätigkeit aus, die, wie überall in Ungarn, größtentheils deutschen Ursprungs und in deutschen Händen war. Die Fabriken in Soda, Seife, Salami, Papier beschäftigten viele Familien und belebten den Handel, der allerdings hauptsächlich Getreide und Holz ausführte. Neben der Schifffahrt auf dem Strome, die eine eigene Schiffswerfte unterhielt, verbinden zwei Eisenbahnen, die Pest-Temesvarer und die Alföld-Fiumaner, die Stadt mit dem großen Weltverkehr. Den Stand der geistigen Bildung deuten zwei wohlgepflegte Anstalten, ein Obergymnasium und eine Oberrealschule, genügend an; ebenso unterhielt die Stadt ein Theater, aber auch ein großes bürgerliches Spital mit Irrenanstalt. Daß sie der Sitz hoher Behörden war, ist selbstverständlich. So blühte Szegedin selbst reich bevölkert und noch vielbesucht an seinen berühmten Jahrmärkten, bis ein Tag und eine Nacht all diesem Glück des Fleißes ein Ende machte.

Unsere Leser verzichten gewiß gern auf die Wiederholung der aus allen Zeitungen bereits bekannten Schilderungen einer Wassersnoth, wie sie zum Heil der Menschheit nur selten in solcher furchtbaren Größe und Zerstörungsgewalt vorkommt. Um die Größe des Jammers und Elends in ein Wort zu fassen, genügt die jüngste telegraphische Angabe (vom 17. März), daß von den 10,000 Baulichkeiten Szegedins 8200 eingestürzt sind und daß darunter nicht weniger als 4800 Wohnhäuser waren. An Todten und Vermißten beklagt man bis dahin etwa 1900. –

Es soll für unsere Landsleute keine besondere Mahnung zur Hülfe in der Bemerkung liegen, daß zu den vom Schicksal so schwer Betroffenen