Die Uhrenfabrikation von Glashütte
In den südwestlichen Theilen der Schweiz heben sich bekanntlich die Cantone Genf und Neuenburg durch die hohe Blüthe ihrer großartig betriebenen Uhrenfabrikation hervor. Eine unbestreitbare Thatsache ist es, daß die Bevölkerungen hier wohlhabend geworden sind durch die regsame Thätigkeit, welche sie auf diesem Gebiete entfalten, und durch den rüstigen Geschäftseifer, mit dem sie ihre Fabrikate auf der ganzen Erde zu verbreiten wissen. Solche glänzende Erfolge mußten natürlich auch auswärts die Aufmerksamkeit der Regierungen erregen, und auch in Deutschland hat es an sehr kostspieligen Bemühungen nicht gefehlt, den betreffenden Industriezweig hier und dort anzusiedeln. Den Opfern entsprach jedoch der Erfolg nur wenig, da es dazu meist an unternehmenden und geschickten Männern, namentlich aber an der zu solchen Zwecken durchaus erforderlichen Zähigkeit der Ausdauer fehlte. Um so mehr ist es an der Zeit, von einem deutschen Unternehmen dieser Art zu sprechen, das seit längerer Zeit als ein wirklich gelungenes bezeichnet werden muß, gelungen durch die außerordentlichen, unermüdlich rastlosen Anstrengungen eines ebenso bedeutenden wie menschenfreundlichen Mannes, der denn auch am Ende seiner Tage die hohe Freude erlebte, seinem Fabrikate den Weltruf gesichert zu sehen. Einiges Nähere von ihm, seinem Lebenswege und Unternehmen zu hören wird sicher dem Leser nicht unwillkommen sein.
Ferdinand Adolf Lange – so hieß der nach Person und Firma in weiten Kreisen bekannt gewordene Mann – ist am 18. Februar 1815 als Sohn eines armen Büchsenmachers in Dresden geboren worden. Der Vater hielt ihn früh schon zu mechanischer Thätigkeit an, verbitterte aber seine Kindheit durch die unmäßige Strenge eines eisenharten Charakters, unter dem auch die sanft geartete Mutter so schwer zu leiden hatte, daß sie endlich von dem rauhen Gatten sich trennen mußte. Mit ihr verließ der unglückliche Knabe das väterliche Haus. Sein Unterricht blieb unter diesen Verhältnissen ein sehr lückenhafter. Fremde Leute, die sich liebreich seiner annahmen, brachten ihn nach seinem Abgange von der Schule zu dem Hofuhrmacher Gutkäs in die Lehre, der damals nicht blos in Dresden, sondern über die Grenzen Sachsens hinaus sich einen guten Ruf in seiner Kunst erworben hatte. Zugleich besuchte der strebsame Lehrling zur Ergänzung seiner mangelhaften Kenntnisse die damals noch in ihren Anfängen stehende polytechnische Schule in Dresden und erwarb sich durch außerordentlichen Fleiß und energische Beharrlichkeit eine für seinen Stand sehr tüchtige und vielseitige Bildung.
Auch außerhalb der hier in Betracht kommenden Fachkreise ist es wohl bekannt, daß die englische Regierung und die französische Akademie auf die Verfertigung guter, richtig gehender [220] Uhren, besonders Schiffsuhren (Chronometer), mehrfach sehr hohe Preise ausgesetzt haben, und daß dadurch eine Anzahl geschickter Chronometermacher in London und Paris veranlaßt wurden, sich mit der Vervollkommnung dieser Uhren zu beschäftigen. Wir nennen nur Harrison, Kendal, Mudge, Emery, Dent und Frodsham in London neben Le Roi, Berthoud, Breguet und Winnerl in Paris. Wer sich daher in diesem Industriezweige gründlich ausbilden wollte, mußte nach den Werkstätten der bezeichneten Künstler eilen, und so suchte und fand denn auch Lange ein Engagement bei Winnerl in Paris, wo er sich durch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und sein Talent im Construiren sehr bald den Platz eines Werkführers errang. Trotz der verlockenden Anerbietungen von Seiten seines Chefs blieb der junge Deutsche nur vier Jahre[WS 1] in Paris; dann kehrte er nach Dresden zurück, verheiratete sich mit der Tochter seines früheren Lehrherrn und trat als Theilhaber in das Geschäft desselben. Zur Aufgabe stellte er sich von jetzt ab die Anfertigung von astronomischen Pendeluhren nach eigener Construction, von Chronometern und verschiedenen complicirten Uhren. Und die Producte seiner Arbeit in diesem Zweige waren so vorzüglich, daß sie auf verschiedenen Ausstellungen stets die ersten Preise erhielten und noch heute in so manchen Sternwarten zu den wertvollsten Instrumenten gerechnet werden.
Unter den Regierungen, welche damals von dem Wunsche beseelt waren, die Uhrenindustrie in ihre Länder zu verpflanzen, zeichnete sich namentlich die preußische durch die in Schlesien nach dieser Richtung hin gemachten Versuche aus. Zu einer nennenswerten Concurrenz mit den Schweizern kam es allerdings dabei nicht, bemerkt aber muß doch werden, daß von diesen schlesischen Werkstätten Anstöße zu der Fabrikation größerer Uhren gegeben wurden, der jetzt so sehr beliebten Regulatoren. Auch unser Lange, der ein guter deutscher Patriot war, beschäftigte sich jetzt im Geiste viel mit der ihm so naheliegenden vaterländischen Industriefrage. Ein trübes Verhängniß in seiner engeren sächsischen Heimath brachte endlich seine Pläne zur Reife. In den übervölkerten Bezirken des sächsischen Erzgebirges, namentlich in dem Müglitzthale, war am Anfang der Vierziger Jahre ein bitterer Nothstand ausgebrochen, und die Schilderungen des dort herrschenden Elends erschütterten das theilnehmende Herz des Dresdener Uhrmachers, der sich wohl erinnern mochte, wie er selber einst so arm gewesen und nur durch Lehre und Anleitung auf einen glücklicheren Weg geführt worden war. Sollte die Kunst, welche ihm selber geholfen, nicht auch einen Theil seiner herkömmlich bei der uneinträglichen Weberei und Strohflechterei verharrenden Gebirgsbewohner retten können? Und je mehr er darüber nachdachte, um so klarer wurde es ihm, daß es der nachdrücklichen und ausdauernden Willenskraft eines Fachmannes möglich werden müsse, die Fabrikation von Taschenuhren im Erzgebirge heimisch zu machen und dadurch zugleich dem deutschen Gewerbfleiße ein neues und großes Thätigkeitsfeld zu eröffnen.
Zunächst legte er seine Pläne der Landesregierung dar, und diese ging sofort auf seinen Vorschlag ein, daß mit ihrer Unterstützung eine Lehranstalt für Uhrmacher errichtet werden solle. In Glashütte, bis dahin einem der ärmsten Städtchen des Gebirges, trat gegen Ende des Jahres 1845 diese Anstalt in’s Leben, und es wurden in ihr nach und nach dreißig Schüler und zwei Schülerinnen herangebildet. Die Anlernung war eine der schwierigsten Aufgaben, und rings umher schüttelten Viele spöttisch den Kopf über das vermeintliche Wahngebilde, mit diesen unwissenden, schlaffen und mannigfach verwahrlosten jungen Leuten ein so schwieriges Werk beginnen zu wollen. Der thatkräftige Lange aber ließ sich dadurch nicht irre machen, und er hat Recht behalten. Gerade mit diesen jungen Leuten hat er seine besten Erfolge erzielt. Was sind aus ihnen für tüchtige strebsame Meister geworden! Sämmtlich Familienväter und Bürger, bilden sie den Stamm der Fabrik, die jetzt aus vielen in der Stadt zerstreuten kleinen Werkstätten und aus 160 Köpfen besteht.
Lange, immer ausgehend von dem Princip, Neues, Originelles, in jeder Weise Gediegenes zu schaffen und dabei alle Fortschritte der Kunst und Wissenschaft zu nützen, begann auch in seiner Schule gleich mit neuen Methoden, indem er zahlreiche Maschinen und Hülfsmaschinen zur Herstellung der einzelnen Bestandteile der Uhren bauen ließ, wobei die Schüler also mit den Maschinen sehr vertraut wurden und sie nach der Vollendung gleich anzuwenden wußten. Wir führen hier die einzelnen neuen Maschinen, zum Theil seine Erfindungen, nicht auf, weil dies nur für Fachleute Interesse haben würde, aber erwähnt muß doch werden, daß Lange schon vor dreißig Jahren den unvollkommen arbeitenden Drehbogen ganz beseitigte und selbst die feinsten Theile der Uhr, wie die Zapfen der Triebe und der sogenannten Unruhe, mit einem durch die Hand bewegbaren Schwungrädchen drehte und vollendete.
Um die einzelnen Theile der Uhren sofort so herzustellen, daß sie genau in einander passen, war vor Allem die Zurückführung auf ein und dasselbe Maß nöthig, und Lange’s Aufenthalt in Frankreich hat sicher dazu beigetragen, daß dieser in der Uhrenindustrie als Maßeinheit für die Größe der einzelnen Theile das Millimeter wählte und durch von ihm neu erfundene Fühlhebel-Apparate Zehntel- und Hundertstel-Millimeter genau abmaß. An der damals bestehenden Zusammenarbeitung der Uhren selbst nahm er wesentliche Veränderungen vor, so z. B. richtete er sein Hauptaugenmerk darauf, daß die Eingriffe der Räder in einander theoretisch richtig, sicher und solid und dabei einfach und ohne alle unnöthige Künstelei waren.
Die Vortheile der Arbeitstheilung erkannte er bereits, und wenn auch die ersten Schüler die Herstellung aller einzelnen Theile der Uhr kennen lernten, so wurden sie doch später mehr für die Anfertigung einzelner Theile ausgebildet. Solche Schüler veranlaßte er dann zur Gründung eigener kleiner Werkstätten, in welchen dieselben wiederum neue Kräfte anlernten; es wurde so für weitere Ausdehnung der Fabrikation gesorgt. Diese in der ganzen Stadt Glashütte zerstreuten Werkstätten bilden, wie wir bereits oben bemerken, noch heute den eigentliche Stamm der Fabrik. Ja, Lange ging sogar so weit, einige seiner Schüler von sich ganz unabhängig zu machen, und veranlaßte die besten, selbstständig Werkstätten für die ganze Uhrenfabrikation anzulegen, sodaß gegenwärtig außer der Hauptfabrik von Lange und Söhne noch Fabriken von Großmann, Schneider und Aßmann in Glashütte existiren. In neuerer Zeit hat sich auch daselbst, gestützt auf die dort vorgefundenen Einrichtungen und
[221][222] Arbeitskräfte, eine Firma Straßer und Rhode etablirt, die sich vorzugsweise mit Herstellung von Rechenmaschinen eigener Construction, Meßinstrumenten aller Art etc. beschäftigt.
Durch den Eintritt der Söhne in das Lange’sche Geschäft konnte dasselbe eine größere Ausdehnung gewinnen, und es ist so der Neubau eines geeigneten Geschäftshauses nöthig geworden, dessen stattliche Außenseite wir unseren Lesern in einer Abbildung vorführen. In den Parterrelocalitäten dieses Hauses befindet sich außer einer kleinen mechanischen Werkstätte, in welcher Maschinentheile angefertigt werden, eine zum Etablissement gehörige Gehäusewerkstatt, welche den größten Theil der in verschiedensten Formen und Decorationen ausgeführte goldenen und silbernen Gehäuse zu den Uhrenwerken liefert und als die einzige Gehäusefabrik im Orte auch teilweise für die anderen Firmen arbeitet. In den oberen Räumen wird ausschließlich die Zusammensetzung der Uhren hergestellt, ihre Vollendung und die genaue Regulirung bewirkt. Denn jede fertige Uhr wird in Glashütte der allersorgfältigsten Durchsicht und Prüfung unterworfen, und keine einzige geht aus dem Hause, ohne daß sie vorher längere Zeit in verschiedenen Lagen und Temperaturen untersucht wurde. Ganz oben in dem Fabrikgebäude befindet sich auch eine Thurmuhr, welche noch von unserm Lange selbst construirt worden ist und deren 10 Meter langes Pendel mit einem Gewichte von über 125 Kilogramm in einem Schornstein sich befindet, der, im Innern des Hauses eingeschlossen, möglichst gleiche Temperatur hält und so den normalen Gang der Uhr herbeiführt.
Auf schwerem und arbeitsvollem Wege hat Lange durch seine Geschicklichkeit und sein wissenschaftliches Streben und Ringen seinen deutschen Uhren nach und nach eine solche Vollkommenheit gegeben, daß diese sich nicht blos den besten schweizer Uhren ebenbürtig an die Seite stellen können, sondern daß die Lange’schen Verbesserungen vielfach im Auslande als mustergültig anerkannt und nachgeahmt worden sind. Diese deutschen Uhren haben daher auch mit Recht auf allen Ausstellungen die ersten Preise erhalten; sie genießen einen Weltruf, sind in Amerika weit verbreitet und finden auch immer mehr Anerkennung in der Heimath und im deutschen Reiche, je mehr die Vortrefflichkeit des heimlichen Products in Bezug auf Solidität, Zuverlässigkeit und äußere Eleganz bekannt wird.
Außer den meisten feinen Remontoiruhren der verschiedensten Größe werden in Glashütte auch complicirte Stücke, Uhren mit Datumzeiger, Chronographen, Uhren mit springender Secunde, mit Repetition etc., gebaut. Der regelmäßige Gang der Uhren ist vielfach geprüft, und die vorzüglichsten werden öfter auf der Sternwarte in Leipzig verglichen und mit einem Zeugniß versehen, welches über den Gang genaue Auskunft giebt. Die Zahl der jährlich in Glashütte angefertigten Uhren beträgt etwa tausendzweihundert[WS 2], wovon ungefähr zwei Drittel die Fabrik von A. Lange und Söhne liefert. In jüngster Zeit ist ein Lieblingswunsch Lange’s in Erfüllung gegangen, indem in Glashütte mit Unterstützung der Regierung und der deutschen Uhrmachervereine eine allgemeine Uhrmacherschule gegründet worden ist, welche zur weiteren Entwickelung dieser Industrie wesentlich beizutragen verspricht. All dieses rege und schwungvoll bewegte, dieses fruchtbar und segensreich sich entwickelnde Leben aber fesselt besonders dadurch unsere Aufmerksamkeit, daß es aus dem Nichts hervorgezaubert, auf gänzlich öder und armer Stätte in’s Leben gerufen wurde durch den Gedanken, das Talent und die Willenskraft eines einzigen Mannes, dem für sein Gründen, Lehren und Wirken keine irgendwie ebenbürtige Kraft zur Seite gestanden hat.
Was den sonstigen Charakter Lange’s betrifft, so stimmen alle Urteile dahin überein, daß er nicht allein ein streng gewissenhafter Arbeiter und Geschäftsmann, sondern auch ein guter und wohlwollender Mensch und ein pflichteifriger Bürger gewesen ist. Die Bewohner der Stadt Glashütte, deren Wohltäter er geworden, hingen mit unbegrenztem Vertrauen an ihm. Achtzehn Jahre hat er das Bürgermeisteramt der Stadt verwaltet und als erwählter Abgeordneter den Kreis auch ehrenvoll im sächsischen Landtage vertreten. Leider war es ihm vom Schicksal nicht vergönnt worden, die Früchte seiner Wirksamkeit noch längere Zeit zu genießen. Kaum waren für ihn nach Jahrzehnten voll unablässiger Mühen und Sorgen einige Jahre größerer Ruhe eingetreten, als er am 5. December 1875 durch einen plötzlichen Tod hinweggenommen wurde. Sein Name aber glänzt in seiner fröhlich erblühten Schöpfung fort, und das deutsche Volk erfüllt nur eine Pflicht, wenn es den schlichten Uhrmacher von Glashütte in die Reihe der Todten stellt, denen es für erhebliche Verdienste um das gesammte Vaterland ein dankbares Andenken zu widmen hat.
- ↑ Vorlage: ein Jahr, siehe Berichtigung
- ↑ Vorlage: zwölftausend, Berichtigung