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Das Verschwinden des Lord Bathurst in Perleberg im Jahre 1809

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Autor: Eduard Schulte
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Titel: Das Verschwinden des Lord Bathurst in Perleberg im Jahre 1809
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, 45, S. 749–751, 766–772
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[749]

Das Verschwinden des Lord Bathurst in Perleberg im Jahre 1809.

Von Eduard Schulte.
I.

Das Verschwinden des englischen Gesandten Bathurst auf seiner Durchreise durch Perleberg im Jahre 1809 hat seiner Zeit eine ungemeine Aufregung hervorgerufen; es ist bis heute ein nicht völlig gelöstes Räthsel geblieben.

Benjamin Bathurst wurde im Jahre 1784 als dritter Sohn des Bischofs von Norwich geboren. Er trat früh in den diplomatischen Dienst. Seit dem Jahre 1805 war er mit der Tochter eines Sir John Call verheirathet und hatte zwei Kinder. Im Jahre 1807 weilte er in Schweden, und dort lernte ihn ein anderer, um zwei Jahre jüngerer englischer Diplomat kennen, der spätere Botschafter bei der Pforte, Lord Stratford de Redcliffe. Dieser sagt in seinen erst im Jahre 1888 veröffentlichten Aufzeichnungen, Bathurst sei ein Gentleman von hoher Ehrenhaftigkeit und von ausgezeichneter Befähigung gewesen, aber „stark nervösen Einwirkungen unterworfen.“ Es ist für die Beurtheilung der Schicksale Bathursts nicht unwichtig, seine nervöse Reizbarkeit durch einen Menschenkenner wie Lord Stratford bezeugt zu wissen.

Zu Beginn des Jahres 1809 wurde Bathurst als außerordentlicher Gesandter nach Wien geschickt, um dort, da man in Oesterreich eine Erhebung gegen Napoleon plante, den Kampfeseifer anzuspornen und eine Verstärkung der auf der Pyrenäenhalbinsel gegen die Franzosen kämpfenden englischen Truppen zuzusagen. Bekanntlich nahm der Krieg, den Oesterreich unter großen Erwartungen begann, einen unglücklichen Verlauf. Im Mai zog Napoleon als Sieger in Wien ein; auf die für die Oesterreicher ruhmvolle Schlacht bei Aspern mit ihrem nicht ungünstigen Ausgange folgte bald die Niederlage bei Wagram, und Kaiser Franz mußte sich im Wiener Frieden, der im Oktober zustande kam, zu neuen erheblichen Opfern verstehen.

Bei Annäherung der Franzosen an die Hauptstadt war Bathurst dem österreichischen Hofe nach Komorn gefolgt. Er war dort mit Lord Walpole, dem ständigen Gesandten Englands in Wien, und einigen Mitgliedern der österreichischen Aristokratie vergeblich bemüht, den Kaiser Franz von der Annahme der [750] ungünstigsten Friedensbedingungen abzuhalten. Mit dem Abschluß des Friedens war die Mission Bathursts beendet, und er begab sich im November auf die Rückreise nach England. Um französischen Spähern und Küstenwächtern zu entgehen, wählte er nicht den Seeweg durch das Mittelmeer über Malta, sondern den Landweg über Berlin; in Hamburg wollte er sich einschiffen.

Ein erster nicht aufgehellter Punkt in der Reihe der hier zu erzählenden Vorgänge ist nun folgender: Bathurst sprach sich vor seiner Abreise von Wien Bekannten gegenüber dahin aus, daß Napoleon ihm persönlich zürne; die politische Geheimpolizei des französischen Machthabers stelle ihm nach und trachte ihm nach dem Leben. Bathurst zeigte sich durch diese Befürchtung so völlig eingeschüchtert und so nachhaltig bedrückt, daß seine Freunde seinetwegen in großer Sorge waren. So sicher es ist, daß er diese Befürchtung aussprach und hegte, so wenig ist bekannt geworden, welchen Grund sie gehabt hat. Denn sie wird ja nicht dadurch erklärt, daß Bathurst als Gesandter eines mit Napoleon in beständigem Kriege lebenden Staates mit einem Auftrag betraut gewesen war, welcher den Franzosen neue Feinde erwecken sollte. Nicht wenige Diplomaten in Europa hatten ähnliche Pflichten wie Bathurst zu erfüllen, ohne daß sie darum dem persönlichen Hasse Napoleons verfallen wären. Nur ein besonderer Anlaß hätte eine solche Feindseligkeit verursachen können; aber von einem solchen ist niemals etwas bekannt geworden und man ist vollständig auf Vermuthungen angewiesen. Konnte der Auftrag Bathursts vernünftigerweise die Furcht vor persönlicher Gegnerschaft Napoleons und vor einer Verfolgung durch französische Polizei nicht begründen, so ist es eine andere Frage, wie sich Grund und Folge hier in einem krankhaft erregten Gemüthe darstellten, wenn es sich unter dem Einflusse eines gewandten und beredten Mannes befand, der ein Interesse daran hatte, diese Furcht zu erwecken und zu nähren. Agenten und Spione der französischen Polizei gab es in jenen Jahren unter verschiedenen Masken in allen Hauptstädten. Es ist denkbar, daß ein solcher Agent in den von Bathurst während seines vielmonatigen Aufenthalts in Oesterreich aufgesuchten Gesellschaftskreisen scheinbar harmlos verkehrte, dessen nervöse Aengstlichkeit erspähte und sie für seine Zwecke ausnützte. Der französische Agent kann dem Diplomaten eingeredet haben, daß der Auftrag, den er übernommen, für ihn persönlich gefährlich sei. So lange Bathurst für seine Sache thätig war, hat er seine Furcht bemeistert; als er nichts mehr zu erwirken hatte, erlag er. Ein solcher Zusammenhang ist möglich und wahrscheinlich; etwas Sicheres ist darüber nicht mehr zu ermitteln.

Bathurst reiste bis Berlin unter seinem eigenen Namen. Zum Begleiter hatte er einen Deutschen Namens Fischer, der die Dienste eines Sekretärs und Kuriers versah; außerdem hatte er einen deutschen Diener Namens Nikolaus Hilbert bei sich. Die drei Reisenden fuhren in einem stattlichen, dem Gesandten gehörigen Reisewagen, für den sie sich auf den Poststationen Pferde geben ließen. In Berlin verschaffte sich Bathurst zwei Pässe; der eine bezeichnete ihn selbst als „Kaufmann Koch“, während der andere den Sekretär als „Kaufmann Fischer“ aufführte. Es ist aus dem Verlauf der Dinge zu schließen, daß der Gesandte der Polizeibehörde in Berlin seinen wirklichen Namen und Amtscharakter angegeben habe, als er um diese Pässe nachsuchte.

Ueber die Reise von Berlin bis Perleberg ist bekannt geworden, daß Bathurst auf den Poststationen große Unruhe zeigte, die geladenen Pistolen, die er bei sich führte, wiederholt genau besichtigte und sich erkundigte, ob man unterwegs auf französische Truppen stoßen werde. Er soll geäußert haben, man habe ihn schon zweimal vergiften wollen, und deshalb trage er Gegengift bei sich.

Am Sonnabend den 25. November kamen die Reisenden um die Mittagszeit in Perleberg an. Als der Wagen vor der Post hielt, traten sie in das Posthaus und bestellten Pferde zu sofortiger Weiterreise nach Hamburg, zunächst nach Lenzen. Gleich darauf bestellten sie die Pferde jedoch wieder ab. Sie gingen vom Posthause aus nach dem in derselben Straße gelegenen, etwa hundert Schritt entfernten Gasthofe „Zum Weißen Schwan“, der dem Gastwirth Leger gehörte und an das Parchimer Thor stieß, durch welches der Weg nach Hamburg führte. In der Gaststube des „Weißen Schwans“ pflegten die mit der Post angekommenen Reisenden sich aufzuhalten, und Bathurst aß dort mit seinen Begleitern zu Mittag. Zwei Kaufleute aus Lenzen, die ebenfalls angekommen waren und abends weiterreisten, sahen ihn dort.

Kurz vor oder nach dem Essen ging Bathurst allein zu dem am Markte wohnenden Kommandanten von Perleberg, dem Kapitän von Klitzing, der eine damals in Perleberg stehende Schwadron des Brandenburgischen Kürassier-Regiments Nr. 3 befehligte, und bat ihn um eine Wache, da er sich nicht sicher fühle. Bei dieser Gelegenheit sah ihn eine Dame, welche noch in späteren Jahren mit großer Lebendigkeit von dieser Begegnung zu erzählen wußte. Sie führte als junges Mädchen die Wirthschaft des Hauswirths, bei welchem der Kapitän von Klitzing wohnte. Klitzing kam an jenem Nachmittage zu ihr und sprach den Wunsch aus, daß sie schnell etwas Warmes, am liebsten Thee, bereiten möge, da er einen Fremden bei sich habe, der vor Frost fast umkomme. Sie hatte kochendes Wasser bereit und trug den Thee alsbald in Klitzings Zimmer. Nach ihrem Bericht war der Fremde ein stattlicher Mann von einnehmenden Gesichtszügen; auf der Brust trug er, wohl in der Busennadel, einen Brillanten. Frost oder Angst schüttelten ihn so, daß er die Theetasse kaum fassen und halten konnte. Der Kapitän von Klitzing hatte einen geschwollenen Hals und bat deshalb die Dame, das Gespräch zu führen. Da der Fremde etwas Deutsch, sie etwas Französisch verstand, konnten sie sich verständigen. Es wurde nur wenig gesprochen; der Fremde sagte, er sei sehr angegriffen und müsse sich bald wieder entfernen. Ein Trinkgeld, das er ihr für den Thee geben wollte, nahm sie nicht an. Er sagte dann zu ihr: „Du bist ein gutes, braves Kind.“ Darauf empfahl er sich hastig und stürzte davon. Der Kapitän hatte ihm zwar erklärt, daß er seine Befürchtung, es könnten ihm französische Soldaten oder Agenten im Orte oder auf der Landstraße begegnen, nicht theile; doch stellte er vor das Posthaus oder vor das Gasthaus zwei Kürassiere. Daß der Fremde ihm, ehe die Dame bei ihm eintrat, Namen und Stand genannt hatte, ist wahrscheinlich, da der Kapitän für einen unbekannten Kaufmann Koch seine Kürassiere schwerlich aufgeboten hätte.

Wie der Gesandte die Stunden verbrachte, welche zwischen seinem Besuche bei Kapitän Klitzing und der festgesetzten Abfahrtszeit lagen, ist nicht so genau bekannt, wie man meinen sollte. Vielleicht nahm er sich im Gasthofe ein besonderes Zimmer und ruhte sich dort aus; berichtet wird uns, er habe einige Zeit geschrieben und Papiere verbrannt. Um sieben Uhr abends zogen die Kürassiere auf sein Verlangen wieder ab; vermuthlich wollte er um diese Stunde abreisen. Er änderte aber seine Bestimmung über die Abreise mehrmals und setzte sie endlich auf neun Uhr abends fest; er muß geglaubt haben oder überredet worden sein, daß er bei Nacht mit größerer Sicherheit reisen könne als bei Tage. Zwischen dem Gasthofe und dem Posthause scheint er wiederholt hin- und hergegangen zu sein. Nach englischen Berichten, die hier aus einigen Gründen den Vorzug vor den deutschen verdienen, hielt der Wagen um neun Uhr nicht vor dem Posthause, sondern vor dem „Weißen Schwan“. Der Sekretär Fischer beglich mit dem in der Hausthür stehenden Wirthe die Rechnung; ein Kellner stand daneben, während der Diener Hilbert mit dem Reisegepäck beschäftigt war. Der Hausknecht des Wirthes stand mit einer brennenden Handlaterne neben dem Postillon bei den Pferden. Beim Scheine der Handlaterne oder der Wagenlaterne sah man den Gesandten vom Gasthause her an dem Wagen in der Richtung, wohin gefahren werden sollte, vorübergehen, etwa als ob er auf den Weg, den der Wagen nehmen sollte, einen prüfenden Blick werfen oder, da es dunkel war, hinaushorchen wolle, oder aus einem andern Grunde. Von diesem Augenblick an ist Bathurst lebend nicht wieder gesehen worden, und auch seine Leiche ist mit Sicherheit nicht nachgewiesen.

Nachdem die um den Wagen versammelten Männer einige Zeit gewartet hatten, suchten sie nach dem Fremden und riefen nach ihm. Da sich dies als vergeblich erwies, meldete der Diener Hilbert noch an demselben Abend dem Kapitän von Klitzing, daß der Fremde verschwunden sei. Klitzing erstattete sofort den Bezirksvorstehern der Stadt, die erst seit der neuen Städteordnung vom Jahre 1808 in Thätigkeit waren und im Zusammenwirken mit dem Bürgermeister die städtische Polizei ausübten, Bericht und forderte sie zu Nachforschungen auf; sie kamen dieser Aufforderung sogleich nach und suchten nach dem Fremden die ganze Nacht hindurch. Der Kapitän nahm ebenfalls noch an demselben Abend den Wagen und die Effekten der Reisenden in Beschlag und führte den Sekretär Fischer und den Diener Hilbert in einen am anderen Ende der Stadt liegenden Gasthof. Er stellte ihnen zu [751] ihrer Sicherheit einen Kürassierposten vor die Thür. Als Gefangene betrachteten sie sich nicht; der Sekretär Fischer blieb zwar auf seinem Zimmer, aber der Diener verkehrte unbehindert in der Gaststube.

Am Sonntag mittag verreiste der Kapitän von Klitzing trotz seines Unwohlseins und kehrte erst am Montag abend zurück. Er war entweder nach Kyritz gefahren, um dem dort stehenden Kommandeur seines Regiments dienstliche Meldung abzustatten, oder, was wahrscheinlicher ist, nach Berlin, um sich mit dem Gouverneur und dem Polizeipräsidenten in Verbindung zu setzen. Die Reise nach der in der Luftlinie sechzehn Meilen entfernten Hauptstadt und zurück ist in so kurzer Zeit zwar anstrengend, aber mit Extrapost und Kurierpferden nicht unmöglich. Am 1. Dezember theilte der Landesdirektor von Rohr dem Magistrat zu Perleberg mit, daß der Kapitän Klitzing von dem Gouvernement in Berlin ermächtigt sei, „in dieser Angelegenheit mit Vermeidung aller Publicität allein und für sich zu verfahren“. Ebenso wurde das damalige Stadtgericht in Perleberg angewiesen, nicht selbständig einzuschreiten, sondern dem Kapitän für die Untersuchung freie Hand zu lassen.

Diese Uebertragung der Leitung aller Nachforschungen und Untersuchungen auf den Kapitän von Klitzing läßt nur eine Erklärung zu: die Behörden in Berlin, welche Namen und Stand des Gesandten gekannt haben müssen, sind auf den mündlichen oder schriftlichen Bericht Klitzings, besonders in Rücksicht auf die diesem bekannt gewordenen Befürchtungen des Fremden vor französischen Nachstellungen, zu der Ueberzeugung gekommen, daß beim Verschwinden Bathursts die französische Geheimpolizei die Hand im Spiele habe. Preußen, bei Jena besiegt und in Tilsit beraubt und geknebelt, seufzte damals unter dem Druck französischer Besatzungen und Kriegskontributionen; es hatte gegründete Ursache, den Unwillen Napoleons nicht wachzurufen. Die preußischen Behörden wollten deshalb alles vermieden wissen, was in Paris Anstoß erregen könnte. Hatte die französische Polizei den Gesandten heimlich aufheben und gefangen setzen oder töten lassen – und das schien allerdings so – so sollten preußische Behörden nicht diejenigen sein, welche diese Vorgänge ans Licht zogen. Man hätte sich damit mißliebig gemacht, und die Folgen wären nicht abzusehen gewesen; die Ungnade Napoleons, der eben erst die Oesterreicher besiegt hatte und wußte, daß in Preußen die Neigung bestanden hatte, ihnen beizuspringen, bedrohte den Bestand des Staates. Nach dem Sturze Napoleons freilich ließen sich die preußischen Oberbehörden an die mißliche Rücksicht und Abhängigkeit, welche sie bei dieser Untersuchung gezeigt hatten, ungern erinnern; noch mehrere Jahrzehnte hindurch durfte innerhalb des preußischen Staatsgebietes die „Frage Bathurst“ in Zeitschriften oder Büchern nicht erörtert werden.

Daß unter den gegebenen Umständen die Nachforschungen, welche unter Kapitän Klitzings Leitung angestellt wurden, in vielen Punkten unzulänglich blieben, darf nicht wunder nehmen. Der Kapitän wird uns als ein tüchtiger und einsichtiger Mann geschildert, und er nahm sich der Sache mit Eifer an, aber er handelte offenbar unter dem Einfluß der Befürchtung, daß die Untersuchung seinen Händen entschlüpfe, daß mehr als nöthig über sie bekannt werde und daß sie eine Wendung nehme, die in Berlin und Paris unerwünscht sein könnte. Nur so ist es verständlich, wenn wir erfahren, daß er über eine Vernehmung des Dieners Hilbert durch die städtischen Behörden in großen Zorn gerieth. Es entspann sich darüber und über andere ähnliche Anlässe ein unerquicklicher Zwist, bei dem die Regierung den Stadtbehörden, das Gouvernement von Berlin dem Kapitän Recht gab; der König entschied endlich, daß Klitzing im Verkehr mit den Stadtbehörden rücksichtsvollere Ausdrücke wählen solle. Die Stadtbehörden ihrerseits thaten ihr Bestes, aber ihnen waren die Hände gebunden, und daß man höheren Orts Vorsicht wünschte, blieb auch ihnen nicht verborgen. Als es ihnen unwahrscheinlich wurde, daß der Fremde nur ein „Kaufmann Koch“ gewesen sei, ersuchten sie den Kapitän, ihnen den wahren Namen des Fremden anzugeben und näheres über ihn mitzutheilen. Aber der Kapitän schrieb ihnen unter dem 8. Dezember, er werde über Koch Mittheilungen geben, wenn die Ermächtigung dazu seitens der Oberbehörden vorliegen werde. Nur das Gouvernement in Berlin, an welches Klitzing allein berichtete, hätte diese Ermächtigung geben können; es gab sie aber nicht. Als die Familie Bathurst für Nachweise und Entdeckungen über den Verschwundenen eine Belohnung von fünfhundert Thalern aussetzte, sollte dies zwar in der Gegend bekannt gegeben werden, aber ohne öffentlichen Aufruf. Hätte übrigens auch die städtische Polizei, hätte auch Klitzing ohne jede Nebenrücksicht und ohne jedes nicht in der Sache liegende Hinderniß vorgehen können, so würde ihnen beiden doch die Erfahrung gefehlt haben, die nur ein gewiegter Untersuchungsrichter oder Polizeibeamter haben kann. So ist es gekommen, daß wichtige Feststellungen, welche in den ersten Tagen und Wochen noch zu beschaffen gewesen wären, nicht beschafft wurden. Es ist versäumt worden, alle Personen, welche in Perleberg mit dem Gesandten in Berührung kamen, zu ermitteln, sie eingehend zu vernehmen und Verdächtige zu überwachen und zu beobachten. Außerdem haben einige Protokolle, welche damals aufgenommen wurden, später nicht mehr aufgefunden werden können, so daß man sich über manche Aussagen und Vorgänge nicht mehr genau unterrichten kann.

Als der Kapitän Klitzing den Sekretär und den Diener des Gesandten am Abend des 25. November aus dem „Weißen Schwan“ nach einem anderen Gasthofe führte, hörte er von dem Sekretär, daß dessen Pelz und der Pelz Bathursts im Posthause liegen geblieben seien. Es ergab sich, daß die Frau des Postwagenmeisters und Briefträgers Schmidt, welche im Posthause aufzuräumen pflegte, spät abends die Pelze an sich genommen hatte. Der dienstthuende Postsekretär hatte ihr gesagt, fremde Sachen dürften nachts nicht im Posthause bleiben; sie möge sie am folgenden Morgen wiederbringen, damit sie den Eigenthümern nachgeschickt werden könnten. Er nahm wohl an, daß die beiden anderen Kaufleute, welche den Tag über theils in der Post, theils im „Weißen Schwan“ verweilt hatten und abends abgereist waren, die Eigenthümer der Pelze seien. Als der Kapitän die beiden Pelze von der Frau Schmidt fordern ließ, verabfolgte sie nur einen, den des Sekretärs; von einem zweiten behauptete sie nichts zu wissen. Doch wurde dieser Pelz, der viel kostbarer als jener war und als der Pelz des Gesandten erkannt wurde, im Holzstall der Familie Schmidt aufgefunden, wo der Sohn der Frau, August Schmidt, ihn unter dem Holze versteckt hatte. Nach einer englischen Erzählung dieser Vorgänge, welche zumeist auf den durch die Bathurstsche Familie angestellten Ermittelungen beruht, besteht sogar ein Zweifel darüber, ob auch Bathursts Pelz im Posthause geblieben und nicht vielmehr ihm oder seiner Leiche geraubt war, ehe er bei den Schmidts gefunden wurde. August Schmidt hatte nicht den besten Ruf. Er trieb sich viel in Schenken umher und spielte gern um Geld; zeitweilig fiel sein Aufwand auf. Von Beruf Weißgerber, hatte er damals keine bestimmte Beschäftigung und lebte meist von den Trinkgeldern, die er sich durch Dienstleistungen von den Postreisenden verdiente. Zu solchen Dienstleistungen eignete er sich deshalb, weil er sich auf seiner weiten Wanderschaft Sprachkenntnisse erworben hatte und z. B. im Verkehr mit französischen Offizieren den Dolmetscher spielen konnte. Wegen der Pelze zur Verantwortung gezogen, wurde er vom Gericht ebenso wie seine Mutter nur wegen Diebstahls zu acht Wochen Gefängniß verurtheilt. Die Frage, ob er nicht von dem Verschwinden des Gesandten selbst wußte und etwa daran betheiligt war, erledigte das Gericht unglaublicher Weise damit, daß es sich mit einem von August Schmidt geführten Alibibeweis beruhigte, der darin bestand, daß Schmidt in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag in mehreren Schenken gesehen worden war. Die vom Generalpostamt zu Berlin an das Perleberger Stadtgericht ergangene Aufforderung, zugleich festzustellen, ob August Schmidt an zahlreichen bei Perleberg in letzter Zeit verübten Postdiebstählen betheiligt gewesen sei, blieb unerfüllt. Nach Jahr und Tag forschte eine von Berlin nach Perleberg gesandte Gerichtskommission noch einmal nach dem Thun und Lassen Schmidts an jenem Sonnabend, aber es wurde nichts mehr ermittelt.

An dem Sonntage, welcher auf diesen Sonnabend folgte, wurde die durch Perleberg fließende Stepenitz durchsucht, an den folgenden Tagen sogar abgelassen. Man suchte in Gräben und offenen Brunnen und durchstieß den lockeren Boden in Gärten mit Visireisen. Bürger und Bauern, Förster und Jäger durchforschten die Umgegend. Aber von dem Vermißten wurde keine Spur gefunden.

Der Sekretär Bathursts reiste am 10. Dezember mit einem von Klitzing ausgestellten Passe, der ihn diesmal als „Kaufmann Krüger“ bezeichnete, nach Berlin. Nach einem Schreiben des Polizeipräsidenten Gruner an den Magistrat zu Perleberg ist er am 16. Dezember dort eingetroffen. Der Diener Hilbert soll von Perleberg bis an die etwa zwei Meilen entfernte Elbe gewandert und dort übergesetzt sein. Weiteres erfährt man von diesen beiden Männern nicht.

[766]
II.

Am 16. Dezember fanden zwei Perleberger Frauen, welche in einem etwa eine Viertelstunde von jenem Parchimer Thor entfernten Wäldchen Holz suchten, ein Paar Beinkleider. Sie wurden als diejenigen erkannt, welche Bathurst zuletzt angehabt hatte. Sie waren umgewendet und zeigten trotz sichtlich an ihnen vorgenommener Reinigungsversuche Spuren davon, daß der, welcher sie getragen, auf der Erde gelegen hatte. In einer Tasche, welche die damals übliche Uhrtasche gewesen zu sein scheint, fand man einen Brief Bathursts an seine Gattin, worin er angab, er fürchte, nicht wieder in die Heimath zurückkehren zu können; wenn er umkomme, so werde der Graf von Entraignes der Urheber seines Todes sein. Dieser Graf lebte damals in London und galt als Agent nicht Napoleons, sondern des Grafen von Provence, des französischen Prinzen und Prätendenten, der später als Ludwig XVIII. den Thron bestieg. Entraignes ist auf mehr oder minder unaufgeklärte Weise in mehrere politische Händel verwickelt gewesen. Es läßt sich nicht angeben, was den englischen Diplomaten veranlaßt haben kann, in ihm seinen Feind zu sehen. Dagegen hat Entraignes der Gattin Bathursts erzählt, ihr Gatte sei von Napoleons Polizei nach Magdeburg geführt und dort getötet worden. Haben Agenten Napoleons den Gesandten eingeschüchtert, so könnten sie geflissentlich den geheimen Agenten der royalistischen Gegenpartei als den gefährlichen Mann bezeichnet haben, während Entraignes wiederum die Agenten Napoleons als gefährliche Leute bezeichnete. Ein Skelett sollte auch später in Magdeburg gefunden worden sein, und zwar aufrecht im Grabe stehend und mit gebundenen Händen, aber diese Schauergeschichte gehört in das Reich der Fabel.

Die beiden Perleberger Finderinnen wurden mit einigen Thalern belohnt. Der Fund schien unwiderleglich zu beweisen, daß die Leiche Bathursts vom Perleberger Gebiet nicht entfernt worden war. Die Beinkleider zeigten zwei vermuthlich von hindurchgeschossenen Kugeln herrührende Löcher, doch ohne Blutspuren, so daß es den [767] Anschein erweckte, als ob die Schüsse nachträglich auf das Kleidungsstück abgegeben worden wären. Wenn ein Mord vorlag, so konnte der Mörder die Beinkleider in jenem Walde niedergelegt haben, um bei einer Haussuchung nicht in ihrem Besitze betroffen zu werden, und er konnte einige Kugeln hindurchgejagt haben, um die Vermuthung zu erregen, daß der Verschwundene durch Schüsse umgekommen sei, während der Mörder eine andere Art der Tötung angewandt hatte. August Schmidt hatte vor Gericht geäußert, daß Bathurst sich wahrscheinlich selbst erschossen habe, da Frau Schmidt ihm Schießpulver habe besorgen müssen. Man hat dieser auffälligen Aussage, welche vielleicht mehr verrieth, als der Aussagende verrathen wollte, nicht weiter nachgeforscht.

Im April 1810 kam die Gemahlin des Gesandten, Mistreß Bathurst, mit einigen Bekannten ihres Mannes nach Perleberg, um jetzt, da der Erdboden nicht mehr gefroren war, mit Hilfe von Spürhunden weitere Nachforschungen anzustellen. Aber auch diese blieben erfolglos.

Von Perleberg begab sich Mistreß Bathurst nach Paris, um sich von Napoleon selbst Auskunft zu holen. Er bewilligte ihr eine Audienz und versicherte, von dem Vorgefallenen nichts Näheres zu wissen; er erbot sich zugleich, ihre Bemühungen um Auffindung des Verschwundenen zu unterstützen.

Bald nach der Abreise der Mistreß Bathurst von Perleberg machte eine Frau Hacker, welche im Thurmgefängniß am Parchimer Thore wegen mehrerer Betrügereien in Untersuchungshaft saß und welche wie ihr Mann übel beleumundet war, dem Gerichte folgende Aussage: In dem Städtchen Segeberg in Holstein sei sie im Wirthshause mit einem Schuhmachergesellen Goldberger zusammengetroffen, den sie von Perleberg her kenne. Derselbe habe an einer Uhrkette goldene Schlüssel und Petschafte getragen und in seinem Geldbeutel viele preußische Friedrichsd’or sehen lassen. Auf ihre Frage, woher das viele Geld stamme, habe er geantwvrtet, er sei dazu gekommen, wie der Engländer erschlagen worden sei, und man habe sein Schweigen mit 500 Thalern und einer Uhr mit Kette erkauft. Später nahm aber die Frau diese Aussage zurück, da sie dieselbe erdichtet habe, um aus dem Gefängniß entlassen und nach Hamburg gebracht zu werden. Auch diese Angabe wurde nicht näher untersucht.

Die Hackerschen Eheleute wurden ebenso wie August Schmidt noch von einer anderen Seite her mit der Sache in Verbindung gebracht. Die bereits erwähnte Dame, welche den Gesandten im Zimmer Klitzings sprach, versicherte, gesehen zu haben, daß der Fremde, als er ihr Haus verlassen hatte, nicht wieder den nächsten zur Post führenden Weg einschlug, sondern in einer Richtung sich entfernte, wo Hackers Haus lag, in welchem auch August Schmidt viel verkehrte. Bald nachdem der Fremde von ihr gegangen, sei August Schmidt bei ihr eingetreten und habe nach dem „Herrn Lord“ gefragt. Ihr sei diese Frage auch deshalb erinnerlich, weil sie damit die Aufklärung empfangen zu haben meinte, daß der Name des Fremden „Lord“ sei. Sie wies den Schmidt nach der Richtung, die der Fremde genommen hatte, und sah noch, wie er ihm nachging. Daß sie etwa in das Hackersche Haus eintraten, konnte sie nicht sehen, und die Vermuthung, daß Bathurst um diese Zeit im Hackerschen Hause getötet worden sein könne, ist hinfällig, da ja feststeht, daß er nach dem Besuche bei Klitzing noch einige Stunden im „Weißen Schwan“ und im Posthause geweilt hat. In Perleberg behauptete sich gleichwohl das Gerücht, daß die Hackerschen Eheleute um das Verschwinden Bathursts gewußt haben müßten, um so mehr, als Hacker unmittelbar darauf die Stadt verließ und bald auch sein Haus verkaufte; er soll dann in Altona in verhältnißmäßiger Wohlhabenheit gelebt haben. Sein Ruf, sein Umgang mit Schmidt und sein plötzlicher Umzug verdächtigten ihn, aber der letztere kann auch zufällig gewesen sein. Hat die Hacker wirklich in Goldberger einen Zeugen des Mordes getroffen und wußte sie zugleich ihren eigenen Mann schuldig, so sollte man meinen, daß sie sich gehütet haben müßte, von jenem Goldberger zu sprechen, da eine Untersuchung ihren Mann mit gefährdet hätte. Vielleicht machte sie trotzdem die Aussage, weil die Schlaffheit des Untersuchungsverfahrens, die einer erfahrenen Frau wie ihr schwerlich entging, sie anfangs ermuthigte, und sie mochte hoffen, etwas von der ausgesetzten Belohnung zu erhalten. Nachträglich mag sie die Aussage doch als gefährliche Uebereilung erkannt und deshalb den Rückzug angetreten haben.

Nach einem anderen Gerüchte, das in der Stadt umlief, wäre der Fremde unter irgend einem Vorwande in ein Haus gelockt worden, welches der Post gegenüber lag und von einer als franzosenfreundlich bekannten Familie bewohnt war. Dort soll er seinen Tod gefunden haben. Der Umstand, daß über die beiden Begleiter Bathursts so wenig oder fast nichts bekannt geworden ist, gab der sagenbildenden Phantasie freien Spielraum, wenn sie sich ausmalte, wie diese Begleiter oder einer von ihnen die Rolle des von Frankreich erkauften Verräthers gespielt habe.

Von menschlichen Gebeinen, welche im Jahre 1830 in einer Mergelgrube bei der Stadt gefunden und zu dem Verschwinden Bathursts in Beziehung gebracht wurden, ließ sich nachweisen, daß sie nicht die Gebeine des Vermißten waren.

Im April des Jahres 1852 fand man aber beim Abbrechen eines Hauses, welches an der Hamburger Chaussee dreihundert Schritt vom „Weißen Schwan“ entfernt lag, unter der Schwelle des Stalles ein menschliches Skelett. Spuren von Kleidungsstücken waren nicht vorhanden. Der Kopf war in Steine förmlich eingemauert. Der Hinterkopf des Schädels zeigte eine auf einen Achtelszoll geschätzte Vertiefung, welche auf einen hierher geführten schweren Schlag zu deuten schien. Das Haus war im Jahre 1803 von einem gewissen Mertens gekauft worden, der im „Weißen Schwan“ neben dem Hausknecht bedienstet war; seine Töchter hatten es nach seinem Tode im Jahre 1828 wieder verkauft. Von Mertens wurde ermittelt, daß er sich des besten Rufes erfreut habe; sein langjähriger Dienst im Gasthofe habe ihm so viel Geld eingebracht, daß er der einen Tochter tausend, der andern acht hundert Thaler Mitgift habe geben können.

Nachdem die Familie Bathurst von dem Funde Kenntniß erhalten hatte, erschien, da Mistreß Bathurst nicht mehr lebte, die Schwester Bathursts, eine Mistreß Thistlethwaite, im August in Perleberg. Sie verglich den Schädel und den durch Unvorsichtigkeit der Finder zerbrochenen Unterkiefer mit einem mitgebrachten Porträt ihres Bruders und erkärte, sie könne diese Ueberreste als die ihres Bruders nicht anerkennen. Nach dieser Erklärung wurden amtliche Untersuchungen nicht mehr angestellt, und weitere Entdeckungen, welche mit dem Verschwinden Bathursts in Zusammenhang stehen konnten, wurden auch nicht mehr gemacht.

Wir haben jetzt noch einige Zeitungsnachrichten zu besprechen, welche bald nach dem Verschwinden Bathursts erschienen und Aufsehen erregten.

Die erste Kunde, die man über den Vorfall las, stand im „Moniteur“, dem amtlichen Blatte Napoleons. Es war darin ein aus Berlin vom 10. Dezember datierter Bericht enthalten, welcher besagte, „daß Sir Bathurst bei seiner Reise durch Berlin Spuren von Wahnsinn gezeigt und sich darauf in der Gegend von Perleberg selbst ums Leben gebracht habe.“ Ein vom 23. Januar 1810 datierter, wahrscheinlich ebenfalls amtlich beeinflußter Artikel der englischen „Times“ antwortete darauf mit der Vermuthung, daß das Verschwinden des Gesandten vielmehr der französischen Negierung zur Last falle. Es wurde dabei auf ähnliche Gewaltthätigkeiten hingewiesen, für welche Napoleon und seine Kreaturen allerdings die Verantwortung trugen. Der „Moniteur“ vom 29. Januar blieb aber bei seiner ersten Behauptung, indem er bemerkte, daß es zu den Gewohnheiten des britischen Kabinetts gehöre, für diplomatische Sendungen Leute zu verwenden, die unter der ganzen Nation am wenigsten Verstand hätten.

Weniger Beachtung hätte eine Nachricht aus London vom 6. Januar 1810, die am 23. Januar im „Hamburgischen Korrespondenten“ stand, verdient. Hier hieß es, der Gesandte Bathurst, der sich nach einigen Nachrichten in einem Anfall von Wahnsinn getötet haben sollte, sei frisch und gesund und seine Freunde hätten Briefe von ihm, die am 13. Dezember, also nach dem für seinen Tod angenommenen Tage, geschrieben seien. Hinter dieser Mittheilung sind geheimnißvolle Zwecke gesucht worden, gewiß mit Unrecht. Daß Bathurst seit dem 25. November 1809 verschwunden und vermuthlich nicht mehr am Leben war, konnte, auch wenn die Nachrichten auf weite Entfernungen sich damals viel langsamer verbreiteten als heute, nicht lange verborgen bleiben. Die Mittheilung war schwerlich mehr als ein Gerücht, welches dadurch veranlaßt worden sein mag, daß man den verschollenen Bathurst mit einem in England lebenden gleichnamigen Verwandten verwechselte.

[770] Was ist nun als das wahrscheinliche Lebensende Bathursts anzusehen? Hat er selbst Hand an sich gelegt? Oder hat die französische Geheimpolizei ihn beseitigt? Oder ist er durch Raubmord umgekommen? Jede dieser drei Möglichkeiten hat ihre Anhänger gefunden.

Was die erste derselben angeht, so muß man zugeben: Bathurst hat sich in Perleberg und vorher so erregt gezeigt, daß man sich eines plötzlich gefaßten verzweifelten Entschlusses wohl hätte versehen können. Bathursts eigene Familie hat anfangs Selbstmord angenommen. Aber wie ungenügend auch die Untersuchungen in Perleberg vom kriminalpolizeilichen Standpunkte aus gewesen sind, so haben sie wenigstens das mit Sicherheit ergeben, daß ein auf Perleberger Gebiet verübter Selbstmord nicht vorliegen kann; in diesem Fall würde die Leiche eben nicht unentdeckt geblieben sein. Und wie sollte man annehmen, daß Bathurst sich im Augenblicke der Abfahrt in dunkler Novembernacht aus der Stadt entfernt hätte, um sich anderswo zu töten? Die Möglichkeit des Selbstmordes muß als ausgeschlossen gelten.

Die Ueberzeugung, daß Bathurst das Opfer der französischen Polizei geworden sei, ist in den ersten Jahrzehnten nach seinem Verschwinden die herrschende gewesen. Varnhagen hat sie noch dreißig Jahre später vertheidigt, und die englische Zeitschrift „Spectator“ trat noch im Jahre 1862 dafür ein. Hatte Bathurst nicht vorher gesagt, er werde französischen Nachstellungen erliegen? Hatte Napoleon nicht wiederholt Rechte verletzt, welche im Verkehre der Völker heilig gehalten werden? Welchen Werth hatte in seinen Augen ein Menschenleben? Wer sonst als er hatte dazu die Macht, einen Menschen geheimnißvoll verschwinden zu lassen? Was war die Darstellung im „Moniteur“ anders als das versteckte Eingestehen eines Verbrechens und als der Versuch, den Verdacht von sich abzulenken? Was bedeuteten Napoleons Unschuldsbetheuerungen vor Bathursts Gemahlin, da er als Angeklagter in eigener Sache sprach? Ist da nicht zuzugestehen, daß es begreiflich war, wenn man Napoleon und seine Polizei für schuldig hielt? Ihm, dem gefürchteten und gewaltthätigen Zwingherrn, auch diese Unthat zuschieben zu können, war eine Art stiller Genugthuung, und außerdem hatte die Thäterschaft Napoleons und seiner Geheimpolizei einen viel romantischeren Reiz als die Thäterschaft eines Raubmörders. Dennoch halten die Gründe, welche man für diese Möglichkeit angeführt hat und anführen kann, einer ernstlichen Prüfung nicht Stand.

Zunächst folgt aus der allerdings zweifellosen Thatsache, daß Bathurst französische Nachstellungen gefürchtet hat, noch nicht die Thatsächlichkeit der Nachstellungen. Es ist bereits oben erwähnt, daß die Befürchtungen Bathursts sich am natürlichsten erklären, wenn man annimmt, daß sie auf Einflüsterungen und Einschüchterungen beruhten, welche von einem französischen Agenten ausgingen und bei Bathurst auf einen nur zu empfänglichen Boden fielen. Hätte die französische Geheimpolizei Hand an ihn legen wollen, so würde sie geschwiegen und gehandelt haben, und schwerlich würden ihm schon in Wien Winke über ihre Pläne zugegangen sein. Aber wie die Furcht vorhanden sein konnte, ohne daß eine Gefahr bestand, so konnten allerdings auch Gefahren bestehen, gleichviel, ob sie gekannt und gefürchtet wurden oder nicht. Der Charakter des Krankhaften, den die Befürchtungen Bathursts unzweifelhaft annahmen, beweist keineswegs, daß die Befürchtungen selbst grundlos waren. Die Thatsächlichkeit französischer Nachstellungen ist indessen aus anderen Gründen abzulehnen.

Daß an Anwendung offener Gewalt und namentlich gewaltsamer Entführung füglich nicht gedacht werden kann, liegt auf der Hand. Wohl hatte Napoleon den Herzog von Enghien auf badischem Gebiet in Ettenheim aufheben lassen, aber Ettenheim hatte keine Besatzung, und doch wurden außer Gendarmen drei hundert Dragoner für das Unternehmen aufgeboten. Perleberg war preußische Garnisonstadt, und in diesem Theile der Mark stand kein französischer Soldat. Das königlich westfälische Gebiet begann erst jenseit der über zwei Meilen entfernten Elbe. Ein Erscheinen französischer Bewaffneter auf preußischem Gebiet hätte unmöglich verborgen bleiben können. Zu der immerhin abenteuerlichen Annahme, daß Bathurst durch geheime Agenten, zu denen etwa auch sein Sekretär und sein Diener gehört hätten, in Perleberg heimlich ermordet worden sei, würde man sich erst dann drängen lassen dürfen, wenn sie unausweichlich wäre und nicht andere Möglichkeiten näher lägen. Aber gesetzt einmal, geheime Agenten hätten es gewagt und ermöglicht, Bathurst gefangen zu nehmen und zu töten, so würden sie ein Werk, zu dessen Ausführung sie eine anerkennenswerthe Geschicklichkeit aufgeboten hätten, als Stümper beendet haben. Sie durften dann nicht Kleidungsstücke des Ermordeten zum Vorschein kommen lassen. Sie mußten dafür sorgen, daß die Leiche mit einer tödlichen Schußwunde und mit einer Pistole in der Hand, oder mit einer tödlichen Stichwunde und mit einem Dolche in der Hand gefunden wurde, um durch den Schein des Selbstmordes bei einem Manne, der als excentrisch bekannt war, den Verdacht von sich und ihrem Herrn abzuwälzen. Brachten sie den Mord fertig, dann mußten sie auch eine solche Verdeckung desselben fertig bringen, wie man sie einst vielleicht bei Pichegru fertig gebracht hatte, den man erdrosselt fand, als hätte er sich selbst erdrosselt, der aber vermuthlich erdrosselt worden war. Und schließlich bleibt doch noch die Hauptfrage übrig: welchen Zweck soll die Ermordung Bathursts für die französischen Agenten oder für Napoleon gehabt haben?

Als Bathurst zu Anfang des Jahres 1809 nach Wien ging, mochte es für Napoleon von einigem Werthe sein, zu erfahren, welche Anerbietungen und Vorschläge England an Oesterreich zu machen hatte, und wenn er damals den Gesandten hätte seiner Papiere berauben lassen, bei welchem Unternehmen derselbe sich gewehrt und seinen Tod gefunden hätte, so würde dies ein allenfalls verständlicher Vorgang gewesen sein. Aber wozu sollte er ihn jetzt berauben oder töten lassen? Oesterreich war besiegt und für die nächste Folgezeit zu jedem kriegerischen Vorgehen außer stande. Was England etwa mit Oesterreich zu Anfang des Jahres unter Voraussetzungen verabredet hatte, die nicht eingetreten waren, konnte für Napoleon zu Ende des Jahres völlig gleichgültig sein. Daß Bathurst an jenem verhängnißvollen Sonnabend Papiere verbrannt hat, ist kein Beweisgrund dagegen. Er war bekanntermaßen krankhaft erregt, und überdies liebt es kein Privatmann und vollends kein Gesandter, seine Papiere durchsucht zu sehen, wenn er doch einmal fürchtet, in die Hände von Gegnern zu fallen. Die geheimnißvolle Wichtigkeit dieser Papiere ist damit nicht erwiesen. Wer sagen wollte, Napoleon habe vielleicht nach Aufschlüssen über die Haltung des preußischen oder des russischen Hofes forschen wollen, müßte zeigen, daß derselbe irgend welchen Anhalt zu der Voraussetzung hatte, solche bei Bathurst zu finden. Im übrigen war Napoleon, wie wir namentlich aus neueren Veröffentlichungen wissen, während des Feldzuges in Oesterreich und vor dem Verschwinden Bathursts über jene Höfe sehr genau unterrichtet. In den Jahren seines Glückes hatte er keine Veranlassung, Gesandte zu berauben, um zu erfahren, was er wissen wollte; es standen ihm genug anderweitige Mittel und Wege dafür zu Gebote. Die persönliche Feindschaft Napoleons gegen Bathurst war ein Hirngespinst Bathursts. Anwendung von Gewalt gegen einen Gesandten war eine Handlung, die Napoleon, ohne dessen Zustimmung sie nicht erfolgt wäre, nur zugelassen hätte, wenn ihr voraussichtlicher Nutzen zu ihrer zweifellosen Bedenklichkeit in nicht allzu grellem Mißverhältniß stand. Um seinen Zweck zu erreichen, hat er mehr als einmal während seiner politischen Laufbahn verwerfliche Mittel angewendet und geheiligte Schranken mißachtet, aber einer zwecklosen Handlung, auch einer zwecklosen Gewaltthat, war er nicht fähig. Eine Beraubung und Ermordung Bathursts kann von Napoleon nicht angeregt worden sein, aus dem einfachen und zureichenden Grunde, weil sie keinen Sinn und Verstand gehabt hätte.

Da von den drei Möglichkeiten, welche für das Ende Bathursts vorliegen, zwei ausgeschlossen sind, so bleibt also nur die dritte übrig.

Daß ein Raubmord stattgefunden habe, ist die Ueberzeugung, der die neueren Darstellungen des Falles mehr oder minder rückhaltlos Ausdruck geben, so die jüngere der beiden im „Neuen Pitaval“ enthaltenen Darstellungen und die erst im Jahre 1887 erschienene englische. Der Kapitän Klitzing hat von Hause aus an französische Nachstellungen nicht recht zu glauben vermocht, obwohl Bathurst solche gefürchtet hatte, und hat sich in seinem späteren Leben wiederholt dahin ausgesprochen, daß es sich nur um einen in Perleberg verübten Raubmord handeln könne.

Man möchte sagen: „Wenn man Anzeichen für diese Thatsache hatte, warum hat man dann den Raubmord nicht rücksichtslos [771] festgestellt und verfolgt? Man hätte auf diese Weise die Annahme eines politischen Mordes, die in Berlin und Paris anstößig war, am besten aus der Welt schaffen können.“ Aber wir haben gesehen, daß diese Anzeichen zunächst nicht deutlich genug waren; weil man auf Beweise für einen politischen Mord zu stoßen fürchtete, betraute man in Berlin mit der Untersuchung der Sache nicht einen erfahrenen Kriminalbeamten, der mehr Aussicht gehabt hätte, die Lösung der schwebenden Frage zu finden, als Klitzing und die Stadtbehörden. Wenn die polizeiliche und gerichtliche Untersuchung unter den obwaltenden Umständen Gewisses und auch den Raubmord nicht erwiesen hat, so wissen wir, welche Gründe und Rücksichten sie hemmten und lähmten. Die Ergebnißlosigkeit der Untersuchung ist noch kein Beweis gegen ein an Bathurst verübtes Verbrechen.

Es darf nicht vergessen werden, daß damals, als Bathurst verschwand, die Sicherheitspolizei mit allem, was dazu gehörte, seit Jahrzehnten im Argen lag. Die staatlichen Reformen hatten eben erst begonnen, und für die Sicherheitspolizei waren sie nicht weniger unerläßlich als für die Armee. Das damals lebende Geschlecht war im Zeichen der Stadtsoldaten herangewachsen, über die man lachen durfte, aber auch im Zeichen der Räuber und Beutelschneider, die das nothwendige Gegenstück zu den Stadtsoldaten bildeten und vor denen man auf der Hut sein mußte. In Preußen stand es besser als in den meisten andern deutschen Staaten, aber Schlaffheit und Ohnmacht der Behörden hatten wenigstens in den preußischen Grenzstädten, zu denen auch Perleberg gehörte, vielfach ein verwegenes Verbrecherthum großgezogen, das sich den Behörden vorläufig noch überlegen zeigte. Es ist ein bezeichnender Zug, daß das Generalpostamt in Berlin längst auf die häufigen Postdiebstähle bei Perleberg aufmerksam geworden war, ohne daß es wirksam dagegen einschreiten konnte. Als man in Berlin einen so verdächtigen Menschen wie August Schmidt endlich näher ins Auge faßte, war es für die Aufhellung seiner Beziehungen zu Bathurst schon zu spät.

Auf das Andenken des Dienstknechts Mertens fällt, wie erwähnt, in den erhaltenen Berichten kein Schatten; er wird uns als ein gottesfürchtiger Mann genannt. Aber der böse Fund in dem Stalle seines Hauses rechtfertigt doch, da die Leiche schwerlich ohne sein Wissen an dieser Stelle vergraben worden ist, die Zweifel daran, ob man den Mertens auch genau gekannt habe. Daß er in dem Gasthofe einer kleinen Stadt und noch dazu in einer untergeordneten Stellung so viel erwarb, um seinen Kindern außer seinem Hause auch noch achtzehnhundert Thaler hinterlassen zu können, ist ebenfalls auffällig.

Wir müssen auf die Entdeckung des Skeletts noch einmal zurückkommen. Es leuchtet ein, daß die Feststellung der Zugehörigkeit eines Schädels eine schwierige und mißliche Sache ist. Angenommen, ein Gerichtshof hätte einen gewiegten Anatomen, der mit Bathurst genau bekannt gewesen wäre, befragt, ob er den gefundenen Schädel als den Schädel Bathursts anerkenne oder nicht, so würde die bejahende wie die verneinende Antwort des Anatomen von großem Gewicht gewesen sein; aber selbst dann wäre es fraglich, ob der Gerichtshof es wagen würde, auf diese Antwort hin folgenschwere Schlüsse zu bauen, wenn nicht noch anderweitige Anzeichen hinzuträten. Was ein Laie in solchem Falle über einen Schädel aussagt, ist bedeutungslos, und das Nein, das die Schwester Bathursts beim Anblick des ihr gezeigten Schädels gesprochen hat, wiegt nicht mehr, als ihr Ja gewogen hätte. Eher als am eigentlichen Schädel kann ein Laie die Zugehörigkeit an den Zähnen erkennen, ein Zahnarzt kann es unter Umständen mit völliger Sicherheit. In diesem Falle kannte niemand das Gebiß. Wir hören nur, daß die Zähne bis auf einen alle vorhanden, aber infolge der Unvorsichtigkeit der Finder meist aus den Kiefern gefallen waren. Es läßt sich also sagen, daß das Wenige, was wir von dem Skelett wissen, wenigstens nicht gegen die Annahme spricht, daß hier die Ueberreste Bathursts gefunden worden seien. Die auf einen wuchtigen Schlag deutende Vertiefung im Hinterkopf würde in den als wahrscheinlich anzunehmenden Zusammenhang der Dinge genau passen. Das Mertenssche Haus lag, wie oben bereits gesagt ist, an der Chaussee, die der Wagen Bathursts einschlagen sollte, in einer aus wenigen und weit von einander getrennten Häusern bestehenden Vorstadt, und war nur dreihundert Schritt von dem Gasthofe entfernt, vor dem der Wagen hielt, es lag also zugleich in der Richtung, welche Bathurst nahm, als er an seinem Wagen vorüber auf das Parchimer Thor zuschritt. Weit kann Bathurst nicht gekommen sein, und ein lärmender Kampf, ein Aufsehen erregendes Geräusch, etwa gar der Knall von Schüssen, könnte die Ermordung nicht begleitet haben. Der Kopf Bathursts war nur durch eine Mütze geschützt. Ein Schlag, vom Rücken her mit einem Hammer, einem Brecheisen oder der stumpfen Seite eines Beiles auf den Hinterkopf geführt und von sofort tödlicher oder doch betäubender Wirkung, würde zu dem lautlosen Verschwinden Bathursts einerseits und zu dem Skelettfunde andererseits am natürlichsten stimmen.

Ueber die Personen, welche den Mord verübten, und über die Mittel, welche sie anwandten, um den Fremden zu jenem verhängnißvollen Gange von seinem Wagen hinweg zu bestimmen, kann man natürlich nur mehr oder minder wahrscheinliche Vermuthungen anstellen. Da wir nicht erzählen können, wie der Hergang gewesen ist, so wollen wir einmal erzählen, wie er gewesen sein kann.

Bathurst kam während seines etwa neunstündigen Aufenthalts im „Weißen Schwan“ und im Posthause mit August Schmidt mehrfach in Berührung. Das machte sich von selbst, denn Schmidt war als Sohn des Postwagenmeisters gewissermaßen der amtlich bestellte Diener der mit Extrapost reisenden Fremden. Ueberdies sprach Schmidt etwas französisch, und so konnte der Diplomat, welcher der deutschen Sprache nur unvollkommen mächtig war, sich mit ihm verständigen, besser jedenfalls als mit einer anderen Person im Gasthofe. Schmidt ist gegen den Fremden dienstbeflissen und zuvorkommend gewesen und hat bei Gelegenheit einiger für ihn ausgeführter Besorgungen wahrgenommen, daß derselbe über beträchtliche Geldmittel verfügte. Bathurst, der das Verkehren mit Bankiers auf seiner weiten Reise hat vermeiden wollen, um nicht seinen wahren Namen in fremden Städten bekannt geben zu müssen, hat eine große Geldsumme, einige tausend Thaler, und zwar meist in preußischen Goldstücken und Banknoten, bei sich geführt. Daß Schmidt für das Geld, für den auf mehrere hundert Thaler abgeschätzten Pelz und für den Brillanten des Fremden begehrliche Blicke hatte, ist diesem um so weniger aufgefallen, als seine Befürchtungen nicht einem möglichen Diebstahl oder Raub, sondern französischen Nachstellungen galten. Während er sich in seiner Aengstlichkeit und Verwirrung vor einer Gefahr fürchtete, die nur in seiner Einbildung bestand, übersah er die wirkliche Gefahr, die ihm unmittelbar drohte. Er hat dem Schmidt seine Besorgnisse offen mitgeteilt, schon weil er eine Art Bedürfniß fühlte, das wiederholte Bestellen und Abbestellen der Pferde, das Schmidt vermittelt hat, begründend zu entschuldigen. Aus einem willigen Diener ist Schmidt im Laufe des Nachmittags der vertrauliche Berather Bathursts geworden, während gleichzeitig der Plan zu einem Raubmord in ihm entstand und allmählich eine bestimmte Gestalt annahm. Ab- uud zugehend, fand Schmidt in den langen Nachmittagsstunden Zeit und Gelegenheit, sich mit Mertens, dessen Haus sich zur Ausführung der That eignete, ins Einvernehmen zu setzen und alle nöthigen Verabredungen und Vorbereitungen zu treffen. Mertens sorgte dafür, daß seine Angehörigen am Abend nicht zu Hause waren, und vielleicht wurde ein Grab für Bathurst schon gegraben, ehe er tot war.

Einige Leser lieben vielleicht ein „Wenn nun aber doch“ und geben ihm diesmal folgende Fassung: „Wenn nun aber doch August Schmidt von Franzosen einen Wink bekommen hätte? Mit dem Raubmord könnte ja der politische Mord vereinigt sein!“ Wir antworten: wäre ein solcher Wink ertheilt worden, so würde Schmidt zweifellos angewiesen worden sein, den Fremden, um ihn nicht mißtrauisch zu machen, nur mit dem Namen zu kennen und zu nennen, unter dem er reiste, also als den „Kaufmann Koch“. Der durch die oben erwähnte Perleberger Dame überlieferte, an sich gleichgültige Umstand, daß Schmidt unbedenklich von einem „Herrn Lord“ sprach, indem er das „Mylord“ der beiden Begleiter Bathursts in seiner Weise wiedergab, zeigt, daß das Verbrechen von französischer Seite nicht angeregt sein kann. Schmidt und Mertens handelten auf eigene Hand.

Wir lassen wieder unserer Einbildungskraft die Zügel schießen. „Ja. ja, Herr Lord,“ hat Schmidt zu Bathurst gesagt, „den Franzosen ist nicht zu trauen, und es kann wohl sein, daß die in der Stadt ihre Helfershelfer haben. Aber verlassen Sie sich auf mich. Wir hier kennen das schon, und ich habe schon mehr als einen Fremden weiterspediert, der nicht bekannt werden lassen wollte, wohin und wie und wann er fuhr. Wir machen das so: [772] Sie bitten sich von dem Kommandanten Kürassiere aus, die bewachen Sie den Tag über. Am Tage fahren Sie nicht weiter, denn da könnte man auf Sie aufmerksam werden und Sie verfolgen. Sie bestellen den Wagen auf 9 Uhr abends und thun, als wenn Sie vom ‚Weißen Schwan‘ abfahren wollten. Aber beim ‚Weißen Schwan‘ steigen Sie noch nicht in den Wagen. Beim Abfahren stehen da immer allerhand Leute aus der Nachbarschaft umher, und die muß man über die wirkliche Abfahrt täuschen, damit sie nicht französischen Soldaten auf Ihre Spur helfen können. Im letzten Augenblick vor der Abfahrt, wenn alles fertig ist, gehen Sie möglichst still und ungesehen dreißig Schritt vor dem Wagen her auf das Thor zu. Dort werden Sie mich finden, und ich führe Sie in das gleich vorn an der Chaussee liegende Haus meines Freundes Mertens, der hier im Gasthofe dient und ein zuverlässiger Mann ist. Dort sollen Sie unbemerkt auf Ihren Wagen warten. Ich kehre dann um und gebe dem Postillon einen Wink, daß er nachher vor dem Hause hält und Sie einsteigen läßt. Dem Sekretär aber rufe ich laut und so, daß die umstehenden Leute es hören, zu, er solle allein abreisen, der Herr Lord würde heute noch nicht fahren. Im Nothfall geben Sie mir für den Sekretär einen Zettel mit, auf den Sie Ihren Befehl aufgeschrieben haben. Die Hauptsache ist, daß wir das ganz genau so ausführen und daß wir zu niemand davon sprechen, auch zu dem Sekretär nicht. Dann haben wir die Sache allein in der Hand und schlagen den Franzosen ein Schnippchen. Wenn die Sie dann noch hier in einem Gasthofe vermuthen, sind Sie längst da, wo kein Franzose Ihnen mehr schaden kann.“

Bathurst hat diese Weisungen pünktlich befolgt, und die Ereignisse haben den von den Verbrechern gewünschten und berechneten Verlauf genommen. Als Bathurst von seinem Wagen her auf das Thor zuging, traf er den Schmidt und ließ sich von ihm nach dem Mertensschen Hause führen. In diesem Hause oder auf dem dazu gehörigen Hofe angekommen, ist er von einem der beiden Verbündeten in ein Gespräch verwickelt worden, und während desselben hat der andere ihn niedergeschlagen. Vielleicht ist Goldberger wirklich dazu gekommen, als sie ihn vergruben.