Das chinesische Drama

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Titel: Das chinesische Drama
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aus: Das Ausland, Nr. 182–183;185;187 S. 727–728; 730–733; 737–738; 745–747
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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[727]

Das chinesische Drama[1]


Unter den vielen interessanten Mittheilungen, welche wir in Europa den Bemühungen der Jesuiten und der katholischen Missionäre überhaupt verdanken, findet sich wenig oder gar nichts über die Poesie der Chinesen; und die wenigen Reisen, welche in neuerer Zeit Europäer zu diesem wunderbaren Volke haben unternehmen können, haben uns über alles, was den Zustand der schönen Wissenschaften in China betrifft, eben so sehr im Dunkeln gelassen. Dieser Gegenstand ist kaum berührt, und wenn dieß geschah, so oberflächlich behandelt worden, daß es einleuchtend ist, daß nicht sowohl wirkliche Kenntnisse als Vorurtheile dem, was darüber gesagt wird, zu Grunde liegen. So sagt z. B. der Pater Cibet:[2] „Von einem Gelehrten, der poetische Versuche machte, würde man in China eben so urtheilen, wie in Frankreich von einem Grenadieroffizier, der sich auf der Violine hören ließe“ eine Bemerkung, die der Abbé Grozier getreulich nachschreibt; indessen widersprechen beide unmittelbar darauf sich selbst, indem sie Stellen aus älteren und neueren chinesischen Gedichten anführen, die Schönheit derselben über die Maßen anpreisen, ihnen den größten Einfluß auf die sittliche Bildung der Chinesen zuschreiben, und sich weitläuftig über das hohe Ansehen verbreiten, in welchem dieselben seit den ältesten Zeiten bis auf die gegenwärtige Stunde gestanden seyen. Das Wahre an der Sache ist, daß die ältesten Ueberlieferungen der Chinesen in Gedichten niedergelegt sind. Schon das in der Schriftsprache übliche Zeichen für poetische Compositionen weist unverkennbar auf einen frühzeitigen Ursprung derselben hin; denn das sogenannte Schih, welches ungemein kurze, aus nicht mehr als vier Zeichen bestehende Sentenzen bezeichnet, ist ein aus dem Charakter, der Wort, und dem der Halle, Tempel bedeutet [3] zusammengesetztes Bild, also soviel als Tempelwort [4]. Das Buch der Lieder, eines ihrer vier vorzüglichsten und ältesten classischen Werke, enthielt größtentheils nur solche kurze Verse.

[728] Indessen haben wir nicht nöthig, in das frühe Alterthum hinaufzusteigen, um hinlängliche Beweise für die Neigung der Chinesen zu dichterischen Leistungen zu finden. Der verstorbene Kaiser Kien-Long schrieb zu seiner Unterhaltung ein großes episches Gedicht unter dem Titel: Muteden, zwei oder drei andere, ebenfalls von bedeutendem Umfange, und außerdem eine Menge Lieder, Gesänge und Epigramme, welche auf Theetassen noch gegenwärtig im ganzen himmlischen Reiche gelesen werden; und sein unglücklicher Günstling, dessen Reichthum und Einfluß ihm die Ungnade und den Haß seines Thronfolgers zuzog, schrieb den Tag vor seiner Hinrichtung noch Verse im Gefängniß. In dem von Abel Remusat übersetzten Roman Yu-kiao-li finden wir als eine allgemein herrschende Sitte, bei geselligen Zusammenkünften um die Wette zu reimen; und gute Verse zu machen, wird, wie eine schöne Handschrift – oder vielmehr Schriftmalerei – als ein Zeichen der Bildung betrachtet.

Auch kann man nicht leugnen, daß in gewisser Beziehung die ganze chinesische Schriftsprache dem Gebiete der Poesie angehört. Jeder Charakter ist für das Auge ein Bild, für die Seele ein Symbol von dem Gegenstande, welchen er bezeichnen soll. Die chinesischen Schriftsteller selbst, denen man doch wahrscheinlich eine größere Autorität zugestehen wird, als den würdigen Herren Cibot und Grozier, haben über die Poesie ihrer Nation die gesundesten Ansichten. Ein Gelehrter, den Morrison anführt, vergleicht die Poesie seiner Landsleute mit einem Baume: „Der alte Schiking (das Buch der Lieder) war die Wurzel und der Stamm desselben; als Suh-luh blühte, brachen die ersten Sprossen der Blätter hervor; zur Zeit des Kien-nyan belaubte sich der Baum allmälig; während der Dynastie Tang aber ruhte man unter seinem Schatten und pflückte von seinen Zweigen Blüthen und Früchte.“

Nur die dramatische Poesie und das Theater wird von den Gelehrten verachtet und vom Staate, der in einem höheren Grade unter dem Einflusse derselben steht, als dieß je in den civilisirtesten Ländern Europa’s der Fall war, durch Strafgesetze beschränkt. „Theaterstücke (sagt ein chinesischer Philosoph) sind eine Art künstlicher Feuerwerke des Genies, die in der Nacht des Unwesens abgebrannt werden; sie entwürdigen die, welche sich damit beschäftigen, beleidigen das zartfühlende Auge des Weisen, geben eiteln Seelen schädliche Nahrung, gefährden Weiber und Kinder, die nach ihnen sehen, bringen mehr Rauch und Gestank hervor, als Licht, und werden nicht selten Ursache eines gefährlichen Brandes [5].“ Aber wie das Opium, das in dem himmlischen Reiche auf das Strengste verboten ist, dennoch nirgend stärkeren Absatz und Verbrauch findet, als in China, so wird auch das Drama, obgleich die Regierung den Besuch der Theater durch eine Menge Verordnungen erschwert und z. B. allen höheren Beamten völlig untersagt hat, vielleicht von keiner anderen Nation so leidenschaftlich geliebt, als von der chinesischen. In den meisten Häusern der Vornehmen ist eine besondere Halle ausschließlich dramatischen Vorstellungen gewidmet; kein Gastmahl oder Fest wird gefeiert, ohne daß eine Schauspielertruppe die Gäste unterhielte; bei allen öffentlichen Feierlichkeiten werden Bühnen aus Bambusrohr auf den Straßen errichtet, und alle fremde Gesandtschaften werden mit theatralischen Vorstellungen unterhalten [6].

Glaubwürdigen Angaben zufolge sind in Peking allein, so lange sich daselbst der Hof aufhält, einige hundert Schauspielertruppen, welche während der übrigen Zeit von Ort zu Ort reisen. Eine Schauspielertruppe besteht gewöhnlich aus 8–10 Personen, welche im eigentlichsten Sinne des Worts Diener oder Sklaven des Direktors sind. Sie machen ihre Reisen auf bedeckten Barken, die ihnen zugleich – wie dieß in China bei armen Familien häufig der Fall ist – zur Wohnung dienen, auf den Flüssen und Canälen, an denen volkreiche Städte liegen. Wird bei festlichen Gelegenheiten ihre Geschicklichkeit in Anspruch genommen, so überreichen sie dem Festgeber ihr Repertorium, welcher sodann bei der Auswahl des Stückes seine Gäste zu Rathe zieht. Ist die Wahl getroffen, so werden die Personen des Stückes verlesen, und trifft es sich, daß eine derselben zufällig den gleichen Namen mit einem von den Gästen führt, so schreitet man unverzüglich zu einer neuen Wahl.

Wenn das gemeine Volk eine theatralische Unterhaltung zu haben wünscht, so unterschreibt sich eine Gesellschaft zur Deckung der Ausgaben, die indessen gewöhnlich nur unbedeutend sind. In wenigen Stunden ist ein Gerüst aus Bambusrohr errichtet, das die sechs oder sieben Fuß vom Boden erhabene und mit einem Dach bedeckte Bühne trägt. Die Vorderseite derselben bleibt offen, einige Stücke buntes Seidenzeug vertreten die Stelle der Wände. Die ganze Scenerie steht ungefähr auf derselben Stufe mit der des Possenspiels in Shakspeares Sommernachtstraume, oder der des altspanischen Theaters, wie sie Lope de Vega schildert.

[730] Die Belustigungen, welche bei Hofe die Stelle des Drama’s ersetzen, sind nach den Begriffen der Europäer viel niederer Art, und mußten denen, welchen das Verbot des Theaterbesuches, als einer unmoralischen Handlung, nicht bekannt war, eine geringe Meinung von der Bildung der höheren Stände beibringen. So unterhielt man z. B. den rußischen Gesandten Ysbrandt Ives im Jahre 1692 in Peking in Gegenwart Sr. kaiserlichen Majestät mit Taschenspielerkünsten, Possenreißereien und Harlekinaden, dagegen ließ auf seiner Rückreise unfern der großen Mauer ein Stadtgouverneur ein eigentliches Drama vor ihm aufführen. Zuerst, heißt es in einer Beschreibung dieser Reise[7], trat ein sehr schönes, junges Mädchen auf, reich in Gold gekleidet und mit Juwelen geschmückt. Sie trug auf dem Haupte eine Krone, und sang mit bezaubernder Stimme. Die Bewegung ihres Körpers und das Spiel der Hände, in deren einer sie einen Fächer hielt, war äußerst angenehm. Dies war der Prolog. Das Stück selbst bewegte sich um einen alten chinesischen Kaiser, der sich um das Land verdient gemacht hatte. Er selbst trat einige Male im vollen kaiserlichen Ornat, einen großen, elfenbeineren Scepter in der Hand, auf, und nicht selten erschienen auch seine Offiziere mit Trompeten, Fahnen und Waffen. Als Zwischenspiel wurde von ihren Bedienten, deren antike Kleidung und buntbemalte Gesichter dem Besten dieser Art in Europa gleichgesetzt zu werden verdienten, eine Posse aufgeführt, welche, so viel ich aus der Verdolmentschung zu entnehmen im Stande war, sehr unterhaltend seyn mußte; besonders einige Scenen, in denen ein Ehemann zu seinem Leidwesen wahrnahm, wie seine ausschweifende Gattin, die vor der Heirath eine sehr tugendhafte Miene angenommen hatte, die Maske abwarf und vor seinen Augen vertrauten Umgang mit andern Männern pflog.

Hr. Bell, der 1719 mit der russischen Gesandtschaft [731] nach Peking reiste, berichtet, daß die Vergnügungen des Hofes nur in gymnastischen Uebungen, Taschenspielereien und Feuerwerken bestanden. Bei einer Festlichkeit, welche ein kaiserlicher Prinz der Gesandtschaft gab, sah er indessen auch ein Lustspiel. Sieben Soldaten, alle in voller Rüstung, traten auf, die Waffen in der Hand und fürchterliche Larven vor dem Gesicht. Nachdem sie einige Male um die Bühne geschritten waren, wurden sie handgemein, und einer der Helden blieb auf dem Platze. Hierauf stieg unter Wetterleuchten ein Engel aus den Wolken nieder mit einem riesenhaften Schwert und trieb die Kämpfer in die Flucht. Nach vollbrachter That stieg er ebenso, wie er gekommen war, in einer Rauch- und Feuerwolke wieder in die Höhe. Auf diese Scene folgten einige Possen, die mir sehr unterhaltend zu seyn schienen, obgleich ich die Sprache, in der sie verfaßt waren, nicht verstand[8]. Eine Komödie, die ein junger Chinese ihm zu Ehren in einem Gasthofe in Peking aufführen ließ, machte Allen vieles Vergnügen. Die Spielenden bestanden aus Männern und Weibern, die gut gekleidet waren und sich anständig betrugen. [9]

Lord Makartney, in dem von ihm herausgegebenen Tagebuche, beschreibt Seiltänzerkünste, Beschwörungen, Feuerwerke und Ringkämpfe, als die Ergötzlichkeiten, die er sah, als er dem verstorbenen Kaiser Kienlong seine erste Aufwartung machte. Er spricht von diesen Belustigungen mit der tiefsten Verachtung, mit Ausnahme der Geschicklichkeit, welche die Chinesen zeigten, Feuer von allen Farben und in allen Gestalten hervorzubringen. Ihre „schlechten Schaupiele“, wie sie selbst sie nennen, werden folgendermaßen beschrieben: „Die theatralischen Unterhaltungen waren sehr manigfaltiger Art, theils tragischen, theils komischen Inhalts. Meist wurden mehrere kleine Stücke ohne inneren Zusammenhang hintereinander aufgeführt. Einige derselben stellten historische Begebenheiten, andere reine Spiele der Phantasie dar; sie wurden theils in Recitativen vorgetragen, theils gesungen, theils auch, ohne irgend eine Begleitung von musikalischen Instrumenten, bloß gesprochen, aber alle waren voll von Todschlägen, Schlachten und ähnlichen Bühnenereignissen. Zum Beschluß wurde eine Pantomime gegeben, welche nach dem Beifalle zu schließen, den sie fand, für das Höchste gehalten zu werden schien, was Genie und Geschicklichkeit zu erschaffen im Stande ist. Soviel ich beurtheilen konnte, sollte sie die Vermählung des Himmels mit der Erde vorstellen. Die letztere stellte alle ihre Reichthümer und Schöpfungen auf: Drachen, Elephanten, Tiger, Adler, Strauße, Eichen, Fichten und andere Bäume verschiedener Art. Der Ocean blieb nicht zurück. Die Repräsentanten seiner Macht bestanden in Wallfischen, Delphinen, Meerschweinen, Haifischen und andern Seeungeheuern, außerdem in Schiffen, Klippen, Muscheln, Schwämmen und Corallen. Alle diese Dinge wurden von Schauspielern dargestellt, welche die characteristischen Zeichen derselben meisterhaft aufgefaßt hatten. Nachdem diese beiden Chöre einigemal abgesondert von einander ihren Umzug um die Bühne gehalten hatten, vereinigten sie sich und stellten sich im Vordergrunde auf. Nach wenigen Evolutionen theilten sie sich in zwei Reihen, um für den Wallfisch, welcher der befehlshabende Offizier zu seyn schien, eine Straße zu bilden. Dieser stellte sich der kaiserlichen Loge gerade gegenüber, und speite aus dem Rachen einige Tonnen Wasser ins Orchester, welches durch Löcher im Boden wieder verschwand. Diese Operation wurde mit großem Enthusiasmus aufgenommen, und zwei oder drei angesehene Männer, die mir zur Seite standen, konnten nicht umhin, mich angelegentlich darauf aufmerksam zu machen, und wiederholt, mit Zeichen der Bewunderung und Freude: hao! hung, hao! (schön, göttlich!) auszurufen.“ [10] ––

In Barrows Beschreibung der dem niederländischen Gesandten 1795 gegebenen Festlichkeiten werden ebenfalls Taschenspieler, Seiltänzer, und eine Art von Pantomime erwähnt, in welchen Männer, die, in Felle gekleidet, auf allen vieren gingen, und wilde Thiere vorstellten, die Hauptpersonen zu seyn schienen. Sie wurden von einer Gesellschaft junger Leute gejagt, die wie Mandarinen angezogen waren[11]. Kurze Zeit darauf, als der ganze Hof durch eine Mondfinsterniß in’s größte Schrecken versetzt worden war, wurde der Gesandte eingeladen, der Vorstellung einer Pantomime: „Der Kampf des Drachen mit dem Monde“, beizuwohnen. Im Eingange traten zwei- bis dreihundert Priester auf, mit langen Stäben in der Hand, an deren Enden man brennende Laternen befestigt hatte. Sie führten einige Bewegungen aus, tanzten und sprangen herum, bald auf dem Boden, bald über Tische und Stühle, und belustigten auf diese Weise den Kaiser und seine Hofleute nach Kräften. Hierauf erschien eine Anzahl Chinesen, welche zwei große, aus Seide oder Papier gefertigte, blau angestrichene, weißgeschuppte und mit brennenden Lampen gefüllte, Drachen trugen. Nachdem die Drachen mit gebührendem Respecte den Kaiser begrüßt hatten, bewegten sie sich mit großer Gewandtheit hin und wider, als plötzlich der Mond erschien, auf den sie unverzüglich Jagd machten. Er stellte sich indessen furchtlos zwischen sie und die zwei Drachen, welche, nachdem sie ihn eine Zeitlang betrachtet, und wahrscheinlich eingesehen hatten, daß er ein zu großer Bissen für sie seyn würde, es für gerathener hielten, sich unverrichteter Sache zurückzuziehen, was sie dann auch sogleich glücklich ins Werk setzen. Der Mond bildete sich auf diesen Triumph nicht Wenig ein und ging gravitätisch ab, obwohl er von seiner Anstrengung merklich erhitzt war.[12]

Uebrigens scheint es, daß Trivialität und Albernheit noch die geringsten Fehler des chinesischen Dramas sind; einige von ihren Stücken müssen über die Maßen schmutzig und unanständig genannt werden. Barrow sah unter andern eine Frau, welche ihren Mann umgebracht hatte und zum Scheiterhaufen verurtheilt worden war, auf dem Theater ohne eine Spur von Bekleidung erscheinen. [732] In Canton geht die Sittenlosigkeit der dramatischen Vorstellungen so weit, daß die daselbst anwesenden Europäer nicht selten vor Ekel das Theater verlassen. [13]

Barrow stellt die Vermuthung auf, daß die bei Hof üblichen Unterhaltungen tatarischen Ursprungs sind, da sie in der That den rohen und barbarischen Sitten dieses Volkes entsprechen, während die Lieder und Recitative des eigentlichen Drama’s dagegen dem National-Character des ceremoniellen Chinesen ihren Ursprung zu verdanken scheinen.

Was die eigentliche Handlung eines chinesischen Stückes betrifft, so können sich die von uns angeführten Reisenden nicht leicht insgesammt über den Werth derselben getäuscht haben, allein, da sie die Sprache nicht verstanden, so ist ihr Urtheil jedenfalls einseitig, und darf daher nur theilweis als richtig angenommen werden. Wir können ihnen Glauben beimessen, wenn sie von den Abgeschmacktheiten reden, die ihr Auge beleidigten, allein der Kern des Dramas, der Dialog, war für sie ohne Interesse und so gut als gar nicht vorhanden. Wie scharf sie also auch gesehen und wie richtig sie das, was sie sahen, beschrieben haben mögen, so stehen uns, so lange wir auf diese Berichte beschränkt bleiben, noch zu geringe Mittel zu Gebot, als daß wir ein Urtheil über das chinesische Drama darauf begründen können. Eine von Pater Primare, einem Jesuiten, gelieferte unvollständige Uebersetzung eines einzigen Stückes war bis zum Jahr 1817 die einzige Probe dieser Art, die in irgend einer europäischen Sprache vorhanden war. Es heißt die Waise von Chao und gehört zu einer Sammlung von hundert, unter der Herrschaft der Dynastie Yuen im 14ten Jahrhundert (von 1260–1333) verfaßten, Schauspielen. Voltaire, der den Stoff desselben für die französische Bühne bearbeitete, nennt es ein schätzbares Denkmal der damaligen chinesischen Literatur, in Vergleich mit unserer gegenwärtigen dramatischen Kunst zwar barbarisch, aber bei weitem vollkommener als Alles, was zu gleicher Zeit in ganz Europa geschrieben wurde. Er gibt zu, daß die Waise von Chao, ungeachtet vieler darin vorkommenden Unwahrscheinlichkeiten, Manches enthalte, was auch für uns Interesse habe, und daß eine unzählige Menge darin zusammengedrängter Ereignisse lichtvoll angeordnet worden sey, allein hierauf beschränkt sich sein Lob. Sein Urtheil würde vielleicht noch günstiger ausgefallen seyn; wenn er die lyrischen Stellen gesehen hätte, die aus Premare’s Uebersetzung ausgelassen sind und an poetischem Verdienst nicht selten mit den schönsten griechischen Chören verglichen werden können.

[737] Im Jahr 1817 erschien in London endlich die vollständige Uebersetzung eines zweiten chinesischen Dramas, Laou-Seng-Urf oderein Erbe im hohen Alter, aus derselben Sammlung, aus welcher die Waise von Chao entlehnt war. Es ist eine Schilderung des häuslichen Lebens der Chinesen, in einer sehr einfachen Handlung, auf die einfachste und natürlichste Weise, dargestellt, worin aber eben deshalb die chinesischen Sitten und die Denkart und Gesinnung der Chinesen mit äußerster Treue und Wahrheit wiedergegeben sind.

Um in den Geist dieses Stückes eingehen zu können, muß der europäische Leser zweierlei wissen. Einmal, daß die Erfüllung der einem Sohne zukommenden Pflichten gegen die Eltern bei den Chinesen die erste Tugend ist, wie von der andern Seite eine Verletzung dieser Pflichten das erste Laster. Daher betrachtet es ein Chinese auch als das größte Unglück, keinen Sohn zu haben, der eine Stütze seiner bejahrten Eltern werden könnte, und nach ihrem Tode jährlich mit kindlichen Gefühlen ihr Grab besuchte. – Und so dann, daß der Chinese eben deshalb, um einen Sohn zu erhalten, besonders wenn er von seiner vornehmsten Frau nur Töchter, oder gar keine Kinder hat, sich Nebenweiber nehmen darf, die er gewöhnlich den unbemittelten Verwandten abkauft. Diese Weiber werden als Töchter der legitimen Frau betrachtet, die sie daher auch ihre Mutter nennen, und die Kinder, welche sie bringen, gehören nicht ihnen, sondern jener an.

Die handelnden Personen unseres Stückes sind sämmtlich Glieder einer zur mittleren Volksklasse gehörigen Familie: ein alter Mann, seine Frau, seine Nebenfrau niederen Ranges, sein Neffe, sein Schwiegersohn und seine Tochter. Der Alte, ein durch den Handel bereicherter Mann, der im Begriff ist, sich von den Geschäften zurück zu ziehen, nimmt, weil er von seiner Frau keinen Sohn hat, eine Nebenfrau, deren Schwangerschaft im Eingange des Stückes gemeldet wird. Um den Himmel zu bewegen, ihm einen Sohn zu schenken, vernichtet er die Scheine über alle seine ausstehenden kleinen Schulden. Darauf theilt er sein Vermögen zwischen seiner Frau und seiner verheiratheten Tochter, gibt seinem Neffen (dem Sohn eines verstorbenen Bruders) hundert Silberstücke und schickt ihn in die Welt, sein Glück zu versuchen, weil die Frau, eines alten Haders mit seiner Mutter eingedenk, sich nicht mit ihm vertragen kann. Darauf macht er eine kleine Reise auf ein Landgut und empfiehlt sein schwangeres Weib der Pflege seiner Familie, indem er hofft, in kurzer Zeit die erfreuliche Nachricht von der Geburt eines Sohnes zu erhalten.

Er ist indessen kaum abgereist, als der Schwiegersohn vor seiner Frau, der Tochter des Alten, sein Mißfallen über die Schwangerschaft der Nebenfrau nicht länger verbergen kann. Wenn sie ein Mädchen zur Welt bringt, verliert er die Hälfte des Erbtheils, wenn einen Sohn, das ganze. Seine Frau tröstet ihn mit der Bemerkung, wie leicht es sey, sich der Gefürchteten zu entledigen und ihrem Vater vorzuspiegeln, sie sey plötzlich verschwunden. Kurze Zeit nachher nimmt sie wirklich den Schein an, als habe sie Mittel gefunden, die Unglückliche aus dem Wege zu schaffen, und ihr Mann selbst glaubt dieß. Inzwischen denkt der Vater an Nichts weniger als an diese Wendung der Dinge, bis seine Familie nach der Reihe ankommt, um ihn über den Verlust seiner Frau zu trösten; Anfangs will er dieser Nachricht keinen Glauben beimessen; dann bricht er in heiße Thränen aus und gibt deutlich zu verstehen, daß er den Verdacht hege, jene habe kein natürliches Ende genommen. Er nennt sein Unglück eine Strafe für seine frühere Geldgier, entschließt sich, sieben Tage lang zu fasten und öffentlich in einem benachbarten Tempel Almosen auszutheilen, damit, wenn er selbst keinen Erben haben sollte, wenigstens die Armen ihn, als ihren Vater, ansehen. Unter den Bettlern am Tempel erscheint auch sein Neffe im hülflosesten Zustande; er wird von dem Schwiegersohne ausgescholten, und von der alten Frau zur Rede gestellt, aber sein Oheim ermahnt ihn, fromm zu seyn, das Grab seiner Eltern zu besuchen und gibt ihm Geld. Hierauf erscheint der Neffe wirklich an dem Grabe und bittet seine Eltern, ihn in seiner hülflosen Lage zu beschützen. Kaum ist er abgetreten, als sein Oheim und seine Leute ihm zu dem Grabe folgen, und ihr Mißfallen bezeugen, daß ihr Schwiegersohn und ihre Tochter versäumt haben, sie pflichtgemäß zu begleiten. Sie bemerken, daß ein naher Verwandter von ihnen zugegen gewesen seyn müßte, und vermuthen, daß dieß ihr Neffe gewesen sey. Der alte Mann spricht darauf mit seiner Frau, und sucht sie zu überzeugen, daß ihr Neffe mehr werth sey, als ihr Schwiegersohn und daß er ihnen als Blutsverwandter näher stehe. Diese gibt nach, und wünscht eine Versöhnung, welche auch, da ihr Neffe zu dem Grabe zurückkehrt, [738] wirklich erfolgt. Bald darauf erscheinen, mit einem großen Gefolge, der Schwiegersohn und die Tochter; beide werden aber mit Vorwürfen überhäuft, daß sie so lange ihre Pflicht vergessen haben, und der alte Mann erklärt ihnen, daß sie ihm nie wieder über die Schwelle treten dürfen. Indessen erbitten sie sich, an dem Geburtstag des Vaters, die Erlaubniß, ihm Glück wünschen zu dürfen, und bei dieser Gelegenheit bringt die Tochter, zu der ausgelassensten Freude des Alten, plötzlich seinen mit der zweiten Frau erzeugten, jetzt ungefähr dreijährigen, Sohn zum Vorschein. Mutter und Sohn sind so lange von ihr verborgen gehalten worden, um sie vor dem Neide des verbrecherischen Schwiegersohnes zu schützen; die Tochter wird jetzt von diesem geschieden, und wieder in das Haus ihrer Eltern aufgenommen, und der Alte theilt sein Vermögen noch einmal, indem er ein Drittel seinem Neffen, eines seiner Tochter, und das letzte seinem Sohn bestimmt. Das Stück schließt mit Ausdrücken der Freude über das glückliche Ereigniß, daß der gottesfürchtige Greis mit einem „Erben im hohen Alter“ gesegnet worden sey.

Die Acte und einzelnen Scenen sind ebenso abgetheilt wie in europäischen Dramen. Einem jeden Stück geht der Prolog voraus, in dem die Hauptpersonen erzählen, wer sie sind, und die Zuschauer von den zum Verständniß der Handlung nöthigen Umständen in Kenntniß setzen. Der Dialog der Komödie wird im gewöhnlichen Gesprächston vorgetragen, wie dieß auch bei den Römern und Griechen der Fall war; in tragischen Stücken aber wird die Stimme erhoben, und der Vers auf ähnliche Weise gesungen, wie das Recitativ in der italienischen Oper. Heftige Gefühle und Leidenschaften, Freude und Leid, Haß, Liebe und Rache u. s. w. werden lyrisch in Arien ausgedrückt und von rauschender Musik begleitet. Der Sänger steht in diesem Falle im Hintergrunde der Bühne. [14]

[745]
Sie-Tsze oder Vorspiel.

Scene: Haus des Alten. Luh-tsung-tscheu, seine Frau, Schang-lang, sein Schwiegersohn, und Yinsun treten auf. Luh-tsung-tscheu schreitet in den Vordergrund der Bühne vor und spricht:

     Ich bin ein Bürger von Tung-ping-fuh; mein Familiennahme ist Luh, mein Name Tsung-scheu. Ich bin 60 Jahre alt, meine Frau 58, meine Tochter, Yin-schang, 27, und ihr Mann, Schang-lang, 30. Ich hatte einen Bruder, er hieß Luh-tsung-taou, dessen einziger Sohn in der Kindheit Yin-sun genannt wurde. (Er seufzt) Das Kind hat ein sehr unglückliches Schicksal! – Mein Bruder starb jung und ließ eine Wittwe zurück. Sie und meine Frau konnten sich nicht mit einander vertragen, sie wünschte deshalb, ihre Trauerzeit mit ihrem Sohne bei ihren Eltern zuzubringen. Von ihrer Familie meinte sie ihren Unterhalt zu bekommen, und durch ihrer Hände Arbeit Etwas für ihres Sohnes Erziehung zu verdienen. Kurze Zeit nachher starb sie plötzlich und hinterließ ihren Sohn als Waise. Seine Verwandten sagten zu ihm: „Was willst du hier machen, Kind? Hast du nicht einen Jedermann wohlbekannten Oheim in Tung-ping-fuh? Warum gehst du nicht zu ihm?“ Sie gaben ihm eine kleine Summe Geldes auf die Reise. Er kam nach Tung-ping-fuh, suchte mich auf und brachte die Gebeine seiner Mutter[15] mit sich. Ich habe sie beigesetzt, wo auch die meines Bruders ruhen. Dieser junge Mann ist nun 25 Jahr alt. Ach, meine Frau kann das Mißverständniß mit seiner Mutter nicht vergessen. Sie peinigt ihn bei der unbedeutendsten Veranlassung und läßt ihn nicht selten schlagen. Sogar über die Seufzer meines Neffen erboßt sie sich. –

     Die Frau. (Tritt hinzu) Was sagst Du da? – Ich erboße mich über die Seufzer meines Neffen?

     Luh. Ach, bekümmere Dich nicht um mich! – Ich habe für mich allein gesprochen: – mache uns nicht zum Gelächter der Leute auf der Straße! – (Zu seinem Neffen:) Yinsun, Du hast Verstand genug, um einsehen zu können, was ich leider erfahren muß, daß Du in meinem Hause nicht bleiben kannst! Ich habe zwei gute Landhäuser. Eines davon soll für Dich eingerichtet werden.

     Die Frau. Ich will die Hütten selbst behalten; meine Esel sollen darin stehen. So schaltet man nicht mit meinem Eigenthum!

     Luh. Wozu brauchst Du Esel?

     Die Frau. Wozu ich Esel brauche? Ich brauche sie, daß sie mir mein Feld bestellen, daß sie mir mein Korn austreten, daß sie mir Getraide holen, und auch um selbst auf ihnen zu reiten. Nun also brauche ich keine Esel? – Aber gieb dem Bengel meinetwegen die eine Hütte.

     Luh. Gut, ich gehorche. – Schanglang, zähle zweihundert Unzen Silber ab und gieb sie Yinsun.

     Schang. Sehr wohl.

     Die Frau. Was! Sind wir ihm Geld schuldig? Er bekommt keine zweihundert Unzen. Ich will haben, daß er nicht mehr als einhundert bekommt.

     Luh. Ich muß Dir gehorchen. (Zu Schanglang:) Also einhundert.

     Schang. Gut, er erhält ein hundert Unzen Silber. (Bei Seite) Er ist kein großer Rechenmeister, ich will zwanzig für mich behalten. Armer Yinsun, Du kommst doch im Leben zu Nichts. Es wird nicht lange dauern, so ist Dein Geld aufgezehrt. (Er gibt ihm das Geld.)

     Luh. Jetzt hast Du Geld; halte Haus damit, Yinsun, und denke nach, wie Du Dir damit selbst ein Eigenthum erwerben kannst.

Yinsun, (allein.)

     Mein Oheim hätte mir zweihundert Unzen Silber gegeben, aber meine Tante ist Schuld, daß ich nicht mehr als hundert bekommen habe. Schang-lang hat sie mir auszahlen sollen, aber ich habe gesehen, daß er Geld für sich behalten hat. Ich will noch einmal zählen. Sechzig Unzen, siebenzig Unzen – achzig Unzen; – ich habe nicht mehr als achzig Unzen! – Ich will ihnen nach, und mit meinem Oheim reden.

Yinsun, Luh-Tsung-scheu, die Frau, Schlanglang.

     Die Frau. Was? – Untersteht Ihr Euch, das Geld auszuschlagen? Gut, wenn Ihr so reich seyd, gebt mir’s wieder.

     Yin. Ich wollte nur meinen Oheim fragen, wie viel Geld er befohlen hat, mir zu geben.

     Luh. Mein Befehl war auf hundert Unzen.

     Yin. Ich habe nicht mehr als achzig erhalten.

[746]      Luh. Schanglang, Ihr waret angewiesen, dem Yinsun hundert Unzen auszuzahlen, wie kommt es, daß Ihr ihm nicht mehr als achzig gegeben habt? – Habt Ihr zwanzig für Euch behalten?

     Schanglang. Vater, ich habe ihm hundert Unzen gegeben.

     Yin. Hier ist das Geld; zählt es!

     Schanglang. Gebt mir es, ich will’s zählen. – Siebenzig Unzen – achzig Unzen; (er schüttelt das Fehlende aus dem Aermel) – ist das Geld nicht da? Ihr habt Euch um zwanzig Unzen verrechnet.

     Yin. Nein, Schanglang, Ihr müßt Euch verrechnet haben; ihr habt eben die fehlenden zwanzig aus dem Aermel geschüttelt. Doch, ich verlasse jetzt Eure Schwelle, und wenn ich auch vor Hunger und Kälte sterben sollte, so will ich sie doch niemals mehr betreten.

Yinsun (allein.)

     Mein Oheim wäre um meines Vaters Willen nicht abgeneigt, für mich zu sorgen, aber meine Tante ist zu sehr für ihren Schwiegersohn Schanglang eingenommen. Er, dem es so wohl geht, heißt Schang und gehört einer fremden Familie an, – ich, der ich leiden muß, heiße Luh und bin aus der ihrigen. – Ach, Yinsun, warum sprichst du von der Bosheit Anderer, während du dein eigenes unseliges Schicksal beweinen solltest?

Ich schau empor und seufze sehr,
Und neige das Auge thränenschwer.
Man hegt und pflegt den Unbekannten,
Und stößt hinweg den Blutsverwandten! –

 (Ab.)

Luh-tsung-scheu (allein.)

     So! Yinsun ist fort. Ich hatte die Absicht mein Vermögen zwischen ihm und meiner Tochter in gleiche Theile zu theilen; denn ich denke, wenn der Mann ein Alter von acht mal acht oder 64 Jahren, und die Frau ein Alter von sieben mal sieben oder 49 Jahren erreicht haben, so dürfen sie nicht mehr an Kinder denken; und ich brauche nur noch 4 Jahre, um so alt zu seyn. Indessen Seaumei ist schwanger, aber wer will entscheiden, ob mit einem Knaben oder mit einem Mädchen? – Ich fürchte, daß meine Familie nach meinem Vermögen trachtet, und deshalb ihre Gesinnung gegen sie ändert. Ich will sie also mit meinem Willen bekannt machen. – Schanglang!

Luh-Tsung-scheu, seine Frau, Tochter, Schanglang, Seaumei.

     Die Frau. Jetzt erst, da Dein Neffe fort ist, bekümmerst Du Dich um Deinen Schwiegersohn.

     Luh. Wißt Ihr schon, was ich zu ihm sagen will?

     Die Frau. Ich nicht; was wollt Ihr sagen?

     Luh. Schanglang, es ist bereits 10 Jahr, daß Ihr mein Schwiegersohn seyd. Ich und meine Frau sind alt geworden, ohne daß wir einen Sohn haben. Könntet Ihr uns wohl allein lassen? – Wohnet in Zukunft bei uns!

     Die Frau. Kinder, bedankt Euch bei euerm Vater.

     Luh. Du siehst, Frau, sie sind sehr zufrieden. – Schanglang, bringe mir die Rechnungsbücher, worin meine ausstehenden Schulden verzeichnet sind, ich will sehen, wie hoch sich die Summe beläuft.

     Schang. Hier ist das Buch, Herr!

     Luh. Seaumei, bring mir eine Kohlenpfanne.

     Seaumei. Hier ist die Kohlenpfanne.

     Luh. (Er wirft einige von den Schuldscheinen ins Feuer.) So verbrenn’ und zerstör’ ich Alles. (Schlanglang greift ins Feuer, um die Papiere zu retten.) So? Fürchtet Ihr Euch nicht vor dem Feuer? – Was will der Narr mit den Papieren?

     Die Frau. Wenn ich bedenke, daß Deine Handelspläne in jüngeren Tagen Dich an das äußerste südliche und nördliche Ende der Welt getrieben haben, daß Du bald in Böten auf den Canälen, bald zu Pferde über Land geeilt bist, daß Du über Ströme, ja über die See gefahren bist, und Geld ausgeliehen hast, für welches Dir diese Scheine gegeben worden sind; wie kommt es, daß Du Dir jetzt so wenig daraus machst?

     Luh. Ich habe nicht nöthig, so kleine Summen ängstlich zu berechnen; weißt Du nicht, daß ich hunderttausend Unzen Silber im Vermögen habe?

     Die Frau. Ja, und noch mehr.

     Luh. Ich nehme jetzt mein Geld, theile es in gleiche Theile und will die eine Hälfte Euch, meine Kinder, geben; die andere Hälfte erhältst Du, Frau.

     Die Frau. Kinder, bedankt Euch bei Euerm Vater.

     Schanglang. Vater, wir danken Euch.

     Luh. Du siehst, sie sind sehr zufrieden. Frau, halte wohl Haus mit der einen Hälfte. Jeder Mensch in Tung-Ping-Fuh sagt von mir: „der alte Bursch ist reich, und weiß nicht, was er damit anfangen soll; er kann mit Niemand theilen, er ist ein armseliger Sclav.“ – Jetzt will ich mein Geld genießen, und ein paar lustige Jahre mit meinen Freunden zusammen leben.

     Die Frau. Das ist recht, Mann, das ist recht.

     Luh. Ich will ein paar Tage in meinem Landhause wohnen.

     Frau. Ich will den Befehl geben, Dir ein Pferd herzurichten. – Wenn Du nicht zu Hause bist, brauchst Du Dich nicht um die Wirthschaft zu kümmern; wenn ich nur da bin, kannst Du außer Sorgen seyn.

     Luh. Ich hab’ ein Wort mit Dir zu sprechen, Frau; soll ich reden?

     Frau. Es mag seyn, was es will, sprich!

     Luh. Dann hoffe ich bald von Dir ein Glückwunschschreiben zu erhalten. Womit vergleich’ ich doch Seaumei? Wenn ich einen Kahn von meinem Nachbar leihe, um Wein nach Hause zu holen, so behalte ich ihn, bis ich den Wein habe, dann stelle ich den Kahn seinem Eigenthümer zurück. Seaumei ist jetzt schwanger. Ob sie einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt bringt, so das Kind dein Eigenthum. Dann kannst Du sie aus Deinem Dienst entlassen oder behalten, wie es Dir am Besten gefällt; das steht ganz bei Dir.

     Die Frau. Du hast Recht, Mann!

     Luh. Frau!

     Die Frau. Was hast Du noch zu sagen?

     Luh. Das Mädchen, die Seaumei, ist manchmal naseweis gegen Dich gewesen, ich fürchte, daß sie nicht anders werden wird. Aber wenn sie Strafe verdient, [747] so thu ihr, mir zu Liebe, Nichts, als daß Du sie auszankst.

     Die Frau. Es thut nicht noth, daß Du mir diese Lehren giebst: ich kenne meine Pflicht.

     Luh. Ich will Dir nur noch sagen, nämlich was Seaumei betrifft, daß wenn sie Dir nicht gehorchen will, Du sie auszanken kannst, so viel Du Lust hast.

     Die Frau. Laß das gut seyn; ich weiß, was ich zu thun habe.

     Luh. Frau!

     Die Frau. Nun, noch mehr, was Seaumei betrifft?

     Luh. Gut, gut; es ist genug.

     Die Frau. Was war der Grund, daß Du die Schuldscheine alle verbrannt hast?

     Luh. Ach, das weißt Du nicht, ich habe meinen guten Grund.

 (Singt.)

Du fragst, warum mit rascher Hand
Ich einen ganzen Schatz verbrannt?
Warum? als, sträfliches Erkühnen,
Bevor’s zu spät ist, abzusühnen.

Wohl sechzig Jahr hab’ ich gestrebt
Nach Geld und ohne Sohn gelebt;
Vielleicht, daß jetzt, bei meiner Reue,
Der Himmel mir ein Kind verleihe.

Frau, womit soll ich mich vergleichen?

Sieh dort die graubemooste Linde,
Die dürren Aeste knarr’n im Winde,
Schau, von der Wurzel treibt durch’s Moos
Aus weichem Grund ein neuer Schoß.

Aber die Seaumei, – nicht wahr Frau, Ihr werdet sie nicht grausam behandeln? – wem gleicht sie?

Die Blume grünt am klaren Teich,
Die Welle bespühlt die Wurzel gleich!
Sie neigt das Haupt – sie beugt sich nieder;
Und badet frischer ihre Glieder.

Versprecht mir Frau, daß Ihr sie nicht mit heißem Wasser begießen wollt!

     Die Frau. Alles, Alles! – Sohn, begleitet Euern Vater!

 (Alle ab.)

  1. Vergl. einen kurzen Aufsatz über das chinesische Theater im Ausland, Nr. 88.
  2. Mem. Chin. Tom. VIII. pag. 237.
  3. Der Ort, wo vor alten Zeiten die Behörden dem versammelten Volke gute Lehren gaben.
  4. Ein Beweis, daß die Priester anfangs sich der poetischen Form bedienten, um ihre Lehren dem Volke mitzutheilen
  5. Mém. Chin. Tom. VIII. p. 127.
  6. Vergl. Oriental Herald, March 1828 p. 468.
  7. Harris’s Voyages, Vol. 2 p. 139.
  8. Bell’s Travels from Petersburgh, p. 288.
  9. Ibid. 310.
  10. Life of the Earl of Macartney, Vol. 2.
  11. Barrow’s Travels in China, p. 216.
  12. Voyage à Pekin, Vol. 1 p. 421.
  13. Travels in Chine, p. 222.
  14. Da weder von der „Waise von Chao,“ noch von „dem Erben im hohen Alter“ eine deutsche Uebersetzung vorhanden ist, so werden wir unsern Lesern zur Probe einige Scenen aus dem letzteren Stück mittheilen.
  15. Die Gräber seiner Familie verlassen ist bei den Chinesen eines der größten Verbrechen, dessen man sich schuldig machen kann. Ein Fremder in China erstaunt über die Menge der an den Ufern der Kanäle oder Flüsse liegenden Särge, welche mit andern Mobilien von Familien, die ihre Wohnsitze veränderten, fortgeführt wurden. Durch den von dem alten Mann in unserem Drama berührten Umstand wird als Yinsun gleich im Eingange also ein frommer, gottesfürchtiger Sohn bezeichnet.