Zum Inhalt springen

Das dankbare Vaterland

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das dankbare Vaterland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 676–677
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[676] „Das dankbare Vaterland“. Eine Erscheinung, welche ehedem nach großen Kriegen Landstraßen und Marktplätze und die Ecken der Kreuzwege wie eine berechtigte Eigenthümlichkeit besetzt und belagert hielt, die der Kriegs-Krüppel und Invaliden mit der Drehorgel, ist unserem großen „letzten Krieg um den Rhein“ nicht nachgefolgt. Man muß anerkennen, daß im Vergleich mit früheren Zeiten sich auch bei uns in dieser Hinsicht Vieles gebessert hat. Die Mittel dazu waren allerdings vorhanden; der besiegte Gegner hat sie selbst beschaffen müssen, und zwar in noch nie dagewesener Ausgiebigkeit.

Wenn wir den der Zeit nach so kurzen, aber den Kämpfen, Anstrengungen, Opfern an Gesundheit und Leben und weltwichtigen Erfolgen nach so ungeheuren Krieg bedenken, so muß uns der Gedanke wohlthun, daß den unerhörten Leistungen des „Volkes in Waffen“ nun auch die Mittel entsprechen, um den Einzelnen, die Brod oder Gesundheit, und den Familien, die den Ernährer verloren haben, den für das Vaterland erlittenen Verlust nicht zu dauerndem Nachtheil oder gar zum Unglück werden zu lassen.

Im großen Ganzen ist dies gewiß nach Menschenmöglichkeit geschehen. Wenn dennoch Ausnahmen an den Tag treten, deren Klagen bis an die Presse herandringen, so darf man ja wohl wünschen, daß, dem Rechtsgefühle des Volkes zu Liebe, deren Erhörung und Beachtung an rechter Stelle stattfinden möge. Von den der Redaktion der „Gartenlaube“ in den letzten Jahren zugegangenen Hülferufen von Kriegs-Invaliden mögen nur die folgenden drei als Beispiele für alle übrigen Fälle hier dargelegt werden. Namen nennen wir öffentlich nicht, aber befugter Nachfrage stehen sie jeden Augenblick zu Gebote.

Ein Westpreuße war, als Dreijährig-Freiwilliger, 1864 in sein Regiment eingetreten, hatte 1866 als Unterofficier den Feldzug gegen Oesterreich mitgemacht und bei Trautenau, Königsgrätz und Tobitschau mitgekämpft. Er gehörte zu der Schaar, welche bei Trautenau noch am späten Abend, allein den Rückzug des ersten Armeecorps deckend, die wüthenden Bajonnettangriffe der siebenbürgischen Jäger auf die Capellenhöhe zurückschlug, sodaß die tapferen Siebenbürger nicht zu folgen wagten, als der kleine Haufe endlich, die zerschossene Fahne hoch und stolz in der Mitte, langsam den Rückzug über die Aupa antrat. – Unverwundet, nur an Uniform und Ausrüstung die deutlichsten Spuren der feindlichen Geschosse zeigend, war er aus all diesen Kämpfen hervorgegangen, aber im Bivouak vor Olmütz warfen Cholera und später Typhus ihn auf’s Krankenlager, von dem er erst nach Monaten wieder dienstfähig erstand.

Derselbe Mann focht auch 1870 mit, erwarb sich am 14. August vor [677] Metz das Eiserne Kreuz, avancirte in der Schlacht von Noisseville (31. August und 1. September) zum Feldwebel seiner Compagnie und wohnte noch einigen Ausfallsgefechten während der Cernirung von Metz bei. – In den Bivouaken vor Metz zog er sich einen Rheumatismus zu, der ihn in’s Lazareth gezwungen hätte, wenn er nicht der Compagnie zu Liebe, die nur noch einen einzigen Officier und eine unzureichende Anzahl von Unterofficieren hatte, alle Schmerzen überbissen hätte. Dies setzte er auch nach der Heim- und Rückkehr in die Garnison fort, bis er endlich, nach mehrwöchentlicher Behandlung im Lazareth und nach achtjähriger Dienstzeit ohne Invaliden-Beneficien entlassen wurde. Diese Anerkennung als Invalide und die damit verbundene Anstellungsberechtigung für den Subalterndienst hat er auch, trotz aller Schritte und Bitten durch alle Instanzen, bis jetzt noch nicht zu erlangen vermocht. Die jeden Augenblick kündbare und nicht pensionsberechtigte Stellung als Diätarius bei einer städtischen Polizeiverwaltung mit zweieinhalb Mark Tageseinnahme ist Alles, was bis jetzt ein Mann zu erlangen vermochte, der zwei Feldzüge mitgemacht und sich das Eiserne Kreuz, die Stellung als Feldwebel und ehrende Zeugnisse erworben hat. Vielleicht findet unter den Lesern dieses Blattes sich Jemand, der dem um das Vaterland verdienten Manne eine bessere und sicherere Stellung verschaffen oder an maßgebender Stelle ein gutes, wirksames Wort für ihn einlegen kann.

Noch trauriger ist das Loos eines pommerschen Lehrers. Er hat nach dem Zeugnisse seines Garde-Regiments-Commandeurs den ganzen französischen Krieg und in diesem die Schlachten von St. Privat, Beaumont und Sedan und während der Cernirung von Paris die beiden blutigen Gefechte von Le Bourget und die Vorpostengefechte von Pierresitte und Stains und bei Dugny mitgemacht. Nachdem er mit seinem Regimente dem Siegereinzug in Berlin beigewohnt, wurden die Reservisten, zu denen auch er gehörte, entlassen, vorher aber gefragt, ob sie gesund seien. Diejenigen, welche dies bejahten, mußten eine schriftliche Erklärung darüber ausstellen. Unser Mann brachte aus dem Feldzuge den Keim zu einem Brustleiden mit heim, den er wohl fühlte. aber eines Theils für ein vorübergehendes Uebel hielt, das der Ruhe des Friedens bald weichen werde, theils seiner Berufszukunft wegen glaubte verschweigen zu müssen. Nach den allgemeinen Bestimmungen vom 15. October 1842 muß nämlich jeder Lehramts-Examinand einen Nachweis über seinen körperlichen Gesundheitszustand führen; einen Lungenkranken würde jede Schulbehörde zurückgewiesen haben. Er hatte aber schon vor seiner Einberufung als Lehrer gewirkt und trat auch sofort, einstweilen als Adjunct, wieder in Thätigkeit. Die Anstrengungen in der Schule förderten aber die rasche Ausbildung des Leidens, und das Uebel wurde endlich so arg, daß er im September 1874 sein Amt aufgeben mußte. Verwandte nahmen ihn anderthalb Jahre in Pflege, allein ohne Erfolg – und so kam er denn endlich, im December 1875, um die Gewährung der Invalidenwohlthaten ein. Da er nun aber auch noch die für solche Meldungen gestellte letzte Frist – den 20. Mai 1875 – nicht gekannt und versäumt hatte, so sind alle seine Schritte um diese Wohlthat vergeblich gewesen. Er wurde erst nicht erklärter Invalid, um Lehrer bleiben zu können, und nun ist er weder Lehrer noch Invalid, sondern ein armer unglücklicher Mann, ein Opfer des „dankbaren Vaterlandes“. Wer hilft ihm?

Das dritte Beispiel führt uns den möglichen Ausfall der Invaliden-Wohlthaten vor. Ein Reservist aus der Frankfurter Maingegend wurde am 14. August bei Metz durch die linke Kniekehle geschossen. Von der schweren Verwundung in der Heimath geheilt, kehrte er zu seiner Truppe zurück, kam zwar nicht wieder in’s Gefecht, mußte aber, da durch das Exerciren seine Wunde wieder ausbrach, auf sein Gesuch und ärztliche Untersuchung zum Invaliden erklärt werden und wurde endlich als Ganzinvalide mit monatlich fünf Thaler Pension und dem Civilversorgungsschein aus der Armee entlassen. – Auf Grund dieses Scheines reichte der nunmehrige Ganzinvalide mehrere Anstellungsgesuche ein, erhielt aber entweder den Bescheid, daß man ihn eben als Ganzinvaliden nicht brauchen könne, oder im günstigsten Falle den: man habe ihn als Anwärter notirt, aber allerdings hinter einer großen Anzahl Anderer; bis diese angestellt seien, müsse er warten. Warten! Mit fünf Thaler! Darin liegt eine beachtenswerte Härte. Schwere Arbeiten kann der Invalide wegen seiner Verwundung nicht verrichten; von den fünf Thalern kann er nicht leben – was bleibt ihm übrig, als schließlich doch noch der Leierkasten?

„Die Sieger aus den Schlachtentagen,
Die soll das Vaterland zum Dank
Zeitlebens auf den Händen tragen“ –

hieß es in der Begeisterung von 1870. Und jetzt? Mit fünf Thaler warten, – und warten ohne Garantie dafür, daß die anstellenden Behörden vor allen Bewerbern den Militär-Anwärter aus der Kriegszeit gebührend zu bevorzugen haben. So lange nicht diese ehemalige Geltung der Civilversorgungsscheine wieder eingeführt ist, so lange wird das traurige Loos der Invaliden kein besseres, so lange wird aber auch die Armee an erprobten Unterofficieren steigenden Mangel leiden, weil für die Zukunft des Invalidgewordenen nicht genug gesorgt ist. Die Militär-Vacanzen-Listen entsprechen ihrem Zwecke nicht, weil sie in der Regel zu spät in die Hände der Stellensuchenden gelangen. Außerdem kostet das Stellensuchen meistens mehr Geld und Zeit, als die armen Halb- und Ganzinvaliden aufzuwenden haben.

Sollte die Beschränkung der ehemaligen Vorzüge der Civilversorgungsscheine im Interesse des Civildienstes geschehen sein, dann hätte jedenfalls der Staat die Pflicht, für die Zukunft von Männern, die im Dienste für das Vaterland die volle Arbeitsfähigkeit verloren haben, in anderer, aber genügender Weise zu sorgen. Das sind Klagen und Wünsche nicht weniger Invaliden aus dem großen Kriege, die doch endlich einmal ausgesprochen werden müssen. Vielleicht findet sich ein Anwalt für sie am rechten Orte. – Wer aber diesem dritten Manne, einem jungen, kräftig und schön gebauten Invaliden, eine Stelle verschaffen will, die ihm nicht starkes Laufen zumuthet, erfährt von uns das Weitere.

Wahrlich nicht, um unser Vaterland gegen das Ausland herabzusetzen, sondern einfach des belehrenden Vergleichs wegen, stellen wir neben unsere drei deutschen ein paar amerikanische Beispiele von der Behandlung der Wittwen und Waisen des dortigen Bürgerkriegs. Es betraf zwei Deutsch-Amerikaner. Eine Frau S. L. verlor ihren Gatten, der unter dem General B. J. Sweet gefochten, im Jahre 1864. Die gesetzliche Pension für sie und ihre zwei Kinder und die Zinsen eines kleinen Capitals mußten ihr genügen, in Zurückgezogenheit und auf bescheidenstem Fuße der Erziehung ihrer Kinder zu leben. Aber schon nach einem Jahre war es dem General gelungen, die Tüchtigkeit und Verdienste, welche er dem gefallenen Manne nachzurühmen hatte, an der Frau und den Kindern zu belohnen. Die schlichte, aber gebildete deutsche Frau wurde vom „Post Office Department“ in Washington zum Postmeister einer kleinen, aber frisch aufblühenden Ortschaft ernannt, dadurch in behagliche Verhältnisse und die Möglichkeit versetzt, die Waisen eines tapfern Kriegers seiner würdig zu erziehen.

Daß auch in Amerika in dieser Unterstützungsverwaltung nicht Alles so glatt abgeht, sondern daß die Wohlthat des Gesetzes vom 25. Juli 1866, welches allen Wittwen und Waisen der gefallenen Helden wenigstens den notwendigsten Lebensunterhalt (der Wittwe jährlich sechsundneunzig Dollars, für jedes Kind bis zu dessen siebzehntem Jahre vierundzwanzig Dollars, zusichert, bisweilen mit aller Energie erst erkämpft werden muß, dafür zeugt ein anderes Beispiel. Im Jahre 1865 fiel ein deutsch-amerikanischer Soldat, welcher eine Wittwe mit vier Kindern hinterließ. Die Pensionsertheilung war jedoch vom Nachweis des Todestags des Gefallenen abhängig, und diesen vermochte die Wittwe nicht zu liefern. Sie kehrte mit den Kindern in die deutsche Heimath (Rheinpfalz) zurück und hatte wohl die Hoffnung auf die amerikanische Hülfe schon aufgegeben als sie, als Gruß zur Weihnacht des vorigen Jahres, vom General-Consul A. Schücking in New-York die Freudenbotschaft erhielt, daß es ihm nach achtjähriger Bemühung gelungen sei, ein Pensionsdecret für sie und ihre Kinder zu erlangen. Da als Todestag des Mannes der 8. März 1865 angenommen worden war, so betrug die rückständige Pension nahe an zweitausend Dollars, die der Familie ausgezahlt wurden, und die Frau genießt ihre Pension in ihrer Heimath, so lange sie lebt.

Wir wiederholen, daß dieser Vergleich nicht mit der Absicht gezogen wurde, das Fremde über das Heimische zu erheben. Wenn derselbe aber dazu beitragen sollte, daß das Loos unserer Invaliden und der Hinterbliebenen unserer gefallenen Helden wieder mit wärmerer Theilnahme betrachtet und künftig kein Sedanfest gefeiert werde, ohne vor Allem ihnen zu Gute zu kommen, so wollen wir dafür die Anzweifelung unseres Patriotismus uns gern gefallen lassen.