Zum Inhalt springen

Das deutsche Damaskus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das deutsche Damaskus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 484–487
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Waffenproduktion in Suhl
hierzu Kleiner Briefkasten in Heft 46
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[484]
Das deutsche Damaskus.[1]


Nachdem die „kriegerischen Berichterstatter“ der Gartenlaube heimgekehrt waren, zogen die friedlichen Apostel derselben wieder aus, um das Auge zu weiden an den neuen Saaten, die der deutsche Frühling brachte. Auch ich hatte mein Bündel geschnürt. Die mir angewiesene Route führte über den Thüringer Wald nach Süden, und die präcise Ordre der Redaction der Gartenlaube ließ mir also keinen Zweifel darüber, daß ich über Suhl und Schleusingen zu gehen und mich nicht hinten herum zu drücken hatte, wie die meisten Touristen, namentlich die Berliner, die bis zur Schmücke vordringen, da Forellen essen und dann umkehren, um über Gotha und Eisenach durch’s Werrathal zu dampfen, weshalb sie eben das Herz des Waldes und die Gegend, wo im Mittelalter ein gut Theil seiner Geschichte gemacht wurde, wenig kennen lernen.

Oberhof war meine höchste Etappe. Hier ließ einst Ernst der Fromme Geleitsgeld erheben, von einem „reitenden Jüden 6 Gr.“, vom „gehenden Jüden 3 Gr.“, und als dagegen remonstrirt wurde, „von jedem Jüden ohne Unterschied 10 Gr. 6 Pf.“ – Jetzt kommt Jude und Christ ohne des Frommen Geleite den Berg viel sicherer und schneller hinunter nach Zella St. Blasii, einem gothaischen Grenzstädtchen mit bedeutenden Kurzwaarenfabriken, welches namentlich eine enorme Menge Terzerole, immer hübsch blau gemacht, mit Goldgrund, geätzt etc., in alle Welt vertreibt.

Nur eine Stunde von Zella entfernt liegt Suhl. Nach Ueberwindung einer mäßigen Anhöhe geht es thalein. Zur Rechten erstrecken sich üppig grüne Wiesen, welche in hastiger Eile vom klarsten Gebirgsbach durchzogen werden. Ja, er hat Eile, denn kaum ist er dem immergrünen Moosteppich des Waldes entlaufen und nur eben von der Sonne beschienen, so legt man ihm auch schon alle möglichen Hindernisse in den Weg, Gewerk an Gewerk, Bohrmühlen, Schleifmühlen etc. Sie alle muß er treiben, soll man ihm nicht seinen Todfeind, das Feuer, auf den Hals schicken, damit er, der Freie, Dienste in rußiger Dampfmaschine leiste. – Kräftig rauscht das Wasser gegen die Schaufeln, und wenn sich das große Rad auch nur widerhaarig, langsam umwälzt, drinnen im Gewerk äußert sich die Wirkung seines stetigen Stoßes um so lebhafter. Nach altdeutschem Brauch werden hier fast noch alle von Wasser in Bewegung gesetzten Triebwerke Mühlen genannt. Wir stehen vor einer Ausnahme, einem Rohrhammer. Der gleichmäßige kräftige Schlag der Hämmer gehört mit zu den charakteristischen Tönen des Waldgebirges und heimelt uns um so mehr an, je mehr er leider durch das Eingehen der Eisenproduction verstummt. Im Rohrhammer werden heute Damastläufe geschmiedet, ein interessanter Fabrikzweig, den ich in einem spätern Artikel schildern werde.

Doch nun hinein nach Suhl, in die offene freundliche Gebirgsstadt, die alte „Rüst- und Waffenkammer des heil. römischen Reichs“, in ganz Europa, in allen Erdtheilen bekannt. Die Grafen von Henneberg nannten sie noch 1427 unser „Dorff zu Sull“, 1445 den „Flecken zu Sula“, und versahen sie erst 1527 mit Stadtrechten. Im Jahre 1634 ließ Graf Isolani die wehrlose Stadt plündern und niederbrennen, weshalb man hier keine wirklich alten Häuser sieht. Aber welch einen Marktplatz und welch ein Bild hat der Tourist von den Fenstern des stattlichen Gasthofes „Zum deutschen Haus“ aus vor sich! Gerade rings um Suhl herum, nahe an der Grenze von Ostfranken, entfaltet Thüringen noch einmal, wenn auch auf engem Raume zusammengedrängt, alle seine Reize in größtem Maßstabe: hier ist der Wald am grünsten, hier sprudeln die Quellen, rauschen die Bäche am reichsten, hier zumal liegen die Lungen und ein gut Stück Herz [485] von Thüringen. Die Ihr das Laufen verlernt habt in den großen Städten, die Ihr mit einem Fuße ein wenig zu weit im Geisterreiche steht, die Ihr an jenem Heimweh leidet, welches keine Heimath kennt – hierher müßt Ihr kommen; hier seht einmal im „Deutschen Haus“ zum Fenster heraus, versenkt Eure müden Augen in die Wälder des Domberges, welche ein einziges Riesenbouquet bilden, vertieft Euch in dieses Grün von unbeschreiblicher Frische und träumt im Anblick der alten Ottiliencapelle, die dem schönen Bilde den Charakter der Ruhe, des Beständigen giebt. Hier werdet Ihr gesunden.

In Suhl zu sein, ohne von der bedeutenden Gewehrfabrikation Notiz zu nehmen, ist rein unmöglich, und je wichtiger dieser Erwerbszweig der alten Bergstadt im Lauf der Zeit geworden ist, um so mehr zieht es uns an, zuerst die Vergangenheit desselben zu betrachten.

Genau ist zwar nicht mehr festzustellen, wie weit die Suhler Waffenfabrikation zurückdatirt, aber eine Urkunde gedenkt schon 1499 der Panzerer, Plattner und Harnischschmiede, und Süddeutschland namentlich bezog viele Rüstungen (blanche und schwartze, glatte und geriffte Kuris, Helmlin, blanche lange Stiern zu den Pferden, stehlern Achßeln, faustkolbenn), Schwerter (Rappier, Spitzschwertt, lange wehr zu beiden feusten, Jagbloz [Waidmesser], Tolg), Armbrüste (mit eyben bogen und winden), Hellebarden (Knebelspies, Eisen zum Scharfrennen, Seuschwerter, Schweinspies) und Gewehre (schwarze fuhrbüchßen, verbeinte fuhrbüchßen mit Schwalben schwentzen, birschbuchsen), Musketenzünder etc.

Im Jahre 1563 gab der gefürstete Graf Georg Ernst den Schlossern, Büchsenmachern und Windenmachern die erste Innung. Die größten hier gebauten Doppelhaken waren gegen sechs Fuß lang, schossen sechszehn Loth Blei und wogen circa fünfundvierzig Pfund. Die kleineren Haken schossen eine Bleikugel von vier Loth, mußten aber immer noch durch eine drei und einen halben Fuß hohe Gabel unterstützt werden. Im sechszehnten Jahrhundert gingen die Suhlaischen Gewehre schon in die Schweiz (Basel, Zürich, Bern, Solothurn, Genf), nach Burgund, Belgien, Tirol, Venedig mit den ionischen Inseln, Ungarn, Siebenbürgen und in die österreichischen Lande. Die Kriege gegen die Türkei wurden meist mit Suhler Feuerwaffen geführt und das polnische Zeughaus in Krakau war angefüllt mit Suhler Gewehren, ebenso das in Wilna. Die Armee des Stephan Bathori führte Gewehre aus Suhl gegen die Moskowiter. Liefland, Preußen, Danzig wurden von hier aus mit Waffen versehen, und Dänemark erhielt auf einmal sechstausend Musketen, mit dem dänischen Reichswappen verziert. Auch nach England, Irland und Spanien gingen die Gewehre. Des drohenden Türkenkrieges wegen bestellte Kaiser Rudolph der Zweite viele Tausend Musketen und sandte Boten von Prag aus hierher mit „kaiserlichen Freibriefen“, auf Grund deren die Waffen von allen Durchgangszöllen befreit wurden. In den ersten Jahren des dreißigjährigen Krieges bezogen sowohl der Graf Ernst von Mansfeld, Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach, Herzog Christian von Braunschweig, der König Christian der Vierte von Dänemark wie Tilly und Wallenstein Suhler Waffen. Nach der Zerstörung Suhls durch Isolani wanderten viele Büchsenmacher aus; die kriegführenden Mächte sahen ein, wie wichtig es sei, die Waffen im eigenen Lande zu bauen, hatten auch alle Ursache genug, neue Gewerbszweige einzuführen, und von da ab entstanden nach und nach wohl die meisten deutschen Waffenfabriken. Sehr tolerant benahm sich der sächsische Hof bei Ausbruch des siebenjährigen Krieges, denn Preußen durfte von 1757 bis 1762 circa zwanzigtausend Gewehre in Suhl bauen lassen. Bald darauf bezog Sachsen selbst circa siebenundzwanzigtausend.

Bei Ausbruch der französischen Revolution waren die kleinen deutschen Fürsten fast gar nicht „mit Gewehr versehen“ und machten deshalb starke Bestellungen. Im Jahre 1804 wurden circa 16,000, 1805 circa 9000, 1815–1819 jährlich 12,000 Infanteriegewehre geliefert etc. Besonders reges Leben kam durch die Erfindung des Percussionsschlosses in die Fabrikation (1823), mehr noch aber durch die französische Juli- und die belgische Septemberrevolution. Preußen allein bestellte circa 23,000 Gewehre und Carabiner, 2000 Säbel, 4000 Lanzenspitzen, und die Regierung des Königreichs der Vereinigten Niederlande gegen 40,000 Gewehre, Büchsen, Pistolen, sowie eine bedeutende Anzahl einzelner Waffentheile, größtentheils für die ostindischen Colonien bestimmt. Die modernen Transportmittel, Eisenbahn und Dampfschiff, brachten Bestellungen aus allen Welttheilen, namentlich auch auf Galanteriegewehre. Der Naturforscher, der Afrikareisende würde mit nicht wenig Interesse die merkwürdigen, ungewöhnlich praktischen Jagdgewehre bewundern, die hier mitunter in den Comptoirs einiger Fabrikanten stehen, welche letztere selbst vielerfahrene Jäger sind: da eine auffallend lange Flinte für einen Lederstrumpf im fernen Westen Amerikas, dort eine dem Gesetz der Schwere allzu sehr nachgebende Büchse für einen Bärenjäger im hohen Norden etc. Erste Bedingung ist dabei: Alles muß im Feuer stürzen! Der Rückstoß mag dann freilich auch mitunter kolossal sein.

Mit Einführung der Hinterlader ließ Preußen die hiesigen Fabriken lange Zeit im Stich, indem es die Zündnadelgewehre theils bei dem hochverdienten Erfinder bauen ließ, statt sich durch eine angemessene Geldsumme in Besitz der Erfindung zu setzen, theils Staats- (königliche) Fabriken errichtete. Tüchtige Volkswirthe bestreiten die Rentabilität solcher Fabriken, der Fabrikant aber versichert, bessere Gewehre bauten dieselben auch nicht. Es ist nicht möglich, von den vierziger Jahren ab, die Leistungen der einzelnen großen Fabriken alle anzuführen, vielweniger die der anderen. Um aber ein herausgerissenes Blatt ihrer Geschichte zu geben, muß erwähnt werden, daß in jener Zeit allein die Fabrik von Spangenberg und Sauer für zweiundzwanzig Staaten über 200,000 neue Gewehre, Carabiner und Pistolen gebaut, nebenbei aber circa 128,000 Gewehre umgeändert hat, abgesehen von Gewehrtheilen. Rußland z. B. empfing 3,570 Schlösser zu Hinterladern. Ohne Suhler Gewehre ist kaum eine Schlacht geschlagen worden. Mit ihnen wurden auch die Bürgerkriege in Peru, Paraguay, Uruguay etc. geführt, und mit Suhler Zündnadelgewehren bewaffnet der deutsche Organisator und Instructeur Köppen die japanische Armee, während unter Anderen eben Baiern 30,000 Werdergewehre (ohne Systeme) erhalten hat, Holland 17,000 Beaumontgewehre bauen läßt und eine eigene Gewehr-Revisions-Commission in Suhl etablirte. Die neuen ausgezeichneten Revolver der preußischen Marine hat die Fabrik von E. Schmidt und Nöschel geliefert. Preußen läßt 8000 Pistolen bauen, Japan 4000 Zündnadelgewehre (letztere zum Theil in Zella).

Was nun die Fabrikation der Gewehre selbst betrifft, so kann ich mich, bei dem beschränkten Raum der Gartenlaube, speciell nur auf den wichtigsten Theil der Handfeuerwaffe, das Rohr, einlassen, in Bezug auf welches ein Correspondent der „Kölnischen Zeitung“ mit Recht sagt, daß es schließlich gleichgültig sei, ob der Schuß vermittelst einer mehr oder weniger complicirten, guten oder schlechten Mechanik, oder durch einen brennenden Fidibus abgefeuert wird. Eine eingehende Schilderung aller einzelnen Systemtheile müßte auch höchst trocken ausfallen und gehört in Fachwerke.

Bis in die neuere Zeit bestand ein Gewehr aus zwei Haupttheilen, dem Lauf, der die Ladung aufnimmt und zugleich dem Projectil die Direction giebt, und einem Feuerzeug (Schloß). Fast vier Jahrhunderte hindurch ergaben die Veränderungen der Schußwaffe, abgesehen von den Zügen, im Wesentlichen fast immer nur eine Verbesserung der Feuerzeuge. Diese führten dem Pulver das Feuer von der Seite her zu. Nach Erfindung der Hinterladungsgewehre legte man sehr bald die Zündmasse in die Patrone ein (Einheitspatrone). Da wurde das frühere Feuerzeug erst zum eigentlichen „Schloß“, denn mit dem Zündnadelgewehr wanderte dasselbe hinter den Lauf, in die Längenachse desselben, bildet seitdem einen Theil des „Verschlusses“, und die Entzündung erfolgt innerhalb der Patrone durch horizontalen Nadelstoß. Der Verschluß, aus lauter Cylindern bestehend, läßt zahllose Abänderungen zu, die sich denn auch ganz außerordentlich mehren, zum Schrecken der Fabrikanten, da sie immer neue Einrichtungen und mühsames Einarbeiten der Büchsenmacher, mehr Zeit und mehr Löhne erfordern.

Gegenwärtig beschäftigen sich sieben bis acht Fabriken mit dem Bau von Militärhandfeuerwaffen. Die bedeutendste und älteste derselben ist die der Firma Spangenberg und Sauer. Sie liegt am nordwestlichen Ende der Stadt, in der sogenannten Aue am Lauterfluß, hat bedeutende Wasserkraft und vereinigt deshalb an einem Orte alle Zweige der Fabrikation, namentlich auch die der Stahlrohre in einem ganzen Complex von zum Theil stattlichen [486] Gebäuden. Hier ist unser durchaus sachkundiger und gefälliger Führer der Herr Controleur, Revisor Löhlefink.

Im Rohrhammer dieser Fabrik kommen zu Militärgewehren nur noch Stahlrohre in Anwendung. Das Material, Rundstahl, neuerlich auch Quadratstahl, wird aus Westphalen bezogen. Rundstahl hat bereits die geringste zulässige Stärke. Der Hammerschmied giebt zunächst einem Ende des Stabes Feuer und staucht dies dann auf einer eisernen Platte vor dem Herd, damit es sich zum „Pulversack“ verstärkt. Hierauf macht er das ganze Rohr glühend, läßt es im „Hammerschlag“ abkühlen und liefert es dann an die Bohrmühle. Vierkantige Stäbe dagegen müssen erst unter dem Rohrhammer rundgeschmiedet werden, wobei sie sich zugleich strecken, ehe mit ihnen, wie angegeben, verfahren werden kann. Diese immer noch uneigentlich Rohre oder Läufe genannten Stahlstäbe machen drei Bohrungen durch: die erste Bohrung, die Rauhbohrung und die Glattbohrung. Bei der ersten Bohrung hat der Bohrer die Gestalt eines schräg abgeschnittenen Meißels.

Die glatt gebohrten Läufe werden äußerlich abgedreht, der Pulversack achtkantig gefraist, weshalb er von da ab „Achtkant“ heißt, und dann „gekolbt, innen geschmirgelt. Alle Militärläufe sind jetzt gezogene. Das Ziehen derselben geschieht nicht mehr aus freier Hand, sondern auf Ziehmaschinen. Der Rohrzieher setzt zwei Rohre in die Maschine ein, eins vor das andere, so daß sie genau in derselben Längenachse liegen. Die runden Ziehkolben (Ziehstangen) werden durch die Rohre gesteckt und führen an jedem Ende das kleine Werkzeug, den „Zahn“ oder „Haken“. Die Ziehkolben gehen langsam durch die Rohre hin und wieder zurück, wobei sie je nach dem bestimmten Drall sich drehen, wirken aber nicht gleichzeitig, vielmehr schneidet auf einem „Marsche“ nur ein Zahn, während der andere Zahn einen „todten Marsch“ macht und erst auf dem Rückgange zieht, so daß in der That auf einmal nur ein Zug in ein Rohr geschnitten wird. Die Läufe erhalten in der Regel vier Züge; so oft muß denn auch der Kolben anders gestellt werden und macht also im Ganzen vier Märsche tour und vier retour. An dem von dem Zahn ausgeschnittenen, auf allen vier Flächen blitzenden Spahn, welcher gerollt ist und gerade gerichtet ein elegantes Vierkant giebt, ersieht man schon, wie schön und sicher die Maschine arbeitet. Der Lauf zeigt innen vier Züge und vier Felder. Unser Führer bemerkt: „Züge werden eingeschnitten, die Felder bleiben stehen und geben das Caliber.“

Drall ist die schraubenförmige Windung der Züge. Auf drei Fuß Länge macht er gewöhnlich einen Umlauf, bei Polygonal-Zügen schon auf anderthalb Fuß, variirt überhaupt sehr, je nach den Ansichten der „Besteller“. Das walzenförmige Patronenlager wird wieder auf einer besonderen Maschine eingeschnitten, und auch diese Arbeit erfordert Fachkenntniß und ganz besondere Aufmerksamkeit. – Nachdem der Lauf garnirt, d. h. mit Visir, Korn, Haften etc. versehen worden ist, wird er „gefrischt“ und geschmirgelt. Frischen macht die Züge glatt, kommt mit den Wänden der Seele nicht in Berührung, während beim Schmirgeln Züge und Felder zugleich polirt werden.

Von jetzt ab nimmt wieder das Aeußere des Laufes unser Interesse in Anspruch, namentlich das Bruniren (Bräunen). Ein blitzender, blanker Lauf stört den Schützen im Zielen, außerdem ist der braune Lauf leichter rostfrei zu erhalten und wird also durch angreifende Putzmittel nicht so leicht abgenutzt oder beim Putzen verbogen. Das Bruniren geschieht durch Auftragen einer Mischung von salzsaurer Stahltinctur, Scheidewasser, blauem und grünem Vitriol, Galmei, Weingeist und Quecksilbersublimat. Wenn der Lauf trocken ist, wird er mittelst einer Drahtbürste vom Rost gereinigt, sobald die gewünschte Farbe vorhanden, mit heißem Wasser begossen, abgetrocknet und mit Oel abgewischt, welches Verfahren öfter wiederholt wird. Zuletzt erhält der Lauf wohl auch noch einen farblosen Lacküberzug (Benzoe in Spiritus aufgelöst), der viel Dauer hat.

Der Lauf, der wesentlichste Theil des Gewehres, wurde innerhalb des letzten Decenniums außerordentlich verbessert. Das Experimentiren geht immer fort und an Abschluß ist nicht zu denken. Tüchtige Büchsenmacher halten aber an gewissen, etwa den folgenden Grundsätzen fest, mit denen vielleicht manchem einfachen Jägersmann gedient ist:

Man hat früher viel zu viel Werth auf die Eisen- oder Wandstärke der Rohre gelegt und glaubte durch die Vermehrung derselben die Widerstandskraft zu steigern. Aber gerade dadurch wurden die Läufe weniger haltbar, und je kleiner das Caliber in gleich starkem Laufe, desto weniger haltbar wird dieser. Gußstahlläufe erfordern nur die geringste Wandstärke, seltener das Frischen, und letzteres vergrößert ihr Caliber weniger als das der Eisenläufe. Im Eisenlauf, auch dem Damastrohr der Büchse (der ja das eiserne Futter hat), werden die Zugkanten leicht stumpf. Der gezogene Stahllauf hält zwei- bis dreitausend Schüsse aus, ehe das sogenannte „Flattern“ sich zeigt, die Präcision des Schusses sich mindert. Geschoß und Lauf müssen bezüglich des Gewichtes in einem gewissen Verhältniß stehen. Ist das Geschoß zu leicht, so bewirkt die Explosion einen zu starken Rückstoß. Aus einem ganz reinen Rohr ist der erste Schuß gewöhnlich verloren, wegen zu geringer Reibung. –

Bezüglich der Militärgewehre steht übrigens gegenwärtig die Patrone vorn an. Die Patrone wird gegeben und demnach das Gewehr construirt werden. Metallhülse ist selbstverständlich die erste Bedingung und diese Hülse (weil sie nicht verbrennt) erfordert wieder den Auswerfer, also eine complicirtere Mechanik. –

Durchwandern wir weiter die Fabrikräume. Ueber dem Rohrhammer befindet sich ein großer Maschinensaal, wo viele sonst in Betrieb befindliche Maschinen gebaut worden sind, in demselben Gebäude aber noch Rauh-, Glattbohr-, Kolb-, Abdreh-, Fraismaschinen und Werkstätten für die Klein- und Ladestockschmiederei. Im Nebenhaus steht eine Dampfmaschine von zehn bis zwölf Pferdekraft, welche bei eintretendem Wassermangel arbeitet. Ein anderes Haus enthält die Werkstätten der Schloß- (System-) und Patentschmiederei, ein viertes die der Schäfter und das Schaftmagazin, ein fünftes Schleiferei etc., namentlich die mechanische Werkstatt. Ein sechstes besetzen die Feiler von Garnituren, Schlössern, respective Systemen, Visiren etc., die Rohrzieher. Auch dient es als Magazin, Bureau und Comptoir. Wieder in einem andern Haus befinden sich die Revisionszimmer für Export-Waffen, und in einem großen Gebäude ist der Sitz der königlich preußischen Gewehr-Revisions-Commission. Hier liegen denn auch die Geschäftslocale der Equipeure, d. h. Fertigmacher und Zusammensteller, welche die Gewehre zur Controle, respective Abnahme bringen.

Chef der Gewehr-Revisions-Commission ist Oberstlieutenant Puttkammer, ein verdienstvoller Officier, reich mit Orden geschmückt, der in wahrer Humanität mit der strengen Wahrung der Staatsinteressen die Förderung der Fabriken und damit auch der Arbeiter zu verbinden weiß. Sein Vorgänger war Cäsar Rüstow, ruhmvoll bei Roßdorf gefallen. –

Es giebt noch manche andere größere Fabriken am Ort. Im Ganzen sind fünfzehn Gesellschaftsfirmen für Gewehrfabrikation und achtundzwanzig Handelsfirmen eingetragen. Außerdem existiren noch eine Menge Werkstätten, deren Besitzer nicht im Firmenregister stehen.

Mit dem Bau von Galanteriewaffen beschäftigen sich noch viele Fabriken. Hierbei ist zu bemerken, daß in denjenigen für Militärhandfeuerwaffen auch Galanteriegewehre gebaut werden und daß andererseits einige Fabriken auch Kriegswaffen bauen.

Uebrigens ist die Leistungsfähigkeit derselben mit den oben gegebenen Zahlen durchaus nicht festzustellen, denn je mit dem Eintreffen größerer Bestellungen werden neue Werkstätten errichtet und noch nöthige Maschinen aufgestellt. Die seltene Solidität der hiesigen Verhältnisse beruht darauf, daß fast nur feste, sichere Bestellungen in Ausführung kommen, also nie eine Ueberproduction, der Ruin der Fabrikanten und der Arbeiter zumal, vorhanden ist. Dies gilt ebenfalls von Galanteriegewehren. Naturallohnung kennt man gar nicht. Die Löhne sind im Verhältniß zu den Preisen der Lebensmittel gestiegen. So ist denn Suhl auch eine der wenigen Fabrikstädte, welche bis jetzt den Socialisten verschlossen blieben.

Statistisches Material bezüglich der Galanteriewaffen steht mir nicht zu Diensten, da viele Fabriken ihren desfallsigen Absatz aus naheliegenden Gründen geheim halten, was bei Kriegswaffen nicht angeht. Man vermuthet, daß Suhl jährlich vier- bis fünftausend Galanteriegewehre versendet, was mehr sagen will, als wenn das doppelte Quantum unsolider, leichthin gearbeiteter Waffen auf Messen ausgeführt oder in Commissionslagern aufgestapelt würde.

Die drei größten Fabriken treffen nunmehr ihre Einrichtungen [487] dahin, daß künftig jede allein jährlich 30,000 neue Militärgewehre wird liefern können. – Der Verbrauch an Material entzieht sich aller Controle, da nicht nur jede Fabrik, sondern auch jede der äußerst zahlreichen selbstständigen Werkstätten dasselbe unmittelbar anschafft.

Der Wahrheit ziemlich nahe wird es kommen, wenn man annimmt, daß durchschnittlich 6200 Centner Eisen und Stahl, 4- bis 600 Centner Messing, 200 Centner Blei, 20 bis 30 Centner Schmirgel, 4000 Klaftern Holz (theils gekohlt), 2000 Centner Steinkohlen und circa 30,000 Cubikfuß Schaftholz jährlich zur Rohr- resp. Gewehrfabrikation verbraucht werden. Mit dem hoffentlich bald beginnenden Bau des „Zukunftsgewehres“ wird sich dies Alles gewaltig steigern, denn die Suhler Fabriken haben ihren Jahrhunderte alten guten Ruf so durchaus gewahrt, daß man sie künftig, auch abgesehen von der Eile, die es mit der neuen Bewaffnung haben wird, im eigenen Interesse nicht mehr übergehen kann.

Sobald die definitive Entscheidung für irgend ein System getroffen worden, komme ich wohl noch einmal auf das „deutsche Damaskus“ zurück.




  1. Der Abdruck dieses Artikels wurde durch unvorhergesehene Umstände verzögert.
    D. Red.