Das deutsche Einheitsfest in London

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Titel: Das deutsche Einheitsfest in London
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 503–504
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das deutsche Einheitsfest in London.

Wir saßen in einem deutschen Hotel der City von London um einen runden Tisch, auf dem die Gläser unberührt standen. Vom Schillerfeste, dessen Gestaltung und Form uns – Schriftsteller, Kaufleute, Buchhändler, Künstler u. s. w. bisher beschäftigt hatte,[1] war in der heutigen Sitzung nicht lange die Rede gewesen, da von dem Momente an, als der Uhrzeiger das Ende der achten Stunde verkündete, Alles unruhig ward und die Besorgniß, daß er ausbleiben könnte, mit jeder Secunde stieg. Bis 8 1/2 Uhr suchte man sich gegenseitig zu überreden, daß er sich sicher einstellen werde. Hab’ er es doch versprochen. Aber er will morgen mit der ganzen Familie an die Walesküste reisen, hieß es; da hat er das Haus zu bestellen, zu packen und so viel zu thun, daß er es vergessen haben kann.

„Mein Gott! es ist sechs Minuten über halb. Es muß sofort Jemand hinaus. Rasch eine Droschke herbei! Wer fährt hinaus? Wir müssen ihn hier haben. Um zehn Uhr sind sie Alle hier. Die ganze Geschichte ist verfehlt, verpfuscht, wenn er nicht hier ist.“ – So rief Einer unserer Gesellschaft, wie ein Gummiball umherspringend, und mich halb mit Gewalt ziehend und zerrend, da er mich für den Geeignetsten hielt, den ersehnten Fehlenden herbeizuschaffen. Und so saß ich plötzlich in einer der berühmten zweirädrigen Londoner Sicherheitsdroschken, die so gut fliegen und sich durch Wagen und Verkehrsgedränge so aalartig glatt winden können, um von 3/4 9 bis 10 Uhr 10 englische Meilen durch das wagenbedeckte London zurückzulegen und den Ersehnten, Unentbehrlichen, den edeln Helden des heutigen Abends mitzubringen.

An sich ist’s heut zu Tage das gewöhnlichste Ding von der Welt, in einer Droschke zu fahren. Selbst eigene Equipage ist nicht viel Werth, wenn man dumm darin aussieht und klügere Leute stolz zu Fuße gehen. Aber dieser wilde Flug durch die größte, hunderttausendfach beleuchtete Ausdehnung Londons – hin und her – nahm unter diesen Verhältnissen doch einen ungewöhnlichen Charakter an. Der Wagenlenker hinten auf seinem hohen Sitze, nicht großer wie ein Suppenteller, durch extravagante Belohnungsaussichten halb wahnsinnig gemacht, flog durch die flammenden, flimmernden, in tausenderlei Lichteffecten zitternden, langen, krummen, auf- und absteigenden Straßen, zwischen unabsehbaren Wagenmassen hindurch, vor kreischenden, fliehenden Menschen vorbei, deren Rockzipfel oder Crinolinen er nicht selten streifte, mit der Wuth eines Berserkers und der Geschicklichkeit eines Jongleurs oder Zauberers. Der Pegasus oder das Flügelroß vorn galoppirte wild, muthig und doch vorsichtig, wild die Mähne bäumend und stolz den Kopf werfend, auch als es schon rauchte und der Athen, in langen, raschen Dampfströmen in die kühle Nachtlust hervorschoß. Die langen, unabsehbaren Lichter-Doppelreihen, die sich immer wieder nach jeder Wendung aus einer unabsehbar langen Straße vor mir aufthaten, und immer wieder ins Unendliche hinauszuirren schienen, die Lebensströme auf beiden Seiten, die Hunderte und immer wieder Hunderte von blendend beleuchteten Läden, dann wieder lange Doppelreihen von Palästen hinter Bäumen, Gärten und Blumen, die grünen Plätze, nie gesehene öffentliche Bauten, Kirchen, Hotels, stolze Säulenordnungen, deren Schatten bald auf kriechende Lumpen und dicht daneben auf fabelhaften Reichthum fielen, dann wieder schäbige, armselige, muffig riechende Gassen und nach ihnen breitere, noblere, reichere Palaststraßen – dieser rasche, zauberhafte Strom des unergründlichen Londoner Lebens bei Gaslicht – meine wilde Jagd, mein pochendes Herz, daß ich ihn nicht finden und so das ganze schöne Fest auseinander brechen könnte, dies Alles zusammen rief eine eigenthümlich trockene, gläubige Stimmung hervor, mit welcher es mir leicht ward, dem schäumenden, begeisterten, unermüdlichen Pferde, einem runden, derben, edlen Rosse, dem der Kutscher wirkungsvolle, gute, kosende Worte gab, statt es zu peitschen, ein Bewußtsein seiner Mission zuzutrauen. Sollte es doch den geehrtesten, populärsten deutschen Mann Londons und deutschen Dichter zu einem Feste der Liebe und Dankbarkeit bringen, und so das deutsche Einheits- und Verbrüderungsfest möglich machen! Und es that seine Schuldigkeit, und warf uns triefend, schäumend, dampfend, zitternd einen Blick geschmeichelten Selbstgefühls zu, als wir es an Ort und Stelle dankbar lobten und klopften und ihm Bier und Brod besorgen ließen. –

Kinkel war nun in unserer Mitte.

Mit Hartnäckigkeit verweigerten wir vorläufig jede Auskunft über Sinn und Zweck der ungewöhnlichen, mysteriösen Aufregung im Hotel und auf der Straße. Während wir ihn über die Berathungen zum Schillerfeste unterhielten, erleuchtete sich die Straße unten mit wandelnden Lichtern, die auf dichte Schaaren deutscher Männer und Jünglinge und eine unabsehbare Masse Volks hinflackerten. Endlich klopfte ihn Jemand auf die Schulter und machte ihn auf die große, weithin flatternde, zum Fenster des ersten Stockes hereinrauschende schwarz-roth-goldene Fahne aufmerksam. Er trat an’s Fenster, und wie er auf den langen, erleuchteten Halbkreis deutscher Männer und Jünglinge herabsah, drang das erste schöne, patriotische deutsche Lied als voller, kräftiger, vierstimmiger Männergesang herauf.

Sein erster Eindruck war ein zorniger. Er schritt kopfschüttelnd rasch im Zimmer auf und ab, und sprach über übel angewandte Freundschaft und das Peinliche einer ihm gemachten Parteidemonstration, in die man ihn gänzlich unvorbereitet geschleppt habe. Eine kurze Erklärung stimmte ihn sofort gänzlich um. Die vier größten deutschen Vereine Londons, sonst isolirt, oft feindlich gegen einander [504] stehend, waren durch Kinkels Persönlichkeit, lehrendes und während dieses Jahres publicistisches Wirken, das von der Forderung deutscher Einheit beseelt wird, zu dem Gefühl und Bewußtsein gekommen, daß man hier einig sein und wirken und Kinkel selbst als der edelste und würdigste Brennpunkt dieser Einheit und Verbrüderung proclamirt werden müsse. So vereinigten sie sich nach langer Isolirtheit, oft bitterm Hader, zunächst zu dem Zwecke, Kinkel zu seinem Geburtstage – 11. August – eine Huldigung durch vereinigten Männergesang darzubringen und ihn zum obersten Präsidenten und Centrum dieser deutschen Einheitsbestrebungen zu ernennen. Sie erfuhren noch zu rechter Zeit, daß Kinkel an seinem Geburtstage schon seine Erholungsreise angetreten haben, Montags den achten aber noch die bereits erwähnte Conferenz zum Schillerfeste besuchen werde. So beschloß man, diesen Abend zu wählen. Die Demonstration war also eine freiwillige, allgemeine und so wenig eine parteiische, daß selbst der Arbeiter-Bildungsverein, bisher ein grimmiger communistischer Saulus gegen Kinkel, um Betheiligung bat und in der Rede seines Vorstehers als eifriger Paulus auftrat. Man kann sich denken, wie dieses Phänomen auffiel und unerklärlich gefunden ward. Einige munkelten sogar anfangs, als dieser ehemalige sehr notorische Saulus auftrat, vom Hinauswerfen; aber der Mann und die übrigen Mitglieder des Arbeiter-Bildungsvereins, bis dahin, wie schon früher einmal, unter dem Einflüsse von Karl Marx und Gesinnungsgenossen stehend, zeigten sich so ehrlich und entschieden umgewandelt, daß sie während des Abends ganz aufrichtig als Männer behandelt wurden, die ihren politischen Parteistandpunkt der höheren Macht der Einheitsnothwendigkeit untergeordnet haben.

Dies bekundet im Kleinen die Fähigkeit der großen deutschen Einheitssehnsucht, zu Hause sich zu verwirklichen. Wenn das Pathos lebendig und warm genug aufglüht und ein Mittelpunkt, eine edle, gefeierte, geliebte Persönlichkeit, als Brennpunkt derselben gefunden sein wird, dann schmelzen auch im großen Vaterlande die Partei- und Sonderinteressen in seliger Einheitsgluth entweder freudig oder freiwillig oder hingerissen in Furcht und Schwäche zusammen und halten sich auch später der großen nationalen Macht, Stärke und Nothwendigkeit untergeordnet. Bis jetzt ist im Vaterlands Preußen als Mittelpunkt dieser Einheitsbestrebungen öffentlich anerkannt worden, nur daß es sich absichtlich oder aus Mangel an schwarz-roth-goldenem Geiste nicht recht an diese Mission hingeben, nicht genug Anziehungs- und Begeisterungsstoff liefern will und kann. Doch wollen wir immer noch hoffen, daß Deutschland die Mittel finden und durchsetzen werde, durch welche allein sein Leben, seine Zukunft gerettet werden kann. Ein uneiniges, vieltheiliges, sich selbst schwächendes und vor der Welt verächtlich und lächerlich bleibendes Deutschland wird früher oder später das Schicksal der Staaten und Völker theilen, die aus innerem Zerwürfniß unterworfen wurden, und entweder ganz untergingen oder noch heute schmachvoll in fremden Fesseln absterben.

Kinkel hörte, nachdem ihm die Entstehung des schönen Bildes vor seinen Augen erklärt worden war, freudig ergriffen den deutschen Einheits- und Vaterlandsklängen zu, die als krafttöniger Männergesang herausquollen. Auch die sonst oft muthwillige und rohe Bevölkerung, welche die Straße dicht füllte, lauschte lautlos und andachtsvoll, obgleich sie nichts davon verstand und begriff. So mächtig wirkt die Schönheit in jeder Form, wenn sie nur eben sich würdig und einfach offenbart. Für uns hatte es etwas ganz besonders Rührendes, die sonst lose und muthwillige Straßenmenge so vollständig durch deutsches Lied und deutschen Gesang gebannt und so ausharren zu sehen bis zu Ende.

Kinkel ging nach dem sechsten Gesange der vereinigten Vereine hinunter und trat, größer und edler von Person und Gestalt, als alle die Tausende um ihn, in ihre Mitte, um mit anfangs ruhigen, dann aber immer bewegteren und feurigeren Worten seine Ueberraschung und seinen Dank auszusprechen, und sich und der Umgebung diese in London unerhörte, plötzlich so würdig und schön verwirklichte Thatsache deutscher Einheit und Verbrüderung der verschiedensten, sogar feindlichsten Elemente zu erklären. Es sei, so begann er, die Einheitssehnsucht, die auch im großen deutschen Vaterlande sich rege, nicht der Bürger Kinkel, was sie hier zu einer festlichen Vereinigung zusammenrufe, die jetzt schmachvollen Gefahren gegenüber aufkeimende große, deutsche Bewegung, deren Kraft immer im deutschen Volke geschlummert und nach kurzer Erlaubniß, zu wachen und sich zu regen, seit zehn Jahren wieder gefesselt sei und in künstlicher Einschläferung gelegen habe. Er erinnerte dabei an die Augusttage damaliger Zeit, als die preußische Nationalversammlung und das deutsche Parlament ganz unabhängig von einander an ein und demselben Tage die Todesstrafe abgeschafft, und wie er ein Jahr später an demselben Tage vor einem militairischen Gericht gestanden, das nur aus unüberwindlichem Rechts- und Ehrgefühl nicht die befohlene Todesstrafe über ihn ausgesprochen.

Das schließliche Hoch auf ein einiges, freies, starkes Deutschland rauschte und donnerte feurig aus der Brust deutscher Männer.

Die Reden der Deputationen, welche folgten, bewegten sich in denselben Gedanken, nur daß man dem edeln, heroischen Mittelpunkte dieses Verbrüderungsfestes zu beherzigen gab, daß er, der zu der Bereinigung Kraft und Begeisterung gegeben, die Mission übernehmen möge, als dieser Mittelpunkt weiter zu wirken.

Dabei fing der Wein reichlich an zu fließen. Und auch Reden und Gesänge flossen aus den verschiedenen Zimmern und Etagen in zum Theil wilder Begeisterung. Unzählige brave Männer, die sich früher nie gesehen oder gleichgültig, selbst feindlich vor einander vorbei gegangen waren, fielen sich in die Arme. Ein Deutscher, der Kinkel heute zum ersten Male sah und sprach, ließ sofort darauf den Tisch mit frischen Flaschen Rheinwein besetzen und fiel Jeden, der ihm in den Weg kam, mit vollen Gläsern an, glücklich wie ein Gott. Das deutsche Verbrüderungsfest wurde durch Kinkel’s Persönlichkeit und Rede zur Thatsache deutscher Einheit, die sich zunächst durch monatliche General-Versammlungen der einzelnen Vereine praktisch fortsetzen will. Auch war von Erbauung einer deutschen „Vereinshalle“ die Rede. Die nächste große, schöne Veranlassung zu vereinigter, deutscher Feierlichkeit wird das Schillerfest sein.

Deutschland, das noch keinen lebendigen großen Genius für den Brennpunkt seiner neuen Lebens- und Einheits-Regungen gefunden, wecke den am 10. November vor hundert Jahren gebornen Schiller auf, vor dessen unsterblicher ewiger Majestät sich alle Parteien und Privatgelüste beugen werden. So ein großer Todter lebt und wirkt gewaltiger, als tausend lebendige Kleinigkeiten, so groß sie sich auch dünken mögen.



  1. Die Krystall Palast-Compagnie hatte unsrem Vorsitzenden vorgeschlagen, ein durchaus deutsches Programm durch Deutsche zu entwerfen, das sie mit allen ihren glänzenden Mitteln auszuführen sich bereit erklärt hat.