Das erste Meißner Theeservice

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das erste Meißner Theeservice
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 249–253
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[249]

Das erste Meißner Theeservice.

„Ce que femme veut.“

Die Bewohner des alten Elbflorenz befanden sich um die Weihnachtszeit Anno 1707 in einiger Aufregung. Wunderliche Gerüchte waren es, die damals die Residenz August’s des Zweiten durchschwirrten wie scheue Vögel, welche sich von Niemandem festhalten lassen wollten. Vor länger als einem Vierteljahr nämlich hatte man bei Nacht und Nebel auf Befehl des höchsten Herrn einen Fremden vom Königstein herübergebracht, wo man ihn lange gefangen gehalten, um ihm nun auf der Jungfernbastei, der jetzigen Brühl’schen Terrasse, ein neues Haus einzuräumen. Es war dies freilich auch nicht mehr als ein Gefängniß, denn der Zutritt zur Bastei war nur Wenigen gestattet und den Fremden selbst sah man nie anders als im verschlossenen Wagen auf den regelmäßigen Spazierfahrten, die er unternahm. Alt und Jung erzählte sich, daß der Geheimnißvolle ein berühmter Goldmacher sei, den der König dem Preußenherrscher abwendig gemacht und der nun nicht eher frei gelassen werden solle, als bis er die Ziegel auf den Dächern und die Steine auf den Straßen Dresdens in pures Gold verwandelt. Brauchte doch der Landesherr Geld, viel Geld – zu neuen Bauten und manch’ andern Dingen, und seine Unterthanen brauchten es nicht minder. Man fand es deshalb sehr begreiflich, daß der Wundermann gehütet und bewahrt wurde, wie man einen Augapfel hütet, und daß der König ihn im Anfange seines Aufenthalts in Dresden mit allem Comfort umgab, den ein armes Erdenkind sich nur zu wünschen vermag. Wunderdinge flüsterte man sich in’s Ohr von der Einrichtung jener Gemächer, die der Fremde bewohne. Ein königlicher Wagen kam täglich, um ihn abzuholen, damit er frische Luft schöpfe und auf irgend einem abgelegenen Gebiete, wo ihn Niemand sah, sich eine Weile ergehe, um seine kostbare Gesundheit zu erhalten. Ein Koch aus dem Schlosse besorgte seine einsame Tafel, und so mangelte dem königlichen Gaste eben nichts, als eine Kleinigkeit – die Freiheit.

Gearbeitet wurde Tag und Nacht in geheimnißvoller Weise, die Schmelzöfen glühten und schwarze Gestalten liefen emsig hin und her. Die Arbeiter standen zunächst unter der Aufsicht des Hoftöpfers Fischer und seines geschickten Gehülfen Peter Engelbrecht, der in den Fayencefabriken Hollands und Belgiens viel gearbeitet, und Allen war der Schwur abgenommen, nichts von den Geheimnissen zu verrathen, in die sie durch den Fremden eingeweiht wurden. Jeder hatte auch den besten Willen, solchen Schwur zu halten, und wenn der Herr Hoftöpfer ihn brach, so war nicht er daran schuld, sondern seine hübsche Frau. Sie wandte die bekannten verführerischen Künste jeder Evatochter ihrem Eheherrn gegenüber so lange an, kos’te, schmeichelte, lächelte und schmollte, bis er ihr zunächst unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit die Mittheilung machte, daß der Schützling des Landesherrn Niemand anders sei, als der ehemalige Apothekerlehrling Friedrich Böttcher aus Schleiz, der aus der Albrechtsburg bei Meißen mit Walter von Tschirnhaus lange Zeit ein geheimes Wesen getrieben und eine Art Hexenküche daselbst eingerichtet haben sollte. Nachher war er nach Berlin gegangen und von dort plötzlich aufgehoben und unter starker Escorte nach dem Königstein gebracht worden.

Was der Herr Hoftöpfer sonst noch verrieth, ist nicht mit Bestimmtheit anzugeben, gewiß ist nur, daß ganz Dresden wenige Stunden nach dieser Unterredung wußte, daß es sich leider nicht mehr um Goldstaub handele, wenn man auf der Jungfernbastei kochte und braute, Erde durch feinen Kattun beutelte, auf Marmorplatten zerrieb und zum Schluß noch mahlte. Es handelte sich vielmehr nur um eine Art neuen Töpfergeschirrs, ein Gedanke, den der Herr Hoftöpfer mitleidig belächelte. Jetzt begriff man, warum der hohe Landesherr plötzlich seine Besuche auf der Jungfernbastei eingestellt hatte. Was lag an dergleichen Dingen? Zerbrechliche Waare konnte man im Ueberfluß erlangen, seit der Erfinder des Brennspiegels, Tschirnhaus, das Milchglas erfunden und bereits drei Glashütten in Sachsen errichtet hatte. Man erfuhr auch, daß derselbe oft von Kieslingswalde herüber kam und ein paar Tage in dem einsamen Hause auf der Jungfernbastei verblieb und mit arbeiten half. Zwar hielt noch eine Anzahl [250] gläubiger Seelen an der Ueberzeugung fest, daß Friedrich Böttcher ein Pulver besitze, von welchem ein geringer Theil einhundertundachtzig Theile Silber in feinstes Gold zu verwandeln vermöge, aber der hohe Landesherr selber schien leider nicht zu jenen Gläubigen zu gehören.

Allmählich trat in Folge dieses erlöschenden Interesses nun eine weniger strenge Bewachung der Person, aber eine desto peinlichere Ueberwachung der Ausgaben ein, welche diese erneuten Versuche erforderten. Der Hofwagen erschien nicht mehr so pünktlich wie sonst am Fuße der Bastei, und Niemand hätte wohl den Fremden verhindert, auch einmal auf eigenen Füßen frische Luft zu schöpfen. Der Koch wurde nachlässig, und nur die Arbeiter verloren ihren Glauben nicht an den Wundermann und ermüdeten keinen Augenblick. Sie sahen zu ihm empor wie zu einem höhern Wesen, und doch fühlten sie ihn wiederum so ganz als einen ihres Gleichen, wenn er Nächte lang mitten unter ihnen stand, Hand anlegte und durch seine heitern Scherze jede Ermattung verscheuchte.

Friedrich Böttcher war damals ein Mann von kaum vierundzwanzig Jahren und den gewinnendsten Manieren. Wenn sein hübsches Gesicht mit den großen ernsten Augen und dem schalkhaft lächelnden Munde zuweilen hinter den Wagenvorhängen auftauchte, sobald zufällig eine besonders anmuthige Frauengestalt daher trippelte, so geschah es sicher, daß solch zierliches Köpfchen sich nach ihm umwendete. Die Frauen redeten überhaupt viel mehr von jenem Hause auf der Jungfernbastei und seinem Insassen als die Männer, und wenn Friedrich Böttcher statt der Arbeiter hätte Arbeiterinnen gebrauchen können, er würde sich nicht zu retten gewußt haben vor all’ den kleinen Händen, die sich nach ihm ausgestreckt. Ob Friedrich Böttcher etwas von diesem geheimen Interesse der Frauenwelt ahnte – wer konnte es sagen? – in keinem Falle beunruhigte oder zerstreute es ihn. Sein Herz war frei wie der Vogel in der Luft, und er äußerte oft scherzend, daß ihm ein fester Schmelztiegel anbetungswürdiger erscheine als die schönste Frau. Ohne alle Liebesträume saß er in seiner einsamen Zelle, und wenn seine Stirn umwölkt erschien seit einiger Zeit und seine schönen Augen noch ernster blickten als sonst, sein Gesicht bleich und bleicher wurde, so war es nichts weniger als Liebeskummer, was ihn bedrückte, sondern einzig und allein der Gram über die Wandelbarkeit der königlichen Gunst und die Sorge um seine Zukunft, oder vielmehr um die Zukunft seiner Erfindung. Was lag an seinem Leben – das heißersehnte Ziel seines Strebens wurde in graue Ferne gerückt, und das war tausend Mal bitterer als der Tod! Man hatte ihm bereits zu verstehen gegeben, daß der hohe Herr ferner nicht mehr gesonnen sei, solch’ bedeutende Summen zu verausgaben zu ungewissen und nutzlosen Versuchen, und daß man sich zum Besten des Landes gezwungen sähe, der großen Kosten halber wenigstens vor der Hand einige Schmelzöfen eingehen zu lassen. –

In einem mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Gemach wanderte an einem Decemberabend die schönste Frau Dresdens, ja vielleicht die schönste Frau ihrer Zeit in unruhiger Erwartung auf und nieder. Es war die Tochter des dänischen Obersten von Brockdorf, die Gemahlin des sächsischen Cabinetministers v. Hoymb, nachherige Reichsgräfin Cosel, – dieser neue Stern am Himmel des Hofes und des königlichen Herzens, die strahlendste unter allen Nachfolgerinnen der reizenden Königsmark. Augenblicklich war sie kaum einige Wochen in Dresden, soeben von den Gütern ihres Gemahls, wo sie bis jetzt, gehütet von seiner eifersüchtigen Liebe, gelebt, in der Residenz erschienen. Die fromme, sanfte Kurfürstin-Königin hatte die Fremde freundlich empfangen, ahnungslos, welch’ Leid sie über ihr Herz bringen sollte, und die hohe Aristokratie, staunte die junge siegende Schönheit mit einer Mischung von Neid und Bewunderung an. Das war kein schüchternes Veilchen, das im Verborgenen sich glücklich fühlte, das war eine üppige Rose, bestimmt, im hellen Sonnenlicht zu prangen. Und die Augen des Königs konnten sich nicht satt sehen an dem Glanz dieser bezaubernden Blumenkönigin.

Die Berichte der Zeitgenossen der berühmten und berüchtigten Gräfin Cosel stimmen überein in dem Lobe ihrer Schönheit, ihrer Unterhaltungsgabe, ihres Geistes. Es dürfte interessant sein, die beiden einflußreichsten Frauen des sächsischen Hofes unter August von Polen zu vergleichen: Aurora von Königsmark und Anna von Hoymb. Die reizende Schwedin bezauberte mehr durch die Grazie holdester Weiblichkeit, durch den Ausdruck der reinsten Güte, Sanftmuth und Bescheidenheit, durch ihre vollendete Anmuth und eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Bildung. Dagegen war die Schönheit der Cosel mehr von feurigem und frappirendem Charakter und von größerem sinnlichen Reiz der Erscheinung; sie hatte einen ausgesprochenen Hang zur Ueppigkeit, funkelnden, brillanten Geist, pikante Unterhaltungsgabe und kostspielige Capricen.

Die schöne Frau von Hoymb war heute den ganzen Tag sehr übler Laune gewesen. Zum ersten Male hatte sie einen leidenschaftlichen Wunsch geäußert, zum ersten Male war er ihr abgeschlagen worden. Gestern, bei dem kleinen Feste, das die Königin gegeben, hatte man von einem herrlichen Majolica-Service gespeist und einige Teller mit verzuckerten Früchten waren herumgereicht worden, deren reiche Gold- und Farben Verzierung, sowie die reizenden Amorettenköpfchen aus Wolken hervorschauend, sofort die Aufmerksamkeit der jungen Frau erregt hatten. Man sagte ihr auf ihre Frage, daß diese kostbaren Teller von Raffael’s eigener Hand gemalt und in der Königin Besitz gelangt seien als ein Geschenk des Papstes. Ein ähnliches kostbares Service ihr Eigenthum zu nennen, erschien plötzlich der schönen Staatsminister’n als der Inbegriff aller irdischen Glückseligkeit. Etwas zu besitzen, um das man sie beneiden mußte – welch’ ein entzückender Gedanke! Nicht nur Raffael, nein, alle berühmten Maler der Erde hätte sie von den Todten auferstehen lassen mögen, um ein Service für sich allein mit Farben und Gold schmücken zu lassen. Unerträglich lautete es, aus dem Munde der Königin selbst die Worte zu hören, daß eben diese Geräthe das kostbarste Besitzthum, dessen eine Frau sich zu rühmen vermöchte.

Anna von Hoymb mußte also so schnell wie möglich ein Majolica-Service von allen erdenklichen Formen und Arten haben, und sie gab das mit dem ganzen Ungestüm ihres Wesens ihrem Gemahl zu verstehen.

„Mein liebes Kind,“ lautete seine ruhige Antwort, denn diese bekannte Form der Anrede gebrauchten die Ehemänner aller Zeiten, wenn sie ihren Frauen etwas abschlagen wollten, „das ist eine Unmöglichkeit! Du müßtest zuerst die Todten lebendig und mich zum Crösus machen, der solche kostbare Dinge bezahlen könnte. Das Eine gelänge Dir so wenig wie das Andere. Wäre der Goldmacher auf der Jungfernbastei geschickter, so könnte der Dir helfen. Aber den möchte der König gern los sein, er kostet uns zu viel und hält keine einzige seiner Versprechungen. Der König mag nicht an ihn erinnert werden. Noch heute ist ein Schreiben eingelaufen von dem angeblichen Zauberer, voll neuer Bitten und Verheißungen; ich habe nicht den Muth es dem hohen Herrn einzuhändigen.“

Wie sie da aufhorchte und weiter fragte, die zauberische Frau, und wie sie schmeichelnd so lange forschte, bis der mächtige Minister, vor dessen Stirnrunzeln so Mancher zitterte, so schwach war wie ein Kind und so nachgiebig wie ein Blumenblatt, mit dem der Zephyr spielt! Wie die weißen Hände so sanft über die eheherrlichen Wangen glitten, wie die siegenden Augen so unwiderstehlich dicht vor ihm aufleuchteten, wie der zauberische Mund so verführerisch lächelte und bat! Und da plauderte er denn aus, was er nicht ausplaudern durfte, genau wie der Herr Hoftöpfer, und gab auch den Brief Friedrich Böttcher’s an den König her. Wie sie aufmerksam las, und wie die üble Laune dahinschmolz, gleich Märzschnee vor dem Sonnenlicht, und wie sie ihm versprach. stumm zu sein wie das Grab, und doch, sobald sie sich allein sah, einen Boten an die Frau Hoftöpferin Fischer sandte mit dem Auftrag, daß dieselbe sich unverzüglich zu ihr begebe! Auf diesen Besuch nun wartete Anna von Hoymb, als sie so ruhelos einherschritt in ihrem Gemach, daß die Schleppe des grünen Seidenkleides mit den bunten Blumen, welches sie trug, hinter ihr drein rauschte wie empörte Wellen.

Die Gedanken jagten sich in dem gepuderten Köpfchen, allerlei Tassen und Vasen, Schalen und Teller, dick mit Goldstaub bestreut, wirbelten und tanzten durcheinander und zerbrachen doch nicht! – Auf welche Weise der Wundermann in der Jungfernbastei ihr helfen sollte, war ihr zur Stelle zwar noch nicht recht klar, aber sprechen mußte sie ihn um jeden Preis, und da er selber das Haus nicht verlassen durfte, so wollte sie zu ihm gehen, und die hübsche kleine Fischerin hatte sie zu ihrer Begleiterin ausersehen.

[251] Es währte auch nicht lange, so erschien der Bote mit der Meldung, daß er die Gewünschte mitgebracht. Ein triumphierendes Lächeln glitt wie ein Sonnenstrahl über das schönste Gesicht Dresdens, die weiße Hand winkte, und eine allerliebste Person in der zierlichen Tracht der wohlhabenden Bürgerfrauen mit klugen, braunen Augen und einem Schelmengesichtchen erschien auf der Schwelle. Wenige Minuten später saßen die beiden Frauen einander allein gegenüber. Die Thüren waren verschlossen und die schweren Umhänge fest zugezogen. Ohne weitere Einleitung, denn eine Diplomatin war Anna von Hoymb nie, fragte die Frau Staatsministerin die Frau Hoftöpferin in herablassendster Weise nach dem geheimnißvollen Treiben des Fremden auf der Jungfernbastei, indem sie zugleich eine feine Goldkette um den vollen Hals der hübschen Vertrauten befestigte und ihr das Häubchen mit einer goldenen Nadel etwas fester zu stecken versuchte. Wer hätte da widerstehen können, besonders wenn man vor einem großen Spiegel saß und im Schmuck der Goldkette und Nadel denken mußte: „Man schaut doch gleich ganz anders drein.“ Freilich tauschte man zunächst gegenseitig die feierlichsten Gelübde aus, das gefährliche Geheimniß im tiefsten Herzensschrein zu bewahren, aber man redete doch schließlich und erzählte so viel man wußte, ja sogar im Grunde mehr' als man wußte. Ein Wörtchen gab das andere, und als die hübsche Töpfersfrau, nachdem sie sich nochmals überzeugt, daß die Thüren wirklich fest verschlossen und kein Lauscher in der “Nähe, endlich gestand, daß sie wohl zuweilen ihren Mann dort aufgesucht und bei der Gelegenheit den Friedrich Böttcher ganz in der Nähe gesehen, der, mit Ausnahme des Hoftöpfers natürlich, der hübscheste Mann unter der Sonne, – da erhob sich Frau von Hoymb endlich mit den Worten: „Wir wollen zur Stelle hin zu ihm! Ihr verschafft mir einen Alltagsanzug von Euch, und so kann man uns den Eintritt nicht verwehren, wenn wir – unsere Männer sprechen wollen! Besinnt Euch nicht lange – ich nehme Alles auf mich – ich gehe mit in Eure Wohnung!“

Wann hätte je eine Frau sich von der Gefahr eines romantischen Abenteuers zurückschrecken lassen?– Die kleine Hoftöpferin beschwor zwar ihre neue Gönnerin hoch und theuer, ihren gefährlichen Plan aufzugeben, aber als die weißen Händchen der Staatsministerin noch ein Herz, aus Rubin geschnitten, an die Goldkette reihten und ihre zierlichen Finger eine zweite Goldnadel in die Haube schoben, da gab sie doch nach und versprach Alles, denn:

„Am Golde hängt, nach Golde drängt
Doch Alles – – ach wir Armen!“ –

Das Arbeitszimmer Friedrich Böttcher’s in dem vielbesprochenen Hause auf der Jungfernbastei war gar nicht so zaubervoll eingerichtet, wie man sich’s erzählte. Es sah bei ihm fast aus, wie bei dem weiland Doctor Faust, schwarzkünstlerischen Angedenkens; allerlei seltsame Geräthe und Formen standen umher, auch Büchsen, Tiegel und Flaschen verschiedener Größe, und an den Wänden gewaltige Schränke voll dicker Bücher, und auf dem Tische lagen bestaubte Scripturen, Pergamentrollen, Zeichnungen und Meßinstrumente aller Art. Wie er so vertieft da saß in seinem Sessel, dessen geschnitzte Lehne hoch über seinem Haupte hinausragte, da erschien sein sonst so jugendliches Gesicht um viele Jahre gealtert und ein Zug tiefster Schwermuth lagerte sich um den Mund, der sonst so anmuthig zu scherzen verstand. War ihm doch das Herz so schwer in dem Gedanken an die nächste Zukunft! Sein Brief war ohne Antwort geblieben – er konnte nicht länger zweifeln: der König hatte sein Interesse an seiner Erfindung und – sein Vertrauen zu ihm verloren. Daß der hohe Herr selber nicht mehr erschien, hätte Böttcher nun schon überwunden, aber daß er nicht einmal mehr einen Abgesandten schickte, der nach den Resultaten seiner Forschung fragte, kränkte ihn gar zu sehr, noch mehr aber, daß man plötzlich anfing, Rechnungsberichte über alle Ausgaben von ihm zu verlangen, und diese Ausgaben in der kleinlichsten Weise zu beschränken suchte. Man gab ihm deutlich zu verstehen, daß man das Geld, das man ihm bis zur Stunde bewilligt, als ein verlorenes Capital betrachte, und hoffte, daß er seine theuren Gehülfen Fischer und Engelbrecht, die man Beide mit einem Ducaten täglich besoldete für das Drehen der Gefäße, demnächst zu einlassen habe. – Wenn man seiner Uebersiedlung nach Berlin jetzt noch etwas in den Weg legte, so geschah es nur, weil man noch einigen Ersatz für alle Ausgaben in der von ihm mit Glück unternommenen Verbesserung des Milchglases zu finden hoffte.

Und trotz der heimlichen glänzenden Versprechungen des preußischen Hofes, welche man Friedrich Böttcher in die Hände zu spielen gewußt hatte, dachte der junge Mann doch keinen Augenblick daran, seine sächsische Gefangenschaft gegen eine Freiheit in einem andern Lande zu vertauschen. Hing er doch mit allen Fasern seines Herzens im wahren Sinne des Wortes an jener Erde, die ihn trug und die ihn: allein das Material zu liefern vermochte, welches er brauchte, um eine Erfindung zu vollenden, die der einzige Traum seiner Seele war bei Tag und bei Nacht. Er hätte keinen Augenblick geschwankt, wenn man ihm die Wahl gelassen, in seinem lieben Sachsenlande elend und kümmerlich zu leben oder in der Fremde zu schwelgen, – der Boden, auf dem er stand, war für ihn der einzig heimathliche, der geliebteste der ganzen Welt!

Und jetzt, so nahe der Verwirklichung seiner Gedanken, wie er fest glaubte, im Begriff, daß Ziel seines Forschens und Grübelns zu erreichen, sah er sich durch das erkaltete Interesse seines mächtigen Schützers in das Dunkel zurückgedrängt! Welch’ ein Unterschied, wie man ihn jetzt zu behandeln anfing, und jener fast zärtlichen Bewachung seines Selbst auf dem Königstein, wohin man ihn gebracht, als Karl der Zwölfte mit seinen Schweden in Sachsen einfiel! In der Georgenburg hatte man ihm damals ein Laboratorium eingerichtet, seine Zimmer waren unter strengster Aufsicht, seine Thüren sogar mit einem Vorlegeschloß versehen gewesen; er verlor jedoch seine Heiterkeit und Zuversicht keinen Augenblick, machte sogar scherzhafte Verse und war der Abgott seiner Mitgefangenen: Ritter, Romanus und Beichling.

Ein Jahr und drei Wochen hatte er dort gearbeitet und Riesenfortschritte glaubte er gemacht zu haben, als man ihn nach Dresden brachte. Und nun sollte Alles vergebens gewesen sein? - Lähmende Melancholie breitete sich wie ein wachsender Nebel über seine Seele, das Blau der Siegesgewißheit schwand, eine plötzliche unüberwindliche Lebensmüdigkeit, jene weitverbreitete Krankheit hochfliegender Geister und feuriger Herzen, befiel ihn. Wozu all’ dies Streben und Ringen, wozu diese Sorgen und dies fieberhafte Arbeiten Tag und Nacht? Man band ihm ja doch die Hände fester und fester, – man jagte ihn doch schließlich fort mit Schimpf und Schande, wie Einen, der nicht gehalten, was er gelobt, – warum solch’ Ende abwarten? War es nicht besser, sich unter das Leichentuch zu flüchten, dessen mitleidige Falten schon so manches Leid verhüllt? – Die Elbe rauschte so lockend aus der Ferne, er sah ihre Wellen spielen und glitzern von seinem Fenster aus, – sie riefen ihn – warum zögerte er noch? Ein Sprung in die Tiefe, ein kurzer Kampf und der heiße Kopf ward kühl, und die Welt ging ihren Gang weiter ohne jene anmuthigen Gebilde, welche Friedrich Böttcher in seinen Träumen sah.

In diesem Brüten unterbrach ihn ein Diener, der ihm mit geheimnißvoll lächelnder Miene zwei Arbeiterfrauen meldete, die ihn zu sprechen verlangten. Es geschah nicht selten, daß ihn die Mütter, Bräute, Schwestern und Frauen seiner Arbeiter aufsuchten, trotz allen Verbotes, um irgend ein Anliegen in Bezug auf ihre Angehörigen dem Wundermanne selber vorzutragen; er befahl also auch diesmal, daß man die Bittstellerinnen eintreten lasse. Aber es war nur Eine, die jetzt auf ihn zu kam, die Andere zog sich, nach einem zierlichen Knix, mit dem Diener in das Vorzimmer zurück. Friedrich Böttcher erkannte aber doch, als er ihr mit seinen Blicken folgte, die kleine Hoftöpferin, mit der er oft ein neckisches Wort gewechselt, wenn sie, unter dem Vorwand, ihren Mann zu suchen, an ihm vorüber zu huschen versuchte. Er wunderte sich über das Zurückziehen der Kleinen, die doch sonst nicht scheu, und warf nun einen prüfenden Blick auf ihre verhüllte Gefährtin. Sie schlug rasch den Mantel zurück und Friedrich Böttcher sah sich plötzlich einer wunderschönen Frau gegenüber, die er im ersten Augenblick ganz fassungslos anstarrte. Wer war sie, die ihm lächelnd den fragenden Blick zurückgab, wem gehören diese Augen, dieser Mund, diese herrliche Gestalt; doch nun und nimmermehr einer gewöhnlichen Arbeiterin? Unwillkürlich verneigte er sich tief, schob einen Sessel heran und fragte: „Was steht zu Eurem Befehl holdeste Frau?“

„Ich wollte fragen, ob Ihr eine Arbeit annehmen und ausführen wolltet für mich.“

[252] „Was für eine Arbeit – für meine Hände oder – für mein Herz?“

„Vielleicht für Beide und für den Kopf dazu! – Ich habe mich ein wenig vermummen müssen um in Eure Höllenküche schlüpfen zu können; ich bin nicht so arm, wie ich scheine, – ich kann Eure Kochkünste bezahlen!“

„Aber nur mit einem Preise, den ich selber stellen würde!“

„Vielleicht! – Aber laßt uns die Zeit nicht verlieren durch nutzloses Plaudern! Ich habe einen brennenden Wunsch. Mein Mann will mir kein Majolica-Service kaufen, wie es die Königin besitzt. Ich ertrage es aber nicht immer, nur von den Tellern des Raffael reden zu hören und eine Andere zu beneiden um ihr Besitzthum; ich selber will beneidet sein! – Man sagt, Ihr könntet zaubern! Ihr selber versprecht in einem Briefe an den König, den ich gestern in den Händen hielt, Wunderdinge, – ich glaube an Euch. Zaubert mir irgend etwas Niegesehenes, ein prächtiges Gefäß, ein Theegeräth – ich will es Euch lohnen!“

„Wißt Ihr, daß für einen Andern als meinen hohen Herrn arbeiten mein Leben verwirken heißt? Und doch, schönste Frau, Ihr glaubt an mich, ich arbeite für Euch und – sterbe!“

Anna von Hoymb blickte in das erregte Gesicht des jungen Mannes. Es erschien ihr so wunderbar anziehend wie nie ein Männerantlitz vorher. Seine Augen strahlten sie an, als ob er mehr als ein Leben hinwerfen würde, um ihr zu dienen. Das Bewußtsein ihrer Schönheit kam zum ersten Male mit voller Gewalt über sie und erfüllte sie mit unsagbarer Freude. Zugleich aber fluthete ein heißes Mitleid über ihr Herz. Ihr Wunsch erschien ihr plötzlich thöricht und frevelhaft. Verdiente seine Erfüllung das Opfer dieses Lebens?

„Vergeßt, was ich bat,“ sagte sie nach einer Pause leise mit gesenkten Augen, „ich will nicht, daß Ihr nur die kleinste Gefahr lauft um meinetwillen. Ich will es nicht, hört Ihr!“ setzte sie fast gebietend hinzu und die blauen Sterne blitzten ihn wieder an. „Wenn es kein Mittel giebt, daß der König Euch erlaubt, für mich zu arbeiten, so vergeßt, um was ich gebeten, wie ich es vergessen werde.“

Wie wunderbar verführerisch sie aussah in jenem Augenblick! Aus den dunkeln Falten des zurückgeschlagenen kleinen Mantels erhob sich der wunderschöne Kopf auf dem schlanken Halse wie eine Blume. Ein Hauch holder Weiblichkeit milderte den sonst so stolzen Ausdruck, – es zuckte etwas wie Angst um den Mund.

Ein Hoffnungsstrahl, blendend und erwärmend wie das Sonnenlicht, blitzte plötzlich durch das Herz des jungen Mannes.

„Holde Frau – wißt Ihr, daß in Euern Händen meine Rettung liegt? Wie eine mächtige Zauberin erscheint Ihr mir, ein Wort von Euch, und ich bin erlöst.“

„Ich verstehe Euch nicht.“

„Bittet selber mit diesen Euren Augen und Lippen den König für mich um die Gunst, Eure Befehle ausführen zu dürfen.“

„Würde das helfen?“

„Es würde ein Wunder vollbringen, eine Erfindung retten, die auf dem Wege ist, verloren zu gehen!“

Seine Wangen glühten, er zitterte vor Erregung.

„Wie wäre das möglich?!“

„Wer Ihr auch sein mögt, schönste Frau, es muß Euch gelingen, den König zu bewegen, bei dem nächsten Gusse zugegen zu sein. Ihr habt jenen Brief gelesen, sagt Ihr, den ich ihm geschrieben. Man hat dem hohen Herrn also diesen Brief nicht abgeliefert, so müßt Ihr ihm den Brief jetzt selber in die Hand geben! O, wahrlich, Ihr sollt nimmer bereuen, gütigste Frau, an mich geglaubt zu haben! Ich fühle meine Flügel wachsen, Muth und Lebenslust kehren zurück. Bewegt den König, daß auch er mir wieder vertraut, und Ihr sollt fortan nicht mehr Königinnen, sondern Königinnen sollen Euch beneiden um die Arbeit dieser meiner Hände.“

Staunend blickte Anna von Hoymb auf den Bewegten, und hätte sie vorher nicht an ihn geglaubt, von diesem Augenblicke würde sie felsenfest an seine Wunderkraft geglaubt haben; die stolze Zuversicht seines Wesens, die Siegesgewißheit, die aus seinen Augen flammte, wirkte hinreißend. Sie vergaß gänzlich, warum sie hergekommen, ihr eitler Wunsch war verflogen, ein höheres Verlangen erfüllte sie, diese ringende Seele zu retten.

„Beruhigt Euch,“ sagte sie leise, aber mit fester Stimme, „ich werde mit dem Könige reden, ich selbst, Anna von Hoymb, die Frau des Staatsministers, und Eure Erfindung soll nicht verloren gehen. Gute Nacht!“

Sie streifte flüchtig mit ihren weißen Fingern seine Hand und schied. Die kleine Fischerin tauchte auf, – Blicke flogen noch herüber und hinüber, und Friedrich Böttcher fand sich, wie aus einem Traume erwachend, in der Dämmerung seines matt erleuchteten Arbeitszimmers wieder. –

Wenige Tage nach diesem Besuch der Staatsministerin auf der Jungfernbastei wußte man wiederum in ganz Dresden, daß die Brennöfen dort vergrößert wurden und daß in dem größten das Glühfeuer fünf Tage und fünf Nächte nicht erloschen war, während welcher Zeit Böttcher nicht vom Platze gewichen.

Gefäße aller Art wurden gedreht und geheimnißvolle Proben gemacht, Boten flogen hin und her zwischen dem Schlosse und der Jungfernbastei. Und ein Tag kam endlich heran, wo die Arbeiterschaar einem aufgestörten Ameisenhaufen glich. Der König selber wollte erscheinen mit einem großen Gefolge, und man machte die glänzendsten Zurüstungen zu seinem Empfang. Und als der vornehme Zug wirklich eintraf und der hohe Herr an der Seite der schönsten Frau seinen feierlichen Einzug hielt und seinen vernachlässigten Schützling mit der größten Huld begrüßte und von ihm die Erlaubniß sich erbat, dem entscheidenden Versuch wirklich in Person beizuwohnen – da begegneten sich die Augen des jungen Gefangenen und die strahlenden Augen Anna’s von Hoymb in einem flüchtigen Blick, aber eine ganze Geschichte von glühender Dankbarkeit und stolzem Triumph lag darin verborgen. – Prächtig erschien sie, als sie aus den verhüllenden Pelzen wie der Mond aus den Wolken hervor trat, die herrliche Gestalt in dem reichgestickten Kleide, das sie so zierlich zu schürzen wußte, daß man die Kinderfüße in den Hackenschuhen sah. Mit dem Anstand einer Fürstin reichte sie dem Könige die Fingerspitzen, als er sie über die Teppiche führte, die man ausgebreitet bis zu jener thronartigen Estrade, welche man für die hohen Gäste errichtet.

Es war ein wunderbar reiches Bild, das sich in dem hohen gewölbten Raume bei phantastischer Beleuchtung entwickelte, – hätte es doch der Pinsel eines Malers festhalten können! Wie ein lebendig gewordenes Märchen, das unter den Cyclopen spielte, stellte sich das Ganze dar, und wie ein Magier stand Friedrich Böttcher da und gebot der schwarzen Schaar. Sein Gesicht war freilich todtenblaß in der Aufregung dieses bedeutungsvollen Moments, aber auf seiner Stirn stand eine felsenfeste Zuversicht und ans seinen Augen blitzte helle Siegesfreude.

Und als er nun eine Kapsel aus dem Schmelzofen nehmen und in das Wasser werfen ließ, ohne daß jene zierliche Theekanne zerbrach, welche seine Hand herausnahm, da entstand ein Jubel ohne Gleichen. Er überreichte das kleine Gefäß mit einer Kniebeugung, welche jedem Hofmann Ehre gemacht haben würde, der schönsten Frau als die erste gelungene Probe. Ohne Risse und Sprünge, tadellos war die Masse geblieben – es war kein Zweifel: das Problem war gelöst – die richtige Mischung der feuerfesten Masse der deutschen Majolica gefunden.

Das vielbewunderte braunrothe Thee- und Tafelserviee der nachherigen Gräfin Cosel ist in der That das erste Meißner Porcellan in seiner Vollendung. Ein Theil desselben wurde nachher von Steinschneidern geschliffen und von Goldschmieden vergoldet, ein anderer Theil mit einer Glasur versehen, deren glänzende Farben den Gefäßen das Ansehen chinesischer Holzarbeiten gab. – Als es zum ersten Mal auf dem Schenktisch in dem Speisesaal der Gefeierten aufgestellt wurde und so fremdartig blitzte und funkelte, – da waren die Teller des Raffael und – manches Andere vergessen. –

Später hat Friedrich Böttcher auch seiner schönen Gönnerin das erste Weiße Tafelservice, mit Malerei und Gold versehen, geliefert. – Der König aber belohnte ihn für jene erste verhängnißvolle Arbeit mit der Ueberweisung der Albrechtsburg zu Meißen und dem Titel eines Directors der Königlichen Porcellanfabrik, die nun daselbst in’s Leben trat. – In Dresden erzählte man sich freilich, es sei diese Verbannung eine kleine Strafe für die Keckheit, mit der jener vielbewunderte Zauberer für sein Theeservice den Lohn eines Kusses von den schönsten Lippen gefordert. – Ob er ihn erhalten, steht nirgend geschrieben.

Einzelne Stücke von jenem braunen Theeservice sind noch heute in der bekannten Wundersammlung des japanischen Palais zu Dresden [253] zu sehen – und man sagt, daß jene kleine braune Theekanne, die damals Friedrich Böttcher der Gräfin Cosel überreicht, die schöne Frau, als man dieselbe nach einem neunjährigen Leben voll üppiger Herrlichkeit vom Hofe in die Veste Stolpen verbannte, begleitet habe. – Wer weiß, wie viele Thränen während einer langen, langen todeseinsamen Haft auf jenen einst so heiß ersehnten Gegenstand gefallen sind, – auf das erste Meißner Porcellan!