Das glückliche Thal
Das glückliche Thal.
Californien, das zweite große Goldgefilde, das nach der Entdeckung Amerikas entdeckt worden ist, ist ein Land der Wunder und des Fortschritts. Noch im Anfange dieses Jahrhunderts gehörten mehrere Menschenalter dazu, um eine Stadt oder wohl gar einen Staat zu gründen. Aber auf den Rädern der Dampfkraft geht der Wagen der Industrie so schnell, als Jahrhunderte zu Jahren, Jahre zu Tagen werden, zumal seit der Dampf zugleich die entferntesten Erdtheile in die bequemste und schnellste Verbindung bringt. England und Amerika legten auf diesen Dampfrädern während des letzten Vierteljahrhunderts einen Weg zurück, wozu früher drei ganze Jahrhunderte nicht gereicht haben würden.
Die Entdeckung des Goldes in Californien und Australien beschleunigte dieses Rennen und Laufen zu einem fieberhaften Rasen und Raufen in Industrie und Handel. In diesem fieberhaften Golddurste ward es den Engländern und Amerikanern, oder wie man sie zusammen nennt, den Angel-Sachsen – möglich, unglaubliche Wunder zu thun. Für den nüchternen Verstand haben ihre Thaten beinahe etwas Wahnsinniges und Dämonisches, als hätt’ ihnen der Teufel des Mittelalters geholfen, der sich es zuweilen, um eine Seele zu gewinnen, ungeheuer sauer werden ließ und z. B. einmal vor einem mit vier Pferden bespannten Wagen das Pflaster aufriß und es hinter ihm sogleich wieder zumachte, während die Pferde im vollen Carriere über die lockere Erde liefen. Die Angel-Sachsen haben in Californien und Australien mit Indiern, Chinesen und Vertretern aller Nationen der Erde ein goldenes Zeitalter eröffnet, welches das Unterste thatsächlich zu oberst zu kehren und die Weltgeschichte zu unseren Gegenfüßlern entführen zu wollen scheint. Dort ist freilich Alles zu golden, als daß sie, die sich immer viel mit Eisen, Blei, Schwefel, Kohlen und Salpeter abgab, es lange aushalten könnte, wenn sie hinzöge. Auch geht dort Alles zu schnell, als daß man’s noch Geschichte nennen [181] dürfte. Das Gold regt zu sehr auf, macht zu luxuriös und entnervt und entsittlicht zu massenhaft, als daß man berechtigt wäre, große Hoffnungen auf diese goldenen Länder zu bauen, oder auf diese Städte, die über Nacht aus der Erde hervorzuspringen scheinen.
Wo einst der Indianer in wilden Bergen und Thälern jagte oder der schlaue Jesuit aus seinem Eulenneste hervor Gift für Gold verkaufte, wimmelt jetzt in hingezauberten Städten eine rastlos, heißblutige Masse, ein furchtbares Gemisch aller Völker und Stände und bauen Städte in einem Jahre mitten in Berge und Sümpfe hinein, die sich wie auf Zauberwort in fruchtbare Ebenen verwandeln. Die Städte Californiens sind von gestern, brennen heute ab und stehen morgen wieder da schöner, größer und prächtiger.
Wir sehen nur auf San Francisco, die Hauptstadt Californiens. Sie ist erst vier Jahre alt und dabei so fabelhaft groß und reich, wie kaum eine Stadt Europas, die schon vor Christi Geburt groß war. San Francisco ist noch dazu während dieser vier Jahre mehrmals durch Feuer, Pestilenz, Anarchie und Verbrechen aller Art zerstört und entvölkert worden, aber sie blüht, sie breitet sich immer üppiger aus und ist schon jetzt ein zweites New-York, das New-York des stillen Oceans auf der andern Seite Amerikas.
Nichts, was wir von dem fabelhaften Gedeihen dieser Stadt je gehört haben, giebt einen lebhafteren Begriff von ihrer Entwickelung als zwei Ansichten, die eine ein Bild derselben von 1849, die andere von 1852.
„Das glückliche Thal“, wie 1849 noch der Mittelpunkt von San Francisco hieß, war damals fast nur von den rohesten Goldsuchern bewohnt, die in ganz gewöhnlichen Zelten ihre Schlafstellen, ihre Küchen und Speisekammern, ihre Putzzimmer und etwaigen Viehställe brüderlich vereinigten. Sie bestanden in mehreren Gesellschaften zu gegenseitigem Schutz und gemeinschaftlichem Gewinn und Verlust, communistisch-kleinen „Staaten“. Das Thal lag zwischen öden, zum Theil sehr hohen und breiten Hügeln und dem Meere, und gewährte mit allen seinen „Staaten“ keinen andern Anblick, als den im ersten Bilde versinnlichten. Drei Jahre später waren alle die Hügel und Thäler und Zelte verschwunden, in eine große Ebene verwandelt und mehrmals mit ganzen Straßen und Stadttheilen, zum Theil mit den prächtigsten Palästen, bebaut worden. Wo noch vor drei Jahren das unruhige Meer mit bodenlosem Dünensande spielte, erheben sich jetzt feste, stolze Straßen mit steinernen Palastreihen, ungeheuern Vorrathshäusern und En-gros-Geschäften mit Welthandel. Die Straßen wimmeln von Fuhrwerken und Fußgängern aller Farben und Formen. Alles entstand so schnell, wie der Milton’sche Palast (im „verlornen Paradiese“), mit welchem es in einer Beziehung, wir meinen hinsichtlich seiner gigantischen Laster – auch eine große Aehnlichkeit haben soll.
Mit dem schnellen Anwachsen der Bevölkerung ward es nothwendig, die Natur durch Kunst zu unterwerfen. Hügel und Thäler waren Hindernisse des Verkehrs; so beschloß man denn die Wege zu ebenen. Wer beschloß es? „Behörden“ gab’s nicht, Jeder machte was er wollte, und da, wo der Dieb gestohlen hatte, wurde er auch ohne viele Complimente aufgehangen, so daß von jeher dort eine größere Sicherheit des Eigenthums herrschte, als irgendwo. Ein bedeutendes Kaufmannshaus, das sich große Strecken am Ufer zugeeignet hatte, ließ im December 1849 [182] aus eignem Interesse die ersten Spatenstiche thun. Sofort machten’s ihm andere speculative Leute auch „im eigenen Interesse“ nach, und so ward das Berge-Versetzen bald ärger, als jemals bei „Gläubigen“. Man grub fort bis heute, aber nicht immer mit schwachen Menschenhänden.
Im Jahre 1850 kam ein Gasthausbesitzer, der sich vor Gold kaum mehr retten konnte (es war und ist Mode den mühsamen Goldgewinn oft in einer Nacht durchzubringen) auf den Gedanken, einen Vergnügungspalast im großartigsten Maßstabe bauen zu lassen. Er ließ deshalb auf einem der Hügel den Raum dazu ausgraben und den Feenpalast in die Höhe steigen. Er nannte ihn „The Oriental Hotel“. Er steht noch so da, wie wir ihn auf dem zweiten Bilde sehen, freilich aber ohne Hügel ringsum, die nun mit Dampf zu verschwinden anfingen. Das Werk des trägen Spatens wurde bald aufgegeben und für Massen von Gold Dampf aus eisernen Ungeheuern angestellt, das Werk des „Glaubens“ zu verrichten. Im April 1851 fing die erste derartige Berge abtragende und Thäler ausfüllende Dampfmaschine, genannt „the steam paddy“ (Dampf-Wegbahner) zu arbeiten an. Auf ihren Rädern wühlte sie verzweifelt in die Berge hinein, Steine, Staub und Erde hinter sich schleudernd und auf Wagen ladend, die auf Eisenschienen, von Pferden gezogen, die Höhen in Thäler stürzten.
So verschwanden die Hügel in allen Richtungen und mit ihnen „das glückliche Thal“, das um alle Schätze californischen Goldes nicht bleiben mochte, vielleicht auch, weil Glück und Gold sich innerlich nur selten vertragen sollen. Selbst die Gestade des allmächtigen Meers wurden weit zurückgetrieben, und ihm tüchtige Streifen für stolze Straßen abgerungen, so daß, was früher dicht am Wasser lag, schon beinahe mitten in die Stadt gehört. Da liegt nun San Francisco – eine ungeheuere Stadt in kahler Ebene, eine Mischung von weißen, schwarzen, braunen, rothen, grünen, gelben und blauangelaufenen Menschen, ein unendliches Gewirr von Straßen, Läden, Waarenschuppen, Wohnhäusern, Palästen und namentlich amerikanischen Hotels, diesen Zerstörern der „Heimath“ und aller ihrer Reihe von fröhlichen Kindern, gemüthlichen Frauen, traulichem Kaminfeuer und dem lebenwarmen Feuer, das Liebe und Freude in die Mengen der Angehörigen treibt, wenn der liebe Papa vom Geschäfte zurückkömmt und dann ohne Weiteres gegessen und geplaudert werden kann.