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Eine Vergnügungsreise

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Autor: Eduard Gottwald
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Titel: Eine Vergnügungsreise
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17–18, S. 177–180, 189–191
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Verkettung unglücklicher Umstände für den Stadtrath Buttlich aus Lichtenberg bei seinem Besuch in Dresden
Der erste Teil der Bilder aus dem Leben erschien unter dem Titel: Wie man Universalerbe wird.
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[177]

Bilder aus dem Leben.

Von
Ed. Gottwald.
II.
Eine Vergnügungsreise.

Wenige Tage nach der feierlichen Eröffnung der Chemnitz-Riesaer Staatseisenbahn herrschte in dem freundlichen Städtchen Lichtenberg eine mehr als gewöhnliche Aufregung, denn der Senator und Strumpfwirker Buttlich, Vorsteher der Bogenschützen- und Harmoniegesellschaft, welcher die Eröffnungsfahrt bis nach Dresden mitgemacht und versprochen hatte, nach zweitägigem Aufenthalt in der Residenz, wieder zurückzukehren, war, obgleich schon [178] fünf Tage vorüber, noch nicht eingetroffen, und die Mitglieder der Harmonie Lichtenbergs, welche sich von dem als einem der gemüthlichsten Gesellschafter allgemein geschätzten Senator Buttlich gar viel des Neuen und Interessanten aus dem Residenzleben versprachen, waren aus Neugierde eben so aufgeregt über die ungewöhnlich lange Abwesenheit Buttlich’s, als dies seine Gattin aus banger Besorgniß war, da diese Letztere, als der vierte Tag vorüber ohne den Gatten zurückzubringen, anfangs zwar fest entschlossen war, ihm, so wie er nur erst wieder in seinen vier Pfählen sei, derb und tüchtig den Text wegen ungebührlichen Herumtreibens zu lesen, die aber als der Morgen des fünften Tages anbrach, sich den ängstlichsten Vermuthungen hingab, und ihren Buttlich im Geiste in Dresden krank liegen sah, oder durch irgend einen andern Unfall betroffen wähnte. Um dieser quälenden Ungewißheit zu entgehen, welche von Stunde zu Stunde peinigender wurde, entschloß sich Madam Buttlich am Abend des fünften Tages, den andern Morgen in Begleitung ihres Schwagers nach Chemnitz zu fahren und von da nach Dresden zu reisen, dort aber bei allen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizeibeamten Nachfrage wegen des abhanden gekommenen Gemahls anzustellen, die mit Hülfe der verstärkten Nachtwächterschaar gewiß nicht ohne Erfolg bleiben würden. In der Lichtenberger Harmonie dachte man aber durch die Bemerkungen des pensionirten Acciseinnehmers Wärmdich und des Postmeisters Grober aufmerksam gemacht ganz anders, und war darüber einig geworden, daß Buttlich, als Lebemann bekannt, diese Gelegenheit benutze, unbemerkt von Frau und Gevatterschaft den Genüssen der Residenzvergnügungen sich ungestört hinzugeben, da einmal nach Lichtenberg zurückgekehrt, wohl Jahre vergehen könnten, ehe es ihm wieder gelingen möchte, sich so frei und ungehemmt zu bewegen, und daß er gegenwärtig gewiß weit weniger Sehnsucht nach Frau und Verwandten in Lichtenberg fühle, als diese nach ihm.

Der fünfte Tag war vorüber. Madame Buttlich, welche alles gepackt und vorgerichtet, um die Entdeckungsreise nach Dresden anzutreten, hoffend, daß er doch noch kommen könnte, gab auch den sechsten Tag zu, als aber der siebente Tag sich zu Ende neigte und weder von Dresden noch von Chemnitz, wohin man an Verwandte geschrieben, Nachrichten über den abhanden gekommenen Ehemann eintrafen, da litt es die geängstete Gattin nicht länger in Lichtenberg, und eben im Begriff mit der Abendpost nach Chemnitz und von da mit dem Nachtzuge nach Dresden zu fahren, verbreitete sich plötzlich die Nachricht, daß Herr Buttlich mit dem Neukirchner Botenwagen zum Thore hereinfahre. Es konnte daher nicht fehlen, daß die sämmtlich mit Buttlich’s bis in’s zehnte und funfzehnte Glied verwandte Frauenwelt Lichtenbergs pflichtschuldigst auf den Beinen war, um sich zu überzeugen, daß er auch wirklich da sei, und auf welche Weise die Freude des Wiedersehens bei dem Buttlich’schen Ehepaare sich kund geben würde, während diesen Abend die Mitglieder der Harmonie sich zahlreicher als gewöhnlich einfanden, sicher darauf rechnend, daß, sobald Buttlich nicht durch ernstliches Unwohlsein zu Hause zurückgehalten, er auch nach den ersten Begrüßungen und beruhigenden Mittheilungen, aus dem Kreise der Seinigen in den Kreis der Freunde eilen würde. Und dem war auch so. Nach acht Uhr Abends, als schon Mehrere die Hoffnung aufgegeben hatten, den längst Erwarteten noch heute zu sehen, und die Anwesenden zum großen Theile sich an Scat- und Schafkopftische vertheilt hatten, trat Buttlich ein.

„Endlich!“ tönte es von allen Seiten, und die Karten wurden weggelegt.

„Endlich!“ wiederholte der Bürgermeister, und reichte dem Eintretenden die Hand, während die Uebrigen sich nach dem großen runden Räsonnirtische drängten, um Buttlich so nahe als möglich Platz zu nehmen; und gewiß, der freundliche Leser wird diesen Heißhunger der Lichtenberger nach Neuigkeiten nicht unnatürlich finden, wenn er berücksichtigt, daß dieses Städtchen eines von denjenigen ist, welche von allen Eisenbahnen und Handelsstraßen abgeschnitten, und nur durch einen Communfahrweg mit einer in Verfall gekommenen Chaussee in Verbindung stehen. –

„Ei, ei, Gevatter, sind dies zwei Tage?“ tönte es lachend von mehreren Seiten als Buttlich Platz genommen und sein scharlachrothes Sammetmützchen aufgesetzt – denn ein solches trug als Zeichen der Mitgliedschaft der Lichtenberger Harmonie jeder der Anwesenden.

„Ihr habt gut lachen“, entgegnete ernst der Gefragte. „Aber ich kann Euch versichern, zwanzig Thaler wollt’ ich darum geben, wenn ich nicht nach Dresden gefahren wäre, wenigstens will ich an diese Parthie denken, so lange ich lebe.“

„Also doch Unglück gehabt?“ frug theilnehmend der Postmeister.

„Nun gerade genug, um sobald nicht gleich wieder einen Abstecher nach der Residenz zu machen.“

„Und wie so?“ rief neugierig der Accisinspector.

„Ja, meine Herren“, entgegnete lächelnd der Senator, „das ist eine lange Geschichte, und nach überstandenem Arrest, und nun heute von der Eisenbahn- und Botenwagenfahrt müde und matt, habe ich wahrlich nicht viel Lust es mitzutheilen.“

„In Arrest, der Teufel auch!“ brummte der alte Oberförster, der zwei Stunden von Lichtenberg wohnend, alle Wochen einmal Abends in’s Städtchen kam.

„In Arrest!“ rief staunend der Bürgermeister, während dem Accisinspector vor Neugier die thönerne Pfeife aus dem Munde fiel.

„Und warum?“ fuhr Buttlich fort, absichtlich die Spannung der Freunde steigernd. „Warum?“ wiederholte er und nahm sein rothes Sammetkäppchen ab, indem er es Allen zur Beschauung hinhielt. „Nur dieses Abzeichens unserer Harmoniegesellschaft wegen.“

„Ah!“ tönte es betroffen von allen Seiten.

„Drück’ Er los, Er Sacrementer!“ lachte der alte Oberförster. „Ich komme unter acht Tagen nicht wieder in Euer Nest, und möchte es gern heute mit nach Haus bringen, was Euch passirt. Frau Wirthin, eine Bowle Punsch zur Feier der Wiederkehr unseres Landstreichers.“

„Ja, eine Bowle Punsch zur Wiederkehrfeier“, riefen alle lachend. „Aber erzählt, Buttlich.“ –

„Nun denn, es sei“, entgegnete der Bestürmte, brannte sich die lange Pfeife an und begann, nachdem er einen langen Zug aus seinem Biertöpfchen gethan: „Die Beschreibung der feierlichen Eröffnungsfahrt habt Ihr schon in allen Wochenblättern gelesen und braucht sie also von mir nicht [179] noch einmal zu hören, ich will daher der Kürze wegen nur mittheilen, von wo an in Dresden sich mein heilloses Pech anfing.“

„Es mochte gegen 11 Uhr Vormittags sein, als wir in Dresden angekommen und ich meinen Gasthof verließ, um mich in der Stadt umzusehen; da aber bis zum Mittagsessen mir noch zwei volle Stunden Zeit blieben, war mein erster Gang in einen Hutmacherladen, um meine Reisemütze mit einer anständigern Kopfbedeckung zu vertauschen, denn mit der Mütze auf dem Kopfe, dachte ich, sieht jeder daß du aus der Provinz bist, und das wollte ich vermeiden, indem ich ohnedem gezwungen war, einen Besuch beim Rentier Busch zu machen, an welchen ich einen Brief eines Chemnitzer Verwandten abzugeben hatte.“

„Merkst du was?“ zischelte der Acciseinnehmer dem Postmeister zu.

„Sobald ich meinen Pariser Filz mit 3 Thaler bezahlt, und meine Mütze in den Gasthof zurückgetragen, trat ich in eine der vielen bayrischen Bierstuben ein, die zu Dutzenden auf allen Straßen der Altstadt zu finden sind. Die, welche ich gewählt, befand sich auf der großen Brüdergasse und schien eine der nobelsten zu sein, das bemerkte ich an der Gesellschaft, welche ich hier traf und an dem Betrage meiner Zeche, denn ich hatte den Wirth derselben kaum angesehen und ein Glas Wein nebst etwas Caviar zu mir genommen, als ich auch einen halben Thaler los war. Aber gut und fein, das läßt sich nicht läugnen, war alles und eine Bedienung, na schön guten Morgen, da sind wir hier noch um 50 Jahr zurück.“

„Oha!“ brummte der Wirth der Harmonie, der im Hintergrunde des Zimmers stand und aufmerksam zuhörte.

„Nun, dachte ich, gehst du weiter und besiehst dir das neue Museum und die Zwingerruinen und dann wird es Zeit zum Essen sein. Ich stehe also auf und will fort, greife nach meinem Hute, den ich unweit meines Platzes an einen Haken gehängt, aber all die Hüte, die ich mir besah, hatten ihren Herrn und mein neuer Pariser war fort. Der Wirth, ein gewandter freundlicher Mann, der mir ansah was mir fehlte, bat mich, einige Minuten noch zu verweilen, da um diese Zeit gewöhnlich sämmtliche Gäste sich entfernten, denn nur aus Versehen könnte eine Vertauschung meines Hutes stattgefunden haben, und jedenfalls müßte doch ein Anderer dafür übrig bleiben. Mir blieb natürlich auch weiter nichts übrig, ich wartete bis der letzte Gast fort war, aber es blieb kein Hut zurück, denn der, welcher mir den Meinigen genommen hatte, hatte wahrscheinlich eine Mütze getragen, und diese auf Raub ausgehend, in die Tasche gesteckt. Verstimmt darüber, kaum eine Stunde in Dresden zu sein und auch schon bestohlen und noch dazu in so anständiger Gesellschaft, verließ ich diese Restauration und begab mich mit einer Mütze des Wirths versehen nach dem nächsten Hutmacherladen, um den zweiten Hut zu kaufen, und sendete die geborgte Mütze von meinem Gasthofe aus dem Restaurateur zurück, der, wie er mir wiederholt versichert hatte, um so unangenehmer durch diesen Vorfall berührt worden war, als seit Jahren ein Hutdiebstahl oder ein ähnlicher Gaunerstreich in seinem Lokale nicht stattgefunden.

„Doch bald hatte ich an der Table d’hôte meines Gasthofes unter heiterer Tischgesellschaft und bei einer Flasche Liebfrauenmilch die Geschichte vergessen, und im Laufe des Gesprächs mit mehreren der Anwesenden verabredet, den Nachmittag auf’s Link’sche Bad in’s Concert zu kommen, wo Musikdirector Hünerfürst mit seinem Chore spielte, und von dessen Leistungen wie es schien, ganz Dresden entzückt war. Ich dachte, i nu, das paßt, das Concert ist vor Beginn des Theaters zu Ende, und solltest du das Letztere auch heute nicht besuchen, so bleibt dir morgen noch Zeit und damit gut. Ehe wir aber noch von Tisch aufbrachen, kam zufällig das Gespräch auf das Postwesen, und mein Nachbar zur Linken, ein Hessenkass’ler äußerte so hingeworfen, daß er noch nie eine sächsische Paßkarte gesehen. Aus Höflichkeit nahm ich die Meinige aus der Brieftasche und übergab sie demselben, vertiefte mich dann noch mit meinem Nachbar zur Rechten in ein Gespräch über den Zollverband, worauf wir von unserm Industrie- und Fabrikwesen auf wollene Strümpfe und Damastwirkerei, auf Leinenwaaren und Kattundruck, auf Oesterreich und England und von da bis nach Californien und Australien auf Goldsucherei und Mord und Todtschlag kamen, dann uns aber in recht rosiger Laune trennten, denn der ersten Flasche Liebfrauenmilch war eine zweite nachgefolgt, und ich fühlte bereits, daß ich im besten Zuge war, einen Haarbeutel zu erhalten, denn ich fing an mit der Zunge anzustoßen und erblickte, als ich von meinem Nachbar auf Wiedersehen Adieu nahm in dessen Gesicht statt einer Nase zwei, und statt zwei Augen vier.

„Um den Nachmittag nicht zu verschlafen, eilte ich, wieder auf die Straße zu kommen und traf nach einem stundenlangen Spaziergange Punkt 3 Uhr auf dem Bade ein. Aber einen Platz dort erlangen zu können, dazu war keine Aussicht, denn obgleich es ein gewöhnlicher Wochentag war, so stand und saß doch alles Kopf an Kopf bis an die Thüren des Saales, der übrigens nebenbei gesagt, unserm Schießhaussaale nicht das Wasser reicht.“

„Was, so ein Saal in der Residenz sollte nicht dem Unsrigen hier gleich kommen?“ frug der Webermeister und Stadtverordnetenvorstand Giltnisch.

„Ja, Buttlich hat recht“, bekräftigte der Postmeister dessen Urtheil. „Dresden hat keinen einzigen zweckmäßigen und schönen Saal auf alle den Restaurationen, die zu den besuchtesten Concertorten gehören. Nichts als Lerchengebauer und Flickwerk.“

„Wie gesagt“, fuhr Buttlich fort, „es war gestopft voll, und aller Augen waren nach der Musik gerichtet, und dabei herrschte eine Stille wie in der Kirche. Aber wahr ist es, schöner und graziöser kann man aber auch kein Concert, wie man sie auf öffentlichen Orten großer Städte hört, vortragen hören, als hier die Leistungen dieses Hugo Hünerfürst’s und seines Chors. Und die Damenwelt hättet ihr betrachten sollen, alle Blicke der Augen so vieler Schönen hingen an des Directors Violinenbogen und Tactbewegungen, der aber dirigirte ernst und ruhig; aber merken mochte er es wohl, daß er so aufmerksam beobachtet wurde, denn er lächelte manchmal verstohlen nach dieser oder jener Gegend des Saales hin, nur wollte mir die Stille auf die Länge der Zeit bei diesem Concerte nicht gefallen, denn wo man Cigarren raucht und Kaffee und Bier trinkt, da halte ich nicht gern lange Ruhe, aber hier mußte ich, denn als ich einige Male während des Spiels mit meinem Nachbar zu sprechen begann, da tönte es rechts [180] und links um mich: bscht, bscht, Ruhe, und das gefiel mir gleich gar nicht; ich drückte mich daher noch vor Schluß des Concerts, denn sonst hätten sie mir vielleicht auch noch das Niesen verboten, und wanderte allein dem Waldschlößchen zu, da es mir nicht möglich gewesen war, einen meiner Tischgenossen unter dieser von Tabakwolken umhüllten Menschenmasse zu entdecken.

„Kommt’s denn nicht bald schlimmer?“ frug gähnend der alte Oberförster, dem die Geschichte anfing langweilig zu werden.

[189] „Nur Geduld, das Beste kommt zuletzt!“ entgegnete Buttlich und fuhr fort: „Um zu Ende zu kommen, will ich Euch nicht damit aufhalten, wie es mir auf dem Waldschlößchen und bei Felßner gefallen, aber spät mußte es sein, als ich meinen Rückweg nach der Stadt von der Felßner’schen Restauration aus nahm, da Droschken und Omnibusse, die bis Abend 10 Uhr vor diesem stark besuchten Etablissement stets zu finden sind, nicht mehr anzutreffen waren. Ich trollte daher zu Fuße der Stadt zu, aber seltsam, ich war kaum eine Viertelstunde gegangen, als ich von der Bautzner Straße rechts ab in eine Gegend gerathen war, die gar nicht mehr zur Residenzstadt zu gehören schien, während die beleuchteten Straßen Dresdens immer weiter zurücktraten, statt daß ich denselben näher kommen sollte. Aber ich war noch im Dresdner Stadtgebiet, nur war ich statt nach Neustadt auf die sogenannten „Scheunenhöfe“ gerathen, wo aus einer Unzahl von Wirthshäusern oder Winkelkneipen Gesang und Musik, Gelächter und Streit mir entgegenschallte.“ –

„Hm!“ dachte ich, „hier geht’s lustig zu, da kannst du einmal einkehren, und richtig, mich plagt der Teufel, grad’ auf das Gasthaus zur goldnen Henne zuzusteuern. Hier saß die große saalähnliche Stube voll Soldaten, Artillerie und Pioniere, Linie und Cavalerie, Schützen und Train, alles bunt durcheinander, alle mit Nachtzeichen versehen, da es den Abschied zweier Stellvertreter gegolten, denen zu Ehren sich Alle hier eingefunden. Einige sangen, Andere declamirten, während hier renommirend und fechtend sich wieder Andere in der Mitte des Zimmers bewegten und Mehrere derselben schon stark benebelt waren, und dazu kam ich Unglücksvogel grade, als die ganze Fête auf die Neige zu gehen schien.“

„Wieder umkehren, das ging nicht gut; ich nahm daher so unbefangen als möglich Platz an einem Tische, an welchem mehrere Civilisten saßen und bestellte mir ein Glas Grog. Die Soldaten hatten meinen Eintritt nicht beachtet, die mit mir an einem Tische Sitzenden, welche aus der Nachbarschaft zu sein schienen, da sie sämmtlich in Schlafpelzen und wollenen Jacken paradirten, hielten es auch nicht für nöthig eine weitere Notiz von mir zu nehmen, [190] und da ich so ungestört mir selbst überlassen blieb, nahm ich meinen Hut ab, setzte mein rothes Käppchen auf, wie ich es seit Jahren alle Abende gewohnt bin, und brannte mir eine Cigarre an, indeß der Wirth mir das verlangte „Warme“ gebracht.“

„Nur wenige Augenblicke verweilten die an meinem Tische sitzenden Leute aus der Nachbarschaft und entfernten sich dann bis auf einen alten Mann, welcher mit dem Wirth in ein Nebenzimmer ging, und auch ich hatte große Lust meinen Grog stehen zu lassen und aufzubrechen, als ich die höchst unangenehme Entdeckung machte, daß sich die Aufmerksamkeit sämmtlicher Soldaten meiner Person zugewendet und nachdem Alle lachend unter einander geflüstert, begann die ganze Gesellschaft das Lied von der rothen Nase aus Otto’s Gesellenfahrten, aber mit verändertem Text: so daß der Chor allemal mit folgenden Strophen einfiel:

„Haha, die rothe Mütze schaut,
Es prahlt damit die alte Haut,
Und macht hier unter uns gar Staat.
Schaut, schaut, er ist ein Democrat
 Mit seiner rothen Mütze.“

„Mir ward heiß und kalt während dieses Gesanges, während unter wildem Gelächter die Blicke Aller nach mir sich richteten. Doch faßte ich mir ein Herz, um nach meinem Hut zu greifen und mich zu entfernen. Aber, o Jammer, auch der zweite neue Hut war verschwunden.“

„In diesem Augenblicke trat der Wirth in’s Zimmer und an ihn wendete ich mich so ärgerlich als beklommen, und klagte, daß mein Hut, ein ganz neuer Hut, von Albrecht auf der Scheffelgasse, der zweite, den ich heute gekauft, mir hier abhanden gekommen sei, und ob er nicht wüßte, wer die Leute gewesen, die mit mir an einem Tische gesessen und vor wenig Augenblicken erst sich entfernt.“

„Die kenne ich nicht,“ entgegnete der Wirth. „Wer Teufel soll alle Leute hier kennen. Aber Ihr Hut wird wohl noch da sein. Wir wollen suchen.“ Mit diesen Worten nahm er einen Leuchter und suchte unter Tische und Stühle, während die Soldaten aufstanden, um, wie es schien, sich ebenfalls zu entfernen.

„Hier ist ein Hut,“ rief der Wirth und zog einen solchen unter einem Stuhle hervor. Ich griff darnach, ohne ihn anzusehen, froh, nur ohne weiteren Skandal fortzukommen, aber mein Hut war es nicht, sondern ein alter abgetragener Deckel, der mir bis über die Nase in’s Gesicht rutschte.“

„Das ist nicht mein Hut!“ rief ich mit steigendem Aerger und riß ihn vom Kopfe, und zwar so heftig, daß mir die Krämpe in der Hand blieb.“

„Oho!“ lachten die Soldaten und fingen von Neuem an:

„Haha, die rothe Mütze schaut –
Noch prahlt damit die alte Haut.
 Herunter mit der Mütze.“

„Und plötzlich lag mein rothes Mützchen, welches ich in meiner Angst aufbehalten, von unsichtbarer Hand mir vom Kopfe gerissen, am Boden.“

„Meine Herren!“ rief ich voll Ingrimm über eine solche Behandlung, „das ist gemein!“

„Was!“ rief ein Sergeant mit halb verbissenem Lachen, „Herr, wer sind Sie, mit Ihrer rothen Mütze, der hier von Gemeinheit zu sprechen wagt.“

„Wer ich bin, geht Niemand hier etwas an!“ rief ich giftig, und hob mein Mützchen auf, um es einzustecken. „Aber meinen Hut verlang’ ich von Ihnen, Herr Wirth, mit Euch Soldaten hab’ ich nichts zu schaffen.“

„Aber wir mit Ihnen!“ riefen wie drohend mehrere derselben.

„Was geht mir Ihr Hut an,“ entgegnete patzig der Wirth, „wer weiß, ob Sie einen mitgebracht, denn hier ist kein anderer und gefressen hat ihn auch Niemand.“

„Zu gleicher Zeit näherte sich der alte Mann, welcher bisher außerhalb des Zimmers gewesen war, hob den von mir zu Boden geworfenen Hut nebst abgerissener Krempe auf und rief zornig:

„Heda! was ist denn das für Wirthschaft, wer hat meinen Hut ruinirt.“

„Die rothe Mütze!“ schrieen die Soldaten und zeigten lachend auf mich.

„Herr!“ schrie nun der Alte, sich zu mir wendend, „der Hut hat mir einen Louisd’or gekostet, die Hälfte wenigstens müssen Sie bezahlen.“

„Ich, Ihren Deckel bezahlen, der keine zwei Groschen mehr werth ist,“ entgegnete ich schäumend vor Wuth. „Nicht einen Pfennig. Aber meinen neuen Hut verlang’ ich, der zweite, der mir heute hier in Dresden weggekommen.“

„Sie dürfen nicht eher fort, bis Sie meinen Hut bezahlt“ – brüllte der Alte.

„Die ganze Geschichte kommt mir verdächtig vor,“ rief der Wirth mit untergestemmten Armen, mich von oben bis unten betrachtend. „Jetzt frage ich Sie, wer Sie sind; – denn da könnte Jeder kommen und sagen: mir ist mein Hut gestohlen!“ –

„Darnach haben Sie doch wohl nichts zu fragen?“ entgegnete ich mit verbissenem Grimme, und suchte vergebens, dieser Gesellschaft gegenüber ruhiger zu werden.

„Wir haben darnach zu fragen!“ lachten die Soldaten.

„Ich muß darnach fragen!“ schrie der Wirth.

„Ich muß wissen, wer Sie sind!“ brüllte der Alte.

„Nun denn ja Ihr sollt es wissen!“ rief ich ruhiger. „Ich bin der Stadtrath Buttlich aus Lichtenberg!“

„Beweisen!“ riefen die Soldaten.

„Ja, beweisen müssen Sie uns das, wenn wir’s glauben sollen,“ entgegnete höhnisch der Wirth.

„Hier ist meine Paßkarte!“ schrie ich von Neuem ärgerlich über diese Fopperei, und rieß meine Brieftasche heraus, um die Karte herauszunehmen, aber ich mochte suchen, wie ich wollte, die Paßkarte war weg.

„Bin ich denn heute behext!“ grollte ich halblaut, während die Anwesenden jede meiner Handbewegungen verfolgten.

„Meine Herren!“ begann ich finstern Blicks. „Durch ein Versehen ist meine Paßkarte in meinem Gasthofe entweder auf meinem Zimmer oder sonst irgend wo liegen geblieben, ich muß Sie daher ersuchen, wenn Sie mir nicht glauben wollen, mich in die Stadt zu begleiten, um sich zu überzeugen.“

„Ach was da. Stadtrath oder sonst etwas,“ entgegnete der alte Mann, mir fortwährend seinen Hut nebst der abgerissenen Krempe hinhaltend. „Meine zwei Thaler will ich haben, eher dürfen Sie nicht fort.“

[191] „Faule Fische,“ rief höhnend der Wirth. „Erst legitimiren, sonst behalte ich Sie bis eine Patrouille kommt.“

„In diesem Augenblicke trat ein Corporal mit zwei Mann ein.

„Die Soldaten entfernten sich geräuschlos beim Eintritt desselben. Der alte Mann aber nebst dem Wirthe, wendeten sich an den Corporal, der Eine verlangte, die Patrouille sollte mich zwingen, zwei Thaler für den zerrissenen Hut zu zahlen, der Andre verlangte, mich als Arrestant mitzunehmen, indem ich mich über meine Person nicht genügend legitimiren könnte.“

„Haben Sie diesem Herrn den Hut zerrissen?“ frug mich der Corporal.

„Allerdings,“ entgegnete ich, „habe ich die Krempe in der Hand behalten, als ich ihn abnahm, aber wahrscheinlich war er schon defect.“

„Der Hut ist so gut wie neu!“ rief der Alte dazwischen.

„Dann müssen sie Entschädigung gewähren,“ entgegnete der Corporal lächelnd. Doch“ – setzte er ernst hinzu, „diese Angelegenheit geht mir nichts an, wohl aber Ihr Legitimationsmangel. Ist dem so, wie der Wirth aussagt, daß Sie sich für den Stadtrath Buttlich aus Lichtenberg ausgegeben und ihrer Versicherung nach Ihre Paßkarte im Gasthause zurückgelassen haben?“

„Ja!“ entgegnete ich ruhig in meinem Innern werdend, denn nun dachte ich, bist du erlöst aus dieser nichtswürdigen Situation.

„Dann,“ bemerkte der Corporal achselzuckend, „muß ich Sie bitten, mir auf die Hauptwache zu folgen, wo das Weitere sich finden wird.“

„Als Arrestant?!“ rief ich erschrocken.

„Allerdings,“ antwortete der Corporal.

„Aber meine zwei Thaler für den Hut!“ jammerte der Alte.

„Sie haben sich an die Polizeibehörde zu wenden, welche mit diesem Herrn sich morgen beschäftigen wird,“ belehrte der Corporal den Alten und befahl ihn sich fort zu packen.

„Ich, Arrestant!?“ schrie ich von Zorn und Kummer überwältigt. „Ich Johann Leberecht Buttlich, Senator und Aeltester der Strumpfwirkerinnung zu Lichtenberg. Das ist zu toll.“

„Vorwärts, marsch!“ commandirte der Corporal, und mit der rothen Mütze das Haupt bedeckt, da kein anderer Hut in dieser verdammten Kneipe zu finden war, mußte ich von Soldaten mit Ober- und Untergewehr begleitet, meinen Marsch nach der Hauptwache antreten, während höhnend hinter uns das Chor der über meine Arretur jubelnden Soldaten, die sich noch in der Nähe des Wirthshauses aufhielten mir höhnend nachhallte:

Haha, die rothe Mütze schaut,
Es prahlt damit die alte Haut, –
Nun macht er auf der Wache Staat,
Gute Nacht, gute Nacht du Democrat
Mit deiner rothen Mütze.“

„Das heißt Pech!“ brummte der Oberförster, als Buttlich erschöpft inne hielt, und die Wirthin die dampfende Punschbowle auf den Tisch setzte.

„Aber wie wurde es denn nun noch?“ frug neugierig der Acciseinnehmer.

„Wie es noch wurde,“ entgegnete Buttlich. „Nun das will ich in der Kürze noch mittheilen, dann aber laßt mich für heute ruhig mein Glas Punsch trinken und meine Pfeife rauchen, denn ich bin müd’ und matt an Leib und Seele. –

„Auf der Hauptwache, wohin man mich gebracht, wurde ich zwar sehr artig behandelt, mußte aber bis gegen 4 Uhr des Morgens campiren, und dann einem dort meiner Person wegen eingetretenen Polizeidiener nach dem Polizeihause folgen, wo ich bis 10 Uhr Morgens zu warten genöthigt war, ehe ich zum Verhör gelangen konnte. Der Wirth meines Gasthauses bezeugte, daß ich des Tags vorher angekommen, aber nach der Table d’hôte mich entfernt hätte, und weiter konnte er auch nichts bezeugen; dagegen war meine Paßkarte nirgend zu finden. Da, als ich mit der Welt zerfallen, bis auf Weiteres wieder abgeführt wurde, besann ich mich, daß ich einem meiner Tischnachbarn diese Paßkarte zur Besichtigung gegeben, und daß ja der Rentier Busch gern bezeugen würde, daß ich der wirkliche Leberecht Buttlich aus Lichtenberg sei, und ließ dies dem betreffenden Polizeiactuar melden. Aber unglücklicher Weise war Busch verreist, und der Fremde mit meiner Paßkarte über alle Berge. Schon war man im Begriff nach Lichtenberg an Euch Gevatter Bürgermeister zu schreiben und eine der hiesigen Magistratspersonen auf meine Kosten nach Dresden kommen zu lassen, um mit der Identität meiner Person auf’s Reine zu kommen, da erschien zu meinem Glücke Busch den dritten Tag nach meiner Verhaftung und befreite mich durch seine Bekräftigung, daß ich der betreffende Buttlich sei und durch seine Bürgschaft für meine Person während meines etwa noch längern Aufenthalts in Dresden aus den Händen der wohllöblichen Polizei.“

„Also habt Ihr in einem Tage drei Hüte bezahlen müssen, und doch keinen gehabt,“ lachte der Bürgermeister.

„Und drei Tage gebrummt,“ setzte der Postmeister hinzu. „I nun, als Vergnügungsparthie ist dies genug.“

„Ihr habt gut spotten,“ entgegnete Buttlich. „Uebrigens habe ich nicht drei Tage auf der Polizei zugebracht, sondern unter Handgelöbniß bis zu Busch’s Rückkehr in meinem Gasthofe. Aber, darauf könnt Ihr Euch verlassen, ich fahre sobald nicht wieder nach Dresden.“

„Aber wenn die ganze Harmoniegesellschaft von Lichtenberg hinrutscht, wie da?“ frugen Mehrere.

„Dann, ja dann ist es etwas Anderes,“ entgegnete der Gefragte lächelnd.

„Also, die Gläser gefüllt!“ rief der Bürgermeister. „Auf eine fröhliche Fahrt nach Dresden zum nächsten Frühjahre!“

„Glück auf zur Fahrt nach Dresden ohne Buttlich’s Pech!“ tönte es laut im heitern Kreise unter hellem Gläserklang und spät nach Mitternacht erst trennte sich die Harmoniegesellschaft, den wieder zurückgekehrten Senator in der fröhlichsten Laune bis an die Thür seines Hauses begleitend.