Wie man Universalerbe wird

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Eduard Gottwald
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie man Universalerbe wird
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 21–23
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[21]

Bilder aus dem Leben.

Von
Ed. Gottwald.
I.
Wie man Universalerbe wird.

Daß Herr Falke eine Perrücke trug und Herr Walke ebenfalls, das wußte die ganze Stadt, oder wenigstens doch alle diejenigen, welche das Vergnügen hatten, diese sehr ehrenwerthen Staatsbürger näher zu kennen. Da aber in einer großen Stadt viele Leute sehr nahe oft neben einander leben, ohne sich jemals kennen zu lernen, so konnte es nicht befremden, daß Herr Falke nicht die geringste Ahnung von der Existenz des Herrn Walke hatte, eben so wenig als Herr Walke von dem Vorhandensein des Herrn Falke Kenntniß hatte, obgleich, wie schon gesagt, Beide Perrücken trugen, obgleich Beide schon längst über das Schwabenalter[WS 1] hinaus und als alte Junggesellen privatisirten, und Beide fleißige Besucher des Theaters waren, in welchem Letzterer, Herr Falke, stets im Parterre oder zweiten Range Platz nahm, da er für reich galt, während Herr Walke, bescheiden mit der Mittelgallerie des vierten Ranges sich begnügte, da seine Mittel weiter zu gehen ihm nicht erlaubten.

So mochten wohl schon viele Jahre vergangen sein, ohne daß die beiden alten Junggesellen, die in so mancher Beziehung gleiches Loos getroffen und gleiche Lieblingsneigungen hegten, sich jemals gesehen und gesprochen oder auch nur vorübergehend mit einander in Berührung gekommen waren, als eines Abends das Schicksal durch Lucie Grahn[WS 2] es nicht allein dahin brachte, daß Beide sich kennen lernten, sondern Beide auch in sehr nahe Berührung gerathen ließ. – Und dies fand im Theater bei erhöhten Preisen statt. –

Der Andrang des Publicums zur letzten Gastrolle der berühmten Ballettänzerin war ein so außerordentlicher, daß Herr Falke nur mit Mühe ein Billet in einen Sperrsitz des vierten Ranges erlangen konnte, während der Zufall es fügte, daß Herr Walke auf der ersten Galleriebank dicht hinter Herr Falke Platz erhielt, was für den Erstern nicht eben günstig war, denn Falke war groß und stark, Walke dagegen klein und schmächtig, und eben an diesem Abend schien Falke sehr knappe Stiefeln zu tragen, die ihn drücken mochten, oder er hatte wegen vielleicht bevorstehendem Witterungswechsel Schmerzen in seinen Hühneraugen, denn er stand sehr häufig auf und verzog dabei schmerzhaft den [22] Mund, was allerdings Herr Walke hinter ihm nicht sehen konnte, der eben dadurch, da des Vormanns breiter Rücken gleich einem Schilde ihn deckte, den größten Theil der Aussicht auf die Bühne verlor. Während des Lustspiels, welches dem ersten Theile des Ballets vorherging, ertrug Walke ohne Murren das Unangenehme seiner Lage, als aber dieses beendet, und Lucie Grahn ihre Salto mortales als Willy’s begann, als sie mit dämonischer Lust den Geliebten auf dem Friedhofe gleichsam umflatterte und mit Riesensprüngen vom Hintergrunde der Bühne bis vor an den Souffleurkasten wirbelte, als die Ah’s und Oh’s des Erstaunens und der Bewunderung aus allen Räumen des Theaters der gefeierten Künstlerin entgegenschallten, und Herr Falke immer häufiger sich erhob, als ob der Schmerz in seinen Füßen während dieses Tanzes im Steigen begriffen schien, da schwoll dem kleinen gutmüthigen Walke die Zornader und heftig rief er Falken zu:

Herr, bleiben Sie doch ruhig sitzen. Glauben Sie vielleicht ich habe den erhöhten Preis für meinen Platz nur darum bezahlt, um weiter nichts hier zu sehen als Ihre Westseite?!

Ruhe auf der Gallerie! tönte es von mehreren Seiten, während Lucie Grahn einen ihrer groteskesten Sprünge ausführte, den Walke ebenfalls nicht zu sehen bekam, da Falke schon wieder aufgestanden war.

Niedersetzen! schrie Walke, von Zorn überwältigt.

Niedersetzen! riefen mehrere Stimmen, wie spottend nach, indeß die Grahn wie von Sturmwind erfaßt, mehr über der Bühne als auf derselben in wirbelnden Kreisbewegungen sich drehte.

Herr! sind Sie denn taub! knirrschte Walke dem unbeweglich stehen bleibenden Falke zu, und sprang auf um Falken auf den Kopf zu drücken und so handgreiflich diesen zum Niedersetzen zu bewegen; aber wahrscheinlich war diese Bewegung zu heftig gewesen, oder Falke hatte zu schnell sich mit dem Kopfe gebückt, denn Walke behielt zur Ergötzlichkeit der Umsitzenden plötzlich die Perrücke Falkens in der Hand, während dieser rasch sich umdrehte, und ehe Walke ausweichen konnte, diesen ebenfalls in die Haare gerieth, und mit einem Ruck nun auch dessen Perrücke erobert hatte.

Ein fürchterliches Gelächter erschallte längs den Bänken der Gallerie, als beide Gegner stumm vor Wuth und Schreck, jeder die Perrücke des Andern in der Hand haltend sich grimmig anblickten, aber ehe Falke und Walke Worte fanden ihren Zorn auszuschütten, erschienen Polizeibeamte Ruhe gebietend, denn das übrige Theaterpublikum im Parterre und in den Rängen, welche das Lächerliche dieses Auftritts nicht bemerkt hatten, verlangten entrüstet Beseitigung dieser Störung.

Ohne ein Wort zu wechseln, warfen sich Beide ihre Perrücken zu und nahmen ihre Plätze wieder ein, die Ruhe kehrte zurück, das Gelächter der Umsitzenden verstummte und unter rauschendem Beifall der Menge endete der erste Theil des Ballets.

Falke, welcher nun ohne öfterer aufzustehen sitzen blieb, so wie Walke, sprachen kein Wort, nur von Zeit zu Zeit während des zweiten Lustspiels, welches dem letzten Theile des Ballets vorher ging, begegneten sich beider Blicke voll Groll und boshaften Lächeln, aber auch dieses unterblieb beim Wiederbeginn des Ballets, und bald hatten die an’s Wunderbare grenzenden Leistungen der berühmten Tänzerin die letzten Ueberreste des Grolls aus den Herzen der beiden Feinde verweht, denn Beide fingen an Beifall zu klatschen und sich in Acclamationen zu ergehen.

Wahrhaftig, bemerkte Herr Falke, zu einem seiner Nachbarn. Diese Grahn ist doch unerreichbar und eine wirkliche Königin des Ballets.

[23] Ja! entgegnete dieser. Sie leistet das fast Unmögliche, das non plus ultra der Balletkunst. Ich zähle diesen Abend zu einem der amüssantesten während der Wintersaison.

Das wäre bei mir auch der Fall, wenn meine Gicht im linken Fuße mich nicht so gequält hätte und die dumme Scene mit den Perrücken nicht vorgekommen wäre, brummte Falke. Meinetwegen kann die ganze Welt wissen, daß ich eine Haartour trage, aber nur so mitspielen laß ich mir nicht.

Es ging aber dem andern Herrn auch nicht besser, tröstete begütigend der Nachbar und bot Falken eine Priese.

Mir ist es ganz gleich, bemerkte jetzt Herr Walke, dem keines dieser Worte entgangen war. Mir ist es ganz gleich, ob ganz Dresden es weiß oder nicht, daß ich eine Perrücke trage, und meinetwegen kann die ganze Geschichte morgen im Anzeiger stehen; hätte ich aber gewußt, daß der Herr vor mir, eben wie ich, eine Perrücke trägt, ich hätte ihn gewiß nicht angerührt.

Darum ist es auch um so leichter zu vergessen, tröstete eine junge neben Herrn Walke sitzende Frau, welche jedoch bei der Erinnerung an die Scene selbst ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Aber das Gelächter, der Scandal, die Polizeieinmischung, brummte Walke ärgerlich.

Hm, das ist morgen alles längst vergessen, bemerkte ein anderer Nachbar, während Herr Falke, der dies alles mit angehört, ungläubig den Kopf schüttelte. –

Der zweite Theil des Ballets endete, der Vorhang fiel unter dem rauschendsten Applaus und dem Herausrufen der Lucie Grahn, welche als der Vorhang wieder aufging mit einem Regen von Bouquetts und Kränzen überschüttet wurde. Dann fiel der Vorhang wieder und die Zuschauer entfernten sich.

Auch Falke und Walke traten ihren Rückweg an, und doch wollte es der Zufall, daß, als die nach allen Seiten der Treppe sich zudrängende Menge das Weitervorwärtsschreiten hemmte, beide neben einander zu stehen kamen.

Ich habe von dieser Lucie Grahn viel gehört, was ich aber heute gesehen, übertrifft alle meine Erwartungen, fing Herr Walke etwas verlegen an.

So geht es auch mir, entgegnete Herr Falke, und hätte die Gicht mir in meinem linken Fuße nicht so fürchterlich zu schaffen gemacht, und wäre die fatale Geschichte mit unserer Kopfbedeckung nicht dazu gekommen, so wäre mir dieser Abend einer der genußreichsten gewesen.

Ich bedaure, daß ich so ungeschickt war, betheuerte Walke treuherzig, aber ich konnte nicht ahnen, daß Ihr immerwährendes Aufstehen von Gichtschmerzen herrührte.

Nun ich trage eben so viel Schuld, rief Falke. Doch lassen wir das.

Vergeben und vergessen, bat Walke gutmüthig.

Vergeben und vergessen, rief Falke und schlug herzlich in Walkens dargebotene Hand. – Gehen Sie direct nach Hause? frug er nach einer Pause, während der Menschenknäul sich zu entwickeln begann und Beide langsam die Treppe hinabstiegen.

Nein, ich kehre noch im italienischen Dörfchen ein, entgegnete Walke, denn zu Hause, setzte er komisch hinzu, da wartet meiner Niemand als eine alte Haushälterin.

Just wie bei mir, bemerkte Falke.

Auch nicht verheirathet? frug Walke.

Ich bin ein alter Junggesell, und werde es nun wohl auch bleiben, lächelte Falke.

Just wie bei mir, rief nun Walke lachend. Wahrlich, wir haben manches Aehnliche mit einander.

Sogar die Perrücken, scherzte Falke, und unter traulichem Gespräch wandelten Beide dem italienischen Dörfchen zu, um den Abend in einer der dortigen Restaurationen zu beschließen. Nach 11 Uhr Nachts trennten sich Beide mit dem Versprechen, sich des nächsten Abends hier wieder zu treffen, und hielten auch Wort.

Kein Tag verging später, ohne daß die neuen Freunde sich nicht gefunden, denn diese beiden allein stehenden Männer waren sich bald unentbehrlich geworden und gewannen sich mit jedem Tage lieber. –

Zwei Jahre nach jenem Theaterabend saß Walke am Bette seines Freundes, bei welchem er bereits drei Nächte, mit einem jungen Mediciner abwechselnd gewacht, und tröstete ihn mit baldiger Genesung, denn Falke war plötzlich schwer erkrankt und lag seit Wochen schon darnieder.

Aber Falke schüttelte ungläubig den Kopf und seufzte bang aufathmend: Diesmal wird’s nicht wieder, diesmal geht die Reise fort. – Aber Walke eine Bitte noch!

Und welche, sprich!? frug theilnehmend Walke.

Nimm Dich meiner alten Haushälterin und meines Pudels an, und laß mich ganz in der Stille begraben, flüsterte Falke, dem das Sprechen schwerer zu werden schien.

O sprich nicht so, rief der Freund wehmüthig, während seine Thränen auf die abgezehrten Hände des Kranken herabtropfen, die Walke festhielt, und erschrocken fühlte, wie kalter Schweiß dieselben bedeckte.

Ich fühle es, Bruderherz – es wird bald alle sein, stöhnte Falke, und sank wie erschöpft auf sein Lager zurück, auf welchem er zu seinem Freunde aufblickend sich mit der äußersten Anstrengung all’ seiner Kräfte erhoben hatte.

Wir wollen zum Doctor schicken, begann jetzt leise der junge Mediciner, der zur Nachtwache mit bestellt worden war, indeß Walke voll stummen Schmerzes sich an des Kranken Seite setzte. Seit einer halben Stunde hatte der Patient sich offenbar verändert.

Walke nickte beistimmend, und die Haushälterin lief schluchzend fort, den Arzt zu holen, welcher vor einer Stunde erst den Kranken verlassen, aber es war zu spät; einmal noch versuchte mit Hülfe Walkens der Sterbende sich aufzurichten, sein gebrochenes Auge auf den Freund richtend, als habe er ihm noch etwas anzuvertrauen, aber plötzlich zuckte er das Gesicht krampfhaft verziehend zusammen und starb.

Weinend drückte Walkens Freundes Hand ihm die Augen zu.


Wenige Tage nach Falkens Tode erklärte das Gericht nach Eröffnung des Testaments, welches der Verstorbene hinterlassen, Walken zum Universalerben, welcher die alte Haushälterin, so wie den Pudel des Freundes, treu seinem Versprechen zu sich nahm und bis an deren Ende sorgsam pflegte.

Falkens Perrücke aber lies er, als die Begründung der Freundschaft, welche Beide so herzlich umschlossen, unter Glas einrahmen und unter Falkens Bild, Beides an der Wand seinem Bett gegenüber, befestigen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lebensjahre ab dem vierzigsten Geburtstag eines Schwaben (Quelle: Wikipedia)
  2. dänische Tänzerin und Ballerina (1819-1907) (Quelle: Wikipedia)