Das rothe Jahr
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Das rothe Jahr.
Wenn einer Wahlschlacht Abend naht,
Und Licht auf Licht sich still entzündet,
Und wenn elektrisch dann der Draht
Dem Reiche unsre Siege kündet,
Von Hand zu Hand das Blatt sich reichen,
Wenn sie mit einem: „Es ist kraß!“
Die schlimmen Ziffern stumm vergleichen,
Wenn man sich tief bekümmert sagt,
Daß es nun doch mit Schrecken tagt
Auch in bisher „immunen“ Gauen,
Wenn man sich seufzend eingesteht,
Daß auf dem letzten Loch man blase,
Mit der bewährten Macht der Phrase,
Wenn man sich sagt mit bleichem Mund,
Daß nirgends unser Vormarsch stocke,
Und daß vom Ofen keinen Hund
Dann schwillt das Herz uns in der Brust,
Als ob es keinen Platz mehr fände,
Dann drücken wir uns selbstbewußt
In frohem Stolz die Bruderhände,
Wennschon ein Tag für Tag bedrohtes,
Wir opferfreudig schön und groß,
Dann nennen wir das Jahr ― ein rothes.
Wir haben manches solche Jahr
Denn jedes dieser Jahre war
Ein Markstein in der Weltgeschichte.
Und ein gewaltig Echo fand
Der Donner jedes rothen Jahres
Bis an den Strand des Manzanares,
Und in Sibiriens Wüsteneien
Erfüllte Herzen er mit Wonne,
Wie unterm goldnen Sonnenschein
Ein jeder Sieg der Vorderhut
Entzündet ja der Hoffnung Kerzen
Und füllt mit Zuversicht und Muth
Gebeugte und verzagte Herzen;
Berauschten, stählten und entzückten
Mit einem Schlage wir das Heer
Der Duldenden, der Unterdrückten.
Nicht uns allein galt unsre That,
Für’s ganze Proletariat
Schlug Deutschland die Befreiungsschlachten.
Und nun ― uns allen sei es klar! ―
Nun steht erwartungsvoll die Erde
Für alle Welt ein rothes werde.
Und was da mannhaft fühlt und frei,
Das hält den Blick auf uns gewendet,
Das will, daß neunzehnhundertdrei
Das hofft auf einen Siegestag,
Vor dem die frühern all verblassen,
Das hofft auf einen Keulenschlag
Von Seiten der empörten Massen,
Der von der blinden Gier entfachte
Maßlose Junkerübermuth
Und Junkerhohn zum Sieden brachte.
Und soll das Volk für alle Welt
Das zwischen Bodensee und Belt
Sich wappnet heut‘ mit Zorngeberden?
Soll’s etwa heißen immerdar
Bei allen Völkern in der Runde,
Der unerhörten Gunst der Stunde?
Daß wir nicht so, wie wir gemußt,
Genutzt den ekelhaften Schacher,
Daß wir zu treffen nicht gewußt
Doch nur getrost! Wir werden nicht
Die rothen Fahnen selbst zerfetzen;
Wir werden treu erkannter Pflicht
An Alles mannhaft Alles setzen;
Daß wir die Junkersippe fällen
Und daß das rothe Banner weht
Am Abend von erstürmten Wällen.
Wohlauf denn, Landsturm der Partei!
Zersprengt mit einem Racheschrei
Den Horst der Dränger und der Knechte,
Macht ihren räuberischen Troß,
Den alten Fluch der deutschen Lande,
An einem Schicksalstag zu Schande,
Und sorgt, daß neunzehnhundertdrei
Für unsre kampferprobten Schaaren
Das glänzendste und schönste sei
R. Lavant.