Das seltsame Sterben
Das seltsame Sterben
Laßt aus frohen Jugendtagen
Euch mein liebstes Leid berichten:
Seltsam Sterben eines Freundes,
Das in trauten Nachtgesichten
Eines Freundes, den ich liebte
Wie mich selber; den ich kannte,
Meine zweite Seele nannte.
Still auf eines Berges Knieen
Stieg der Knabe jenes Morgens,
Der sein junges Leben raubte.
Grünten nicht die Frühlingswälder?
Lag der Nebel nicht im Tale?
Silbern die betaute Welt?
War es nicht ein heilger Morgen?
Abends fand man meinen lieben
Freund zerschmettert unterm Felsen.
In des Dörfleins stillen Hütten,
Daß er Maienglöcklein suchte
Und am Felsen ausgeglitten.
— — — — — — — — —
Besser weiß ich’s, weil er selber
Und ich wußt es ohne Träume,
Weil’s mein Freund war, den ich kannte,
Meine zweite Seele nannte.
Und an jenem klaren Morgen
Nicht nach Blumen stieg er einsam;
Nur die Sonne wollt er sehen,
Eh sie auf den Berg gestiegen!
Daß er früher als die Berge
Aus den goldnen Bechern trinke,
Glühend an der höchsten Göttin
Lichtumwob’ne Knie sinke!
Der auf Wolken weltumreiste,
Der auf blauen Himmelswiesen
Blumen pflückte, Sterne küßte,
Nach dem Licht mit Händen griff!
War die einz’ge große Freude
Die das Leben ihm beschieden
Neben seinem großen Leide.
Fragt ihr, wie es denn gekommen? –
An den Bäumen festgeklammert
Stand er droben, als die Sterne
Blaßten unterm hellern Strahle.
Leuchtend malte sich der Osten.
Aus der Nacht verträumten Tiefen,
Breiteten die Flimmeräste
Über Lande, die noch schliefen.
Und der Schöpfung kleinste Seele,
Hob die Hände voll Verlangen,
Himmelsfrüchte zu empfangen.
Aber meines Freundes Seele
Wollte hoch ob allen andern
Und zuerst die Sonne sehen!
Und das Kind vergaß die Erde,
Löste kühn die schwachen Arme
Von den Bäumen, stand dort oben
Halb schon in die Luft gehoben. –
Und dann sprang er in den Himmel. – –
Freundlich trugen ihn die Lüfte,
Rauschend grüne Waldesgrüfte
Ja, sein Leben und sein Lieben
Und sein seltsam schönes Sterben
Sind mein liebstes Leid geblieben.