Das spanische Espartogras
Manchem meiner Leser, welche das Hôtel de Pologne in Leipzig besucht haben, sind gewiß schon die bunten, zierlich gemusterten, scheinbar aus einer Art von Binsen oder Stroh geflochtenen Matten aufgefallen, welche in dem großen Corridor an dem Eingange zu den Sälen den Boden bedecken, aber weder ihnen noch den Eigenthümern des Hotels wird es bekannt sein, daß jene Decken aus einem Stoffe bestehen, der ein Produkt des fernen Spaniens ist, ja daß sie vielleicht gar selbst ein spanisches Fabrikat sind. Viel häufiger als in Deutschland trifft man dergleichen Fußmatten in Frankreich, wo man sie nattes d’esparte, auch wohl nattes de jonc espagnol, am Häufigsten kurzweg nattes nennt. In Paris giebt es fast keine Haushaltung, wo man nicht dergleichen, meist schwarz und roth, oder roth und gelb (die spanischen Nationalfarben) gefärbte Decken in den gewöhnlich nicht gedielten, sondern mit einem lackirten und polirten Ziegelboden versehenen Zimmern findet. Mir fielen diese Decken auf meiner ersten Reise nach Spanien zuerst in Genf auf, wo ich sie im Hause eines reichen Naturforschers, welcher einige Jahre zuvor ebenfalls in Spanien gewesen war, in seltner Schönheit sah. Dort erfuhr ich auch, daß diese Matten nicht aus Binsen, sondern aus den Blättern einer in Spanien häufig wachsenden und diesem Lande, sowie dem nördlichen Afrika eigenthümlichen Grasart verfertigt würden, welche in Spanien den Namen Esparto führt, von den Botanikern aber Macrochloa tenacissimagenannt wird. Schon in Marseille bemerkte ich große Magazine, welche theils mit Espartomatten und andern aus diesem Stoffe gearbeiteten Gegenständen, theils mit unverarbeiteten, aber getrockneten und gebleichten Espartoblättern angefüllt waren, und gleich bei dem ersten Hafenbesuch fielen mir mächtige aus demselben Stoffe gemachte Ankertaue in die Augen, welche sich schon von fern durch ihre gelbliche Farbe von den hänfenen unterschieden.
Alles dieses, noch mehr aber die Nachricht von der Ankunft eines großen mit rohem Esparto beladenen Schiffes von Alicante, die ich zufällig am andern Morgen im Hafenberichte las, überzeugte mich, daß jene Grasblätter und alle daraus verfertigten Gegenstände einen wichtigen Artikel des spanischen Exporthandels bilden müßten, wie es in der That der Fall ist.
Ich war nun sehr begierig, die Pflanze, welche diesen nützlichen und vielfach benutzten Stoff liefert, im lebenden Zustande zu sehen, fand sie aber erst in der Gegend von Valencia. Sie wuchs dort auf dürren steinigen Kalkhügeln, doch nur in sehr geringer Menge, weshalb ich damals nicht begreifen konnte, wo all der Esparto herkäme, von dem in Valencia noch viel größere Vorräte vorhanden waren, als in Marseille. Allein bald führte mich meine Reise in Gegenden, wo Räume von mehreren Quadratmeilen Areal fast gänzlich mit Espartogras bedeckt waren, und nun wunderte ich mich nicht mehr über die ungeheuren Massen von unverarbeitetem und verarbeitetem Esparto, die ich in Marseille, Barcelona, Valencia und Madrid gesehen hatte.
Das Espartogras gehört zu denjenigen Gräsern, deren Blätter eine lederartige Beschaffenheit besitzen und sich länger als einen Sommer frisch erhalten. Die Mehrzahl dieser Gräser wächst in den Umgebungen des mittelländischen Meeres und gern nicht dicht beisammen stehend, wie die Gräser unserer Wiesen, sondern in einzelnen Büscheln. Diese lederblättrigen Gräser bilden daher niemals Rasen, zwischen ihren starren Blätterbüscheln blickt überall der nackle Erdboden hervor. Nicht selten laufen die Blätter in eine harte stechende Spitze aus, aber selbst, wo dies nicht der Fall ist, können die Blätter wegen ihrer Härte nicht als Viehfutter benutzt werden, im Gegentheil wird das Vieh davon krank, wenn es dergleichen Grasblätter zufällig mit seinem Futter bekommt. So wächst an den Abhängen der schneebedeckten Kämme der Sierra Nevada ein solches Gras mit kurzen, stechenden Blättern in großer Menge.[1] - Trotz der Starrheit seiner Blätterbüschel werden diese bisweilen von hungrigen Ziegen verschlungen, aber nur selten kommt ein solches Thier mit dem Leben davon, indem die harten, stechenden Blätter ihm den Magen förmlich durchbohren. Deshalb wird dieses sehr verhaßte Gras von den Hirten jenes Gebirges „Rompebarriga“, d. h. Bauchaufreißer genannt. Auch das Espartogras würde eher eine Plage als ein Segen der Gegenden, wo es wächst, zu nennen sein, wenn seine Blätter nicht jene außerordentliche Zähigkeit, Biegsamkeit und Elasticität besäßen, welche sie zur technischen Benutzung in so hohem Grade geschickt machen.
Das Espartogras besitzt einen ausdauernden, ästigen, holzigen, oft unter dem Boden fortkriechenden Wurzelstock, aus dem zahlreiche Faserwurzeln und Blätterbüschel entspringen (s. die beigedruckte Abbildung, welche eine vollständige Espartopflanze im blühenden Zustande, aber stark verkleinert und daneben bei a. eine Blüthe in natürlicher Größe darstellt). Die jungen Blätter sind grasgrün, zart und weich und werden deshalb von den Schafen und Ziegen, besonders aber von manchen Schneckenarten gern gefressen, weshalb man nur selten junge Blätter findet. In der ersten Jugend sind die Blätter eben, wie die Blätter unserer meisten Gräser; aber sehr bald, wenn das Blatt kaum einen Zoll lang geworden ist, beginnt der schmale, linealische Blattstreifen sich von den Rändern an auf seine obere Fläche zusammenzurollen, so daß das Blatt sehr bald die Form eines im Querschnitt vollkommen runden und fest zusammenschließenden Cylinders bekommt (Fig. c.), welche es nun beibehält. Die vollkommen ausgewachsenen Blätter sind ungefähr anderthalb Fuß lang, drei Viertellinien dick, der Länge nach feingestreift, aber ganz glatt, wie auch die Blüthenhelme von graugrüner Farbe, weshalb eine von Espartogras bedeckte Landstrecke ein sehr fahles Colorit und tristes Aussehen hat. Jedes Blatt verschmälert sich von seiner Basis an, wo es in eine breite, an ihrem Eingange mit feinen, wolligen Haaren bärtig umsäumte Scheide übergeht, nach oben hin ganz allmälig und läuft zuletzt in eine starre, steife, feststehende Spitze aus. Die aus dem Wurzelstock entspringenden Blattbüschel, welche allein zum Flechten brauchbare Blätter liefern, bestehen aus einer unbestimmten Anzahl ineinander gesteckter Blätter, indem, wie Fig. b. zeigt, immer die Scheide des zunächst vorhergehenden Blattes die des zunächst folgenden, und die Scheide des untersten und ältesten Blattes alle übrigen Blätter umfaßt. Die Blätter streben anfangs gerade aufwärts, [108] biegen sich aber bald nach außen und beschreiben mit ihrem obern Theile einen mehr oder weniger kreisförmigen Bogen, wodurch die Blätterbüschel ein sperriges Ansehen bekommmen.
Das Espartogras scheint selten zu blühen, wenigstens habe ich dasselbe nur einige Mal in Blüthe getroffen. Dann bietet es einen ungemein schönen Anblick, denn es belebt die kahlen Landschaften, in denen es zu wachsen pflegt, in eigenthümlicher Weise. Der gegen vier Fuß hoch werdende straff emporstrebende Halm trägt nämlich eine oft über einen Fuß Länge erreichende, ährenförmige Rispe, welche aus einigen hundert großen Blüthen besteht, deren jede mit einer über zwei Zoll langen, in der Mitte knieförmig gebogenen, und in ihrer untern Hälfte von feinen seidenglänzenden Haaren bartförmig bekleideten Granne versehen ist (s. Fig. a.). Jede Blüthe befindet sich in einem aus zwei großen, lang zugespitzten, braungelb gefärbten und glänzenden Spelzen gebildeten Kelche. Die ganze Rispe sieht daher von fern, besonders im Sonnenlichte wie ein aus feinen braungelben Federchen bestehender Federbusch aus. Der Halm ist nicht hohl, wie derjenige unserer Gräser, sondern inwendig mit Mark angefüllt. Er führt nur wenige Blätter, welche ungemein lange, etwas aufgetriebene und bräumlich gefärbte Scheiden, aber einen kurzen Saum besitzen und deshalb zum Flechten nicht benutzt werden können.
Man bedient sich zur Verfertigung der Espartogeflechte vorzüglich der einjährigen Blätter, und pflegt dieselben im Frühlinge einzusammeln, indem man sie aus den Büscheln herausreißt. Dieselben werden sodann entweder an der Luft getrocknet und unmittelbar verarbeitet, oder abwechselnd in’s Wasser und an’s Sonnenlicht gelegt und auf diese Weise gebleicht. Die unmittelbar getrocketen Blätter, welche von hell grünlich-grauer Farbe sind, lassen sich nur zu grobem Flechtwerk benutzen und werden gewöhnlich von den Einsammlern selbst verarbeitet, welche daraus Stricke, grobe Matten, Körbe und Sandalen verfertigen. Mit dergleichen Arbeiten beschäftigen sich namentlich die Hirten, welche, wenigstens in den Espartogegenden, immer selbstgefertigte und daher sehr plumpe Espartosandalen zu tragen pflegen. Durch das Rösten und Bleichen erhalten die Espartoblätter eine viel größere Härte, Zähigkeit und Elasticität und werden dadurch zum Flechten geeigneter. Aus solchen gebleichten Espartoblättern verfertigt man in Spanien alle erdenklichen Arten von grobem und feinem Flechtwerk, als Stricke, Seile, Taue, Körbe, Netze, Matten (esteras, Sandalen, Schuhe, Wedel zum Feueranfachen, Tragsättel und Halftern für Maulthiere und Esel, feine Handbesen [2], Geflechte für Stühle und Bänke, Fenstervorsetzer, Schirme, Peitschen u. s. w. Noch feinere Arbeiten macht man aus Espartofasern, welche durch Klopfen des gebleichten und im Wasser geweichten Esparto mittelst hölzerner Schlägel gewonnen werden. Aus solchen feinen Fasern werden Cigarrenetuis, feine zierliche Körbchen, künstliche Blumen u. dgl. gemacht. Durch verschiedene Färbung der gebleichten Espartoblätter und Espartofasern hat man es möglich gemacht, Muster aller Art aus Esparto zu flechten. Ich habe auf der im Herbst 1850 in Madrid veranstalteten Industrieausstellung Espartomatten mit hineingeflochtenen bunten Arabesken und andern Mustern gesehen, von solcher Vollendung und Schönheit, daß man sie auf den ersten Blick für Teppiche zu halten geneigt war. In Spanien und Portugal – zum Theil schon in Frankreich – vertreten die Espartomatten allgemein die Stelle unserer gewöhnlichen Zimmerteppiche. Sie sind nicht allein viel haltbarer als letztere, sondern auch viel billiger und sehen dabei fast eben so hübsch aus. Auch zum Emballiren der Waarenkisten, Koffer u. s. w. bedient man sich allgemein der biegsamen und dauerhaften Espartomatten. Besonders geschätzt sind die Espartoseile und Espartotaue, weil sie bei fast gleicher Dauerhaftigkeit viel weniger kosten, als die Hanfseile und Hanftaue. Dasselbe gilt von den Espartosandalen, von denen jährlich gewiß viele Miilionen Paare in Spanien gefertigt und consumirt werden. In den holzarmen Gegenden des südöstlichen Spanien, welche die eigentliche Heimath des Espartograses sind, wird der rohe frisch gedörrte Esparto auch als Brennmaterial benutzt. Aus alledem geht zur Genüge hervor, daß das Espartogras eine außerordentlich nützliche Pflanze und für den Spanier
ein unentbehrliches Bedürfniß ist. Es bildet aber zugleich einen
[109] sehr wichtigen Handelsartikel, indem die Espartogeflechte, besonders die Matten, Seile und Taue in Frankreich, Italien, England und Amerika allgemein beliebt und geschätzt sind. Aus den südspanischen Häfen werden daher alljährlich große Massen von rohem und verarbeitetem Esparto auf spanischen und fremden Schiffen nach den genannten Ländern ausgeführt. Den meisten Esparto exportirt Murcia über die Häfen von Alicante, Cartagena und besonders von las Aguiles. Der Werth der Ausfuhr soll sich jährlich im Durchschnitt auf 400,000 Realen (29,332 Thaler) belaufen.
So großen und vielfachen Nutzen nun aber auch das Espartogras gewährt, und so viel diese Pflanze dem spanischen Handel einbringt, so ist dieselbe doch für die Bodenbeschaffenheit der Gegenden, wo sie in Menge wächst, ein schlechtes Zeichen. Sie liebt nämlich vorzugsweise einen dürren, des Humus entbehrenden Mergelboden, d. h. einen Boden, welcher dem Ackerbaue die größten Hindernisse entgegensetzt. Sie ist mit einem Worte eine Steppenpflanze, und in der That verdienen die ungeheuern von Sträuchern und Bäumen gänzlich entblößten und wasserlosen Niederungen und Hügelgelände Südvalencia’s, Murcia’s und Ostgranada’s, welche fast nur mit Espartobüscheln bedeckt sind, den Namen von Steppen mit vollstem Rechte. Nichts geht über die Einförmigkeit und Traurigkeit einer solchen Espartosteppe. So weit das Auge reicht, breiten sich graue Flächen oder Hügel aus, deren fernste Contoure endlich im Blau des dort meist wolkenlosen Himmels verschwimmen, wenn die Steppen nicht durch Gebirge oder durch das Meer begrenzt werden. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, ob jene Einöden, die ohne das Espartogras ganz unbenutzbar sein würden, von Anfang an vorhanden waren oder ob sie in Folge der Vernichtung der Wälder und der dadurch bedingten Versiegung der Quellen entstanden, folglich künstlich hervorgebrachte sind, so viel aber steht fest, daß Spanien schon im Alterthum wegen jenes Grases und dessen Benutzbarkeit berühmt war, denn schon Plinius erzählt, daß die Iberer oder die Bewohner von Hispania Tarraconensis (des östlichen und südostlichen Spaniens) Geiseln, Schleudern, Stricke, Matten einst aus einer Grasart machten, welche er Spartum nannte. Die Espartoflechterei ist also jedenfalls der älteste Industriezweig Spaniens.