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Das transatlantische Kabel im Dienste der Wissenschaft

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Textdaten
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Autor: Emil Sommer
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Titel: Das transatlantische Kabel im Dienste der Wissenschaft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 599–600
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Zeit- und Ortbestimmung
Blätter und Blüthen
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[599] Das transatlantische Kabel im Dienste der Wissenschaft. Neben der großen und bedeutungsvollen Rolle, welche das transatlantische Telegraphenkabel in internationaler, commercieller, maritimer und politischer Hinsicht von nun an in der modernen Welt zu spielen berufen scheint, ist dasselbe bestimmt, auch den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft, namentlich der Astronomie, der Nautik, der Meteorologie etc. die wichtigsten Dienste zu leisten. Die erste Anwendung dieser Art, welche das neue Kabel finden wird, besteht in der genauen Bestimmung der geographischen Länge der Insel Neufundland und folglich der richtigen Entfernung des amerikanischen vom europäischen Festlande, welche, ungeachtet zahlreicher, mit möglichster Sorgfalt ausgeführter chronometrischer Längenmessungen immer noch nicht mit der für gewisse astronomische und nautische Zwecke erforderlichen Genauigkeit festgestellt ist.

Unter geographischer Länge versteht man bekanntlich den östlichen oder westlichen Abstand eines Ortes von dem als Ausgangspunkt angenommenen Hauptmeridian, oder allgemein ausgedrückt, die Entfernung zweier Orte in der Richtung von Westen nach Osten. Da sich nun die Erde in vierundzwanzig Stunden von Westen nach Osten um ihre Achse dreht und in Folge dessen sämmtliche Punkte des Erdumfanges die Sonne nicht gleichzeitig, sondern nacheinander auf- und untergehen sehen, so ist klar, daß an den verschiedenen Punkten der Erdoberfläche in einem und demselben Augenblicke die Tageszeit eine sehr verschiedene sein und stets um so weniger betragen müsse, je [600] weiter der betreffende Ort, nach Westen zu liegt, so zwar, daß gleiche Unterschiede der Tageszeit immer gleichen Unterschieden des Raumes entsprechen, indem auf eine Zeitdifferenz von einer Stunde (dem vierundzwanzigsten Theile der ganzen Rotationszeit der Erde) jedesmal auch der vierundzwanzigste Theil des ost-westlichen Erdumfanges, also fünfzehn Grade und folglich auf einen Grad ein Zeitunterschied von vier Minuten kommt. Haben wir z. B. eben zwölf Uhr Mittags, so liegt der Ort, dessen Uhren in demselben Augenblick elf Uhr dreißig Minuten anzeigen, um den achtundvierzigsten Theil des Erdumfanges, also sieben und einen halben Grad westlich von uns. Beträgt dagegen der Zeitunterschied zweier Orte sechs Stunden oder den vierten Theil des Tages, so ist auch die gegenseitige Entfernung derselben gleich dem vierten Theile des Erdumfanges oder neunzig Graden. Der Zeitunterschied zweier Orte ist hiernach vollkommen gleichbedeutend mit dem Längenunterschiede derselben und giebt daher ein einfaches und bequemes Mittel ab, letzteren zu messen. Es ist hierzu weiter nichts erforderlich, als auf irgend eine Weise genau zu ermitteln, welche Zeit die Uhren der betreffenden beiden Orte in einem und demselben Augenblicke anzeigen, woraus sich alsdann aus der hierbei sich ergebenden Zeitdifferenz nach dem oben erwähnten einfachen Verhältnisse von je vier Minuten auf einen Grad leicht der Längenabstand berechnen läßt, welcher beide Orte von einander trennt. Gewöhnliche Uhren sind in diesem Falle, wo es sich um Bruchtheile von Secunden handelt, selbstverständlich nicht zu gebrauchen und man bedient sich deshalb hierbei stets der unter dem Namen Chronometer bekannten und von Harrison erfundenen vervollkommneten Uhren, welche von den wechselnden Temperatureinflüssen wenig berührt werden und vermöge ihres hierdurch bedingten sicheren und gleichförmigen Ganges die genauesten künstlichen Zeitmesser darstellen.

Um nun eine derartige Längenbestimmung in der eben beschriebenen Weise praktisch auszuführen, richtet man einfach ein solches Chronometer genau nach der Zeit des einen der beiden Orte, deren gegenseitige Entfernung man zu bestimmen wünscht, und begiebt sich hierauf mit demselben nach dem zweiten Orte, an welchem sich gleichfalls ein gutes Chronometer befinden muß, das genau nach der Zeit dieses letzteren Punktes regulirt ist. Man vergleicht dann sorgfältig den Stand der beiden Chronometer und findet so die zwischen den beiden Orten herrschende Zeitdifferenz, aus welcher sich alsdann deren Längenunterschied, wie oben angegeben, leicht berechnen läßt.

In ähnlicher Weise verfährt auch der Seemann auf offenem Meere, um den Ort, an welchem sich ein Schiff gerade befindet, in Hinsicht auf östliche oder westliche Abweichung zu bestimmen. Vor seiner Abfahrt von einer Küste richtet er zu diesem Ende das Schiffschronometer, die sogenannte Seeuhr, genau nach der richtigen Sonnenzeit dieses Punktes, was ihn in den Stand setzt, zu jeder Zeit und an jedem beliebigen Orte auf hoher See genau zu wissen, wie viel Uhr es an dieser Küste ist. Will er nun während der Reise die östliche oder westliche Entfernung des Schiffes von dem Abfahrtsorte kennen lernen, so hat er weiter nichts zu thun, als die Tageszeit des betreffenden Ortes, den das Fahrzeug gerade passirt, aus dem Stande der Sonne oder der Gestirne sorgfältig zu bestimmen und sodann hiermit den Stand seines Schiffschronometers zu vergleichen, das ihm angiebt, wie viel Uhr es in demselben Augenblicke an der in Rede stehenden Küste ist, woraus sich alsdann die gesuchte Längendistanz durch einfache Rechnung von selbst ergiebt. Ein Hauptnachtheil dieser chronometrischen Längenbestimmungsmethode, deren Resultate zwar den Bedürfnissen der Schifffahrt und der beschreibenden Geographie genügen, aber keinen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit haben, besteht darin, daß, um die Zeit zweier entfernt von einander liegenden Orte vergleichen zu können, man stets ein Chronometer von dem einen dieser beiden Orte nach dem andern bringen und es folglich eine Land- oder Seereise machen lassen muß, wobei dasselbe durch Erschütterungen, Schwankungen und Stöße mannigfache Störungen erleidet, welche nothwendigerweise die Richtigkeit der Ergebnisse wesentlich beeinträchtigen.

Ein vorzügliches Mittel, die ost-westliche Entfernung zweier Punkte zu bestimmen, bietet der elektro-magnetische Telegraph dar, dessen zauberhaftes Spiel es ermöglicht, die Zeit zweier auch noch so entfernten Punkte gleichzeitig zu wissen, und welcher daher neuerdings mit dem besten Erfolge für diesen Zweck angewendet werd. Da nämlich der elektrische Strom den Leitungsdraht mit einer Geschwindigkeit von Tausenden von Meilen in der Secunde durchläuft und demnach den Erdball an der Stelle seines größten Umfanges in einer einzigen Secunde mehrere Male umkreisen würde, so kann man bei dieser aller irdischen Entfernungen spottenden Geschwindigkeit ohne jede Gefahr eines Irrthums annehmen, daß derselbe in dem nämlichen Momente, in welchem er von irgend einem Punkte ausgeht, auch bereits an seinem Ziele angelangt ist und daß folglich ein Signal, das man an dem einen Endpunkte einer Telegraphenlinie giebt, in demselben Augenblicke auch an dem anderen Endpunkte derselben wahrgenommen werden muß. Mit Hülfe des Telegraphen lassen sich demnach zwei durch eine auch noch so bedeutende Entfernung getrennte Uhren in ihren Zeitangaben mit derselben Genauigkeit miteinander vergleichen, wie wenn dieselben nebeneinander ständen. Ein in Berlin genau um ein Uhr abgehendes Signal trifft z. B. bei ununterbrochener telegraphischer Verbindung in Paris um zwölf Uhr fünfzehn Minuten sechsundvierzig Secunden ein, und da man nach dem eben Gesagten den Abgang und die Ankunft des Signales als vollkommen gleichzeitig betrachten kann, so weichen demnach die Pariser und Berliner Zeit um vierundvierzig Minuten vierzehn Secunden voneinander ab, woraus sich der Längenunterschied beider Städte zu 11°3′ 30″ berechnet.

In gleicher Weise fällt nun auch dem neuen transatlantischen Kabel die Aufgabe zu, uns über den genauen Zeit- und Längenunterschied zwischen der irischen und der neufundländischen Küste zu belehren, wozu sich dasselbe um so mehr eignet, da die telegraphische Verbindung zwischen beiden Punkten in diesem Falle eine ohne jeden Umweg fast gerade von Osten nach Westen laufende und durch keine Zwischenstationen unterbrochene Linie darstellt. Das hierzu anzuwendende Verfahren besteht nach dem vorhin Gesagten einfach darin, an den beiden Endpunkten, in Valentia und in Neufundland, unter der Aufsicht von kundigen Fachmännern zwei richtig gehende und genau nach der Zeit des betreffenden Ortes regulirte Chronometer aufzustellen und hierauf nach vorhergegangener Uebereinkunft von der einen Station in möglichst kurzen Zeichen die Zeitangabe des betreffenden Chronometers nach der andern Station zu telegraphiren, was man der größeren Sicherheit wegen und zum Zweck sorgfältiger Controle mehrere Male wechselseitig von beiden Endstationen aus wiederholt. Die Hauptschwierigkeit dieser Operation liegt demnach in der Raschheit und Präcision der Ausführung, und es ist daher für die Erlangung genauer Resultate sehr wesentlich, daß jene von erprobten Männern der Wissenschaft geleitet werde.

Hat man auf diese Weise durch die Vergleichung des amerikanischen und des europäischen Chronometers die genaue Zeitdifferenz zwischen Neufundland und Valentia bestimmt und hieraus den wirklichen Längenunterschied beider Punkte, in Graden ausgedrückt, berechnet, so ist es alsdann, da man die Meilenzahl kennt, welche unter dieser Breite ein Längengrad umfaßt, nicht mehr schwer, die gefundene Zahl von Graden, Minuten und Secunden in Meilen zu verwandeln und so die wirkliche Entfernung Neufundlands von Irland kennen zu lernen. Nach den bisherigen mehr annähernden Messungen beträgt der Raum, welcher die amerikanische Ostküste von der europäischen Westküste trennt, ungefähr den sechsten Theil des Erdumfanges und entspricht demnach einer Zeitdifferenz von etwa vier Stunden so daß die Uhren in St. Johns erst acht Uhr in der Frühe anzeigen, während es in Valentia bereits zwölf Uhr Mittags ist.

Wie wünschenswerth und wichtig es in zahlreichen Fällen des geistigen und geschäftlichen Verkehrs ist, statt dieser nur ungefähren und unbestimmten Zahlenwerthe genau den Raum und die Zeit zu kennen welche uns von dem Leben und Treiben der neuen Welt scheiden, bedarf wohl keiner näheren Begründung, und es wird, daher nicht zu den kleinsten Verdiensten der unterseeischen Telegraphie gehören, uns auch über diesen Punkt aufgeklärt zu haben.
Emil Sommer.