David und Jonathan
Als von Sorgen seines Reichs und vom Kummer über seine
Kinder verzehret, der Sohn Isai auf seinem Sterbelager
entschlief; siehe da kam im dunkeln Thale des Todes
der Freund seiner Jugend, Jonathan, ihm zuerst
entgegen. „Unser Bund ist ewig, sprach er zur Gestalt
des alten Königes; aber ich kann dir meine Rechte nicht
reichen: denn du bist mit Blut befleckt, mit dem Blut
auch meines väterlichen Hauses und selbst mit Seufzern
meines Sohnes beladen. Folge mir nach.“ Und David
folgete dem himmlischen Jünglinge.
„Ach, sprach er bei sich selbst, ein harter Stand ist das Leben der Menschen, und ein härterer noch das Leben der Könige. Wäre ich wie du gefallen o Jonathan, mit unschuldigem Herzen, im Lenz meiner Jahre; oder wäre ich ein [281] singender Hirt auf Bethlehems Flur geblieben! Ein schönes Leben hast du indeß im Paradiese gelebt; warum bin ich nicht mit dir gestorben?“
„Murre nicht, sprach Jonathan, gegen Den, der dir die Krone deines Volkes gab und dich zum Vater eines ewigen Königreichs machte. Ich sah deine Arbeit und deine Leiden; und habe dich hier erwartet.“ - Damit führete er ihn zu einem Strom im Paradiese. „Trinke, sprach er, aus dieser Quelle, und alle deine Sorgen werden vergessen seyn: wasche dich in diesem Strom und du wirst jung und schöner werden, als du in deiner Jugend warst, da ich dich liebgewann und wir einander den Bund der Treue schwuren. Aber tauche tief in denselben: er fließt wie Silber und muß dich wie Feuer läutern.“
David trank aus der heiligen Quelle und wusch sich im krystallenen Strom: der Trank entnahm ihm alle Sorgen der Erde; aber die Welle des Stroms durchdrang ihn tief: wie Feuer [282] glühete sie in seinem Innern, bis er entsündigt dastand, seinem himmlischen Freunde gleich. Dem neuen Jünglinge reichte Jonathan jetzt die Harfe und süßer als hienieden sang er unter dem Baume des Lebens: „David und Jonathan, lieblich im Leben, sind auch im Tode nicht geschieden. Leichter denn die Adler, munterer wie die Rehe auf den Hügeln. Ihr Töchter Israels, weinet um uns nicht mehr; wir sind gekleidet in unsrer Jugend Schmuck. Ich freue mich an dir, mein Bruder Jonathan: ich hatte drunten an dir Freud’ und Wonne; doch hier ist deine Liebe mir mehr als unsrer Jugend Liebe.“ Sie küsseten einander und beschwuren, untrennbar jetzt, den Bund der Treue auf ewig.