De vulgari eloquentia/II. Buch – Achtes Kapitel

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aus: De vulgari eloquentia
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[144]
Achtes Kapitel.
Was eine Kanzone sei, und daß sie in mehreren Weisen sich abändert.


Nachdem die Stäbe und die Seile für das Gebund zurechtgelegt sind, drängt nun die Zeit, das Bündel zu schnüren; aber weil die Kenntniß eines Geschäftes dem [145] Geschäfte vorangehen muß, gleichwie das Zeichen vor der Absendung des Pfeils oder Wurfspießes, so wollen wir zuerst und hauptsächlich sehen, was jenes Gebund sei, das wir zu binden beabsichtigen. Dies Gebund ist aber, wenn wir alles vorher Erwähnten uns recht erinnern, die Kanzone. Daher laßt uns sehen, was die Kanzone sei, und was wir darunter verstehen, wenn wir Kanzone sagen. Nun ist die Kanzone nach der wahren Bedeutung des Wortes die Handlung des Singens selbst, oder der Zustand, sowie die Lesung Zustand oder Handlung des Lesens ist. Aber erklären wir nun Das, was gesagt ist, ob wir nun hier Kanzone nehmen in dem Sinne der Handlung oder des Zustandes. Hierüber ist zu bemerken, daß Kanzone doppelt genommen werden kann, theils als Etwas, das von seinem Urheber verfertigt wird, und dann ist sie Handlung, und auf diese Weise sagt Virgil im Anfang der Aeneide:

Arma virumque cano;

theils insofern Das, was gefertigt wird, vorgetragen wird, sei es von dem Urheber, sei es von irgend einem Andern, mag es mit einer Gesangsweise vorgetragen werden oder nicht, und so ist es Zustand. Denn dann wird sie bewirkt, jetzt aber scheint sie auf einen Andern zu wirken, und so ist sie dann Jemandes Handlung, jetzt aber scheint sie Zustand zu sein. Und weil sie eher bewirkt wird, als sie wirkt, scheint sie deswegen bei weitem mehr danach benannt zu werden, daß sie bewirkt wird, und Jemandes Handlung ist, als nach Dem, was sie auf Andere wirft. Ein Zeichen dessen ist aber, daß wir niemals sagen: dies ist die Kanzone des Petrus deswegen, weil er sie vorträgt, sondern deswegen, weil er sie gemacht hat. Ueberdies ist zu bedenken, ob man unter Kanzone versteht die Fertigung der in Harmonie gebrachten Worte, oder die Gesangsweise selbst: worauf wir sagen, daß die Gesangsweise niemals Kanzone genannt wird, sondern Ton, oder Note, oder Melos. Denn [146] kein Trompeter, kein Orgelspieler, kein Citherspieler nennt seine Melodie Kanzone, außer insofern sie einer Kanzone vermält ist; sondern Diejenigen, welche die Worte zusammenreihen, nennen ihre Worte Kanzonen; und dergleichen Worte nennen wir auch Kanzonen, wenn sie sich aufgezeichnet finden ohne einen, der sie vorträgt. Und deshalb scheint eine Kanzone nichts Anderes zu sein als die vollständige Handlung Dessen, der die für den Gesang geordneten Worte verfaßt. Daher werden wir sowol die Kanzonen, welche wir jetzt behandeln, als auch Ballaten und Sonette und in der Volkssprache und auf geregelte Weise geordnete Worte jeder Art Kanzonen nennen. Aber da wir blos Werke in der Volkssprache untersuchen mit Uebergehung der geregelten, sagen wir, daß eins von den Gedichten in der Volkssprache das höchste sei, welches wir vorzugsweise Kanzone nennen, daß aber die Kanzone etwas Höchstes sei, ist im dritten Kapitel dieses Buches bewiesen. Aber da Das, was definirt ist, mehreren gemein scheint, wollen wir dies schon definirte allgemeine Wort aufnehmen, und blos nach einigen Unterschieden Das, was wir suchen, unterscheiden. So sagen wir denn, daß die Kanzone, welche wir vorhaben, sofern wir sie vorzugsweise so nennen, eine tragische Verbindung gleicher Stanzen ist ohne Responsorium von Einem Inhalt, wie wir gezeigt haben, wenn wir sagen:

Donne, che avete intelletto di Amore.[WS 1]

Und so erhellt, was Kanzone sei, und wie dies Wort allgemein genommen wird, und wie wir sie vorzugsweise nennen; hinlänglich scheint auch zu erhellen, was wir verstehen, wenn wir Kanzone sagen, und folglich, was jenes Gebund sei, welches wir zu binden unternahmen. Was wir aber so nennen, ist eine tragische Verbindung; denn wenn diese Verbindung auf komische Weise geschieht, nennen wir sie verringernd Kantilene, wovon wir im vierten Buche dieses Werkes zu handeln denken.




Anmerkungen (Wikisource)