Der Anfang des Jahrhunderts

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Titel: Der Anfang des Jahrhunderts
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 895
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[895] Der Anfang des Jahrhunderts. Die Frage, wann ein neues Jahrhundert beginnt, hat seit alten Zeiten Anlaß zu Streitigkeiten gegeben. Dennoch führt die chronographisch-rechnerische Entscheidung der Frage unzweiselhaft zu dem Schluß, daß das Jahr 1900 das letzte des 19. Jahrhunderts ist und erst am 1. Januar 1901 streng genommen das 20. Jahrhundert beginnt. Am 1. Januar 1900 würde das neue Jahrhundert wirklich anfangen, wenn unsere Zeitrechnung mit einem Jahre 0 beginnen würde, wenn es also hieße, Christus sei im Jahre 0 geboren. Die christliche Zeitrechnung kennt aber kein Jahr 0. Dieselbe wurde im 6. Jahrhundert u. Chr. von dem Abte Dionysius Exiguus eingeführt, indem er den Anfang seiner Zeitrechnung oder die Epoche der christlichen Aera auf den 1. Januar festsetzte und als das erste Jahr dasjenige bezeichnete, in welches nach seiner Berechnung die Geburt Christi fiel. Die Kirche nahm die von Dionysius Exiguus aufgestellte Aera bald an. Karl der Große war der erste Fürst, der sich ihrer in Urkunden bediente. Von da ab verbreitete sie sich in Europa und wurde bei allen abendländischen Völkern gebräuchlich.

Trotz dieser Thatsachen regt sich in unseren Tagen das allgemeine Bedürfnis, bereits beim Schlüsse des letzten Jahres, dessen Zahl mit 18 anhob, die bevorstehende Jahrhundertwende zu feiern. Am 1. Januar 1900 erscheint die Zahl des kommenden Jahrhunderts zum erstenmal im Kalender: das teilt sich dem Volksbewußtsein unabweisbar mit als der Beginn einer neuen Aera! Wie sich dieser Zwiespalt am besten lösen läßt, dafür haben vor hundert Jahren unsere großen Dichter Schiller und Goethe ein klassisches Beispiel gegeben. Als im Jahr 1799 in Weimar die Frage strittig wurde, wann das 18. Jahrhundert zu Ende gehe, folgten beide Dichter dem natürlichen Gefühl und traten auf die Seite derer, die das Ende auf den Silvester 1799 setzten. Der Abend des letzten Dezembers 1799 sah die beiden Dichter in Weimar festlich vereinigt. Am Neujahrsmorgen 1800 schrieb Goethe an Schiller: „Ich war im stillen herzlich erfreut, gestern abend mit Ihnen das Jahr und, da wir einmal Neunundneunziger sind, auch das Jahrhundert zu schließen.“ Und Schiller gratulierte: „Ich begrüße Sie zum neuen Jahr und neuen Seculum!“ Das hinderte aber beide Dichter am Schlusse des Jahres nicht, für den 1. Januar 1801 Festlichkeiten vorzubereiten, welche der Begrüßung des neuen Jahrhunderts galten. Aehnlich werden es viele unserer Leser am Schlusse dieses Jahres wie am Schlusse des nächsten halten. Ein neues Jahrhundert ist etwas so Großes, daß eine doppelte Begrüßung wohl am Platz ist. Und schaden kann es gewiß nichts, daß schon jetzt die ernsten Betrachtungen unser Leben befruchten, zu welchen der Rückblick auf das zur Rüste gehende, der Ausblick auf das nahende Jahrhundert veranlaßt. Darum begrüßt auch die „Gartenlaube“ heute mit herzlichen Wünschen ihre Leser nicht nur zum neuen Jahr, sondern auch zur Jahrhundertwende, welche dem ganzen nächsten Jahr seinen Charakter geben wird!