Der Baurendom

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Autor: Ernst Moritz Arndt
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Titel: Der Baurendom
Untertitel:
aus: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. S. 445–478
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Realschulbuchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
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[445]

19.
Der Baurendom.

Es war einmal ein kleines Mädchen, ein Kind guter und frommer Aeltern, die hieß Mariechen. Sie war ein sehr hübsches und freundliches Kind und hatte ein sehr liebendes und zärtliches Herzchen und überhaupt ein sehr lebendiges Gemüth, was sich in tausend kleinen Zeichen und Spuren offenbarte. Ihre Aeltern entdeckten das sehr bald und hatten insgeheim manche Sorge darüber und sprachen wohl oft bei sich: Wie wird es unserm Mariechen einmal gehen? das Kind ist zu zart und dünn für diese grobe Erde gestaltet und sein leicht bewegliches und zärtliches Seelchen wird hier von rauhen Winden viel umher gewehet werden und doch schwerlich finden, was es sucht. Denn sie sahen, wie das Kind alles mit leidenschaftlicher Heftigkeit ergriff und wie es über den Tod eines Würmchens ausser sich seyn und über ein abgebrochenes Blümchen weinen konnte. Sie suchten diese zu zarte Empfindsamkeit des kleinen Mädchens nun freilich zu zügeln und hielten Mariechen mehr als ihre andern Kinder zu strenger Ordnung und gemessener Arbeit an, damit sie nicht Zeit hätte zum Träumen; aber das half nicht viel. Das Kind verrichtete seine Arbeit mit Gehorsam und Fleiß, [446] war aber dabei immer mit den wundersamsten Gesichten und Träumen und mit einer Mährchenwelt beschäftigt, die sie sich selbst schuf und worin ihre luftige und blühende Fantasie herumflatterte wie ein Frühlingsvögelein in den ersten grünen Zweigen. Mariechen hatte ein ganz besonderes Wohlgefallen an Geschichten und Mährchen und wer ihr Geschichten erzählen oder ein Mährchenbuch bringen konnte, der war ihr liebster Freund. Sie wußte eine Menge Geschichten und sie behielt alle, die man ihr erzählte oder die sie las, und vergaß sie nie wieder. Aber von allen ihren Mährchen und Geschichten war ihr keine so lieb als die Geschichte von den drei Domen. Diese Dome waren gleichsam Drillinge und hiessen der Prinzendom der Edelmannsdom und der Baurendom. Diese drei Dome erscheinen wie der Vogel Phönix je alle tausend Jahre mal wieder und kommen nach vielen Verwandlungen und Proben treuer Liebe endlich in die Arme ihrer Herzallerliebsten. Mariechens Vorliebe für das Mährchen von den drei Domen kam wohl daher, weil es ihr am allerersten und oftesten erzählt worden. Genug sie hatte sich so darin vertieft und ihr ganzes kleines Seelchen hineingelegt, daß sie sich einbildete, einer der Dome müsse wiederkommen und ihr Bräutigam werden. Das saß so fest in ihrem Herzchen, daß sie wohl häufig bitterlich weinte [447] und schluchzete, wenn jemand ihr das ausreden oder bestreiten wollte. Sie hatte sich aber von den drei Domen den kleinen Junkerdom auserkoren, der ihr als ein zierlicher fröhlicher und flinker Gesell beschrieben war. Der Prinzendom däuchte ihr zu vornehm und zu schön und sie hatte ihn ihrer jüngern Schwester zugedacht, welche Heidichen hieß und ein sehr schönes Kind war und von welcher Mariechen selbst glaubte, sie sey viel schöner als sie. Der Baurendom aber däuchte ihr wieder zu schlecht und gering zu seyn.

Es kam nun oft ein Freund ihres Vaters in ihr Haus, ein unverdrossener Mährchenerzähler, um den die kleinen Kinder sich daher bald versammelten. Dieser hatte das Fliegende und Sehnsüchtige in Mariechen bald entdeckt und er suchte Wasser in das gefährliche Feuer zu giessen, nicht eben aus Absicht oder daß er meinte, es hülfe etwas, sondern weil die Menschen überhaupt so thun, daß sie gern das anrühren, was in andern Menschen am lebendigsten klingt, um sich ein gewisses Leben in ihnen selbst klar zu machen. Darum kam er immer wieder auf die Geschichte von den drei Domen, die er zuerst ins Haus getragen hatte, und wies Mariechen immer auf den Baurendom hin als den tüchtigsten von allen Dreien und schilderte ihn als einen starken tapfern schlichten und frommen Mann, [448] der sein Werk redlich thue Gott und alle Menschen liebe Häuser Gärten und Wälder Obst und Wein Pferde und Rinder Schweine und Schaafe Gänse und Puter Hühner und Enten und Tauben und anderes Geflügel in Ueberfluß habe und mit Weib und Kindern und Freunden ein sehr vergnügliches und fröhliches Leben führe. Alle diese Herrlichkeiten schilderte und malte er auf das lustigste und prächtigste aus und gab dem kleinen Junkerdom dabei immer Seitenhiebe, als welcher bei aller seiner Leichtigkeit und Zierlichkeit doch nicht aushalte gegen den Baurendom, an Leichtfertigkeit und Flatterhaftigkeit verderbe, seiner Liebsten nicht einmal treu sey und endlich von den tapfern Baurendom niedergemacht werde. Dies alles hörten Mariechen und die andern Kinder mit immer neuer Begierde an, obgleich die letzten Aufzüge der Geschichte immer ein vollständiges Trauerspiel wurden, wo es bei dem armen Mariechen an Seufzern und Thränen und zuletzt an Seufzern und Verwünschungen ja sogar an Verwünschungen des Erzählers einen Ueberfluß hatte.

Mariechen aber hielt ihren kleinen Junkerdom mit redlichem Gemüthe fest und wollte nicht von ihm lassen, und pflegte in ihrer Verzweiflung mit lautem Schluchzen auszurufen: Es ist nicht wahr! es ist aber doch nicht wahr! ihr [449] Abscheulichen belügt ihn; er ist nicht so eitel, er ist nicht untreu, der Baurendom kann ihn nicht bezwingen, der Junkerdom ist doch der beste. Das Niedliche bei dieser Geschichte aber war, daß Mariechen ihren kleinen Junkerdom schon gefunden hatte, ohne daß ihre Aeltern und der Mährchenerzähler davon etwas wußten. In ihr Haus kam oft ein kleiner Junker Fritz, ein hübscher schmeichlischer und gewandter Knabe, und spielte mit ihr und ihren Geschwistern. Diesen kleinen Junker gewann sie sehr lieb und bildete sich fest ein – ließ es sich aber gegen keine Seele merken – mit ihm werden die Domschen Verwandlungen vorgehen und sie werden beide die Liebesproben bestehen, die den kleinen Junkerdom Fritz einst zu ihrem Gemal machen werden. In diesem süßen Wahne lebte das süße Kind einige Jahre, weil es den Fritz so lieb hatte, ließ sich auch manche Neckerei gefallen, die sie von ihren Geschwistern und von andern wegen des kleinen Junkers ausstehen mußte, und sagte dann wohl mit vielen Thränen bei sich selbst: er ist es doch! er ist doch mein Junkerdom! Aber ach! die Sachen änderten sich sehr. Der kleine Fritz, der von Natur mild und leicht war, ward immer wilder und leichtsinniger, wie er an Jahren wuchs, und machte manche tolle und übermüthige Streiche, riß und zerrte und [450] mishandelte auch sein Mariechen zuweilen, worauf aber immer eine Versöhnung folgte. Endlich aber blieb er ganz weg aus dem Hause und kam gar nicht wieder, und Mariechen sah ihn nun mit andern Kindern zuweilen nur auf den Gassen und auf Spaziergängen; und der wilde Knabe sah sie nicht mehr an, sie aber weinte bitterlich und sagte: Es ist doch wahr, was sie mir gesagt haben, der Junkerdom taugt nichts und ist leichtfertig und untreu, und der Fritz ist auch untreu.

Mit dem Verschwinden und der Untreue des kleinen Junkers Fritz verschwand aber der Domsche Traum noch nicht aus Mariechens Herzen. Aus dem kleinen treuen lieben Herzen verschwand so leicht nicht, was einmal darin gewurzelt hatte. Sie trug den schönen Traum immer warm mit sich herum und hegte ihn als ihr Schooßkind, und das Sonderbarste war, daß sie sich nun, da die erste Probe mit Junker Fritzchen so schlecht abgelaufen, den Baurendom auserwählt hatte, denn der Prinzendom war schon lange an ihre Schwester Heidichen vergeben. Mariechen war elf Jahre alt, als ihre Liebe zu Junker Fritzchen zerbrochen ward, und die drei folgenden Jahre hat sie nichts anderes geträumt als die Geschichte von den drei Domen. Nun begab sich, als sie vierzehn Jahre alt geworden, etwas, das aus [451] dem Mährchen ein Mährchen machte, und das muß ich nun erzählen.

Mariechens Vater war in seinen Geschäften nach der großen Stadt Leipzig auf die Messe gereiset und hatte Mariechen und noch zwei seiner Kinder mitgenommen. Auf der Rückreise fuhren sie einmal durch eine sehr anmuthige Gegend an der Elbe hin. Die Sonne ging eben auf, sie sahen ein freundliches Dörfchen mit bunten Häusern und lustigen Gärten vor sich liegen, und auf einer grünen Wiese, die von hohen Eichen umwachsen war, trieben muntere kleine Knaben in schneeweissen Hemdärmeln und gestreiften Jäckchen singend und tralleiend ihre Heerden hin. Kaum hatte Mariechen dies alles einige Augenblicke mit ihren lebendigen blauen Aeuglein beschaut, so sprach sie bei sich: Hier ist es! hier ist es! hier muß er seyn und verwandelt werden! Grade so sahen das Dörfchen und die Wiese mit dem grünen Walde und die Heerden aus, wo der kleine Baurendom in dem Mährchen lebte, als er für seine Liebe so oft verwandelt worden ist. – Sie fuhren weiter, aber Mariechen mußte die ganze Reise daran denken, und auch, als sie zu Hause gekommen waren, ließ ihr der Gedanke daran bei Tag und Nacht keine Ruhe. Was that sie also? Als sie es länger nicht mehr aushalten konnte, packte [452] sie, als es Nacht war und alles im tiefsten Schlafe lag, ihr kleines Bündelchen zusammen und nahm es unter den Arm und ging aus der Thüre, das Abentheuer mit dem Baurendom zu erleben. Sie war sehr fröhlich im Herzen aber mußte doch weinen, wenn sie an den Kummer dachte, den sie ihren lieben Aeltern durch ihre Flucht machte. Sie ließ für sie in dem Kämmerchen, worin sie schlief, ein bewegliches Brieflein zurück, worin sie schrieb: Lebt wohl, liebe Aeltern, bis auf das Wiedersehen mit meinem Bräutigam dem Baurendom. Ich muß in die weite Welt gehen und ihn aufsuchen, eher find’ ich keine Ruh, und ihr müßt mir’s wohl erlauben, wenn ihr nicht wollt, daß ich sterben soll. Ich weiß wohl, wohin ich gehe, aber ihr wisset wohl, daß darum kein Mensch wissen darf, denn sonst könnte das Mährchen ja nicht fertig werden. Eure liebe Tochter Mariechen.

So war Mariechen um Mitternacht fortgegangen. Den andern Morgen ist großer Jammer und große Klage um das Kind geworden, wie es dem armen Mariechen mit seinen bunten Träumen in der bösen fremden Welt gehen würde, und ihre Aeltern haben Boten ausgeschickt zu Fuß und zu Pferde auf allen Straßen und sie selbst sind auch umhergefahren, sie zu suchen und zu erfragen, aber keiner hat sie finden können und [453] traurig sind sie alle heimgekommen. Mariechen aber ist richtig hingekommen, wohin sie wollte, wiewohl das Dorf, wo der Baurendom verwandelt werden sollte, an fünfzehn Meilen von ihres Vaters Hause war. Und als sie in das Dörfchen ankam, das Weiseritz hieß, klopfte sie an die Thüre eines Hauses, wo sie eine freundliche Frau durch das Fenster gucken sah, und ihr ward aufgethan. Und sie hat sich bei der Frau, die eine Bäuerin war, als kleine Magd verdungen; aber das ist so leicht nicht gegangen. Die Bäuerin sah das hübsche Kind, als es in seinen netten Kleidern hereintrat und fragte, ob sie nicht eine kleine Magd im Dienst brauchen könne, ganz verwundert an und sprach: Mein Kind eine kleine Magd gebrauchte ich wohl, aber eine kleine Magd, wie du mir aussiehst, kann ich nicht gebrauchen. Sage mir nur, wie kommst du hieher? haben deine Aeltern dich verloren? hast du dich etwa von der Straße verirrt? oder bist du heimlich aus deiner Aeltern Hause gegangen? Sage es mir, und fürchte dich nicht: wir wollen dich gern wieder hinbringen. Das Kind antwortete ganz beherzt: Das kann ich euch alles nicht sagen, Mutter. Genug ich bin ein christliches ehrliches Kind und will als kleine Magd bei einer Bäuerin dienen; warum ich das aber will, das darf ich keiner Seele sagen. Ich kann [454] spinnen und nähen und den Garten bestellen und Gänse Hühner Enten und Tauben füttern das kann ich so gut als eine andere, auch wohl eine Heerde Kühe hüten – und behaltet ihr mich nicht, so geh ich zu jemand anders. Die Bäuerin redete Mariechen auf diese Worte noch weiter zu, da sie aber weder etwas aus ihr herauslocken noch sie von ihrem Vorsatze abbringen konnte, und da ihr das niedliche Kind über alle Maaßen gefiel, so sprach sie: Nun wenn du es durchaus willst, so behalte ich dich, bei mir bist du gut aufgehoben und sollst auch keine zu schwere Arbeit thun. Sie behielt Mariechen und gab ihr sogleich kleine Sachen zu nähen in die Hände, woraus sie sah, daß das Kind geschickt war. Weil es aber Sommer war, hatte das Kind am meisten im Garten zu thun, mußte aber auch oft das Vieh im Walde und auf der grünen Wiese hüten, wo sie jenen schönen Morgen, als sie mit ihrem Vater von Leipzig kam, bei Sonnenaufgange die Heerden hatte treiben sehen.

Warum aber wollte Mariechen durchaus als Magd bei einer Bäuerin dienen? Darum, weil diejenige, welche den Baurendom aus seinen schlimmen Verwandlungen erlösen soll, sich durchaus zur Magd erniedrigen muß. Das hat in den ältesten Zeiten für den Baurendom schon einmal eine königliche Prinzessin gethan und ist [455] eine glückliche Frau geworden. Denn Mariechen hatte die Domschen Geschichten so oft erzählen gehört und hatte sich aus ihnen alles genau gemerkt, was diejenige thun muß, welche den Baurendom erlösen und seine Frau werden will.

Als Mariechen zum ersten Male die Heerde über den Hof und durch das Dorf auf die Wiese hinaustrieb, da jauchzete und jubelte es in ihrer Seele, wie es in dem Seelchen der Lerche jubelt und und jauchzet, wann die Morgenröthe im Ost aufblühet; sie dachte: Nun wird die süße Geschichte mit dem Baurendom bald angehen. Sie kam auf der grünen Wiese zu den andern Knaben und Mädchen, welche dort Heerden hüteten, sie sah im Hintreiben durch das Dorf manchen hübschen Gesellen und Knaben, aber sie sah keinen, bei welchem es ihr däuchte, daß er ihr Baurendom seyn könnte, und sie seufzete tief: O sollte es hier in Weiseritz nicht seyn? o sollte er hier nicht kommen? Das Dorf und diese Wiese und dieser grüne Eichwald ist doch grade so wie in der Geschichte selbst. Aber der Dom kam nicht. Das liebe Kind sah im Dorfe und auf der Wiese genau umher, sie gab an den Kirchthüren Acht, sie guckte in alle Fenster, ob nicht ein Baurendom hinter ihren Scheiben lausche, sie fragte die Sonne und den Tag, sie fragte den Mond und die Sterne, sie [456] schüttelte alle Büsche und Blumen auf, ob nicht ein feiner und hübscher Jüngling darunter schlafe – ach! aber nicht im ganzen Dorfe, nicht in der Kirche und hinter den Fenstern nicht auf der grünen Wiese und in dem Eichenwalde und nicht bei Sonnenschein und nicht bei Sternenschein konnte sie ihren geliebten Baurendom finden. Sonst ging es Mariechen sehr wohl. Die Bäuerin, bei welcher sie als kleine Magd diente, war eine fromme und freundliche Frau, welche Mariechen bald überaus lieb gewann sie wie ein Kind im Hause hielt und ihr nichts anderes als reinliche und leichte Arbeit auflegte.

So hatte Mariechen sich in Weiseritz wohl einen Monat gesehnt und oft im Stillen geseufzet und geweint, daß der Dom immer nicht erscheinen wollte – siehe! da ist der Dom wirklich gekommen. Die Bäuerin, bei welcher Mariechen als kleine Magd diente, hatte einen einzigen Sohn, der hieß Hans. Diesen hatte sie nach Wittenberg in eine Schule geschickt, daß er ein wenig mehr lernen mögte als gewönliche Bauerkinder und dann seines Vaters Gütchen vorstände, welches das ansehnlichste im ganzen Dorfe war. Die Frau war aber eine Wittwe und hieß Else Gödeke. Hans hatte nun seine Schule durchgemacht und kam zu Hause. Er war siebenzehen Jahre alt, ein schöner schlanker Jüngling, mit blauen [457] Augen und blondem Haar und einem schwärmerischen Blick, worin viele Mährchen zu lauschen schienen. Er gefiel Mariechen in dem ersten Augenblick, aber weil sie ihn sogleich zu lieb hatte, konnte sie gar nicht an den Dom denken, sie dachte nur an den Hans und träumte Tag und Nacht von ihm und sang Reime und Lieder von ihm, wann sie hinter ihren Kühen auf der Wiese und im Walde jucheiete. Der Dom war ihr ganz aus dem Köpfchen und sie faßte alle ihre Träume Gedanken und Gefühle in das Haus und den Garten der Bäuerin Else Gödeke ein, und es däuchte ihr von Anfang an ganz natürlich, daß sie mit ihrem Hans Gödeke als Bäuerin lebte und stärbe. Die reine und unschuldige Liebe gleichet ja alles aus und vergisset in ihrer ersten Wonne, wie viele scharfe Ecken die unbarmherzige Welt hat, woran auch der Beste zerstoßen werden muß. Auch Hans hatte Mariechen bald über sein Leben lieb, er barg es aber blöd und still im Herzen und durfte es dem Mädchen nicht sagen. Aber die Liebe findet ihre Gelegenheit, wenn sie sie auch nicht sucht.

Mutter Else war nach der Stadt gefahren gewesen und hatte sich ein paar schneeweisse Hühner und einen schönen weissen Hahn zur Zucht mitgebracht. Diese wurden den Abend auf der Flur von ihren Fußfesseln befreit und sollten in den [458] Hühnerstall gesetzt werden. Hans trug die Hühner und Mariechen den Hahn. Aber o weh! der Hahn gebehrdete sich wild, schlug Mariechen mit seinen Flügeln ins Gesicht, und Mariechen ließ ihn fahren und er flog in den Garten. Die beiden jagten ihm nach und er flog auf die Wiese; sie jagten weiter, und er flog in den grünen Wald. Dort griffen sie ihn endlich nach der Jagd einer guten Viertelstunde und setzten sich ermüdet unter einer grünen Eiche, wodurch das freundliche Abendgesicht des Mondes sanft blickte. Die unschuldigen Kinder bliesen ihren Athem einander an und bliesen einen andern Athem auf, der lange verborgen in ihnen geglommen hatte. Hier unter dieser grünen Eiche faßte Hans zuerst Mariechens Hände und rief: O Mariechen! und wollte das holde Kind an sich ziehen und es umhalsen und küssen. Aber o Wunder! sie fuhren in demselben Augenblick erschrocken aus einander und standen wie zwei arme Sünder da; denn ein eisgrauer Mann mit einem weissen Stabe stand im Mondschein schauerlich da, und murmelte leise Worte. Er murmelte aber:


     Herum! herum! und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm.
Das runde Glück muß rollen,
Die dumme Welt muß schmollen.
Nun rolle Glück und schmolle Welt!
Will sehn, wie euch der Wandel gefällt.

[459] Und in derselben Minute, als der Alte sein letztes Wort ausgemurmelt hatte, war Hans nicht mehr da und der alte graue Mann nicht mehr da, und Mariechen stand ganz allein an der grünen Wiese unter der Eiche und das arme Kind zitterte und bebte vor Furcht und Schrecken an allen Gliedern. Als sie sich besann, sah sie ein kleines grünes Dornsträuchlein auf der Stelle stehen, wo eben Hans gestanden hatte. Es war ein Schlehenstrauch und stand da mit schneeweissen Blüthen und rührte seine grünen Blättchen fröhlich im Abendwinde. Und Mariechen, als sie sich besonnen hatte und ihn erblickte, rief ausser sich vor Freuden: Mein Dom! mein Dom! mein süßer Baurendom! mein Hans! mein Bräutigan! so bist du denn endlich da?

Und das Kind warf sich auf die Erde und umschloß das Dornsträuchlein mit seinen Armen und herzte es und küßte es und weinte viele Thränen darauf, und es ist wohl jede Blüthe und jedes Blättchen des Sträuchleins mit einem Thränchen aus ihren Augen benetzt worden. Und Mariechen lag wohl drei Stunden so und hielt das Dornbüschchen zärtlich in ihren Armen; dann hörte sie es zwölf schlagen, sagte ihm mit tausend Küssen Lebewohl, nahm den weissen Hahn, dem Hans mit seinem Schnupftuche die [460] Füße zusammengebunden hatte, und ging zu Hause.

Die Mutter Else war in Angst und wachte noch, als Mariechen mit dem weissen Hahn ankam. Sie fragte: Aber Mariechen, wo ist Hans? O der böse Hans, sagte Mariechen, der ist weggegangen ich weiß nicht wohin. Wir hatten lange nach dem Hahn gejagt, da hat er mich verlassen und ist durch den Wald fortgegangen. Ich denke er ist nach Wittenberg, denn er hat heut gesagt, er habe da noch allerlei vergessen, das er sich einmal holen gehen müsse. Und die alte Frau sagte: Hm! Hm! es ist doch möglich. Und sie gingen zu Bett.

Und Hans kam den andern Tag nicht zu Hause und auch den zweiten und dritten Tag nicht. Und Else ward sehr unruhig und ließ ihren Knecht satteln und gen Wittenberg reiten, daß er sich nach Hans erkundigte. Aber der Knecht kam wieder und sagte: in Wittenberg hat kein Mensch den Hans gesehen. Und es vergingen Wochen und Monate und er kam nicht wieder. Und seine Mutter trauerte sehr um ihn und sagte: Den weissen Hahn habe ich wieder gegriffen, aber der gelbe ist mir entflogen. Die Bäuerin spielte aber mit diesen Worten auf ihres Sohnes schöne lange gelbe Locken an. Und sie meinte, es sey ihm etwas [461] eingefallen und er sey in die weite Welt gegangen, wie junge Leute oft thun. Sie sah nun Mariechen immer mehr wie ihr eigenes Kind an und gewann sie noch lieber. Und Mariechen war auch gegen Elsen sehr lieb, aber doch hatte sie das kleine Schlehdornsträuchlein am liebsten in der ganzen Welt.

Es ist wohl nie ein Strauch so geliebt worden als dieser kleine Strauch. Jeden Tag hat Mariechen ihn wohl zehnmal besucht und ihn geherzt und geküßt, und wann sie das Vieh hütete, ist sie nicht von ihm gekommen, im Mond- und Sternenschein ist sie immer manche liebe Stunde bei ihm gesessen und hat mit ihm gesprochen und ihm vorgesungen und geküßt und mit mancher Thräne begossen und mit den buntesten Blumenkränzen umwunden. Auch keinen schlimmsten Wintertag und keine schauerlichste Winternacht ist Mariechen von dem Sträuchlein geblieben und ist selbst fast erstarrt an ihm, da sie ihn an ihrem Herzen erwärmen wollte. Und das liebe Kind hat so ganze Stunden mit ihm vertändelt und verflüstert und verspielt, als seyen es Sekunden, und hat wohl zu ihm gesprochen: Mein allerliebstes kleines Sträuchlein! mein kleines weißköpfiges niedliches und lustiges Schlehensträuchlein! mein kleiner süßer und krauser Bräutigam! und hat sich eingebildet, daß er es verstände [462] und dazu nickte. Und man weiß nicht, ob er es nicht verstanden hat. Aber oft hat sie auch über ihn geweint und gejammert und gesprochen: Ach mein armes süßes Dornbüschlein! wie mußt du hier verachtet stehen, und trauren und warten! und ich arme muß zittern, daß einmal ein Beil kommt und haut dich ab und daß einmal ein Thier mit scharfen Zähnen und rauher Zunge dich halb auffrißt und zerreisset. Vor den Beilen und Aexten hatte Mariechen eine unbeschreibliche Angst, und wenn sie sie irgendwo im Walde schallen hörte, konnte sie das Aechzen und Weinen gar nicht lassen. Da hat sie denn das Dornsträuchlein oft so fest umklammert, als wenn sie an ihm sterben wollte, und sich manchen scharfen Dorn in ihre schneeweisse Brust gedrückt, daß es geblutet hat. Und wenn sie solches Blut gesehen, hat sie sich gefreut und es genommen und auf das Sträuchlein gestrichen. Sie meinte, es werde es fühlen, daß es seines Mariechens Blut sey, und sich auch freuen, oder sie hat vielleicht dabei auch an eine Verwandlung gedacht. Er ist aber durch ihr Blut nicht verwandelt worden. So hat das liebe Mariechen zwischen Freude und Trauer den Sommer und Winter hingebracht und immer an sein geliebtes Schlehdornsträuchlein denken müssen. Denn hätte sie nur [463] Einen Augenblick an etwas anderes in Liebe gedacht, so wäre es nimmer erlöst worden.

Es war wieder Frühling und das Wetter sehr schön geworden, und ein ganzes Jahr war vergangen seit jenem Abend, wo die beiden dem weissen Hahn in den Wald nachgelaufen waren. Die Sonne war lange unter, Else war zu Bett, da schlich sich Mariechen ihrer Gewohnheit nach durch den Garten über die Wiese in den Wald zu ihrer Eiche und ihrem Schlehendörnlein, das wieder mit grünen Blättern und weissen Blüthen prangte. Sie saß bei ihm, hielt es umschlungen und ihr Herz war ihr so sehnsüchtig und thränenweich und sie mußte sprechen: Ach! du liebstes liebstes Dornsträuchlein, könntest du doch sprechen, daß du es auch weißt, was mein junges Herz um dich leidet! Und Mariechen weinte und sang mit trauriger Stimme:


     Grüne Bäume in den Hainen
Und ihr Blümlein bunt und schön,
Sternlein, die so freundlich scheinen
Und der Menschen Leid verstehn,
Und du süße Nachtlaterne,
Mildes frommes Mondenlicht,
Dem mein krankes Herz so gerne
Traulich sein Geheimniß spricht.

     Höret meine stillen Klagen,
Ach! mir brennt das junge Herz!

[464]

Keinem Menschen darf ich sagen
Meine Sehnsucht, meinen Schmerz,
Die gefühllos kalten Lüfte
Wissen meine Noth allein
Und ihr zarten Blumendüfte
Und du frommer Mondenschein.

     Oder weiß mein holder Knabe,
Weiß mein kleiner Grüner auch,
Was ich Liebes Leides habe?
Weiß es dieser Dornenstrauch?
Ach! er hört nicht, ach! er fühlet
Drinnen weder Leid noch Lust
Und ein schlimmer Zauber kühlet
Ihm mit kalter Nacht die Brust.


Und als Mariechen noch sang, da rauschte es geschwind durch die Büsche herbei und siehe! der alte Greis mit dem weissen Stabe stand plötzlich wieder da, daß sie vor Schrecken von ihrem Schlehbusche auffuhr. Er berührte den Strauch mit seinem Stabe und winkte und murmelte wieder:


Herum! Herum! und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm u. s. w.


und in einem Hui war der Strauch und er selbst verschwunden und wo der Strauch gestanden lag ein schwarzes Hündlein und bellte und sprang bald an das erschrockene Mädchen hinan. [465] Und Mariechen besann sich wieder und nahm das Hündchen in ihren Arm und küßte es viel tausendmal und weinte und rief: O mein süßes süßes Hündchen! wie lieb will ich dich haben! wie will ich dich speisen und tränken! wie will ich dich hegen und pflegen! Auf meinem Schooße sollst du sitzen, in meinem Bette sollst du schlafen, wo ich gehe und stehe da sollst du mit mir seyn. Und das Kind sprang und hüpfte mit dem kleinen schwarzen Hunde fort und sah nicht, wie häßlich er war, und trug ihn mit sich in ihr Kämmerlein und legte ihn neben sich in ihr Bettlein und schlief seelenvergnügt ein.

Den andern Morgen kam sie mit dem schwarzen Hündchen in die Stube der Mutter Else, und die fragte sie, woher sie das Hündchen habe. Das durfte die kleine Marie wieder nicht sagen, und sie sprach, das Hündchen sey ihr gestern Abend so zugelaufen und sie habe es mitgenommen, weil es ja ein gar hübsches und schmeichlisches Hündchen sey, und sie wolle es behalten und lieb haben. Da lachte die Else und schalt sie zugleich und sagte: Das Hündchen hübsch und schmeichlisch? Es ist ja ein rechter garstiger kleiner Balg; den behielte ich nicht, wenn er mein Hund wäre, und wenn man mir einen blanken Thaler zugäbe. Schaffe das kleine häßliche Thier wieder hinaus, mein [466] Kind! ich will dir Geld geben und du sollst dir ein viel schöneres Hündchen kaufen. Ach! Mutter! rief das Kind, laßt mich nur dieses schwarze Hündchen behalten, es ist das liebste und schönste, und thut mir nicht den Schmerz und verachtet mir es so. Und sie drückte der Mutter die Hand und bei diesen Worten liefen ihr die hellen Thränen über die Wangen. Und Else schwieg still und ging weg und dachte ihr Theil; denn sie wußte, daß Mariechen ein besonderes Kind war und auf ihrem Sinn bestand. Also ließ sie es geschehen mit dem Hündlein, weil sie wohl mußte.

Der kleine schwarze Hund war wirklich so garstig, als man nur einen Hund sehen konnte. Wieviel Mariechen ihn auch waschte und striegelte und kämmte, er war gleich wieder rauh und schmutzig; auch sah er aus wie ein Hundegreis, keinen Zahn hatte er mehr im Munde, seine Augen waren triefend, sein Gebell war jämmerlich, von Gemüth war er traurig und beissig und kein Mensch konnte ihn ausstehen und alle Leute erstaunten, daß Mariechen dieses häßliche und widerliche Thier so viel herzte und küßte und so zärtlich mit ihm umging, und einige sagten wohl hinter ihrem Rücken: das geht wohl nicht mit rechten Dingen zu, das hübsche Mädchen muß mit dem häßlichen Hunde [467] behext seyn. Und es sah beinahe so aus. Mariechen stand unbeschreiblich viel mit dem Thiere aus und doch hatte sie es unbeschreiblich lieb. Denn das schwarze Hündchen war nicht allein so häßlich und mürrisch und grämlich sondern es hatte noch die Unart, daß es oft die halben Nächte durch beinahe in Einem fort bellte. Sie konnte dann nicht schlafen und ward ganz blaß und elend darüber, aber doch behielt sie ihn am liebsten und ließ ihn auch nicht einen Augenblick von sich.

Mariechen war ein sehr schönes Mädchen geworden und gefiel allen Leuten, die sie sahen. Die alte Else hatte sich verlauten lassen, sie sehe das niedliche Jüngferchen wie ihr eigenes Kind an und werde ihr eine hübsche Ausstattung geben an Geld und Leinenzeug, wenn sich ein wackerer Freier finde; vielleicht werde sie gar einmal ihre Erbin, wenn ihr Hans nicht wiederkommen sollte. Es fand sich also bald mancher recht hübsche Junggesell, der auch Elsen gefiel, als Freier ein; aber Mariechen wollte von keinem Freier hören und sagte etwas stolz: wenn der nicht kommt, den ich meine, bleib ich in Ewigkeit eine Jungfrau; so daß Else oft ihren Verdruß darüber hatte und den Kopf schüttelte und sprach: es ist sonst ein so freundliches und frommes und gehorsames und christliches [468] Kind und ich kann diesen Trotz gar nicht begreifen.

Mariechen hatte mit ihrem häßlichen schwarzen Hündchen ihr Jahr getreulich ausgehalten. Und als das Jahr um war und Mariechen eben mit ihm im Bette lag und ihm die Zotten kämmete und den Kopf krauete, siehe! da klopfte es an die Thüre ihres Kämmerleins und der wohlbekannte Alte trat wieder herein, berührte das Hündchen mit dem weissen Stabe und murmelte:


Herum! Herum! und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm u. s. w.


und in derselben Sekunde war das Hündchen weg und der Alte war auch weg und an der Stelle, wo das Hündchen eben noch im Bette gelegen hatte, kroch eine recht garstige Kröte. Und Mariechen war zusammengeschaudert vor der Erscheinung und vor der Kröte. Doch besann sie sich sogleich wieder, nahm die Kröte in ihre Hand, und wiewohl die Hand schauderte vor der eisigen Kälte des kriechenden Unthiers, hielt sie sie fest, ja sie küßte sie mit ihren süßen Lippen und benetzte sie mit ihren Thränen und rief: Liebe Kröte, hast du nur Liebe in deiner Brust, so will ich es wohl behaupten mit dir. Und sie küßte die Kröte wieder und streichelte [469] das rauhe garstige kalte Thier mit ihren Händchen und legte es an ihr Herzchen und weinte die hellen Thränen auf seinen Rücken hinab und rief: Ja gewiß hast du Liebe, du hast ein warmes warmes warmes Herz, wohl wärmer als mein Herz, und darfst es dir nur nicht merken lassen.

Und Mariechen fiel etwas ein und sie stand auf und schlug sich ein Licht an und holte Zucker und Honig und das feinste Weißbrod und fütterte die Kröte; und die Kröte war sehr hungrig und fraß lüstern. Und Mariechen setzte sich nun voll Freuden hin und nähete sich aus rothen Seiden ein feines und weiches Beutelchen und that die Kröte da hinein. Und sie band das rothe seidene Beutelchen mit Bändchen um ihren Hals fest und ließ es auf die Brust herabhangen; da mußte die Kröte in dem Beutel auf ihrem Herzen liegen und lauschen, und es ist Mariechen oft gewesen, als habe sie das Thier vor Lust über sein anmuthiges Lager leise zischen hören. Das war aber wohl Einbildung, denn sie sagen, die Kröten haben keinen Laut. So hat die Kröte in dem rothen seidenen Beutelchen denn immer an Mariechens Herzen gelegen bei Tage und bei Nacht, und nur wann sie sie mit Zucker und Honig und andern Süßigkeiten speisete und [470] tränkete, nahm sie sie heraus. Sonst that sie es nie, so gern sie auch ihre Augen an ihr geweidet hätte; denn sie fürchtete, die Kröte könne ihr weglaufen oder jemand könne auch kommen und ihr was zu Leide thun. Sie war auch sehr heimlich und ließ sich vor keiner Menschenseele merken, daß sie eine Kröte hatte; denn was würden Mutter Else und die andern Leute dazu gesagt haben?

Man konnte jetzt gewiß von Mariechen sagen, sie trug ein schweres Geheimniß auf dem Herzen. Denn es ist ihr wohl ein schweres schweres Jahr geworden, daß sie die Kröte so getragen hat, und sie wäre oft beinahe davon vergangen. Sie liebte das garstige Thier über alles in der Welt und doch hatte sie auch wieder einen unüberwindlichen Ekel davor, den Menschen vor Schlangen und Kröten nun einmal von Natur so haben. Das Schlimmste und Schwerste aber war die eisige Kälte der Kröte, die sie durch ihre Brust bis tief in ihr Herz hinein fühlte und die oft so fürchterlich war, daß das arme Herzchen fast hätte brechen mögen. Das war aber noch viel schrecklicher, wenn die Kröte sich im Beutel bewegte und wohl zuweilen aufhüpfte. Dann bekam das Kind ein so entsetzliches und zuckendes Herzklopfen, als ob sie den Augenblick des Todes seyn müßte. [471] Und Mariechen mußte immer ein heiteres Gesichtchen dazu machen und es alles in sich verbeissen, und durfte sich nicht merken lassen, welche unsägliche Schmerzen sie litt. Sonst hätten die Leute wohl mal zusehen wollen, ob sie an ihrer Brust auch einen heimlichen Schaden hätte. Den Schaden aber, den sie da hatte, wollte sie keinen sehen lassen. Dabei hatte das arme Kind noch eine Sehnsucht in der Brust, die von Tage zu Tage gewaltiger ward und die sie oft viele Nächte nicht schlafen ließ, so daß sie ganz krank und blaß ward und daß Mutter Else bedenklich kopfschüttelte und alle Leute flüsterten, was es doch mit Mariechen seyn möge, die sonst ein so munteres und rosenrothes Kind gewesen und nun aussehe wie der Schnee im März. Sie durfte aber davon nicht sprechen sondern duldete alles in stiller Treue und hielt es redlich aus mit der Kröte, bis das Jahr um war.

Und als das Jahr um war, da war ein schöner Sommerabend und Mariechen saß unter der Eiche, die ihr der liebste Baum geworden war von allen Bäumen auf Erden, und ihr Herz war ihr so krank und so sehnlich und sie hatte ihr Köpfchen in dem grünen Grase auf die Stelle hingelegt, wo einst der geliebte Schlehenstrauch gestanden hatte, und die Kröte lag [472] weich und warm in ihrem Beutel und streckte den Kopf heraus und schnappte nach den Erdbeeren, die das liebliche Kind ihr hinhielt. Und siehe! als sie so da saß, stand der alte graue Mann mit dem weissen Stabe plötzlich vor ihr, legte den Stab auf ihren Kopf und sang:


     Dreimal hast du’s wohl vollbracht
Und nun tritt es aus der Nacht
Und die seltne Liebestreu
Macht den schlimmen Zauber frei,
Hast es ritterlich gewonnen:
Baurendom, komm an die Sonnen!


Und er nahm den weissen Stab von Mariechens Haupte und berührte die Kröte damit. Und die Kröte sprang strax mit Gewalt aus dem Beutel auf die Erde und schwoll auf und ward jede Sekunde größer und größer und stand zuletzt wohl wie ein Ochs da, so daß Mariechen vor Angst zitterte und bebte und fliehen wollte, aber sie konnte nicht. Und auf dem Rücken dieser ungeheuren Kröte strahlte etwas gleich dem hellesten Karfunkel und Diamant und glänzte, als hätten sie ihm eine kleine Sonne hineingesetzt. Und der Alte nahm den Stab wieder und berührte den Glanz und murmelte wieder:


Herum! herum! und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm u. s. w.

[473] und in demselben Augenblicke krachte es wie ein Donnerschlag und Mariechen sah den allerköstlichsten Edelstein aus dem Rücken der Kröte springen und zu ihren Füßen hinrollen – und o liebliches Wunder! die Kröte war weg und der allerschönste Jüngling stand da. Und Mariechen schrie laut auf vor Freuden und fiel ihm in die Arme und rief: O lieber lieber Hans! o mein Dom! o mein süßester Baurendom! Und die beiden hielten sich umschlungen und der aufgehende Mond und die lieben Sternlein lächelten freundlich dazu und auch der Alte mit dem Stabe schaute freundlich darein und sprach: Ja dies ist dein Baurendom, liebes Mariechen, den du durch die unvergleichlichste Treue und Liebe, welche die härtesten Proben bestehen mußte, gewonnen und erlöset hast. Du süßes Kind hast wieder zu Ehren gebracht, was die Welt nur noch als ein verschollenes Mährchen gehört hat, daß es Liebe giebt, die über den Tod aushält. Nimm nun den Lohn deiner Schmerzen, und freuet euch und seyd glücklich. Du Hans sey immer lieb und treu, denn solch ein Weib findest du auf Erden nicht mehr als Mariechen, und du, liebes Mariechen, bleibe lauter und rein wie dieser Diamant, der zu deinen Füßen liegt, das Zeichen und der Lohn. [474] Und der Alte verschwand mit diesen Worten und sie haben ihn nie wieder gesehen. Wie lange Hans und Mariechen da noch im Mondschein gestanden und wie viel sie sich geküßt und was sie sich alles erzählt haben, das wäre zu lang zu beschreiben. Genug als es schon nach Mitternacht war und alle Leute im Dorfe im tiefsten Schlafe lagen, da hat die Glocke, die ihr Eins vom Thurme brummte, Mariechen erinnert, daß sie zu Hause gehen müßten. Und sie haben gleich Licht angemacht und Mutter Elsen aufgeweckt und ihr alles bekannt und erzählt, wie wundersam es ihnen ergangen, und die Mutter hat gern den Segen über sie gesprochen und zu Hans gesagt: Lieber Sohn, du bekommst das treueste und schönste Weib auf Erden und wenn du der Baurendom heissest, so sey auch freundlich und lieb und treu gegen dein Mariechen, wie die früheren Baurendome immer gegen ihre Herzallerliebsten gewesen sind. Und Hans hat es versprochen und gesagt: Liebe Mutter, ich muß es ja wohl seyn, nicht bloß deswegen, weil ich der Baurendom bin und heisse, sondern Mariechen ist ja hold und freundlich wie die Engel im Himmel; wer könnte einem so lieben Kinde was zu Leide thun?

Und Hans und Mariechen haben bald eine lustige Hochzeit gehalten und Mutter Else hat [475] ihnen das ganze Gut übergeben. Sie waren aber sehr reich geworden, denn der Stein, der aus dem Rücken der Kröte gesprungen, war ein reiner heller Diamant und den haben sie um fünf Tonnen Goldes verkauft. Und Hans hat ganz Weiseritz dafür erworben und mehrere andere Güter und Forsten.

Und Mariechen hat zu ihrem Hans gesagt: Nun, mein lieber Hans, sey recht frisch und flink und zeige, daß du der ächte Baurendom bist. Baue nun hier am Walde, wo die Eiche steht und wo wir nach dem Hahn gejagt haben und wo du als Schlehdorn geblüht hast und als Hündchen gebellt und als Kröte wieder in den alten Hans verwandelt bist, drei nette Häuser hin, zwei große und ein kleines, und bei jedem Hause lege mir einen hübschen Garten an mit allerlei Bäumen und Blumen. Das eine Haus soll für uns Beide seyn das zweite für die Aeltern und Geschwister und das dritte kleine für den Mährchenerzähler, wenn die mal kommen und uns besuchen. Denn der Mährchenerzähler hat mir gesagt, so sey es bei dem Baurendom, er habe die nettesten und schönsten Häuser und Gärten und Wälder und Wiesen, und es wird mir eine Lust seyn, wenn ich ihn hier bei uns in seinem eigenen Häuschen einquartieren kann und wenn er in meinen Wäldern spazieren und [476] sich dort von unsern Bäumen und Blumen und Vögeln Mährchen zuflüstern lassen kann; denn er hat immer gesagt, die erzählen ihm alles, was er weiß. Und wir müssen nun seine Prophezeihung wahr machen und ihm zeigen, daß es bei uns wirklich so ist, als es bei dem Baurendom seyn soll, und daß du der ächte Baurendom bist.

Und der Baurendom hat Mariechens Worte mit Lust angehört und alles gethan und gemacht, wie sie es wünschte, und im zweiten Jahre sind die drei Häuser und die Gärten fertig gewesen. Und da haben sie sich beide aufgemacht und sind zu Mariechens Aeltern gereist und haben auch ihnen alles erzählt, wie es sich mit ihnen beiden wunderbar begeben hatte. Und auch da ist große Freude geworden über das wiedergefundene Töchterlein und daß sie einen so schönen und reichen und treuen Baurendom gefunden hatte. Mariechen hat aber ihre Schwester Heidichen auch nicht mehr zu Hause getroffen. Die hatte richtig ihren Prinzendom gefunden und ihn auch durch manche harte Probe aus der Verwandlung erlöst und war nun eine große Königin geworden. Sie hat Mariechen nachher auch in all ihrem königlichen Glanze besucht, und Mariechen hat sich so glücklich gedünkt, daß sie ihren lieben Baurendom nicht [477] gegen den König vertauscht hätte. Aber von dem Junkerdom haben sie nichts erfahren können; das haben aber alle Leute gewußt, daß der kleine Junker Fritz kein Edelmannsdom geworden war, sondern er trieb es etwas windbeutelisch in der Welt und es ging ihm auch windbeutelisch, bald schlecht bald gut bald oben bald unten, wie es solchen Leuten gewöhnlich geht, von welchen man sagen kann Wie der Wind wehet.

Und Mariechens Aeltern sind mit ihr gereist und auch der Mährchenerzähler und haben sich manchen schönen Sommermonat bei ihren Kindern gefreuet, und sie sind immer alle Sommer wiedergekommen. Und wann der alte Mährchenerzähler dann in seinem niedlichen bunten Häuschen wohnte und in seinem hübschen Gärtchen auf und ab ging und durch den Wald und über die Wiesen strich und mit den Blumen und Vögeln tausend Spiele und Vertraulichkeiten hatte, da hat er Mariechen auf die Wangen geklopft und wohlgefällig gesprochen: Siehst du wohl Mariechen, daß es alles genau so geworden ist, wie ich dir erzählt habe? daß es alles ganz so ist? der Wald und die Wiesen die Häuser und Gärten und Felder und Heerden und Aepfel und Birnen und Pflaumen und Puter und Gänse und Hühner und Tauben – [478] alles ganz so? Da hat Mariechen denn gelächelt und geantwortet: Ja wohl, ja wohl, leiber Ohm, es ist alles so. Ich sehe wohl, daß ich den rechten Baurendom gekriegt habe; aber ein wenig haben wir es auch eingerichtet nach unserm Mährchen, denn von selbst wollen die Mährchen auch nicht so werden, wie du sie erzählst.