Der Bazar von Smyrna

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Pierre Lebrun
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Bazar von Smyrna
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 70. S. 277–279.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1827
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel: Voyage en Grèce
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[277]

Der Bazar von Smyrna.

Aus: Le Voyage de Grèce, Poème par Pierre Lebrun. Paris 1828. 8. – Der Verfasser ist vor Kurzem in die französische Akademie aufgenommen worden.

I.

Im innern Busen eines grünen Golfs,[1]
Wo einst Phocäa blüht’, des Hermus Fluth
In’s Meer fällt, doch nicht Gold mehr wälzt,
Steigt ein Gestade glänzend rings empor,
Bedeckt von Schiffen, Minarets, Cypressen.
Smyrna ist dieß! und vor mir sein Bazar,
Der ungeheure Bau, drin sich der Kaufmann,
Die lange Pfeif’ im Mund, im Schatten streckt.
Bei diesem Born, wo die Kameele trinken,
Der, in der Mitte, kühle Wasser gießt,
 Welche verzweifelnde Schaar
 Liegt auf den Binsenmatten,
 Weinend zum Markt geführt?
Und Türken, Juden und Armenier[2]
Umdrängen den Ausrufer, den ich höre:
„Effendis, kauft die Töchter der Rebellen!
Kauft ihre Kinder, des Archipels Blume!
Seht! sie sind jung! und seht, wie schön sie sind!“

I.

Seht eure Söhne, Griechen, frei und rein,
Als Christen euch geboren, jetzt verkauft
Für Asiens Harems, Eisen, Glaubensabfall!
Wie seufzen sie nach eurem blut’gen Grab!
Wird ihre Jugend nicht, dem Sultan feil,
Der Ichoglans schandbares Weiberkleid
 Nachschleppen im Serail?
Und welch Geschick erwartet sie, die armen!
Die Töchter! welche Schmach! auf offnem Markt
Der Männer Blicken preis, die sie erkaufen!
Die, gleich dem Roß, sie vor sich führen lassen
 Und sie als Kenner prüfen!
 O, bitter ist ihr Schmerz;
 Der Sonne wird enthüllt
 Der Reiz, den in der Kindheit
Der keusche Blick der Mutter kaum gekannt.
Jungfrau, die ich zu Argos klagen hörte,
Am Strande, der von deinen Thränen feucht,
Ist deine Schwester hier? Ist sie’s, die hier
Vor diesen Turcomanen furchtsam kniet,
Und deren Schaam, des letzten Kleid’s beraubt,
Vergebens flehend, weh! durch ihren Blick
Befleckt in der geheimsten Zuflucht wird.

Dort jene, die mit Thränen sich verbirgt
In ihre Hand, indeß der schwarze Sclav,
Für seinen Herrn, mit frechem Blick sie mißt,
Und fürchtend, daß ein Fehl sich berge – Gott –
Mund, Athem, Busen sorglich untersucht.

Wer ist entsetzt nicht vor des Himmels Gaben,
Sieht er die Jungfraun hier, die einst die Eltern
Vom Himmel glaubten reich begabt zu sehen,
 Da Schönheit er an sie verlieh?
 Das Schwert hätt’, ohne dieß Geschenk,
 Der Ottomanen sie hinweggerafft,
 Und rein, auf heimatlichem Strand,
 Erreichten sie des Lebens Ziel,
 Der Quelle gleich, die in der Einsamkeit

[278]

Entspringt und sich im Schoos der Erde birgt,
 Eh ihre Schönheit, schwindet
Eh sie zum Trank unreinen Heerden dient.

Seht sie, die weinet – weh, wie jung sie noch! –
Und, an dem Rand des klaren Beckens sitzend,
Die Haare, blond, wie Buchsbaum von Cythore,
Als leichten Schleier auf dem Busen zeigt!
Begeistert hätt’ sie Raphael gemahlt!
O diese Stirn, durch holde Unschuld schön!
O dieser Blick gemischt von Furcht und von
Unwissenheit, den sie so süß erhebt
Auf ihren wilden Käufer! Dieses Aug,
Deß Blau der Blume gleicht, die zwischen Aehren
Die Form des Sterns, des Himmels Farbe hat!
Der Stolz des Vaters segnete den Tag,
Der sie gebar; im Mutterherzen wuchs
Mit ihr die Hoffnung eines edlen Bundes.
Und weh, so rein und zarten Alters sie,
Kauft sie der Jud’, dem Geiz im Auge glänzt,
Um sie dem greisen Muselmann zu feilschen.

Die Mutter? sie war da! doch wer vermag
Der Mutter stummen wilden Schmerz zu sehn?
Bleich, schweigend, unbeweglich – lebt sie noch?
Das Auge, trocken, starr, doch ohne Blick,
Scheint nur des Geistes innern Graus zu schau’n.

Vom Abend sind die Minarets vergoldet,
Der Treiber kommt und sagt: „Was hält uns auf!
Es tranken die Kameele, laßt uns eilen!“
Und der Matrose kommt: „An Bord! an Bord!
Der Wind schlägt um! Das Schiff ist schon bereit!“

Und, unbeweglich, bleibt die Mutter taub
Und sieht nicht, wie man sich umarmt und weint
Rings um. „Die Reise säumt nicht. Lebet wohl!“
Geschieden wird, was sich geliebt! Und jede,
Sie glaubt in dieser letzten Stund auf’s neu’
 Die Heimat zu verlassen,
 Sie fliehn und wissen nicht
 Wo, unter welcher Sonne
 Des Herren Harem liegt!
Ist’s zu Damask, Aleppo, Tunis, Stambul?

Und ging’ es noch demselben Lande zu,
Wär nicht die Schwester von der Schwester fern,
Säh in desselben Hauses Dienst die Mutter
Beruhigt sich der Tochter nah! Doch ihr
Sie zu entreißen naht der schwarze Sclave.

Was hört sie? „Meine Mutter! hilf mir, Mutter!“
Was ruft ihr in das Aug den Glanz zurück?
Was giebt ihr plötzlich Leben, Kraft, Gedächtniß
Und Stimme wieder, wie mit einem Schlag?
Welch Feuer jetzt im Mutterauge blitzt!
„Mein Kind!“ sie dringt hindurch, umschlingt ihr Kind:
„Mein Kind!“ sie hält es, schwört, daß ihrem Arm
Der schnöde Mohr es nicht entreißen soll.
Sein Herr, er ruft, gebietet, schilt und droht:
„Thor! eine Griechin, Sclavenkind des Sclaven!“
Doch welcher Zauber eines Talisman’s?
Welch’ Wetterstrahl, der plötzlich theilt den Sturm?
Wie stählt ein Mutterherz den Muth!
Sie fleht, die Griechin, zu des Moslim’s Fuß
Ihn auf den Knien um Sclavenfesseln an:
„Verzeiht mir, ich bin Mutter!“ faßt die Hand:
„O sey barmherzig, edel, groß, gerecht!
Erkaufe mich! es ist mein theures Kind,
Mein letztes Kind, das Kind das ich gesäugt,
Das mir so oft in meinen Armen ruhte.
O guter Moslim, eine Mutter fleht;
O reiße sie nicht los von ihrem Kinde!“

Sie folgt ihm, drängt ihn, hängt an seinem Kleid.

„Ich habe Kraft noch, bin ich denn so alt?
Ich kann die Nadel führen, drehn die Spindel,
Kann Seide weben, kann die Bienen zieh’n;
Ich will die Wiege warten eurer Kinder:
Ihr sollt zufrieden seyn! Mein Elend soll,
Dir unterwürfig, keinen Dienst verschmähn.
O guter Moslim, du hast eine Mutter,
O trenne mich von meinem Kinde nicht!

Die Hand des Muselmann’s stößt sie zurück. – –

Smyrna, der große Stapelplatz und Markt des Orients, liegt im innersten Busen eines Golfs, der seinen Namen trägt, umgeben von langen Cypressenreihen und beherrscht von einem Hügel, auf welchem man ein großes festes Schloß sieht; dieß ist der Berg Pagus des Alterthums, wo Alexander eines Tages unter einem Platanus schlummerte und von der Gründung seines Smyrna träumte, von welchem noch jetzt Trümmer erhalten sind. Aus der Ferne scheint die Rhede von Masten angefüllt, indem die Cypressen, die sich mit den Schiffen vermischen, die vollkommenste Täuschung hervorbringen; aber in der Nähe ist man erstaunt, sie fast leer zu finden. Als ich sie sah, bemerkte man kaum einige dreißig Schiffe, hier und da zerstreut, darunter nur vier oder fünf aus Europa und ein amerikanisches.

Alle Städte des Orients sind sich gleich; in den Augen des Fremden geben ihnen die Cypressen, die Minarets, die engen Straßen, die Stille, die Feuersbrünste, die Pest insgesammt das Ansehen von Schwestern. Die Pest war in Smyrna, gerade am Morgen meiner Ankunft, in dem Gefolge eines Pascha eingezogen. Wir hörten noch auf dem Meere die Kanonen, welche ihren Einzug begrüßten. Oft übt die Pest in dieser zusammengedrängten und volkreichen Stadt die größten Verheerungen an. Im Jahr 1814 raffte sie mehr als vierzehntausend Personen hin, ungefähr ein Drittheil der gesammten Bewohnerzahl; man hat bemerkt, daß sie besonders dann fürchterlich war, wenn sie von Aegypten kam. Wenn man sieht, wie häufig die Feuersbrünste hier sind, so möchte man sich fast in Constantinopel glauben. Zwölf oder funfzehenhundert Häuser waren wenige Tage vor meiner Ankunft verbrannt. Noch rauchten die Brandstätten, und so groß die Macht der Gewohnheit und die unerschütterliche Ruhe der Orientalen, daß die benachbarten Kaufleute bereits wieder in ihren Buden auf ihren Matten lagen, ohne weiter an das geringste zu denken. Auch in den Caffees, die an die Trümmer stießen, sahen die Türken, mit gekreuzten Beinen dasitzend, den Rauch neben ihnen mit eben so viel Selbstvergessenheit und Indifferenz aufsteigen, als sie den aus ihrer Pfeife betrachteten.

[279] Was in Smyrna am meisten überrascht und umsomehr in Erstaunen setzt, da seine ganze Bevölkerung eine kaufmännische ist, das ist die Stille, die daselbst herrscht. Alle Bewegungen, die man im Hafen oder vor den Magazinen sieht, geschehen auf eine Weise, daß man sie kaum hört; die Gewerbe, die sonst die geräuschvollsten sind, werden hier kaum bemerkt: keine Wagen, keine Pferde, kein Streit; man sollte meinen, die Menschen, die sich begegnen, sprächen alle nur leise mit einander; die Weiber gleiten unter ihren Schleiern gleich Schatten an den Häusern hin; die Kameele, die in langen Reihen langsam durch die engen Straßen ziehen, einen kleinen Esel an ihrer Spitze, scheinen den breiten und weichen Fuß mit Bedacht auf den Boden zu setzen; die Cypressengebüsche, die sich an mehreren Orten in der Stadt erheben, scheinen mit ihren Gräbern diese Stille noch zu verdüstern. Dennoch gefällt Smyrna, es ist nicht finster, man findet es nicht todt; in vielen Quartieren sind die Häuser angenehm von schattigem Gebüsche umgeben: die Bazars sind schön, die Umgebungen entzückend; die Weiber habe ich bereits erwähnt.

Im Jahr 1820 bildeten die Griechen ungefähr ein Drittheil der Bevölkerung von Smyrna; die letzten sechs grausamen Jahre, die seitdem verflossen sind, haben ohne Zweifel diese Zahl sehr vermindert. Smyrna ist der Schauplatz entsetzlicher Scenen gewesen; das griechische Quartier muß ganz verwüstet und zerstört worden seyn. Wie viele dieser hübschen Häuser, mit Malereien und Jalousien verziert, mögen verbrannt und wie viele der anmuthigen Frauen, welche dieselben bewohnten, ermordet oder verkauft worden seyn?


  1. Das Meerwasser, im Archipel blau, wird grün auf der Rhede von Smyrna. Die grüne Farbe des Meeres zeigt oft an, daß dasselbe wenig Tiefe hat.

    Der Hermus, der dem Fort Sangiac gegenüber, unfern von dem alten Phocäa, ins Meer fällt, der reiche Hermut der Alten, wälzt nicht nur kein Gold, sondern, – was für einen Fluß noch schlimmer ist – selbst kein Wasser, wenigstens im Sommer. Wenn man im August ihn überschreitet, sucht man ihn vergebens, indem man mit Mühe einen kleinen Faden zwischen Steinen, Kieseln, kleinen Platanen und Agnus-castus sich durchwinden sieht. Im Winter und im Frühjahr geben die Regenbäche, die ihn füllen, ihm das Ansehen eines Flusses und treiben dann in den Golf jenen Sand, der von Jahr zu Jahr mehr Land gewinnt und zuletzt noch das Fahrwasser völlig verstopfen wird.

    Es ist am Eingang des Golfs, auf der Höhe des Caps Cara-Bournou, wo die Schiffe, die nach Smyrna segeln, gewöhnlich den „Imbat,“ den „wohlthätigen Imbat“ finden, den in diesen Gegenden so berühmten Westwind, der von der hohen See herweht und dessen regelmäßige Wiederkehr alle Morgen zu derselben Stunde die äolische Bai erfrischt. In Smyrna fängt man in den Sommermonaten täglich nicht eher zu athmen und zu leben an, als bis der Imbat kömmt.
  2. Gewöhnlich erwartet jede Sclavin, die verkauft werden soll, die Käufer in einem abgesonderten Gemach, und es sind Weiber, die damit beauftragt sind, sie zu zeigen. Aber bei der Unordnung eines Vertilgungskrieges haben die Türken dieß nicht mehr so genau beobachtet und griechische Gefangene öffentlich und gewissermaßen auf dem Markte verkauft; ich glaube mich daher wenig von der Wahrheit entfernt zu haben, wenn ich annehmen, daß ein Sclavenmarkt mitten in einem der Bazars statt fand.