Der Berg Carmel
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Im Lande Samaria zieht sich vom Jordanthale her ein breiter Bergrücken dem Mittelländischen Meere zu und bildet dort, weit in den Ocean hinaustretend, das höchste Vorgebirge der ganzen syrischen Küste. Dies ist der Berg Carmel, durch seine Erinnerungen aus alt-testamentarischer Zeit einer der merkwürdigsten Orte der Erde. Hier hausten und lehrten mehre Propheten; hier stand Elias, als er in schrecklicher Dürre um Regen betete und die Wolken (nach der Ueberlieferung) aus dem Meere steigen sah. – Der Gipfel ist etwa 1500 Fuß hoch und bildet ein Plateau von mehren Stunden im Umfang. Er ist mit Fichten und Eichen bewachsen, und die schönsten Zierblumen unserer Gärten: Hyazinthen, Narzissen, Jonquillen und Anemonen wachsen auf demselben wild. Auf diesen Reichthum der Flora spielt Jesaias an, wenn er sagt: „die Wüste wird blühen; denn die Herrlichkeit des Libanon’s ist ihr gegeben, der Schmuck Carmels.“ – Eine Menge krystallheller Bäche entspringen auf dem Berge, deren größter aus dem Eliasbrunnen strömt und, von Felsen zu Felsen fallend, in dicht bebuschten Ufern dem Kischron zueilt, welcher am Fuße des Berges in den Ocean fällt. – Die Seiten des Carmels sind, dem Meere zu, fast senkrecht und steigen aus den Fluthen wie eine Mauer empor, aus der Felsenblöcke in wunderbaren Gestalten zwischen struppichtem Buschwerk schauerlich hervortreten. Im obern Theil des Bergs befinden sich eine Menge Höhlen, seit urältester Zeit der Aufenthalt von Einsiedlern, jetzt aber größtentheils verlassen, oder die Zuflucht wilder Ziegen und der Raubthiere. In der sogenannten Höhle der „Ordensbrüder“ sieht man noch über 400 abgesonderte Zellen, jede mit einer kleinen Fensteröffnung in’s Freie. Eine große Felsengrotte heißt die Schule des Elias. Hier versammelte
[6] der Prophet seine Jünger und belehrte sie. Diese Grotte ist eine den Mohamedanern besonders heilige Stelle, Ein Einsiedler unterhält eine ewige Lampe in derselben, und von türkischen und christlichen Wallfahrern wird sie häufig besucht. Es ist ein gar schauerlicher Aufenthalt. Man sieht nichts als über sich den Himmel, unter sich in der Tiefe das Meer, dessen weißschäumende Wogen sich an den Felsen brechen.
Die fromme Kaiserin Helena baute auf dem Carmel eine Kirche, und im 12. Jahrhundert gründeten die Barfüßer an deren Stelle das St. Eliaskloster. Bonaparte, als er Acre belagerte, verwandelte es in ein Spital, und nach seinem Abzug zerstörten es die Türken. Erst vor einigen Jahren ist es, nachdem man für den Zweck in der ganzen Christenheit Beiträge gesammelt hatte, wieder aufgebaut worden. Von dem Balkon des Klosters ist die Aussicht entzückend. Durch der Bay von Acca weiten Bogen getrennt, erblickt man die Städte Caipha und Acca, welche sich mit ihren weißen Mauern, schlanken Minarets und zahlreichen Kuppeln grandios ausnehmen, und dazwischen zahlreiche arabische Dörfer inmitten blühender Pflanzungen. Nach Osten hin überschaut das Auge eine lachende Hügellandschaft mit tiefen Thälern, die Höhen meistens mit schimmernden Trümmern von Burgen und Klöstern gekrönt. Majestätisch aber ragen der Tabor und Hermon, wie Riesen unter Zwergen, hervor, und die blaue Bergkette Samaria’s begränzt nach dieser Seite das Panorama.