Der Besuch des Kaisers Franz Joseph I. in Berlin
Der Besuch des Kaisers Franz Joseph I. in Berlin.
Mit derselben Begeisterung, mit der jüngst die Berliner Bevölkerung dem König Humbert von Italien entgegenjubelte, hat sie diesmal unseren andern hohen Bundesgenossen, den Kaiser Franz Joseph empfangen. Die grün-weiß-rothen Farben wichen den schwarz-gelben, und nicht minder malerische Eindrücke empfing das Auge des Beschauers diesmal beim Durchschreiten der Linden, deren Bewohner sich freilich erst am Morgen des 12. August zur Ausschmückung rüsteten, aber dann auch in der alten Zaubergeschwindigkeit den Gebäuden ihr buntes, oft entzückend schönes Gewand verliehen. Als ich bald nach acht Uhr die Linden betrat, hatten eben erst die Tapeziere ihre Gerüste bestiegen, und nur aus einzelnen Fenstern und Dächern wehten bereits die österreichischen Fahnen in ihren kraftvollen Farben.
Um Mittag aber war bereits jedes Haus unter den Linden geschmückt, und um diese Zeit machte sich auch schon eine gewaltige Bewegung dort und in der nach den Linden mündenden Friedrichstraße bemerkbar. Der Fremdenzufluß wächst in Berlin mit jedem Jahre, und in diesem haben die Fürstenbegegnungen das Ihrige dazu beigetragen.
Auch diesmal waren die Empfangstage von herrlichem Wetter begünstigt. Die Sonne lachte gleichsam vom Himmel herab und gab Veranlassung, daß halb Berlin sich nachmittags aufmachte, um – vom Schloß bis zum Thiergartenbahnhof Aufstellung nehmend – dem großartigen Gepränge zuzusehen. Immer dieselben Bilder und doch stets wieder neue! Aber am 12. August hatte namentlich die Empfangseinholung des Kaisers Franz Joseph am Bahnhof etwas überaus Imposantes.
Zwar der Zug, der bald nach fünf Uhr langsam in die Bahnhofshalle einfuhr und den Kaiser Franz Joseph und sein Gefolge mit sich führte, zeigte ein etwas düsteres Aussehen. Kein Schmuck, keine Blumen! Aber ein solcher ringsum in reichster Fülle, und als der hohe Gast nahte, brausten die Klänge: „Gott erhalte Franz den Kaiser“ als Willkommensgruß durch die Halle, und die Töne drangen hinaus zu der in athemloser Spannung harrenden Menge, die, dichtgedrängt, sich hinter dem Militär aufgestellt hatte; die Leibkompagnie des I. Garderegimentes zu Fuß mit der Fahne des I. Bataillons war auf dem Perron zur Ehrenwache kommandirt. Hier Blechmützen, dort rothe Federbüsche, glänzende Pickelhauben und Waffen! Etwa zehn Minuten waren nach der Einfahrt des Kaisers vergangen, als das Kommando „Das Gewehr über!“ erscholl und sich fortsetzte auf der langen Linie bis zum Schloß, in welcher das Militär im Spalier aufgestellt war. Wie plötzlich die Luft durchschwirrende unzählige Silberpunkte erschienen die stählernen Gewehrläufe, und als ob mit einem Zauberstab lautlose Ruhe geboten wäre, so verharrte neben dem Militär das Publikum. Plötzlich entstand eine Bewegung oben auf dem Perron; die Kaiser nahten, das laut schallende, markige: „Achtung! Präsentirt das Gewehr!“ erfolgte, und nicht als ob eine aus Hunderten zusammengesetzte Masse sich rühre, sondern als ob durch eine einzige stramme Kette ein blitzschnelles und ein neues Bild hervorzauberndes Zucken ginge, so flogen die Gewehre zum Präsentiren. –
Eben drang die Sonne, die sich hinter den Wolken versteckt hatte, durch die grünen Bäume des Thiergartens, und in derselben Sekunde – ein wundervoller Anblick – erschienen, hoch zu Roß, die Gardekürassiere in ihren silberglänzenden Rüstungen und Helmen. Das flimmerte und blitzte und silberte; und die Trompeten schmetterten, die Pferde bäumten und drängten sich, das Publikum schob sich ungeduldig vor, die Unruhe wuchs, die Schutzleute wehrten ab und die vor dem Bahnhofe haltenden höheren Offiziere sprengten zur Seite oder voraus.
Und nun die beiden Kaiser in einem mit vier feurigen Rappen bespannten Wagen! Kaiser Wilhelm in österreichischer Husarenuniform, der Kaiser von Oesterreich in der seines preußischen Kaiser Franz-Garde-Grenadier-Regiments, umjubelt von der Bevölkerung mit Hoch-, Hurrahrufen und Tücherschwenken, das sich fortsetzte bis zum Schloß und unterstützt ward von den Klängen der Musikcorps sämmtlicher Spalier bildender Gardetruppen. Ein großartiges Bild, alle diese kraftvollen, strammen Gestalten! Hier weiße Federbüsche, dort schwarze. Hier Lanzen mit Fähnlein, dort Kanonenmündungen und ungeduldig an den Trensen zerrende Gäule, hier die Gardeschützen, dort die Gardedragoner. Mann an Mann, geradlinig, unbeweglich, mit funkelnden Lichtern auf den Helmen, Epauletten und Waffen. Und hinter ihnen die grünen Coulissen des Waldes, und zwischen diesen und den Truppen Hunderttausende von jubelnden und begeisterten Menschen: Männer, Weiber, Kinder. Und Wagen, Droschken, Kremser und Equipagen!
Heil! heil dem Friedensfürst und Bundesgenossen, Kaiser Franz Joseph! Heil unserm Kaiser, dem Unermüdlichen, nie Rastenden, stets Schaffenden! – ging neben den lauten Begrüßungen der stumme Ruf durch die Massen. –
Nach Ankunft der Majestäten bestieg ich einen an dem Ende der Straße zurückgelassenen Wagen, um noch Eindrücke von dem regen Leben in der Bevölkerung zu gewinnen. Ein solcher ward mir, als ich, von den Zelten kommend, den Platz vor dem Brandenburger Thor und der Ecke der Dorotheenstraße erreichte.
Es ist schwer, diesen bunten Tumult zu beschreiben. Es war auch für die Schutzleute unmöglich, hier die strenge Ordnung aufrecht zu erhalten. Vom Brandenburger Thor, das noch nicht passirt werden durfte, drängten sich die Menschenmassen, von Charlottenburg kommend, theils in die Königgrätzerstraße, theils hierher. Wie ein vielseitig seinen Weg nehmender Strom breiteten sich die Massen aus. In der Sommerstraße war anfänglich noch Bewegung und Fortschritt, Droschken Lastfuhrwerk und Menschen wichen einer Abtheilung der in ihre Kasernen zurückkehrenden Gardetruppen aus. Aber bald änderte sich das Bild völlig.
Wohin das Auge sah, vorwärts, rückwärts, über den großen Platz, nach der Charlottenburger Chaussee, nach der Königgrätzerstraße – nur Menschenköpfe, Fuhrwerke, schwarz, dichtgedrängt eine enge Masse.
An der Ecke der Dorotheenstraße ist überhaupt kein Durchkommen. Das Publikum steht eingepfercht, kann weder vor- noch rückwärts. Da plötzlich biegt aus der Richtung der Linden an der Ecke der Kriegsakademie in der Dorotheenstraße eine Kolonne Artillerie um die Ecke. Die Schutzleute suchen die Straße frei zu machen, und die Menschen weichen auch so weit zurück, wie sie vermögen. Ein berittener Hauptmann der Artillerie sprengt voraus. Pferde und Kanonen rücken vor. Das rasselt und dröhnt [606] und zittert. Da stürzt eines der vor die Kanonen gespannten Pferde zu Boden. Als es sich wieder emporgerichtet, schiebt sich die Deichsel hoch in die Luft. Schreien und Rufen! Ein einzelner Fußgänger, der sich herangewagt, fällt, rafft sich auf und ein Schutzmann nimmt ihn beim Kragen. Nun ein furchtbar erregter Wortwechsel, das Publikum nimmt Partei, bis ein großer Holzwagen wieder Stockung verursacht und die Aufmerksamkeit abwendet. Zuletzt stehen die Köpfe der Fuhrwerkspferde fast Stirn gegen Stirn einander gegenüber und es giebt überhaupt kein Vorwärtskommen mehr. Ein Postwagen, der Eile hat, noch zur Bahn zu gelangen, hält bereits seit Minuten dicht am Trottoir, und ein Ulan, das Pferd am Zügel, hat Mühe, den ungeduldigen Gaul, mitten unter den Menschen eingezwängt, zu zügeln.
Endlich, endlich, nach schwerer Mühe wird die Straße freier und schrittweise kann’s weiter gehen. An der Ecke der Wilhelmstraße halten, wohlgezählt, neunzehn Droschken mit Koffern auf dem Bock. Reisende, die an den Lehrter Bahnhof wollen und sicher zu spät kommen! Und Trab giebt’s nicht, nur langsam vermögen sie sich durchzuwinden. Als ich, den Weg durch die Schadowstraße nehmend, die Linden erreichte, waren die Seitenwege und der Mittelhauptweg gedrängt voll Menschen, und das Café Bauer glich einer mit Fähnchen geschmückten belagerten Burg. Und das wälzte sich fort, endlos, hin und her, bis an den Abend, wo dann der Zapfenstreich abermals ein Bild von großartigster Wirkung bot.
Vor dem Königlichen Schlosse waren sämmtliche Musikcorps der Berliner, Potsdamer und Spandauer Truppen aufgestellt. Schon an sich ein kleines Heer! Gegen halb neun Uhr tauchten die langen Reihen der Fackelträger auf, – wandernde, flammende Lichter –, die sich allmählich mehr verengten und den ganzen Platz einschlossen. Hier das feurige Wogen in der Luft, dort das riesenhaft aus dem Dunkel emporragende Schloß mit seinen erleuchteten Fenstern und seinem vergoldeten, weit geöffneten Mittelbalkon, einsam und doch umgeben von Tausenden von Harrenden.
Nun erfolgt das Zeichen; die Wasser des Lustgartens springen, das Licht durchfluthet die Fontänen mit grünem und rothem Schein. Die Majestäten erscheinen auf dem Balkon, ein grandioser dumpfer Wirbel erfolgt, und dann setzen sämmtliche Instrumente zum „Gott erhalte Franz den Kaiser“ ein. Zugleich aber erschallt ein tausendfältiges Hurrah, das den Herrschern auf dem Balkon, das der Kaiserin gilt, die auch erscheint und deren Diamantengeschmeide durch die dunkle Nacht blitzt. Auch hinter den Fenstern erscheinen die Köpfe zweier Herrscher, Herrscher auf anderm, auf geistigem Gebiet, zwei Köpfe, bei deren Anblick jedem Deutschen das Herz höher schlägt: Bismarck und Moltke. Sie sind neben andern hohen Persönlichkeiten Gäste im Schloß. Nun erklingt der Radetzkymarsch zu Ehren des Kaisers Franz Joseph, andere österreichische und deutsche Märsche schließen sich an; dann kommt der große Zapfenstreich, und noch einmal nach langem anhaltenden Trommelwirbel – zum Schluß – wiederholt die Riesenkapelle die österreichische Hymne.
Dann aber ist’s vorüber! Die Menschen zerstreuen und ergießen sich in die einmündenden Straßen, in die Restaurants und Bierlokale. Nach 25 Minuten liegt der Lustgarten und dessen Umgebung wieder einsam da, und dem Zuschauer ist’s, als habe er ein Märchen erlebt. – –
Der zweite Haupttag in den öffentlichen Feierlichkeiten, die dem hohen Gast durch unsern Kaiser geboten wurden, war die große Parade des Gardecorps auf dem Tempelhofer Felde, die um neun Uhr begann und gegen zwölf endete.
Gegen die erstgenannte Stunde ritt Kaiser Wilhelm in großer Generalsuniform, mit kleinem Gefolge und Spitzreitern, durch die Friedrichstraße dem Tempelhofer Felde zu. Schon um diese Zeit waren bis zum Eingang dort alle Straßen mit Menschen besetzt, sämmtliche Häuser trugen reichen Schmuck, Fahnen, Blumen, Teppiche, oder was sonst ihnen festliches Gepräge gewähren konnte; und fast kein Fenster war leer. Dem Monarchen folgte eine halbe Stunde später der Kaiser von Oesterreich im offenen Wagen; er blickte an diesem Morgen sehr ernst, doch den stürmischen Grüßen der Bevölkerung mit freundlichem Dankesblick aus seinen milden Augen begegnend. Die neue Leibgarde der Kaiserin, in der Galauniform mit kirschrothen Aufschlägen, war eben vorausgeritten, um die hohe Frau vor der Kaserne des ersten Gardedragoner-Regiments zu erwarten, von wo später dieselbe in einem weißen Reitkleide mit den Abzeichen des Regimentes Königin-Kürassiere, dazu den breitkrämpigen Hut mit wallenden Federn – hoch zu Roß – in Begleitung des Kaisers Franz Joseph, der ebenfalls in der Gardedragoner-Kaserne zu Pferde gestiegen war, auf das Paradefeld sprengte.
Die Parade auf dem Tempelhofer Felde selbst bot diesmal ein militärisches Schauspiel ohnegleichen. Zunächst ritten die hohen Herrschaften, nachdem sie von dem Kaiser begrüßt worden waren und sich ihnen die glänzende Suite, unter ihnen der künftige Herrscher der österreichisch-ungarischen Lande, Erzherzog Franz Ferdinand d’Este, und der Regent von Braunschweig, angeschlossen hatte, die endlos langen Reihen der Truppen ab.
Nachdem der Präsentirmarsch verklungen war, erschollen die Klänge der österreichischen Kaiserhymne über das Feld, und wer für militärische Schauspiele empfänglich war, hatte an dem heutigen Morgen eine wahre Augenweide, als sich nun auch der Vorbeimarsch der Truppen vollzog. Endlos schienen die Massen. Immer neue Bilder; die Augen den Monarchen zugewandt, schritt ein Heer von Männern und Jünglingen vorüber, die jedes Land mit Stolz sein eigen nennen würde, und es schien, als ob die Mannschaft sich heute besonders bewußt wäre, welchen prüfenden Blicken sie unterstellt sei.
Der Kaiser führte die gesammten Truppen seinem hohen Gaste vorüber, nur das Kommando seines Kaiser Franz-Regiments übernahm der Gast selbst, und das erste Dragonerregiment der Prinz Albrecht. Zuerst die Fußtruppen in Kompagniefront, dann in Regimentskolonnen, die Kavallerie in Eskadron-, die Batterie in Batteriefront – beide zuletzt im Trab – zogen vorüber, und es war schwer zu entscheiden, welcher Truppengattung man den Vorzug geben sollte.
Auf dem Belleallianceplatz, in der Bellealliance- und Friedrichstraße stand das Publikum stundenlang. Namentlich als die Kaiserin bei der Rückkehr erschien, jubelte das Publikum hoch auf. Ihr bezaubernd freundliches Kopfneigen – der Kaiser mit seinem gleichsam aus Erz geschnittenen Gesicht salutirt stets mehr, als daß er die Grüße erwidert – reißt jedesmal die Berliner hin, die für eine zuvorkommende Erwiderung ihrer Huldigungem eine sehr lebhafte Empfindung haben.
Vereint in einem Wagen fuhren die Monarchen zurück, und auch an diesem Tage schien die Sonne und tauchte alles, Straßen, Menschen, Häuser und was sonst in Berlin sich geschmückt hatte, in Gold und lichte fröhliche Farben.
[607] Des Abends um 7 Uhr fand in dem herrlich und mit großer Pracht geschmückten Weißen Saale des Schlosses das Galadiner zu Ehren des Kaisers Franz Joseph statt, an welchem die österreichischen und deutschen höchsten Würdenträger der Diplomatie und des Militärs theilnahmen. Hier tauschten die beiden Herrscher jene hochbedeutenden Freundschaftsbeweise aus, welche lauten Widerhall in ganz Europa geweckt und das Vertrauen in die Erhaltung des Friedens aufs neue gestärkt haben.
Der folgende Tag, Mittwoch der 14. August, war verschiedenen kleineren, mehr familiären Feierlichkeiten gewidmet, und am 15. August verließ der Kaiser Franz Joseph die deutsche Residenz, wo er als Freund und Bundesgenosse unseres Kaisers und als „Herrscher des mächtigen Nachbarreiches, mit welchem uns geschichtliche Traditionen, gemeinsame Interessen und gleiche Liebe zum Frieden verbinden,“ aufrichtig und herzlich von der gesammten Bevölkerung begrüßt worden war.
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