Der Biber (Die Gartenlaube 1854)

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Titel: Bilder aus der Thierwelt. Der Biber
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 502–504
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus der Thierwelt.
Der Biber.

Im Winter des Jahres 1852 erhielt ein Kaufmann in London von einem Freunde in Canada einen Biber. Derselbe war noch sehr jung, klein und wollig und ohne das lange Haar, an welchem man das völlig erwachsene Thier erkennt. Es war das einzige am Leben gebliebene von fünf oder sechs Exemplaren, die gleichzeitig in Amerika eingeschifft worden waren. Er befand sich bei seiner Ankunft in einem sehr kläglichen Zustande, war sehr abgemagert und das Fell über und über mit Pech und Theer beschmutzt. Durch gute Behandlung ward er bald wieder gesund gemacht; er wuchs zusehends, ward rund und fett und der Pelz sauber und glatt. Er ward sehr zahm und zutraulich. Wenn man ihn bei seinem Namen, Binny, rief, so antwortete er gewöhnlich mit einem leisen klagenden Tone und kam auf seinen Herrn zu. Der Teppich vor dem Herde war während der Winterabende sein Lieblingsaufenthalt und er lag auf demselben der Länge nach ausgestreckt, zuweilen auf dem Rücken, zuweilen auf der Seite, zuweilen auf dem Bauche, wobei er seine Zehen mit den Schwimmhäuten dazwischen ausbreitete, um die behagliche Wärme des Feuers darauf einwirken zu lassen.

Sein Trieb zum Bauen entwickelte sich sehr bald. Ehe er noch eine Woche in seinem neuen Quartiere war, machte er sich, sobald er aus seinem Käfig gelassen ward und Materialien in seiner Nähe fand, sofort an die Arbeit. Seine Kräfte waren schon, ehe er zur Hälfte ausgewachsen war, sehr bedeutend. Er schleppte einen großen schweren Borstbesen oder eine Wärmflasche, indem er den Griff derselben mit den Zähnen faßte und sich sie über die Schulter legte. So kroch er mit der Last in schiefer Richtung weiter, bis er die Stelle erreichte, wo er den Gegenstand hin haben wollte. Die größten und schwersten Dinge nahm er allemal zuerst in Angriff und zwei der längsten Gegenstände legte er gewöhnlich kreuzweis über einander, so daß das eine Ende die Wand berührte und das andere in das Zimmer hinausragte. Den durch die übereinandergelegten Besen und die Wand gebildeten Zwischenraum füllte er mit Bürsten, Büchern, Stiefeln, Stöcken, Kleidern, Torfstücken und andern dergleichen Dingen aus. Wenn der Bau eine gewisse Höhe erreicht hatte, stützte sich der Biber auf seinen Schwanz und machte öfters Pausen, während welcher er seine Arbeit zu betrachten und zu kritisiren [503] schien. Zuweilen riß er nach einer solchen Pause den Bau ganz oder theilweise wieder ein, zuweilen aber ließ er ihn auch stehen wie er war.

Nachdem er seine Baumaterialien an einer Stelle des Zimmers – denn gewöhnlich wählte er allemal einen und denselben Platz – aufgehäuft hatte, begann er den Raum zwischen den Füßen einer Kommode, die nicht weit davon stand und deren Füße hoch genug waren, daß er darunter sitzen konnte, wie unter einem Dache, zu vermauern, wozu er Torfstücke und kleine Holzscheite nahm, die er sehr gleichmäßig auf und neben einander legte, worauf er die Zwischenränme mit kleinen Stückchen Kohle, Heu, Tuch oder was er sonst bekommen konnte, ausstopfte.

Diesen letztern Platz schien er zu seiner Wohnung zu bestimmen, während der zuerst aufgeführte Bau wahrscheinlich einen Damm vorstellen sollte. Als er den Raum zwischen den Füßen der Kommode ummauert hatte, begann er Reiser, Tuchlappen, Heu, Baumwolle und dergleichen hineinzutragen und ein Nest zu machen. Nachdem er dies zu seiner Zufriedenheit gethan, pflegte er sich unter die Kommode zu setzen und mit den Nägeln seiner Hinterfüße zu kämmen. Bei dieser Operation zeigte sich, daß das, was auf den ersten Anblick eine Mißbildung zu sein schien, eine für die Bedürfnisse des Thieres ganz zweckmäßige Einrichtung war. Die breiten mit Schwimmhäuten versehenen Hinterfüße des Bibers sind nämlich so einwärts gebogen, daß sie gewissermaßen ein verkrüppeltes Ansehen haben; wenn die Zehen aber anstatt gekrümmt, gerade wären, so könnte sich das Thier nicht ihrer so gut zu dem Zwecke bedienen, seinen Pelz in Ordnung zu halten und ihn von Schmutz und Feuchtigkeit zu reinigen.

Kleine und leichte Gegenstände trug Binny gewöhnlich zwischen dem rechten Vorderbein und dem Kinn, während er auf den übrigen drei Beinen ging. Umfangreiche Gegenstände, die er nicht gut mit den Zähnen fassen konnte, schob er vorwärts, indem er sich mit der rechten Vorderpfote und dem Kinn dagegen stemmte. Auf seinem Schwanze trug er niemals etwas; er tauchte ihn gern in Wasser, in welches er dagegen mit dem ganzen Leibe nicht gern zu gehen schien. Wenn sein Schwanz feucht gehalten ward, so verrieth das Thier niemals Durst; war er dagegen trocken, so schien es sich sehr unwohl zu fühlen und trank dann sehr viel. Es ist nicht unmöglich, daß der Schwanz des Bibers gleich der Haut des Frosches die Fähigkeit besitzt, das Wasser aufzusaugen, obschon die schuppige Hülle, welche dieses Glied des Bibers bedeckt, nicht die Eigenschaften zu besitzen scheint, welche absorbirende Flächen gewöhnlich haben.

Man hat vielfach behauptet und es ist auch bis zu einem gewissen Grade erwiesen, daß der Gesang der Vögel von dem abhängt, was sie zuerst hören; ihr Nestbau dagegen scheint das Ergebniß angeborenen Instinktes zu sein. Binny war jedenfalls viel zu jung eingefangen worden, als daß er etwas von der Bauthätigkeit seiner Aeltern oder Genossen hätte sehen und beobachten können; sein Instinkt aber drängte ihn selbst unter den ungünstigsten Umständen zur Arbeit und er war hier, drei Treppen hoch im Zimmer eines Hauses in London, eben so eifrig mit Errichtung eines Dammes beschäftigt, als ob er seine Wohnung am Ufer eines Flusses oder Sees in seinem Heimathlande Obercanada gebaut hätte.

Brot, Milch und Zucker waren die hauptsächlichste Nahrung Binny’s; sehr gern genoß er aber auch saftige Früchte und Wurzeln. Zarte Zweige und Schößlinge, besonders von der Weide, sagten seinem Geschmack sehr zu und er verstand sie sehr geschickt zu handhaben, indem er sie durch seine Vorderpfoten zog, die er dann eng zusammenhielt, ungefähr so, wie die Korbmacher thun, wenn sie die Elasticität einer Ruthe prüfen.

Ein so geselliges Thier muß nothwendig den Gefühlen der Freundschaft zugänglich sein, was bei dem Biber in der That auch der Fall ist. Drage erzählt von zwei jungen Bibern, welche lebendig gefangen und auf eine benachbarte Faktorei in der Hudsonsbai gebracht wurden, wo sie sehr gut gediehen, bis einer davon durch Zufall das Leben verlor. Der andere fühlte den Verlust seines Kameraden augenblicklich, begann traurig umherzuschleichen, verschmähete jedes, selbst das leckerste Futter und starb nach wenigen Tagen. Der Reisende Bullock erzählt einen ähnlichen Fall, dessen Augenzeuge er in Nordamerika war. Ein Männchen und ein Weibchen wurden zusammen in einem Gemach gehalten, wo sie beide ganz glücklich lebten, bis das Männchen durch den Tod seiner Genossin beraubt ward. Ein paar Tage lang schien er seinen Verlust gar nicht einzusehen, sondern holte Futter und legte es vor das todte Weibchen hin; als er aber endlich fand, daß sie sich durchaus nicht bewegte, bedeckte er sie mit Reisern und Blättern und war bei Bullock’s Abreise ebenfalls dem Tode nahe.

Leider müssen wir auch von dem Thiere, von welchem hier die Rede ist, berichten, daß ihm kein langes Leben beschieden war. Die Haushälterin, welche mit Binny’s Verpflegung beauftragt war, sorgte mit fast übertriebener Gewissenhaftigkeit für ihn, wärmte ihm das Bett und traktirte ihn oft mit Kuchen und andern Süßigkeiten, bis er der feisteste und glänzendste aller Biber ward. Binny wußte auch diese gute Behandlung und Pflege vollkommen zu würdigen und verrieth die größte Anhänglichkeit an seine Pflegerin. Endlich als sein Herr einmal auf einige Tage verreiste, meinte er, daß Binny, der außerordentlich fett geworden war, sich wohler befinden würde, wenn er einmal in die freie Luft käme und sich ungehinderte Bewegung machen könne. Er brachte ihn daher zu einem Freunde, der in der Vorstadt wohnte und einen schönen Garten hatte. Hier konnte das Thier frei umherlaufen und hatte jede Bequemlichkeit, begann aber doch bald Mangel an Freßlust zu verrathen. Vergebens versuchte der Freund des Besitzers, durch allerhand Delikatessen den Appetit seines Gastes wieder zu wecken. Mit Ausnahme einiger Trauben verweigerte das niedergeschlagene Thier jede Nahrung und zehrte sich zusehends ab. Das Schlimmste fürchtend und in der Meinung, daß Binny sich wieder nach seiner frühern Umgebung zurücksehne, brachte man ihn wieder zu der Haushälterin zurück. Der arme Biber erkannte sie sofort, ließ seinen leisen wehmüthigen Ruf hören und kroch unter ihren Stuhl. Aber der Schlag war einmal gefallen. Binny erholte sich nicht wieder und starb, wie die gute alte Haushälterin mit Thränen in den Augen behauptete, am „gebrochenen Herzen.“ Der arme Binny! Er war ein treues und amüsantes Geschöpf, und Alle, die ihn kannten, erinnern sich mit ganz besonderem Vergnügen der höchst komischen Auftritte, welche zwischen dem würdigen, aber langsamen Biber und einem leichtfüßigen flinken Affen von der unter dem Namen Macauco bekannten Klasse, der sich mit in demselben Zimmer befand, statt hatten.

Der Macauco, welcher auf den Namen Macky hörte, konnte Sprünge machen, die an’s Wunderbare grenzten. Von einem Tische sprang er zwanzig Fuß und noch weiter auf die obere Ecke einer geöffneten Thür und dann wieder zurück auf den Tisch oder auf die Schulter seines Herrn, leicht wie ein Elf. Bei diesen Sprüngen schien sein Schwanz die Stelle einer Balancirstange zu vertreten und die elastischen Kissen an seinen Fingerspitzen setzten ihn in den Stand, sich so leicht niederzulassen, daß man ihn kaum fühlte, wenn er einem auf die Schulter sprang. Wenn sein Herr, wie derselbe sehr oft zu thun pflegte, mit gekreuzten Beinen vor dem Feuer saß, schlich sich Macky gewöhnlich herbei, setzte sich ihm auf die Füße, wickelte seinen Schwanz um sich herum, wie eine Pelzboa und schlief ein. Wenn man ihm ein Stück Apfelsine gab, so nahm er es in das Maul und warf den Kopf so weit als möglich zurück, so daß von dem Safte auch nicht ein Tropfen verloren ging. Ein Glas Champagner ging ihm über alles und seine Sprünge und Capriolen waren dann über alle Beschreibung drollig. Die Possen, die er mit Binny zusammen ausführte, waren höchst drollig. Oft während Monsieur Macky auf den Füßen seines Herrn saß, klingelte man Binny, welcher so rasch herbei kam, als sein watschelnder Gang es ihm gestattete, sich dicht an das Bein seines Herrn andrängte und sich mit dem Kopfe und der Nase daran rieb. Plötzlich bemerkte er Macky, weckte ihn auf und bemühete sich, ihn zum Mitspielen zu veranlassen, indem er vor ihm herumwatschelte. Macky, der sich niemals lange bitten ließ, that einen Sprung auf Binny’s Schwanz, war aber im nächsten Augenblicke schon weit wieder fort. Nun begann Binny in die Höhe zu bäumen, den Kopf zu schütteln und die wunderlichsten Grimassen zu machen. Es dauerte nicht lange, so sprang Macky ihm auf den Rücken, tanzte eine Polka auf ihm und sprang ihm dann über den Kopf herunter, worauf Binny dem Tänzer mit entschlossener schwerfälliger Schnelligkeit zu Leibe ging. Im Nu sprang ihm Macky wieder über den Kopf und trampelte ihm auf seinem breiten, flachen, schuppigen Schwanze herum. Binny schüttelte den Kopf, lenkte um wie ein schwerbeladener Frachtwagen und bis er den Kopf dahin gebracht, wo zuvor sein Schwanz gewesen, war Macky wenigstens zwanzig Mal von den Tischen und [504] Stühlen auf ihn und von ihm hinweggesprungen. Nun ward Binny grimmig und klatschte mit seinem Schwanze wiederholt auf die Diele, daß die Fenster klirrten, während Macky um ihn herumtanzte und die lächerlichsten Grimassen schnitt, wobei er Binny’s Schwanz mit seinem Finger berührte und schnell wie der Gedanke wieder zurücksprang.

Trotz dieser kleinen Neckereien waren sie die besten Freunde und vertrugen sich ausgezeichnet mit einander. Eines Tages waren sie mit einander allein in dem Zimmer, wo ein Waschschrank stand, dessen Thüren man aus Versehen offen gelassen hatte. Macky kletterte hinauf, durchwühlte den ganzen Schrank, zerrte Servietten, Tischtücher u. s. w. heraus und warf sie dem Biber herunter, welcher, nachdem er sich ein köstliches Bett daraus bereitet, sich auf dasselbe niederstreckte. Als die Haushälterin in’s Zimmer kam, fand sie Macky und Binny fest eingeschlafen, wobei der erstere mit Kopf und Schultern auf Binny’s fettem weichem Halse ruhete. Als Binny starb, fürchtete sein Herr, daß Monsieur Macky, eben seines lebhaften Temperaments wegen, sich den Mangel an Gesellschaft allzusehr zu Herzen nehmen möchte und machte ihn daher dem Garten der zoologischen Gesellschaft zum Geschenk, wo man ihn mit einem andern Affen seiner Art zusammenbrachte, in dessen Gesellschaft er lange und glücklich lebte.