Der Deutsche in Amerika

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Titel: Der Deutsche in Amerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, 4, S. 5–7, 41–42
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[5]

Der Deutsche in Amerika.

Die Farm eines Deutschen mit Blockhaus.

Es war ein schöner Sonntagsmorgen, als ich von Dir und der Heimath Abschied nahm. Auf den Fluren lag die warme Frühlingssonne, die Vögel schmetterten ihre Lobgesänge gen Himmel und von den Thürmen unsrer kleinen Vaterstadt läuteten die Glocken und riefen die Frommen zur Kirche. Wir standen auf dem Berge und schauten hinab in das heimathliche Thal, an das sich meine schönsten und liebsten Erinnerungen knüpften. Ich werde den Augenblick nie vergessen. Du hattest den Arm um meinen Hals geschlungen, wir sprachen nicht, wir sahen uns nur still in die Augen und drückten uns die Hände und dachten der Vergangenheit. Ja, die Heimath, die liebe Heimath!

Dann zog ich mein Mützchen ab und betete. Nicht für mich, Du weißt es, mein lieber Bruder, für die alte gute Mutter flehte ich, die uns so herzlich liebte und die nun schon zwei Jahre im kühlen Grabe ruht. Und als ob mich der Gedanke an die Frau wunderbar gestärkt hätte, so drückt’ ich lächelnd dann rasch den letzten Kuß auf Deine Lippen und „Grüß mir die Mutter und das Tienchen und das Gretchen“ tönte es noch einmal und „Leb wohl – leb wohl!“ – dann schieden wir. Du gingst der alten, ich der neuen Heimath zu.

Warum ich den Entschluß faßte, der Euch und mir so viel Herzeleid bereitet hat – ich brauche es Dir nicht zu wiederholen. Ich war kein Lump, den man nach Amerika schickt, um ihn los zu werden, einerlei ob er drüben verkömmt oder ein ehrlicher Mann wird, das Faullenzen war auch meine Sache nicht, und ich habe es durch mein ganzes Leben hindurch bewiesen, daß ich arbeiten will und kann, zur Noth für zwei Mann. Daß in Amerika die Goldklumpen auf der Straße liegen, die man nur aufzuheben braucht, um sein Glück zu machen, habe ich nun gar nicht geglaubt, wie ich denn überhaupt die Welt immer nur mit nüchternem Blicke beobachtet habe. Und doch mußte ich gehen, ich mußte! Ich konnte es nicht länger aushalten in der Heimath, es zog mir das Herz zusammen, bei all’ dem Jammer und Elend, ich hätte manches Mal … es war besser so, ich ging.

Seitdem sind nun 6 Jahre vergangen. Meine Hoffnung hat mich nicht betrogen. Durch meiner Hände Arbeit [6] habe ich mir ein bescheidenes Eigenthum errungen, das just ausreicht, mein Leben auf eine bequeme Weise zu fristen. Ein Nothpfennig für die alten Tage ist auch schon angelegt, zwar klein noch, aber mit der Zeit wird schon mehr dazu kommen. Ich fühle mich glücklich, und wie die Sachen jetzt stehen, sehne ich mich nicht zurück nach der Heimath. Ich habe viel gesehen, viel erfahren, mich in Allem versucht und kenne Amerika durch und durch. Ich liebe dieses Land und bin stolz darauf, ein Bürger der Freistaaten zu sein, aber ich kenne auch dessen Schattenseiten und weiß, was gut und was schlecht daran ist. Es ist nicht Alles Gold, was glänzt.

Was ich erlebt und wie ich es angefangen habe, mir eine Existenz zu verschaffen, davon erzähle ich Dir ein ander Mal. Heute nur zur Beantwortung der übrigen Fragen Deines Briefes, des einzigen, den ich seit unserer Trennung empfangen. Du kündigst mir neue Auswanderer aus unserem engern Vaterlande an und fragst dabei nach unsern Landsleuten und wie sie leben hier, was sie treiben, nach ihrer Stellung den Eingebornen gegenüber u. a. m. Das sind viele Fragen auf ein Mal, die ich kaum in einem Briefe werde beantworten können.

Meinst Du die Stellung der Deutschen den übrigen nicht eingeborenen Amerikanern gegenüber, so kann ich Dir mit Stolz berichten, daß sie bei weitem am meisten von allen eingewanderten Völkern gelten. Ich verstehe darunter den einzelnen Deutschen, nicht die Deutschen als Volk. In dem einzelnen Deutschen achtet man den geschickten Handwerker, den fleißigen unverdrossenen Ackerbauer, überhaupt den genügsamen und dabei ehrlichen Arbeiter. Die neuere Zeit mit ihren Kämpfen hat uns aus Deutschland viel Intelligenz herübergesandt, die sich in den meisten Fällen rasch Bahn gebrochen und den Amerikanern den Glauben genommen hat, als bestände das deutsche Volk nur aus armen Bauern und Handwerkern, die zu Hause kein Brod haben. Deutschland ist durch diese sehr in der Achtung gestiegen. Die Deutschen als Volk bespöttelt, ja verachtet der Amerikaner noch, und weil sie auch hier mit allen Ansprüchen auf Selbstständigkeit und Macht doch nur zerstreute Massen ohne innere Gestaltung und Zusammenhalt bilden, so gelten sie im Verhältniß zu dem, was sie durch Zahl und Bildung gelten könnten, eben doch am wenigsten.

Ich wiederhole es, den einzelnen Deutschen achtet und liebt man. Der eingeborne Amerikaner fühlt recht wohl, daß der Deutsche durch Tüchtigkeit, Ehrlichkeit und wirkliche Kenntnisse bei Weitem über ihm steht, wenn er auch äußerlich weniger Abgeschliffenheit besitzt. Es imponirt dem Amerikaner, daß der Deutsche, in den meisten Fällen ohne alle Mittel, mit Verschmähung aller in Amerika erlaubten trügerischen Mittel doch bald zu einer gewissen Wohlhabenheit gelangt, die er stets gut und ohne Prellerei auszubeuten versteht. Und da der Amerikaner gar wohl weiß, wie schwer es in seinem Lande dem Mittellosen wird, ohne Schwindel und Betrug sich rasch ein Besitzthum zu erwerben, deshalb kann er auch dem Deutschen, der dieses Räthsel meist löst, seine Achtung nicht versagen.

Und sei versichert, mein lieber Bruder, das Loos eines Einwanderers ist anfangs nicht beneidenswerth. Es hat mich oft gejammert, wenn neue Schiffe aus Deutschland eingelaufen waren und die armen Leute nun truppweise auf den Hafenplätzen oder Straßen zusammenstanden. Man erkennt sie bald an den langen Röcken und kurzen Jacken, an den verlegenen neugierigen Blicken, aber noch öfter an ihrem krankhaften Aussehen. Von ihren Leiden, die sie unterwegs ausgestanden, könnte man Bücher füllen. Im zweiten Jahre meines Hierseins kamen circa 10,000 Deutsche in New-York an, davon mußten 400 sogleich in’s Krankenhaus geschafft werden, mehr als 100 waren unterwegs gestorben. Ein in Amerika erschienenes Buch erzählt, daß auf dem Schiffe Pontiac von 230 Auswanderern 40 schon unterwegs in’s Meer versenkt wurden, die übrigen traten an’s Land gleich Leichen, von Hunger, Schmutz und Schlägen entstellt. Von den 66 Deutschen dabei wurden 45 sogleich in’s Krankenhaus geschafft, einige starben, andere wurden wahnsinnig.

Durch die strenge Polizei, mit der neuerer Zeit sowohl in Deutschland wie hier die Auswanderungsschiffe überwacht werden, ist allerdings der Willkür der Schiffsagenten und Capitains ein Ziel gesetzt worden, trotzdem fallen bei der Ueberfahrt noch genug Nichtswürdigkeiten vor. Und mit der Ausschiffung hat leider die Noth dieser armen Leute noch nicht ein Ende. Glaube um Gottes Willen nicht, daß ich die Zustände schwärzer schildere, als sie sind, was ich Dir erzähle, ist leider nur zu wahr und Du wirst gut thun, Deinen Freunden, die hierher kommen, das Nöthige davon als Warnung mitzutheilen, damit sie nicht wie viele Andere durch ihre Unwissenheit und Leichtgläubigkeit in’s Unglück rennen.

Wenn sich der Ankommende an der Humanität der amerikanischen Zollbeamten erfreut hat, die gar auffallend gegen das barsche Benehmen der deutschen und englischen Douaniers absticht, so wird er gleich darauf völlig erschreckt durch die Masse lärmender und grüßender Landsleute, die bei der Ankunft vom Lande aus das Schiff überschwemmen. Das ist der Abschaum der Menschheit, der hier dem Auswanderer entgegentritt. Diese verhärteten Strolche, die zur Schande des deutschen Namens nur in der Absicht kommen, die auszuschiffenden Landsleute auf die nichtswürdigste Weise zu hintergehen und ihnen das Wenige, was sie mitgebracht haben, vollends abzunehmen, sind das Unglück vieler Deutschen. Mit der freundlichsten Miene stürzen sie den einwandernden Landsleuten entgegen, begrüßen sie auf das herzlichste, nennen sie bei Namen, den sie irgendwie erfahren, und wissen durch gute Rathschläge, durch Gefälligkeiten aller Art, ja oft sogar durch augenblickliche kleine Geldopfer das Vertrauen der Ankommenden, die froh sind, einen so guten gefälligen Menschen in der Fremde gefunden zu haben, so vollständig zu gewinnen, daß diese sich unbedingt dem guten Landsmann anvertrauen. Der neue Freund zeigt ihnen auch mit aller Gefälligkeit die Sehenswürdigkeiten der Stadt, verspricht für gute Weiterbeförderung der Effekten Sorge zu tragen und lockt die Arglosen unter Vorspiegelung billiger Wohnung in einen entlegenen Stadttheil, wo in irgend einer unbekannten Winkelkneipe das Geschäft geordnet und ein oder auch mehrere Gläser auf die glückliche Zukunft getrunken werden. Wenn dann der Einwanderer andern Morgens nach seinen lieben Landsmann fragt, ist dieser verschwunden und mit ihm seine Brieftasche und oft auch seine Effekten.

So von gewissenlosen Strauchdieben um Alles betrogen, [8] in der großen Stadt ohne Hülfe und Freund, auf der Straße von den Gassenbuben mit dem Zuruf: Dutchman! Dutchman! verhöhnt, glaubt sich der Arme in einem Lande herzloser Schurken und denkt mit Thränen an die verlassene Heimath zurück. Man muß diesem Elend begegnet sein, um daran zu glauben. Während der raffinirteste Luxus in der Stadt so weit getrieben wird, daß z. B. in dem Bureau einer Zeitung (Sun) eine große seidene, fächerartige, mit goldenen Buchstaben überdeckte Maschine angebracht ist, die dem Eintretenden in den heißen Monaten kühle Luft zufächelt, ist es keine Seltenheit, daß von unsern ankommenden Landsleuten, die gesund vom Schiffe kommen, einzelne vor Hunger und Mangel aller Art elendiglich umkommen.

Und noch bin ich nicht zu Ende mit meinem Unkengeschrei. Wenn ich wahr sein will, muß ich nothgedrungen noch manches düstere Gemälde vor Deinen Blicken aufrollen. Denn nur dadurch, daß ich auch die Kehrseite unsrer Zustände schildere, kann ich die thörichten, sanguinischen Hoffnungen, mit denen so Viele hierher kommen, etwas dämpfen. Daß trotz alledem Amerika das einzige Land der Zukunft ist, in dem noch Millionen meiner Landsleute eine schöne glückliche Existenz finden können – das hoffe ich Dir später ebenfalls zu beweisen.

[41]

Der Deutsche in Amerika.

Nr. 2.

Wenn ich Dir meine Gefühle schildern sollte, die mich beseelten, als ich mit Zweihundert Gefährten das Schiff verließ und zuerst das vielgerühmte Land der Freiheit betrat – ich vermöchte es nicht. Ich war unendlich glücklich und doch auch unendlich einsam! Vor uns das herrliche Panorama von New-York, die reiche Vegetation einer über alle Beschreibung reizenden Landschaft, das ferne Brausen der Weltstadt, das rege Treiben im Hafen und über dem Ganzen der klare tiefblaue Himmel – wer hätte da nicht aufjauchzen sollen vor Lust und Freude. Alle Glieder reckten sich, als ob sie neu gestählt wären.

Aber im nächsten Augenblicke auch schon wieder das Gefühl des Alleinstehens, des Verlassenseins! Ohne Freund, ohne Anhalt und Stütze in dem weiten Lande, eigentlich auch ohne bestimmten Zweck als den, sich eine Existenz zu schaffen, befällt den Einwandernden unwillkürlich die beunruhigendsten Zweifel über die nächste Zukunft. Dazu wirkt die Physiognomie der Stadt überraschend auf die Ankommenden ein. Man kann Paris, London und viele andere große Städte gesehen haben, man kann das Leben und Treiben aller großen Residenzen Deutschlands genau kennen – hier ist Alles fremd, Alles neu, großartiger und imposanter als alles bisher Gesehene. Man fühlt sich gedrückt oder, um einen gut deutschen Ausdruck zu brauchen, verblüfft bei all’ diesen Wundern der Natur und des menschlichen Geistes.

Und das erste Willkommen seitens Amerikas ist wahrlich nicht geeignet, diesem Verblüfftsein ein Ende zu machen. Schwindler aller Art umkreisen die Ankommenden, in denen sie ein Opfer ihrer Habgier zu finden hoffen. Sogenannte Agenten deutscher Einwanderungs- oder Transportgesellschaften, Commis von Dampfschiff-Compagnien, Verkäufer von Farms (ganz nach Belieben, vollständig oder zum Theil cultivirt, mit und ohne Inventar) stürzen auf den Einwanderer los mit ihren Offerten und suchen auf jede mögliche Weise das Zweckmäßige ihrer Anerbietungen zu beweisen. Warne Deine Freunde bei Zeiten vor diesen Leuten; selbst wenn sie gerichtlich vidimirte[WS 1] Documente vorlegen, Zeugnisse bekannter Firmen und andere Beweise für ihre Ehrlichkeit und Solidität bringen – es ist Alles Charlatanerie, Schwindel, Alles „Humbug“, wie es der Amerikaner nennt.

Aber ich wollte Dir von unsern Landsleuten und ihrem Leben erzählen. Ich komme später schon zurück auf die Details der Schäden und Fallen, die den Einwandernden von allen Seiten bedrohen. Auch über das Schaffen und Treiben der Deutschen gebe ich Dir vorläufig nur Allgemeines, wie ich es theils aus eigener Anschauung, theils aus einem hier erschienenen trefflichen Buche eines Deutschen über „Deutsche Einwanderung“ kenne, um dann in die Einzelheiten ihrer geschäftlichen und geistigen Existenz überzugehen.

Die große Masse der Einwanderer vertheilt sich in die westlichen Staaten als Landbauer. Sie kaufen sich in der Nähe von Leuten aus ihrer Gegend ein Blockhaus und ein paar Acker bereits urbar gemachtes Land von einem englischen Einwanderer, der immer nur darauf wartet, bis ein Abnehmer kommt, damit er weiter in den Wald könne. Wo mehrere Deutsche sich zu einer Ansiedlung zusammenthun, da fangen sie von wilder Wurzel an. Solcher deutschen Ansiedlungen giebt es unzählige. Wo erst ein paar sitzen, da ziehen sie in kurzer Zeit noch mehrere aus ihren Geburtsörtern in Deutschland und von den übrigen an sich, die durch das Land fahrten und vielleicht erst bei ihnen in den Dienst treten. Im Umsehen ist eine Ansiedlung entstanden, die sich meilenweit hinzieht. Ein Plan wird bei diesen Anlagen nur dann befolgt, wenn sie von einer Ansiedlungsgesellschaft geleitet werden, gewöhnlich baut sich der Ankömmling sein Haus dahin, wo er ein gut Stück Land bekommen kann.

Es ist anziehend, dem Leben und Treiben in diesen neuen Ansiedlungen zuzusehen. Während in der Mitte schon die Kirche feststeht und man sich über den Prediger und die Kirchenverfassung beräth, schlägt man an den Enden noch die Bäume nieder und die Nachbarn eilen herbei, unter Lust und Fröhlichkeit die Blockhütte zusammen zu setzen. Und merkwürdig ist es dann, wie bald den Deutschen, der vorher noch so hingebend und unsicher war, ein Gefühl der Selbstständigkeit und eigenen Würde überkommt, so bald er ein Stück vom Erdboden sein eigen nennt. Dann tritt er fest auf, da giebt er seine Meinung in bestimmter körniger Weise, und dies erste frische Gefühl, daß auch er ein ganzer Mann ist, verführt ihn häufig zur argen Hartnäckigkeit, und daher kommt es, daß selten der kleine Krieg zwischen den neuen Hütten ruht. Von Außen nehmen sie sich in den ersten Jahren nicht gefällig aus.

Die graue Einförmigkeit der Blockhäuser, die rohen Einfriedigungen der Felder, diese gräßliche Augenqual, die angebrannten dürren Bäume, der Anstrich von Verwilderung, den das ungebaute Land noch hat, die wenigen Menschen, die zwischen den nicht nahe gerückten Wohnungen sich sehen lassen, – das alles giebt einer solchen Ansiedlung mitten im wogenden grünen Walde das Ansehen der Oede und Verbannung. Auch ist der Anfang mühselig. Die härteste Arbeit, Siechthum und Elend drückt den Ansiedler und seine Frau danieder, und vom englischen Nachbar haben sie vielleicht etwas Hülfe, niemals aber freundlichen Zuspruch. Aber sobald die Kinder zu laufen anfangen, gebt es besser, am Ende des dritten Jahres ist man sorgenlos, nach sechs Jahren bereits in gutem Stande und nach zehn Jahren wohlhabend. Und in der Zeit haben sich die Männer durch Umgang mit älteren Ansiedlern, durch Zeitungslesen, durch Theilnahme an öffentlichen Vorlesungen zu selbstständigen Bürgern Amerikas herangebildet, und ihre Frauen das Wesen der wohlhabenderen deutschen Bürgerfrauen angenommen. Wo die Deutschen zerstreut wohnen, nehmen sie äußerlich wohl englisch-amerikanische Sitten an, bleiben sonst aber deutsch. Wo ihrer mehrere zusammenwohnen, wie es gewöhnlich ist, da halten sie daran fest, sich in deutscher Weise fortzubilden; die Bildungsmittel, als Bücher, Schullehrer, Vorträge, gehen ihnen aber sehr ab. Um Politik bekümmern sich die deutschen [42] Bauern viel zu wenig, manche sind ganz theilnahmlos darin und überlassen es dem Yankee, ihr Beamter zu sein.

Diejenigen unter den Einwanderern, welche in den Städten ohne Geld und Kenntnisse sitzen bleiben, fangen ärmlich an; sie finden zwar bald Verdienst und haben reichlich zu leben, bequemen sich aber auch zu den schmutzigsten Arbeiten und kaufen die schlechtesten Lebensmittel. Auch die Dienstboten bestehen aus Irländern oder Deutschen, letztere werden natürlich bei weitem vorgezogen. Diese Leute, welche ein gutes Dritttheil der deutschen Bevölkerung ausmachen, sind es, von denen englische Amerikaner am liebsten ihre Mißachtung gegen die Deutschen hernehmen; denn die englischen sind der Regel nach entweder Loafer[WS 2] oder sie betreiben ein größeres Geschäft, zu den kleinen schmutzigen Arbeiten können sie sich nur schwer verstehen. Für Kirchen- und Stadtangelegenheiten lassen diese ärmern Deutschen sich dann und wann in Bewegung setzen. Es giebt eine Menge Wirthshaushelden unter ihnen, jedoch sehr selten einen bloßen Herumstreicher. Manche, welche in Deutschland mäßig waren, verfallen hier in die Gewohnheit des Trinkens. Wegen der Giftstoffe aber, die den gebrannten Wassern und eingebrachten Weinen beigemischt sind, sowie des Wechsels und scharfen Eindrucks des Klimas wegen, entsittlicht das Trinken in Amerika viel mehr, als in Deutschland, und bringt Manchen in ein frühes Grab. Einige der ärmeren Deutschen verheirathen sich mit englischredenden Mädchen. Es soll aber der Regel nach nicht gut thun, weil der Deutsche zu viel Thätigkeit von der Frau und sie von ihm zu viel Feinheit und Vergnügen verlangt. Die Amerikanerin heirathet aber gern den Deutschen, weil er brav und warmherzig ist und ihr und den Kindern ein sicheres Fortkommen bereitet.

Selten ist es, daß unsere Landsleute auf dieser niedrigen Stufe, über welche der gewöhnliche Irländer nicht hinweg kommt, mehr als ein paar Jahre bleiben. Sie erwerben sich bald etwas Geld und gehen dann entweder mit Ansiedlungsgesellschaften, die sich fortwährend in den Städten bilden, nach dem Westen, oder fangen ein größeres Geschäft an. Letzteres wird ihnen nicht schwer gemacht, da in Gewerben unbeschränkte Freiheit herrscht und der Amerikaner in Geschäften großes Zutrauen schenkt und nimmt. Nächst dem Landmann geht es nun diesen Städtern am besten. Höhere Anregung fühlen sie nicht besonders in sich, und ihre Geschäfte gehen gut und ohne viel Sorge und Arbeit. Die jüngeren unter den Deutschen fangen indessen schon an, verwegener in ihren Unternehmungen zu sein, und tummeln sich in allen Arten von Geschäften umher. Freudig zu sehen ist es insbesondere, wie männlich und anständig sich hier die jungen Handwerker entwickeln, welche in Deutschland oft so erniedrigend behandelt werden. So klug und ehrenwerth aber auch dieser mittlere Bürgerstand, wie man in Deutschland sagt, in Amerika ist, so schwer ist er für eine allgemeine Sache zu begeistern. Erst allmählig fangen sie an, um die Politik sich gleich den übrigen Amerikanern zu kümmern. Weil sie aber in ihren Häusern deutsches Familienleben und deutsche Geselligkeit rein und gemüthlich erhalten und mit dem Yankee nur in Geschäften zu thun haben wollen, so geben sie dem Deutschgesinnten die sicherste Hoffnung.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. beglaubigt (Quelle: Duden online)
  2. Faulenzer (Quelle: LEO - Online-Wörterbuch Deutsch-Englisch)


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