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Der Erfinder des Phosphor

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Textdaten
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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Der Erfinder des Phosphor
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[776]

Der Erfinder des Phosphor.

Die Pfaueninsel bei Potsdam ist ein Ort, der den Besuchern jener reizenden Gegend gewiß im Gedächtniß bleibt. Inmitten des schönen Wasserspiegels der Havel gelegen, die Aussicht auf herrlich bewaldete Ufer gewährend, bietet die kleine Insel in ihrem Innern selbst mannigfache Abwechselung dar. Schöne Pflanzungen, heitre und prächtige Gebäude zieren das Eiland, und namentlich hatte es in früheren Jahren besonderen Reiz, als noch eine Sammlung seltener wilder Thiere die Beschauer anlockte. Der ganzen auf der Insel herrschenden Einrichtung sieht man es an, daß wahrhaft königliche Munificenz hier gewaltet. Und in der That ist es auch so. Die Herrscher Preußens haben sich Potsdam und dessen Umgebung stets zum Lieblingssitze ausersehen; Friedrich der Große ließ schon die Insel durch Anlagen verschönern und gab ihr den Namen Pfaueninsel, früher hieß sie der Kaninchen-Werder, später Pfauen-Werder. Nach und nach wurden immer mehr Verschönerungen auf derselben angebracht und die heitere Anlage dadurch zu einem Schmuckkästchen der Ziergärtnerei erhoben. Viel frühere Jahrhunderte scheinen jedoch bereits regelmäßige Anpflanzungen auf der Insel gesehen zu haben, denn die noch heute sichtbar symmetrisch gepflanzten ungeheuren Eichen, ein Kreis derselben, welcher das Wasserbassin einschließt, geben Zeugniß, daß hier schon in grauer Vorzeit eine ordnende Hand thätig war. Die Pflanzzeit der Eichen dürfte ungefähr das Jahr 1440 gewesen sein, doch finden sich auch noch viele weit ältere Exemplare dieses herrlichen deutschen Baumes.

Nicht immer war die Insel der Gegenstand des vergnügungssüchtigen Publicums. Es gab eine Zeit, in der sie sehr verrufen war. Unbestimmte Sagen und Behauptungen hatten sich unter die Bewohner Potsdams geschlichen und dies Inselchen zum Sitze der fürchterlichsten, theilweise teuflischen Geschöpfe gemacht. Woher der schlimme Ruf entstanden, läßt sich schwer ermitteln; es scheint, daß eine geschichtliche Annahme, die Pfaueninsel sei in der Heidenzeit ein Opferplatz gewesen, jene Furcht vor dem Orte veranlaßte.

Besonders schrecklich und grauenvoll ward die Insel aber den Umwohnenden in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts, unter der Regierung Friedrich Wilhelm’s des großen Kurfürsten. Das war die Zeit, wo sie noch der Kaninchenwerder hieß, wenigstens beim Volke, denn in den Documenten wird sie schon damals Pfauenwerder genannt, und diese Documente übergaben im Namen des Kurfürsten den einsamen Werder einem Manne, dessen Ruf, unheimliches Wesen, verpönte und geheimnißvolle Beschäftigung nur dazu geeignet waren, den Abscheu der Bewohner Potsdams und der Umgegend vor der gefürchteten Insel noch zu vermehren. Der finstere Gast, später Eigenthümer des Pfauenwerders, hieß Johannes Kunckel,[1] war aus den Diensten des Kurfürsten von Sachsen in brandenburgische Dienste getreten und betrieb mit fürstlicher Erlaubniß die teuflische (!!!) Goldmacherkunst.

Es war in den letzten Tagen des September 1686. Einem jener schönen Spätsommertage war ein kühler Abend gefolgt. Die Wellen der Havel gingen hoch und ließen ein Boot tanzen, welches von Potsdam her auf den Kaninchenwerder zusteuerte. In diesem Boote saßen zwei Männer, der Schiffer und dessen Passagier. Letzterer hatte sich in seinen Mantel gehüllt und regierte das Steuer, der Schiffer handhabte die Ruder. Die Unterhaltung der beiden Personen drehte sich um den verrufenen Kaninchenwerder, der das Ziel des Reisenden war.

„Aber,“ fuhr der Fremde in seinen Gesprächen fort, „wenn Ihr so schwere Anklage gegen den Adepten erhebt, so müßt Ihr doch einen Beweis gegen ihn vorbringen können!“

„Ja,“ entgegnete der Schiffer, „den haben wir freilich nicht, aber ist es denn nicht genug, daß er überhaupt auf der Insel wohnt? Welcher redliche Christ kann es da aushalten? Das ist ein Ort, wo sie vor diesem den Menschen das Herz ausgerissen haben und sie dem Götzen oder der gefräßigen Göttin Jetschi Baba [777] geopfert haben. Rings herum hier ist noch heute die Gegend voll von allerlei Spukgestalten, und wenn wir Nachts die Reusen auslegen, können wir die Gespenster dutzendweis sehen, wie sie durch das Rohr huschen oder über den Wasserspiegel schweben, oder auf den Forstberg schlüpfen, auf dessen Höhe sie ihre Tänze ausführen, wie sie ehedem um den rauchenden Opferstein getanzt haben. Es heißt der Berg noch heute bei dem verfluchten Wendenvolke, das hier um Potsdam wohnt, der Baberow, woraus sie auch Babersberg machen, zum Andenken an jene Baba, für die sie oben auf dem Berge geopfert.“

„Und die Insel?“ fragte der Fremde, „wie kommt sie damit zusammen?“

„Hab ich Euch nicht gesagt, daß da auch Teufelswerk getrieben wurde? Wenn ich nun das Alles zusammennehme, so kann ich doch nur denken, daß der Kunckel, der auf dem Werder wohnt, mit dem Gottseibeiuns verkehrt, denn wie würden ihn sonst die höllischen Geister in Ruhe lassen? Er hat zwei Teufel bei sich. Einer ist in Menschen-, der andere in Hundsgestalt. Der Mensch ist ein gelbliches, verwachsenes Geschöpf mit Triefaugen und langer Nase. Er hat ein furchtbares Maul und ist stumm, auch hinkt er auf einem Fuße, der offenbar ein Pferdefuß ist, und ist boshaft wie alle seines Gleichen. – Der andere Geist ist in Hundsgestalt um ihn. Seht nur, wie das Höllenvieh Nachts die Runde um die Insel macht, die Augen wie Feuerräder im Kopfe, die blutige Zunge aus dem Rachen hängend, so läuft es keuchend am Ufer herum.[2] – Und mit diesem Geschmeiße zusammen lebt der Herr Kunckel einsam auf dem wilden Dinge, das jetzt sein eigen ist, schon seit sechs Jahren. Nachts hört man wundersame Töne aus dem Hause erklingen, dann steigen Funken empor, und man gewahrt Glanz von Lichtern, die man nicht sieht. Ein Mal ist schon Alles heruntergebrannt, und das war eben durch den Teufel gemacht, dem Herr Kunckel nicht ordentlich seinen Pakt gehalten.“

„Aber,“ warf der Fremde ein, „wie erklärt Ihr es, daß der Kurfürst den Teufelsbanner in Sold hat?“

„Lieber Herr, die Großen dieser Erde sind oft nicht so weitsehend in solchen Dingen, als wir, die Niedrigen, denn vor ihnen geben sich die Höllenkünstler nicht wie sie sind. Unser gnädiger Herr hat auch vielleicht die besten Absichten gehabt, aber Gold ist ein mächtig Ding, es schmeckt gut, und die Herren sehen nicht, woher es fließt, bis sie in den Schlingen des Bösen sitzen. Gott lenke Alles zum Guten!“

Unter solchen Gesprächen war man bis an den Werder gelangt. In Finsterniß gehüllt, lag er vor den Ankommenden. Der Fremde steuerte auf den Zuruf des Schiffers das Boot gegen das Ufer. Es fuhr in den Sand, und der Gelandete erhob sich, um auszusteigen. „Wo finde ich das Haus des Kunckel?“

„Das ist weit entfernt, am andern Ende der Insel,“ entgegnete der Schiffer.

„Warum habt Ihr mich nicht dahin gefahren?“

„Nein, Herr, Ihr habt mir ein gut Stück Geld gereicht, daß ich Euch bis hierher bringe; ich bin arm, darum hab ich Euch den Willen gethan; aber in die Nähe des Teufelshauses bringt mich Niemand, dazu hab’ ich meine Seele zu lieb. Auch Euch, Herr, rathe ich ab. Ihr scheint mir ein braver Cavalier, ich weiß nicht, was Ihr vorhabt. Wollt Ihr aber durchaus, so geht in das dichte Gebüsch hier hinein, dann soll man auf eine lange Reihe doppelt stehender Eichen kommen, die Reihe führt auf das Haus. Seid Ihr morgen noch am Leben und wollt zurück, so ruft nur gegen Sacrow zu: „hol’ über!“ da lande ich hier an, Euch zu fahren. Nun Gott befohlen! Ich will machen, daß ich zurückkomme, ehe ich den Schwerenothshund wieder zu sehen kriege.“

Der Fremde zog seinen Mantel fester um sich, während der Schiffer abstieß und bald in der Dunkelheit mit seinem Boote verschwand, doppelt froh, als er endlich das jenseitige Ufer erreicht hatte. – Unterdessen schritt der Fremde in dem finstern Gebüsche vorwärts. Die ungeheuren Bäume, welche sich neben und über ihm erhoben, schienen die ganze Insel anzufüllen. Nur hie und da glaubte er ein freies Plätzchen zu bemerken. Der Boden, durch den Regen schlüpfrig gemacht, ließ den Fuß des Wandrers oft ausgleiten. Zuweilen war es ihm, als husche irgend etwas Lebendiges über den Weg. Der Fremde schien jedoch keineswegs von Vorurtheilen befangen zu sein. Er murmelte nur mit leiser Stimme: „Ein nichtswürdiges Wetter, ein schändlicher Weg! Beim Himmel, man kann es den Leuten nicht verdenken, wenn sie den Kunckel für den bösen Roland halten. Wie kann man sich als Gelehrter solch einen Wohnplatz wählen! Freilich das Laboratorium und die kurfürstliche Bestallung als Kammerdiener, und,“ fügte er lachend hinzu, „das Geschenk. Eine ganze Insel als Geschenk! Ja, wenn ihm die letzte Sache noch gelingt, ist Kunckel ein gemachter Mann.“

Unter diesen Selbstgesprächen und Betrachtungen war der Fremde an eine Bucht des Ufers gekommen. Von jetzt an führte der Weg dicht am Flusse entlang. Noch wenig Schritte hatte der nächtliche Besucher gemacht, als er plötzlich einen grellen Lichtschein auf dem Wasserspiegel der Havel gewahrte. Die Wellen zitterten innerhalb des bläulichen Feuerkreises, der sich genau in Cirkelform auf dem Wasser abzeichnete. Es war, als werde das Licht durch das runde Glas einer magischen Laterne geworfen. Zuweilen ward es matter, dann strahlte es wieder so hell, daß es den Augen wehe that. Der Fremde erinnerte sich jedoch, früher nie einen ähnlichen Lichtglanz, eine Lichtfarbe so eigenthümlicher Art gesehen zu haben.

Frostschüttelnd schlug er sich, dem Wege nachgehend, in ein aus Weimuthskiefern und Ginstern zusammengesetztes Gebüsch. Hier durfte er nur noch einige dreißig Schritte thun, als er vor einer aus Bohlen gezimmerten Parkthüre stehen bleiben mußte. Trotz der Dunkelheit gewahrte er Dächer des in geringer Entfernung befindlichen Gebäudes, aus dessen nach der Flußseite führenden Fenstern jener wundersame Lichtglanz strahlte. Er fuhr mit der Hand an der Thüre herum, die Klinke zu suchen, und erfaßte den schweren eisernen Klopfer. Er hob ihn, und schnell hintereinander hallten die dumpfen Schläge durch die Nacht und das Heulen des Windes.

Diese Aufforderung um Einlaß beantwortete ein furchtbares Hundegebell. Das Licht verlosch, und der Fremde hörte, wie eine Thür geöffnet wurde. Schlürfende Tritte näherten sich dem Hofthore, das Hundegeheul begleitete dieselben. Während von innen das Schlüsselloch gesucht ward, sprang der einen Fremden witternde Hund an der Thüre empor und kratzte mit seinen ohne Zweifel ungeheuren Pfoten an den Bohlen.

Der Fremde zog unter seinem Mantel ein Jagdmesser hervor, die Thüre sprang auf, und schon wollte sich ein großer, zottiger Hund auf den Ankömmling werfen, als eine mächtige Stimme das Ungeheuer zurückschreckte. Diese Stimme kam aus dem der Eingangsthüre gegenüberliegenden Hause, an dessen Parterrefenster ein Mann sichtbar war. Er hatte sich einen Schlafpelz übergeworfen. In seiner linken Hand hielt er eine brennende Nachtlampe, welche den Hof theilweise erhellte, seine Rechte umklammerte den Hals eines schußfertigen Doppelhakens, dessen Lauf im Scheine des Lichtes blitzte. – Der Fremde hatte die ganze berüchtigte Bevökerung des Kaninchenwerders vor sich. Der Oeffnende war der stumme hinkende Diener in Begleitung des Teufelshundes, und am Fenster zeigte sich Herr Johannes Kunckel, dem seine Mitbürger die Ehre vindicirten, ein Teufelskünstler zu sein.

„Wer ist da? Wer seid Ihr?“ rief Kunckel, das Feuerrohr hebend.

„Setzt ab!“ lachte der Fremde nähertretend. „Ihr braucht keine Kugel zu vergeuden.“ Er schlug den Mantel zurück und ließ seine Gesichtszüge hell von der Lampe bescheinen.

„Ihr seid es,“ rief Kunckel, ebenfalls lachend. „Ihr, Herr Kirchmayer! Willkommen, tretet ein!“ Die Hausthür öffnete sich, und der Alchymist streckte dem Freunde die Hand entgegen. „Crutzemann,“ herrschte er dem Diener mit schreiender Stimme zu, „schließe das Hofthor! Wodan, verdammter Hund, gieb Ruhe! Kommt in’s Zimmer, Kirchmayer!“ Kunckel schritt seinem Gaste voran in ein großes, sehr geräumiges Zimmer. Dasselbe war mit Büchern umstellt und durchaus wohnlich eingerichtet. In dem hohen Kamine prasselte, mit Berücksichtigung des kühlen Abends, ein helles Feuer. Bald war der Tisch gedeckt, prächtige Gläser mit Wein gefüllt umstanden eine mächtige Hirschkeule, Früchte verschiedener Art lagen in krystallenen Schalen. Der Teufelshund knurrte in der Kaminecke, und der dämonische Diener wartete auf.

Das ganze Aussehen Kunckel’s zeigte keineswegs den mürrischen vertrockneten Gelehrten, sondern vielmehr den heitern, frischen [778] Lebemann, nicht den Teufelsvasallen, sondern einen gutmüthigen, allerdings schlauen Gesellen. Letztere Eigenschaft prägte sich besonders auf seinem Gesichte aus, als er auf die Frage Kirchmayer’s: „Ich komme eigens hierher, um Euch zu fragen: habt Ihr ihn?“ das Glas erhob und mit zufriedenem Lächeln, die Augen blinzelnd, entgegnete: „Ich habe ihn.“

Kirchmayer, ein schöner, stattlicher Mann, dessen geistreiches Antlitz den Gelehrten erkennen ließ, schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser erklangen. „Ihr habt ihn wirklich?“

„Heute wieder mit ihm experimentirt,“ lachte Kunckel.

„Wie, sollte etwa jenes Licht, das ich vorhin aus dem Hause strahlen sah – sollte –“

„Es kam von ihm,“ sagte Kunckel. „Nehmt erst Speise und Trank zu Euch, dann sollt Ihr hören.“

Während die beiden Freunde sich an dem Tische des Adepten laben, möge hier einige Nachricht über das Leben und Treiben des seltsamen und verdienstlichen Mannes Platz finden.

Johannes Kunckel, von Hause aus Apotheker, hatte sich bald auf das Studium der Metallurgie geworfen und sich namentlich in der Kunst, die zusammenhängenden Bestandtheile zu scheiden, hervorgethan. Bei diesen Beschäftigungen war es ihm gelungen, eine vorzüglich schöne verschiedenartige Glasmasse herzustellen, der er durch chemische Processe die mannigfaltigsten Farben zu geben wußte. Kunckel hatte in mehreren Ländern seine wissenschaftlichen Resultate verwerthet, und obgleich ein für seine Zeit sehr erleuchteter Kopf, ward er dennoch von der allgemein herrschenden Sucht, den Stein der Weisen zu suchen und Gold zu machen, erfaßt. Durch diese Manie (gleichbedeutend mit der unserer Zeit, nämlich mit der Geisterklopferei und Tischrückerei etc.) zeichneten sich das 17. und 18. Jahrhundert aus, was um so weniger verwundern darf, wenn man erwägt, daß es vorzugsweise die Fürsten waren, welche oft mit ungeheuren Kosten alchymistische Versuche anstellen ließen oder selbst anstellten. Jeder Mensch ist eben das Kind seiner Zeit, und sogar der große Kurfürst, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, unterlag dem Einflusse seines befangenen Jahrhunderts. Er hatte von Kunckel viel gehört und berief ihn an seinen Hof, damit er in Brandenburg für den Kurfürsten arbeite. Kunckel war in sächsischen Diensten. Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen hatte ihn nach Dresden gezogen, auch in der gewissen Voraussetzung, bald ungeheure Goldklumpen in seine Münze schleppen zu können. Unter den vorhandenen Papieren befindet sich ein „A. S.“ unterzeichnetes Schreiben, welches auf geheimnißvolle Weise Kunckel auffordert „in Dienste hoher Herren, die sich nicht nennen wollen, zu treten“, er möge seine Antwort nach Prag an Achatius Schleicher senden. Da unmittelbar hinter diesem Schriftstück der Contract, wenn man es so nennen will, zwischen Kunckel und dem Kurfürsten von Sachsen folgt, so ist ziemlich gewiß, daß jenes Briefchen von einem sächsischen Hofbeamten ausging und daß der „hohe Herr“ eben Kurfürst Johann Georg war. Der Vertrag datirt vom 6. October 1677. Wann Kunckel von Dresden nach Berlin übergesiedelt, ist schwer zu ermitteln, doch hatte er schon 1680 auf dem Kaninchenwerder ein Laboratorium.

Der Kurfürst Friedrich Wilhelm bedingte sich freilich nicht Goldmacherei aus, sondern in der von ihm aufgestellten Schenkungsacte (dat. v. 27. April 1685) steht immer noch, daß Kunckel gehalten sein solle, „chymische Arbeiten“, namentlich aber „rare Gläser zu liefern“, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß der Kurfürst Gold erwartete. Kunckel stand in hoher Gunst. Er erhielt den Kaninchenwerder zum Geschenk für sich und seine Erben, auch Geld zum Bauen eines Hauses, Braugerechtigkeit etc. Seine Hauptarbeit war die Bereitung schöner Glassachen. Dabei studirte er sehr fleißig Chemie und lieferte ausgezeichnete Präparate. Er hatte 1678 zwei Bücher geschrieben und in die Welt gesendet.[3] Seit dem Jahre 1669 aber fesselte eine Entdeckung seine Aufmerksamkeit, die für den Chemiker freilich vom höchsten Interesse sein mußte. Mit alchymistischen Arbeiten beschäftigt, hatte ein Laborant durch Zufall eine eigenthümliche Substanz in seinen Retorten entdeckt.

Vergebens hatte Kunckel sich bemüht, von dem Entdecker die Mittheilung des Processes zu erhalten, durch welchen der wunderbare Stoff sich gewinnen ließ. Der Erzeuger jener Materie war ein Kaufmann, Brandt in Hamburg, der bei alchimistischen Versuchen sein ganzes Vermögen geopfert hatte. Kunckel hatte Brandt bestürmt, ihn in das Geheimniß einzuweihen. Letzterer war jedoch entweder hartnäckig bei seiner Weigerung geblieben, oder hatte dem Suchenden ein unrichtiges Verfahren angegeben, genug – Kunckel sah sich genöthigt, auf eigne Faust nach dem sonberbaren, geheimnißvollen Stoffe zu forschen. Seit 1669 beschäftigte er sich mit diesem Thema.[4] Welcher Stoff war es? Die Leser werden es bald erfahren, denn als Kirchmayer den Adepten auf der Insel besuchte, war die Materie bereits von Kunckel wieder entdeckt. Kirchmayer’s Person mag hier auch noch in der Kürze besprochen werden. Er war einer der tüchtigsten Köpfe seiner Zeit. 1635 in Franken geboren, von seinen Eltern zum geistlichen Stande bestimmt, ging er später zur Rechtsgelehrsamkeit über. Er sprach viele Sprachen, schrieb sehr gute Werke über römisches Recht und trieb leidenschaftlich Chemie. Dieses Steckenpferd hatte ihn mit Kunckel vereinigt, dessen Versuchen er höchst aufmerksam folgte. In Dresden laborirten sie oft zusammen. Kirchmayer war dabei ein vollkommener Weltmann und bei vielen Höfen hoch angesehen.[5]

Nachdem die Tafel aufgehoben war, nahm der Adept eine mit Gläsern geschlossene Laterne. Er zündete das vor dem silbernen Reflector stehende Licht an, ergriff sein Schlüsselbund und forderte Kirchmayer auf, ihn zu begleiten. Beide durchschritten einen Gang. Kunckel öffnete eine niedrige, eiserne Thür. Scharfer, schwefelartiger Geruch drang aus dem Gemache. Die Männer betraten das Laboratorium. Bei dem Scheine des grellen Lichtes sah Kirchmayer sogleich die wunderliche Ausstattung, welche, wie bei allen Laboratorien, in zahllosen Retorten, Helmen und Recipienten, Büchsen, Kräuterbündeln und ausgestopften Unthieren, Büchern, Kolben, Gerippen, Winden und Maschinen bestand. Kunckel setzte das Licht nieder und trat an den noch warmen chemischen Ofen.

„Hier ist wieder etwas in Arbeit,“ sagte er. „Ihr sehet diese glasirdne Retorte mit dem langhalsigen Recipienten. In der Retorte sind vier Pfund gepulverter Bolus und – was glaubt Ihr wohl sonst noch?“

„Nun?“

„Ihr sollt es nachher erfahren. Ich habe den Inhalt der Retorte schon durch alle Grade getrieben. Als Ihr anpochtet, war ich eben beim Feuern, um den letzten Gang machen zu lassen. Indessen thut die Unterbrechung nichts, mein Ofen ist noch thätig. Was ich gewonnen habe, sollt Ihr jetzt nahe bei sehen, obwohl Ihr es schon von Weitem betrachtet habt. Kommt.“

Kunckel schritt mit Kirchmayer auf das nach dem Flusse hinausgehende Fenster des Laboratoriums zu. Den Marmortisch, welcher vor dem Fenster stand, bedeckten allerlei chemische Präparate und verschiedene Instrumente. Der Adept rückte zwei mit Wasser gefüllte Krystallbecken zurecht, deren Oeffnungen durch schwere Glasdeckel geschlossen waren. Als Kirchmayer aufmerksam das Gefäß betrachtete, sah er in dem Wasser eine Anzahl fingerdicke Stäbchen schwimmen, welche bei der Bewegung zu funkeln schienen. Kunckel hob den Deckel ab und nahm eines der Stäbchen heraus. Sofort flammten seine Finger, und häßlich riechender Dampf wirbelte empor. Kirchmayer trat zurück.

„Da seht Ihr es,“ lachte der Adept, „hab’ ich es gefunden? Nun sollt Ihr’s in vollem Glanze schauen. Gebt Acht.“ Er nahm behutsam das Präparat zwischen die Glieder einer Zange und entzündete es. Ein strahlendes, grünliches Licht verbreitete sich in dem Gemache und warf seinen Schein durch das Fenster weit hinaus auf die Wasserfläche. Die beiden Männer und der abenteuerliche Apparat, welcher sie umgab, waren wie von Zauberflammen umspielt. Der Wind heulte in den Rauchfängen, und als das wundersame Licht leuchtete, ertönte von draußen her ein Schrei, vermuthlich aus der Kehle eines erschreckten Schiffers kommend, der gerade bei der Zauberinsel vorüber steuerte.

„Kunckel, Ihr habt gesiegt,“ sagte Kirchmayer, als das Stäbchen von der Flamme verzehrt und der Glanz erloschen war.

„Nicht wahr?“ frohlockte der Adept. „Herr Brandt in Hamburg wird sich ärgern. Ich habe es allein wieder aufgefunden. Nun rathet, woraus ich es ziehe! denkt Ihr aus Gold, Silber oder irgend einem Metalle? aus Erde oder Gestein? Nichts von alledem. Dieses wunderbare Material hole ich mir aus Menschenharn, [779] mein Freund. Den Geist, der in jenen Absonderungen verborgen liegt, hat Herr Brandt geglaubt sich allein dienstbar gemacht zu haben. Ha! ha! ha! ich habe ihn mir auch citirt und werde ihn besser zu verwerthen wissen. Das ist ein Stoff, der noch erst von der Nachwelt ausgebeutet werden wird, ein Stoff, in dem Alles verborgen liegt; er ist vielleicht die Ursache des ganzen menschlichen Seins, und jedenfalls, das glaube ich gewiß, strömt sein geheimnißvolles Fluidum durch alle Canäle des Körpers.“

„Und wie nennt Ihr den wunderbaren Stoff?“ fragte Kirchmayer.

„Phosphor – mein Freund. Phosphor! der Lichtträger, der da leuchtet, ohne zu brennen, und der, wenn er sich entzündet, strahlt, brennt und flammt wie das himmlische Feuer. Noch Vielerlei, ich sag’ es Euch, wird man diesem Stoffe verdanken. Mag Herr Brandt der Entdecker sein, ich habe ihn auch entdeckt. – Ist es doch, als wenn sich zwei Väter streiten, wer das Kindlein gezeuget. Der aber ist der beste Vater, der es groß ziehet und schön stark in die Welt sendet, und dazu bin ich der Mann. Nicht ein blindes Ohngefähr, wie es bei Brandt der Fall war, hat mich die seltene Materie finden lassen. Nein, ich habe Tag und Nacht gesonnen, um ihrer habhaft zu werden, und darum soll mein Name verknüpft bleiben mit dem leuchtenden Stoffe. Mein Kurfürst wird sich freuen. Ich bin dem Brandt dankbar, daß er den Geheimnißvollen spielte. Selbst ist der Mann.“

„Man fürchtet Euch schon,“ sagte Kirchmayer lachend. „Was wird erst geschehen, wenn die neue Entdeckung bekannt wird! Ihr seid dann vollends ein Teufelspriester, sobald das Höllenlicht leuchtet.“[6]

„Die Narren!“ entgegnete Kunckel[WS 1]. „Wer ein wenig mehr Gehirn hat als sie, die Tröpfe, der muß mit dem Teufel zusammengehen. Es ist wahrlich für den gehörnten Gesellen gar kein so übles Compliment, daß man alle gescheidten Leute mit ihm in Verbindung bringt. Wenn die alle wirklich in der Hölle sitzen, so muß die Gesellschaft wahrhaftig unterhaltend genug sein.“ – Die Freunde lachten. „Nachdem ich Euch,“ fuhr Kunckel fort, „eine ernste Arbeit von wissenschaftlichem Werthe gezeigt, sollt Ihr nun auch Spielereien und Kunststücklein sehen.“ Der Adept öffnete die Seitenthüre eines Cabinets, ging hinein und zündete einige Kerzen an. Als Kirchmayer das Zimmer betrat, stieß er einen Ruf der Verwunderung aus. Er befand sich in dem Gemache, welches die Krystall- und Glasfabricate des Adepten enthielt.

Hier standen auf Bretern, in Schränken und hinter Gittern eine Menge der schönsten Gläser von allerlei Farben und Formen. Das helle Kerzenlicht wiegte sich und blitzte auf den prächtigen Erzeugnissen, die gleich edlen Steinen Strahlen schossen. Kunckel nahm verschiedene Exemplare herab und zeigte sie Kirchmayer, der sie mit den Blicken des Kenners prüfte. Besonders interessant war die große Schale, welche der Adept für den Kurfürsten gefertigt hatte. Sie bestand aus einem sehr künstlich zusammengesetzten Untergestelle, auf dem sich ein muschelförmiges Gefäß erhob. Die Verschmelzung vieler Krystalle war hier gelungen, und das kostbare Glas glich einem ungeheuren ausgehöhlteu Rubin.[7]

Während aller dieser Betrachtungen hatte der Regen draußen nachgelassen. Der Mond war hinter dem zerrissenen Gewölk hervorgetreten und warf seinen Schimmer auf das einsame Haus und dessen Umgebung. Die Freunde, in eifrigem Gespräch begriffen, hatten nicht bemerkt, daß der große Hund in das Gemach gekommen war. Plötzlich ward das Thier unruhig. Seine Ohren spitzten sich. Den Körper gestreckt, den Kopf lang vorgebogen, näherte sich der Hund mit leisem Knurren dem Fenster. Diese Anzeichen waren für Kunckel keine neue Erscheinung; er wußte, daß er Feinde hatte, die auf sein Verderben ausgingen, und schon einmal hatten sie durch Brandstiftung seine Glashütte und sein Vorrathshaus in Asche gelegt. Kunckel eilte mit seinem Doppelhaken hinaus, ein Schuß krachte, und eilige Ruderschläge verriethen die Flucht eines glücklich entkommenen Feindes. Kunckel hatte seinen Mann erkannt, er bezeichnete ihn Kirchmayer als den alten Holzschreiber Lauer, der vergeblich nach einem Privilegium zum Bau einer Glashütte trachte.

Zwei Tage später verließ Kirchmayer die Insel. Eilig ruderte ihn der Schiffer vom Ufer hinweg, um nicht lange in der Nähe Kunckel’s zu bleiben, der dem Freunde das Geleit bis zum Boote gegeben hatte.

Ohne sich an die Einflüsterungen der Feinde oder an die abenteuerlichen Gerüchte zu kehren, gewährte Kurfürst Friedrich Wilhelm dem Adepten seinen Schutz und seine Gnade. So lange er am Leben blieb, hatte Kunckel die Machinationen der Gegner nicht zu fürchten. Sein tadelloser Wandel und seine trefflichen Arbeiten sprachen überdies zu seinen Gunsten. Er verschönerte nun die ihm als Eigenthum überlassene Insel und baute ein neues Haus, welches nur in geringer Entfernung von der heutigen Meierei auf der Insel lag. Seine Prophezeiung begann sich, wenn auch langsam, zu erfüllen. Schon war der Phosphor ein Gegenstand der höchsten Aufmerksamkeit aller Gelehrten und Aerzte geworden. Zwischen Arbeit und Plänen zur Verschönerung seines Besitzthums die Zeit theilend, lebte er größtentheils auf dem Pfauenwerder oder auch zuweilen in Berlin, woselbst er in der Klosterstraße ein Haus besaß. Der Ruf seiner Geschicklichkeit und seiner Kenntnisse verbreitete sich auch im Auslande, seine Schriften fanden in England vielen Beifall.

Im Jahre 1688 beschäftigte ihn ein Verfahren, durch welches er eine Glasmasse herzustellen hoffte, die sich gleich dem Silber oder Golde durch Hämmer bearbeiten ließe. – Nacht für Nacht stand er in seinem Laboratorium. Aufmerksam betrachtete er die glühenden Massen der Asche, welche in der Reverberir-Büchse wallten.

Aber heute wollte ihm kein Versuch gelingen. Stets fand sich irgend Etwas in der Mischung, was die Bemühungen des Adepten vereitelte. Es war die Nacht vom 28. auf den 29. April, und Kunckel war den Tag über in Potsdam gewesen. Die Veranlassung zu jenem Aufenthalte war keine freudige. Sein hoher Gönner, der große Kurfürst Friedrich Wilhelm, lag auf dem Sterbebette; an der Wassersucht leidend, erwartete er seine Auflösung mit dem Muthe eines Helden. Noch im Laufe des Vormittags hatte der Sterbende den herbeigeeilten Kunckel an das Schmerzenslager befohlen, und der Anblick einiger schönen Gefäße, welche der Günstling vorzeigte, erfreute den sterbenden Fürsten. Friedlich Wilhelm unterhielt sich mit Kunckel eine Zeit lang. Im Gespräche über die Zukunft verhehlte der Adept seinem Herrn nicht, daß er Sorge um seine fernere Existenz trage, daß er wisse, wie seine Feinde nur den Augenblick erwarteten, der den neuen Herrn an die Stelle des alten setze, um ihm seine Rechte zu schmälern. Besonders ängstigte Kunckel die über ihn zu verhängende Untersuchung wegen der vom Kurfürsten erhaltenen Gelder. Der Kurfürst beruhigte ihn bald hierüber, indem er zwei im Zimmer anwesende Diener herbeirief und in ihrer Gegenwart Kunckel von aller Verantwortlichkeit freisprach, auch den Rest der noch ausstehenden Schuld ihm erließ.[8] – – Kunckel trennte sich mit schwerem Herzen von seinem Gebieter. – Auf dem Pfauenwerder angekommen, suchte er seine trübe Laune durch Arbeit zu zerstreuen. – Aber, wie gesagt, es wollte nichts glücken.

Kopfschüttelnd betrachtete Kunckel die widerspenstigen Mischungen. Immer neue Zutaten warf er in die Gefäße, heftiger schürte er das Feuer seines Ofens. Die Nacht war vorüber, der Morgen dämmerte herauf, die Sonne warf ihren ersten Gruß durch die Fenster des Laboratoriums, noch immer stockte der Glasfluß in den Büchsen; eine kostbare Mixtur lag unter der Asche verborgen; mit kundiger Hand suchte der Chemiker durch neue Erhitzung den Fluß zu erzielen – da – plötzlich walten die stockenden Massen hoch auf, sie zischten und knisterten, ein heißer Dampf wirbelte empor, ein heftiger Knall, von sprühenden Funken begleitet, erschreckte den Adepten – prasselnd sprangen und barsten die Retorten, und aus dem zerrissenen Ofen schoß eine dunkelrothe Flamme. – Silberschlacken, zischende Glasmassen, grünliche und gelbe Krystalle bedeckten weit umher den Boden des Laboratoriums – dann beruhigte sich Alles wieder, die Flammen des Ofens erstickten in ihrer eigenen Asche. – Die Uhr schlug die neunte Morgenstunde!

Kunckel stand unbeweglich, starr inmitten der Verwüstung. Endlich ging er langsam zu dem Ofen, öffnete die Klappen und Fänge, warf einen Blick auf die Trümmer und verließ das Gemach, [780] vor welchem sein stummer Diener ihn mit Gebehrden des Schreckens empfing. „Ein Omen,“ murmelte er, das Haupt senkend, „ein Omen!“

Eine Stunde später pochte es leise an die Thür seines Arbeitszimmers. Auf Kunckel’s Ruf trat einer seiner Laboranten ein. „Was bringt Ihr?“ fragte der Adept, von dem großen Buche, in dem er las, aufblickend.

„Eine Trauernachricht, Meister,“ entgegnete der Gefragte.

„Ich weiß es,“ rief Kunckel, „der Kurfürst – –“

„Seine kurfürstliche Gnaden sind heute Morgen um neun Uhr auf Ihrem Schlosse zu Potsdam im Herrn entschlafen.“


Ein Jahr lang ward Kunckel noch in Ruhe gelassen. Endlich traten seine Feinde offen gegen ihn hervor. Ein Befehl des Kurfürsten Friedrich III. verlangte eine Untersuchung über den Verbleib der an Kunckel gezahlten Gelder. Offenbar war die Verhängung eines richterlichen Verfahrens das Werk einer Cabale gegen den Alchymisten, denn Kurfürst Friedrich, ein eifriger Beschützer der Künste, wäre gewiß der Letzte gewesen, der Kunckel in seinem Frieden gestört hätte. Indessen ward der Angeschuldigte vorgeladen. Es ward specificirt, daß er 30,190 Thaler erhalten habe. Kunckel bewies, wie seine Arbeiten einen großen Geldverbrauch bedingt hätten und daß es überhaupt schwer sei, bei Versuchen, wie er sie hätte machen müssen, eine genaue Berechnung aufzustellen. Er zeigte die Briefe des seligen Kurfürsten und berief sich auf das Zeugniß der im Sterbezimmer gewesenen Diener, nach welchem jede Verantwortung von ihm genommen war.

Obwohl man dagegen einwarf, daß Kunckel nach Abzug aller Kosten immer noch 17,000 Thaler zurückzuzahlen habe, so wußte der Angeklagte doch durch Briefe des verstorbenen Kurfürsten nachzuweisen, daß ihm alle Beträge geschenkt worden seien, und Kurfürst Friedrich entschied darauf, daß alle Untersuchung niedergeschlagen werden solle. Kunckel habe eidlich zu erhärten, daß er die Gelder nur zu chemischen Arbeiten verwendet habe. Indessen solle er 8000 Thaler in vier Terminen zahlen, und zu dem Ende die Erlaubniß erhalten, sein Haus in der Klosterstraße zu Berlin verkaufen zu dürfen. Die Kosten für Bauten etc. wurden nicht mehr beansprucht und Kunckel in seinem Besitzthume gelassen. Er erhielt außerdem die Erlaubniß auf vier Jahre in fremde Dienste zu gehen, aber alles Laboriren sollte er in Zukunft auf seine eigene Gefahr unternehmen.

Kunckel blieb also auf der Insel und triumphirte über seine Feinde, wenngleich mit Opfern. Daß er noch weitere Arbeiten lieferte und außerdem Privilegien besaß, auf die er sich berufen konnte, geht aus einem Schreiben hervor, in welchem er sich auf’s Neue über die Versuche zur Brandstiftung beklagt und zugleich auf das Entschiedenste dagegen protestirt, daß der Holzschreiber Lauer gegen ihn intriguire und ein Privilegium zu einer Glashütte nachsuche. Er bittet, ihm kund zu thun, daß nur er (Kunckel) allein und keine andere Hütte gefärbte Gläser machen dürfe.

Wie lange Kunckel noch auf der Insel blieb, ist nicht genau zu ermitteln. Eines Tages aber war das Eiland öde. Das Gebell des unheimlichen Hundes erscholl nicht mehr. Die Schornsteine stießen keinen Rauch aus; kein Lichtschein strahlte durch die Fenster des Laboratoriums, und vergebens suchte man die dunkle Gestalt des verrufenen Adepten zu erblicken, der zuweilen am Ufer umhergegangen war. – Was konnte die Ursache des plötzlichen Verschwindens sein? „Endlich,“ so calculirten die frommen Gemüther der damaligen Zeit, „endlich ist das Maß voll gewesen. Der Teufelskünstler hat dem Satan nicht den Pakt halten können, und so hat denn seine schwarze Stunde geschlagen. Der Teufel hat die ganze Sippschaft, Herr, Diener und Hund, geholt. Gott sei Dank, daß sie von der Welt sind!“

Zum größten Erstaunen und Entsetzen der Gläubigen tauchte aber der verschrieene Schwarzkünstler zu Stockholm als königlicher Oberbergrath und Ritter, Baron Kunckel von Löwenstern, mit Ehrenbezeigungen aller Art überhäuft, wieder auf. König Carl XI. hatte ihn an seinen Hof berufen, und die Gesellschaft der schwedischen Naturforscher nahm den tüchtigen Mann, den Entdecker des Phosphors, unter ihre Mitglieder auf. In den Verzeichnissen der Gelehrten führt er den wissenschaftlichen Namen Hermes III.[9] Kunckel starb zu Anfang des 18. Jahrhunderts in sehr glänzenden Umständen.

Die Sage, daß auf der Insel der Geist eines Goldmachers spuke, der früher da sein Wesen getrieben und, weil ihm der Ort so gefallen, sich jetzt nicht davon trennen könne, daß das Gespenst während des Sommers jede Nacht die Insel besuche und einen schwarzen Hund bei sich habe, diese Sage ist noch heute unter den Fischern verbreitet.

George Hiltl.

  1. Um bei späteren Gelegenheiten der Citate überhoben zu sein, bemerke ich sogleich hier, daß die sehr spärlichen Quellen über Kunckel sich in der Manuscripten-Sammlung der königl. Bibliothek zu Berlin befinden. Sie bestehen aus verschiedenen eigenhändigen Briefen Kunckel’s, Specificationen der ihm bewilligten Gelder für seine Arbeiten, aus einer von Danckelmann unterzeichneten Untersuchung über Verwendung der Gelder, aus einem Documente des Kurfürsten von Sachsen, die Anstellung Kunckel’s betreffend, aus dem Schenkungsbriefe des Pfauenwerders durch den großen Kurfürsten und andern, theils Rechtfertigungsschreiben, sämmtlich die Untersuchung betreffend, in welche Kunckel nach dem Tode seines Gönners verwickelt wurde und die ich später berühren werde. Die Papiere stammen aus dem von König geordneten Danckelmann’schen Archive.
  2. Der stumme, verwachsene Diener und der Pudel, so wie die Gerüchte über die Insel und Umgegend sind historisch. Wahrscheinlich suchte Kunckel sich absichtlich in den Ruf eines Höherbegabten zu bringen. Er verfuhr darin wie Thurnneißer.
  3. Die Glaskunst oder ars vitriaria. Leipzig 1679. 4. – Chymische Brille, oder Anmerkungen von denen Principiis chymicis. Leipzig 1678.
  4. Nach den meisten Berichten hat ein gewisser Krafft den Kunckel auf Brandt’s Erfindung aufmerksam gemacht. Schon Leibnitz hat über die chemischen Versuche Brandt’s und Kunckel’s geschrieben.
  5. Kirchmayer hat viele Schriften hinterlassen. Er machte große Reisen und starb 1700.
  6. Kirchmayer hat über die Erfindung des Phosphor eine besondere Abhandlung geschrieben, in welcher er seines Freundes Kunckel mit großer Wärme gedenkt. Sie trägt den Titel: Noctiluca constans etc. Wittenberg 1687.
  7. Verschiedene Arbeiten Kunckel’s sind noch vorhanden. Der größte Theil derselben kam, wahrscheinlich nach dem Tode König Friedrich’s I., als viele Kunstsachen verkauft wurden, in Privatbesitz oder in das Ausland. Kunckel’s Hauptverdienst bestand in der Erzeugung des Rubinglases.
  8. Historisch. Kunckel hielt den Kurfürsten sogar von Geldausgaben zurück, worauf der Fürst erwiderte: „Kümmert Euch nicht darum. Ich habe ehedem wohl 12,000 Thaler und mehr verspielt.“
  9. In verschiedenen Werken wird Carl XII. als Derjenige genannt, der Kunckel nach Schweden berief. Dies scheint aber mit der Zeit nicht zu stimmen, da Carl XII. erst 1697 und 15 Jahr alt zur Regierung kam. Nach Zedler berief ihn Carl XI.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kunkel