Der Flamingo

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Textdaten
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Autor: Dr. Karl Ruß.
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Titel: Der Flamingo
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 108–110
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Thierbilder von nah und fern.
1. Der Flamingo.
Von Dr. Karl Ruß.

Dem heißen Sommertage ist eine laue, halbdunkle Nacht gefolgt. Wir haben die letzten Stunden am Ufer eines Gewässers in drückender Schwüle und lautloser Stille verträumt, und die allmählich vom Wasserspiegel aus heranziehende Kühle belebt uns wie auch andere Wesen. Allenthalben rings umher wird’s regsam; der laute, mehrmals ausgestoßene Schrei einer Ente, begleitet von schallendem Flügelklatschen, die heiseren Rufe großer Sumpf- und Wasservögel hallen vom jenseitigen Ufer herüber. Dann hören wir in der Ferne die grollende Stimme des Königs der Thiere und, gleichsam wie im Widerhall, das Brüllen mächtiger Wiederkäuer.

Wiederum wird es stille; nur dann und wann vernehmen wir das Huhu einer Eule, den Schrei einer Möve und den Trompetenton eines Kranichs. Nun aber erheben sich Laute, so wunderlich und widerwärtig zugleich, daß wir sie dem schöngefiederten Pfau kaum zutrauen möchten, und wie aufgestört kollert ein Truthahn, läßt eine kleine Taube ihren schrillen Ruf erschallen, und mancherlei grunzende, blökende und brüllende Töne mischen sich darein. Die Hunde werden wach; ihr Gebell und Geheul übertäubt zunächst alle anderen Stimmen, bis auch sie sich beruhigen und mit der zunehmenden Nachtkühle alles wieder still wird. Im Halbdunkel sehen wir lichte Gestalten über den Wasserspiegel hin und her wandern, bis sie stehen bleiben und alles regungs- wie lautlos verharrt.

Mit der nahenden Morgendämmerung erhebt der Pfau von Neuem sein Geschrei, und wie antwortend ertönt das grause Lachen der Hyänen, das Geheul anderer großer und kleiner Raubthiere und das Bellen der Hunde; dann beginnen die Hähne zu krähen, andere Hühnervögel zu rufen und zu gackern; die gellenden Schreie großer Papageien erschallen weithin, und allenthalben um uns her wird es lebendig. In den Gipfeln der Bäume werden die Staare munter, im Gebüsch die Sperlinge und vom unfernen Waldrande her vernehmen wir das Trommeln des Spechts.

Ein Entenschwarm schießt über die noch dunkle Wasserfläche dahin, und mit einem Schlage kommt in die großen weißen Punkte auf derselben Bewegung: Flamingos, Schwäne, Gänse im Wasser und Reiher, Störche, Kraniche am Ufer erwachen, schütteln sich, schreiten oder rudern bedächtig hin und her. Der bis dahin anscheinend öde Wasserspiegel hat sich plötzlich mit unzähligen Gestalten belebt und wir sehen mit einem Male ein Bild vor uns, so fremdartig schön, wie es der Griffel des Künstlers kaum wiederzugeben vermag. –

Das sind Eindrücke, nicht etwa aus den Tropen sondern aus einem zoologischen Garten, wo sie heutzutage Jeder empfangen kann, der Sinn und Verständniß für die Thierwelt hat; und damit stellt sich so recht deutlich der eminente Aufschwung vor die Seele, welchen die Naturbeobachtung in den letzten Jahrzehnten genommen hat.

Wohl lasen wir in unserer Jugend schon mit Entzücken die Schilderungen von Reisenden, welche fremdländische Thiere in deren Heimathgegenden, namentlich in den Tropen, beobachten konnten, und wir erinnern uns des Jubels, mit dem wir einst die guten oder schlechten Abbildungen einer Naturgeschichte durchblättert, des Eifers, mit dem wir dann die Beschreibungen verfolgt haben, um das Leben solcher uns wunderbar dünkenden Geschöpfe kennen zu lernen. Welche Errungenschaften aber sind aus diesem, wie auf so vielen anderen Gebieten der Forschung, seitdem gemacht worden! Zahlreiche tüchtige Männer sind hinausgezogen bis in die fernsten Wildnisse aller Welttheile und haben uns treue Berichte vom Leben und Treiben, von der Entwickelung und allen besonderen Eigenthümlichkeiten der Thiere gebracht; unsere Schul- und Hausnaturgeschichten wimmeln jetzt nicht mehr von Unrichtigkeiten wie früher, und noch mehr: wir finden gegenwärtig vielfach die Gelegenheit, die Mittheilungen der Reisenden gleichsam mit eigenen Augen zu controliren. Die zoologischen Gärten, und unter ihnen hoch obenan stehend der Berliner unter Leitung von Dr. Bodinus, züchten jetzt schon zahlreiche Arten der verschiedensten fremdländischen Thiere, und damit Hand in Hand geht die anderweitige Thierzucht von der Einbürgerung landwirthschaftlich wichtiger Fremdlinge bis zu der außereuropäischen Wildes, von der Bevölkerung der Seen und

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Flamingos auf dem Sammelplatze.
Originalzeichnung von Gustav Mützel.

[110] Flüsse, der Hühnerhöfe und Taubenschläge bis zu der unserer Vogelstuben und Heckkäfige.

Derartige Betrachtungen treten uns unwillkürlich nahe, wenn wir ein Thierbild, wie das diese Zeilen begleitende, vor uns sehen, welches uns das Leben und Treiben der Flamingos auf einem ihrer heimathlichen Sammelplätze in lebendiger Wahrheit malt.

Der Flamingo nimmt unser Interesse zunächst in Hinsicht seiner ornithologischen Bestimmung in Anspruch. Erst in der neuesten Zeit nämlich haben Vogelkundige durch eingehende Untersuchungen nachgewiesen, daß dieser Vogel nicht, wie häufig angenommen und nur von wenigen Forschern, z. B. von Leunis, bestritten, zu den Schwimm-, sondern zu den Sumpfvögeln gehört und den Störchen und Ibisen nahe steht, wenn auch sein Schnabel- und Fußbau, sowie die Ernährung dagegen zu sprechen scheinen.

Dem Laien dünkt der Flamingo auf den ersten Blick überhaupt als ein wunderliches Geschöpf. Der Rumpf und die Schwimmfüße gleichen denen einer Gans, die langen Beine und der Hals denen eines Storches oder Reihers, nur daß der Flamingohals noch länger und gelenkiger ist. Der Schnabel ähnelt dem einer Ente, und gleich letzterer grundelt der Flamingo auch im Schlamm umher, doch mit dem Unterschiede, daß er, den Kopf umwendend, die obere Schnabelhälfte auf den Grund hinablegt und so schnatternd allerlei kleines Wassergethier, Würmer, Mollusken, Krebsthiere, sowie auch Fischfleisch und Pflanzenstoffe frißt. Sein Gefieder ist weiß, mehr oder minder rosenroth überhaucht, mit rothen Oberflügeln und schwarzen Schwingen. So erscheint er als ein stattlicher und zugleich schöner Vogel, und wo, wie am Neptunsteich im zoologischen Garten von Berlin, eine ganze Heerde Flamingos beisammen ist, bilden sie einen gar herrlichen Schmuck. Man kennt ihrer fünf Arten, welche in Afrika, Asien, Amerika und im wärmeren Europa heimisch sind und von denen einige Exemplare sich zuweilen auch bis nach Mitteleuropa, also zu uns nach Deutschland, verfliegen.

Ueber den Aufenthalt und die Lebensweise berichtet der leider zu früh verstorbene Afrikareisende Th. von Heuglin: „Man sieht sie vornehmlich in seichtem Meer- und Brackwasser, auf Sandbänken, flachen Korallenriffen, an Lagunen, verschlammten Flußmündungen und in den Sümpfen der Natron- und Salzseen; wenn irgend möglich, an Stellen, die ihnen eine weite Rundsicht gestatten, welche also entblößt sind von hohem Schilf- und Buschwerk. Trotz ihres schüchternen Wesens findet man sie dort, wo sie sich sicher fühlen, doch oft unweit von den Fischerbarken, in Alexandrien sogar ganz nahe an der eine weite Strecke zwischen den Lagunen hinführenden Eisenbahn. Sobald sie aber Nachstellungen erlitten haben, ziehen sie sich auf unzugängliche Stellen in den Morästen zurück. Sie übernachten auf seichten Stellen inmitten der Gewässer oder Sümpfe, wo sie sich dann zu vielen Hunderten ansammeln und von wo sie früh morgens in reihenweise geordneten Flügen nach den Futterplätzen abstreichen.“

Der Reisende behauptet, daß arabische Fischer sie sehr leicht fangen, denn nach Bestellung könne man auf dem Markt von Damiette in wenigen Tagen eine große Anzahl erhalten.[1] Das Fleisch sei zart, saftig und wohlschmeckend und habe nur zuweilen einen unangenehmen Thrangeruch. Von den Schleckern des Alterthums wurden bekanntlich die Zungen und das Gehirn von manchen Vögeln, vorzugsweise von den kostbarsten, als besondere Leckerbissen erachtet, und so wurde denn von Apicius, Vitellius und Heliogabal auch der Flamingo in dieser Weise benutzt.

Ueber die Fortpflanzung des Flamingo war man bis zur neuesten Zeit noch im Unklaren, und in Betreff desselben ist viel gefabelt worden. Der Reisende Dr. Gundlach, welcher die amerikanischen Arten beobachtet hat, bestätigt, daß das Nest aus Schlamm und Pflanzenresten kegelförmig aufgeschichtet sei und oben eine flache Vertiefung habe, in welcher der Vogel brütend sitze, während seine Beine, denen eines Reiters ähnlich, zu beiden Seiten herunterreichen.

In Amerika werden die Jungen oft in Höfen, Gärten, Parks u. s. w. aufgezogen; früher wurden sie sogar in kleinen Heerden gleich Gänsen zu Markte getrieben, was jetzt nur noch vereinzelt geschieht. In der Gefangenschaft werden sie mit Getreide, namentlich mit geschrotenem Mais, gekochtem Reis, gequelltem Weizen oder Gerste, eingeweichtem Brod, Fleisch, Fischen u. s. w. gefüttert; nur, wenn sie Fleisch als Zugabe bekommen, erhält sich die schöne rothe Farbe, während dieselbe andernfalls immer mehr ausbleicht.

Ueberaus prächtig muß der Anblick und großartig der Eindruck sein, wenn ein Reisender das Glück hat, einen Sammelplatz zu belauschen, auf welchem solche Vögel zu Hunderten, wohl gar zu Tausenden sich einfinden. Das sind natürlich nur Stellen, an denen sie sich vor jeder Verfolgung und Gefahr ganz sicher fühlen und die sie daher auch nur in solchen Gegenden ferner Welttheile finden können, welche der menschlichen Cultur noch durchaus verschlossen sind. Dort herrscht das freie Thierleben noch unbeschränkt, ungefährdet durch des Menschen Waffe. Aber nicht lange, da erscheint der Sohn Albions als gewaltiger Nimrod, dessen Jagdeifer sich über alle Welttheile erstreckt und dessen Waffen selbst bis in die fernsten Einöden reichen – ein erster Repräsentant jener Cultur, welche dem Thierleben scharfe Grenzen vorzeichnet. Da darf man wohl mit einer gewissen Berechtigung annehmen, daß es nicht mehr gar lange dauern werde, bis es gar keine freilebenden Thiere mehr giebt. Wie bei uns Hase, Fuchs, Reh und Wildschwein, streng genommen, nur noch existiren können, wenn der Mensch sich ihrer annimmt, sie schont und hegt, so wird auch in den fernen Tropen über kurz oder lang das Pulver und Blei des Jägers selbst die furchtbarsten, wie die scheuesten Thiere mehr und mehr unter seine Herrschaft zwingen.

  1. In die kaiserl. Thiersammlung zu Schönbrunn waren kürzlich gegen 200 Köpfe zugleich gelangt.