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Der Gamskrikel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: C. M.
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Titel: Der Gamskrikel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 719-720
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[719] Die Gamskrickel. Auf meiner Wanderschaft, erzählte jüngst ein guter Leipziger, verließ ich an einem Herbstmorgen des Jahres 1846 den berühmten Wallfahrtsort Mariazell in Obersteiermark, um nach Gratz über das Gebirge zu gehen. Der Weg führt in einem ziemlich breiten Thal zwischen den hohen Bergen nach einem großen k. k. Eisengußwerk, das dabei liegende Dörfchen durchschneidend, bis zu dem hohen Seeberge, an dessen Fuße die Bergwerke sich befinden, wo der Eisenstein gegraben wird, und dessen Spitze der Brandhof, Wohn- und Jagdhaus des Erzherzog Johann, krönt. Während des mühsamen Steigens fiel mir erst ein, daß ich ja eigentlich auf dem Wege in die Heimath sei und daß ich ein kleines Andenken an das schöne Bergland mitnehmen könnte, nur war ich noch nicht recht mit mir im Klaren, was es sein sollte. Da hörte ich plötzlich hoch oben am Felsen Hundegebell und Büchsenknall und erkannte dort eingerammte Holzpfähle, an denen Leinen gezogen und in deren Mitte rothe Lappen befestigt waren, welche im Winde flatterten. Das Alles deutete auf eine Treibjagd, und nun wußte ich auf einmal, was ich mitnehmen könnte: ein Paar Gamshörner! das giebt schöne Stockgriffe oder Tabakspfeifenkrönchen, so dachte ich und stieg auch schon rechts in die Höhe, um wo möglich mit einem Jäger sprechen zu können.

Nach ziemlich mühevollem Steigen oben angelangt, sah ich einige hundert Schritt vor mir 12 bis 15 Jäger auf Steinen und um Eßkörbe hergelagert, und auch die Treiber am andern Ende des großen eingelappten Bergplateaus saßen beim Frühstück, aber Alle blickten vor Erstaunen über das Erscheinen eines wildfremden Menschen von ihrer Mahlzeit auf. Ich konnte ihnen das um so weniger verdenken, als jedenfalls meine Repräsentation der Art war, daß auch andere Leute, als diese einfachen, nur in ihren einsamen Bergen lebenden Alpenjäger, sich verwundert hätten, wenn ich so plötzlich ohne Einladung mit zerrissenem Rock und Hosen, abgerissener Reisetasche, voller Erde und Schmutz und dabei so roth wie ein Zinshahn vor Hitze im Gesicht vor ihnen gestanden hätte; denn bei meinem Eifer hinauf zu kommen war ich mehrere Male gestürzt, Strecken zurück gerutscht, hängen geblieben an Steinen und verkrüppelten Bäumen und endlich auf allen Vieren kriechend oben angelangt. Da stand ich nun und sah die Leute an, und diese mich, denn unter der gezogenen Leine getraute ich mich nicht wegzukriechen, da ich nicht wußte, ob es erlaubt sei, und dabei muß ich noch ein ganz besonders dummes Gesicht gemacht haben, denn Alle fingen an zu lachen, bis endlich Einer von ihnen, ein großer, starker Mann, aufstand, mir einige Schritte entgegenkam und mir winkte. Da schritt ich denn tapfer darauf los. Meinen unterthänigen Gruß erwiderten Alle freundlich und luden mich zum Sitzen ein, woraus mein großer Erretter fragte, wo ich herkomme, wer und was ich sei und was ich denn eigentlich wollte. Ich erzählte nun ausführlich, daß ich von Zell käme, nach Hause wolle und da ich die Jagd gehört, heraufgekommen sei, um für Geld und gute Worte einige Gemshörner einzuhandeln, wenn sie solche hätten.

Schon bei meinen ersten Worten merkte ich, daß die Leute meinen sächsischen Dialekt nicht verstanden, und als ich nun mit meinem Vortrag fertig war, erhob sich ein anderer von den Jägern, ein Mann von mittler Größe, mit dünnem, weißem Haar, denn er war schon alt, aber gekleidet wie die Andern, stellte sich vor mich und sagte: „Jesus, Maria! was plauscht der Talk daher? Sag’ mir a mal, was Du eigentlich begehrst.“ Ich wiederholte meine Bitte um einige Gemshörner und um derselben mehr Nachdruck zu geben, zeigte ich auf das Horn, welches oben an dem Bergstocke angebracht war, den er in der Hand hatte ; er lachte und sagte: „Ah so!“ fragte mich in seinem österreichischen Dialekt, woher des Lands ich sei, und da ich ihm Leipzig in Sachsen nannte, schwieg er erst einige Zeit und meinte dann, daß es bei uns freilich keine Gemsen gäbe, dann drehte er sich nach seinen Leuten um mit den Worten: „Wißst’s denn, was der Narr begehrt?“ und da Alles schwieg, sagte er lachend: „Er will halt a Paar Gamskrickel!“ – Nach dem allgemeinen lauten Gelächter fragte er: „Hast denn schon a Gams gesegen?“ und da ich dieses verneinte, rief er dem großen Jäger zu: „Du, Franzel, zeig’ sie ihm!“ woraus wir Alle um einen großen Felsblock, ganz in der Nähe gelegen, herumgingen.

Da lagen sie, die schönen Thiere, todt und voll Blut, mit den schwarzen, offenen Augen, fast noch warm und halb mit Tannenreisig zugedeckt, elf Stück, alle nebeneinander. Da ich wirklich noch niemals Gemsen in natura gesehen hatte, so war ich natürlich sehr erstaunt über ihre Größe und Stärke, ich hatte mir dieselben kleiner und zarter gedacht. Nachdem ich mich nun satt gesehen und dieselben auch angefühlt hatte, zeigte ich auf die schönsten und größten Hörner und fragte, ob ich dieselben erhalten könnte, worauf mir der alte Jäger erwiderte, daß das eigentlich kein Gebrauch sei, das Gehörn auf dem Jagdplatze auszubrechen und zu verkaufen, da er aber zufällig den von mir bezeichneten Bock selbst geschossen, so wolle er für diesmal eine Ausnahme machen und mir gegen Zahlung des Schußgeldes von 5 Groschen Schein oder 6 Kreuzer Conv.-Münze dasselbe überlassen. Er nickte dem großen Jäger Franzel zu und hielt mir dann die Hand hin, um das Geld einzustreichen.

Freudig holte ich meinen kleinen Beutel aus der Tasche und zählte ihm 5 große kupfere Groschen à 3 kr. Schein in die Hand, wobei er und die andern Alle heimlich vor sich hinlachten, dann steckte er das erhaltene [720] Geld in die schwarzen Lederhosen und übergab mir die mittlerweile ausgebrochenen Hörner, mit dem Zusatze, daß, wo Gamskrickel wären, auch ein Gamsbart sein müßte, und dabei in die Höbe greifend an seinen grünen Hut, nahm er den daselbst angesteckten, einfach in grünes Leder gefaßten, aber sehr großen und prächtigen Gamsbart herab und gab ihn mir, mit der Bemerkung, daß es nicht etwa der Kinnbart sei, wie bei den Geisböcken, sondern die langen Rückenhaare den Thieres, und ich sollte denselben auch zum Andeuten nach Sachsen mitnehmen, worauf er mir dann glückliche Reise wünschte und mich dann verließ, ohne meine Danksagungen abzuwarten. Glücklich über meinen gelungenen Handel, sagte ich den Jägern Adieu und stieg eben an der Seite wieder hinab nach der Straße, als mir der große Franzel nachkam und mich warten hieß. Bei mir angelangt, gab er mir die 5 Groschen wieder und sagte: „Es war halt bloß a G’spaß von dem Hannes, er thut’s nit anders,“ und auf meine Frage, wer denn der Hannes sei, nahm er seinen grünen Hut ab und sagte: „’s war halt unser Hannes, der Erzherzog. Schau aufi, daß Du nit fallst, und b’hüt di Gott!“ worauf er mich verließ und wieder aufwärts stieg.

Als ich Abends im Nachtquartiere zu Seewiese saß und mein Abenteuer erzählte, sagten wieder Alle: „Es ist halt unser Hannes und der thut’s einmal nit anders,“ und der Wirth meinte: „Wanns Du zu mir kommen wärst, hätt ich Dir gleich sag’n woll’n, daß es Gamskrickel heißt, denn den Deinigen Ausdruck versteht hier im Land’l ka Seel.“

C. M.