Der Gastgeber unseres Kronprinzen und sein Heim

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Autor: Wilhelm Lauser
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Titel: Der Gastgeber unseres Kronprinzen und sein Heim
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 779–780
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Gastgeber unseres Kronprinzen und sein Heim.

Erinnerungen an König Alfons von Spanien.

Es war ein regnerischer Septembertag im Jahre 1868, als Königin Isabella II., von der siegreichen Revolution der vereinigten liberalen Parteien Spaniens vertrieben, die französische Grenze überschritt. Sie mußte manche spöttische Bemerkung der Menge vernehmen, die am Bahnhofe zu Pau ihrer Ankunft geharrt hatte, als sie am Arme des kaiserlichen Präfecten zu dem für sie bereit gehaltenen Wagen ging. Ihr folgte der kleine Prinz von Asturien, Alfonso, den drei Prinzessinnen, seinen Schwestern, die in Thränen aufgelöst waren, Trost und Muth zusprechend. Der traurige Zug bewegte sich aus dem vom Gave durchrauschten Thale zu dem stolzen Schloß hinauf, von welchem einst der Ahnherr der Bourbonen, Heinrich IV., ausgezogen war. Hier, am Stammsitze ihres Hauses, machten ihre Anhänger den letzten Versuch, die spanische Krone zu retten, indem sie in die Königin drangen, zu Gunsten Alfonso’s abzudanken und die Einsetzung einer Regentschaft für denselben zu genehmigen. Allein Isabella schalt sie Verräther; sie hörte lieber auf die Stimme ihres Ehrgeizes, als auf diejenige der Vernunft und Mutterliebe: sie wollte nicht von dem Traume lassen, bald wieder im Königsschlosse zu Madrid einziehen zu können. Sie schuf sich aber nur langjährige Demüthigung, ihren Kindern die Bitterkeiten der Verbannung und ihrem Lande Prüfungen, die seine letzten Kräfte aufzuzehren drohten.

Niemand rief die Vertriebenen in die Heimath zurück, und die starrsinnige Königin mußte sich entschließen, mit ihren Kindern aus der Gascogne, wo doch noch verwandte Töne der Volkssprache an ihr Ohr schlugen, nach Paris zu übersiedeln, während ihre Feinde sich in ihrer glänzenden Residenz festsetzten. Die Frauen der Revolutionshelden, Prim und Serrano, Beide nach dem königlichen Hermelin lüstern, sah ich damals in den Prachtgemächern des „Palacio Real“ zu Madrid umherwandeln; hier stand ein angefangenes Portrait der Königin; dort hing ein Bild, das den kleinen Alfonso im Spiele mit seinen Schwestern darstellte; im Schlafgemache Isabella’s wurde eben eine Sammlung von vielen hundert Fächern verpackt, um ihr nach Paris nachgeschickt zu werden. Die Königin lebte bereits mehr in den Zerstreuungen der Seinestadt, als im Gedanken an die Rückkehr in ihr Schloß am Manzanares. Allein es gelang auch der Revolution nicht, sich hier ein dauerndes Heim zu gründen.

Welche Aufregung herrschte nicht in den untern Räumen des Schlosses, die für das Ministerium des Auswärtigen eingerichtet sind, an jenem zweiten Juli des Jahres 1870, als bekannt wurde, Napoleon III. wolle nicht dulden, daß sich die Spanier den Prinzen Leopold von Hohenzollern zum König wählen! „Wir werden uns diese Erniedrigung nicht gefallen lassen, die uns der französische Kaiser zufügt, weil er nichts anderes beabsichtigt, als den Alfonso auf den bourbonischen Thron zurückzuführen,“ dieses sagte mir damals Minister Sagasta. Nun hat sich die spanische Regierung allerdings nicht mehr gerührt, als es wegen jener Throncandidatur zum Kriege zwischen Deutschland und Frankreich kam. Aber die Madrider gaben ihren innersten Gesinnungen unzweideutigen Ausdruck, indem sie mit lautem Jubel auf den Straßen die Nachrichten von den französischen Niederlagen begrüßten und sich um die plötzlich aus der Erde gewachsenen Blätter „Die preußische Kanone“, „Der Rhein“, „Der Ulan“ rissen, deren Titel deutlich genug sprachen. Die Figur des Ulans, der einzeln Hunderte von Franzosen in die Flucht jagt, wurde damals auch auf die Bühne gebracht, zum größten Gaudium der Massen, in denen, trotz aller Redensarten der republikanischen Führer, kein Gefühl so lebendig ist, als die aus den Befreiungskriegen gegen den ersten Napoleon vererbte Abneigung gegen die Franzosen.

Mehr einer Herberge als einem königlichen Schlosse glich der „Palacio Real“, als Amadeo von Savoyen in denselben eingezogen war. Muthig, wie es einem Sohne Victor Emanuel’s geziemte, sah ich den fremden Fürsten damals durch die Straßen der Hauptstadt reiten: wenn ihn irgend einmal Jemand grüßte, so antwortete er mit düsterem Ernste – war doch Tags zuvor erst der „Königsmacher“ Prim den meuchlerischen Schüssen geheimer Feinde erlegen! Seiner Gemahlin Victoria gelang es nicht einmal, bei der Abneigung des nationalen Adels, einen weiblichen Hofstaat um sich zu bilden. Und der „Taiti-Adel“, wie man die von Amadeo zu Granden erhobenen Tabak- und Fächerhändler und Journalisten nannte, konnte mit allem Lärm, den er machte, den Eindruck nicht verwischen, daß das Königsschloß sich in vollkommener gesellschaftlicher Verödung befand.

Amadeo gab denn auch nach nicht allzu langer Zeit, während deren nicht einmal alle seine Koffer ausgepackt worden waren, die Schlüssel des Hauses Denjenigen zurück, die ihn herberufen, und nun brausten um das alte Bourbonenschloß die Stürme der republikanischen Diktaturen, der Commune- und Carlisten-Aufstände, bis in weiten Kreisen die Ueberzeugung fest wurzelte, daß nur mit der Zurückberufung des nationalen Thronerben die Ordnung wiederkehren werde.

[780] Der Führer der Partei Alfonso’s, der bedeutendste Staatsmann des zeitgenössischen Spanien, Canovas del Castillo, hatte in der richtigen Erkenntniß, daß, wenn die Hoffnungen auf den nationalen Thronerben sich einst erfüllen sollten, derselbe vor Allem den Einflüssen seiner Mutter entzogen werden müsse, bei dieser es durchgesetzt, daß der Prinz unter der Obhut eines königstreuen Patrioten, des Rechtsanwaltes, späteren Privatsecretärs, Grafen Morphy, dem kaiserlich königlichen Theresianum in Wien zur Erziehung anvertraut wurde. Mit immer wachsendem Interesse und Verständnisse hing hier der königliche Zögling an Morphy’s Mund, wenn dieser ihm von Spaniens alter Größe oder auch von den Sünden seiner Vorfahren, eines Ferdinand VII., einer Maria Luisa, erzählte.

„Wenn ich,“ sagte er mir einmal bei einem meiner Besuche, „in mein Vaterland zurückberufen werde, so muß es meine Hauptaufgabe sein, die Spanier vergessen zu machen, daß ich ein Bourbon bin.“

In sehr kurzer Zeit hatte er die großen Lücken in seinem Wissen ausgefüllt und konnte er mit gutem Erfolge die Prüfung bestehen. Das Glück, daß er den Prüfenden gerade mehrere Fragen zu beantworten hatte, mit denen er sich unmittelbar zuvor beschäftigt, wollte er als gute Vorbedeutung für seine königliche Laufbahn nehmen. Das Deutsche hatte er, wie er überhaupt ein für einen Spanier ungewöhnliches Sprachentalent besitzt, im Laufe eines Jahres schon so gut gelernt, daß er es fließend, mit leichtem Wiener Accente, sprechen konnte. Sein Lieblingsschriftsteller wurde neben Calderon, dessen „Das Leben ein Traum“ er mehrmals im Burgtheater aufführen sah, unser Schiller, sein Lieblingsheld Marquis Posa. Mit idealistischer Begeisterung sprach der damals siebenzehnjährige Jüngling von seiner Mission, mit den alten Ueberlieferungen seines Hauses die modernen Volkswünsche und Grundsätze zu versöhnen.

Er hatte helle Thränen der Rührung vergossen, als er Zeuge des Jubels der Wiener bei der fünſundzwanzigjährigen Feier der Regierung Franz Joseph’s war. Vorderhand freilich hatte er mehr seine Schulbücher als den Thron im Sinne. Als im Frühjahr 1873 Herzog Vexto kam, um ihn nach Spanien zurückzuführen, wo Alles zu seiner Aufnahme bereit sei, mußte ich auf Ersuchen des Prinzen ein Bild vom Stand der Dinge auf der Halbinsel entwerfen, nach welchem das verfrühte Unternehmen nothwendig hätte scheitern müssen. Alfonso selber wollte ein Mann werden, bevor er sich den Spaniern vorstellte; er wollte namentlich neben seiner militärischen Ausbildung, zu welcher er nach England geschickt wurde, die Rechtswissenschaſt gründlich studiren. Die Ereignisse bereiteten diesem Jünglingstraum ein jähes Ende …

Aber: „Sie werden mich ganz so wieder finden, wie Sie mich in Wien gekannt haben,“ diese Worte waren der Gruß des Königs Alfonso XII., als er mich, am Vorabend seiner Hochzeit mit der Erzherzogin Marie Christine, 1879 im Schlosse seiner Väter wieder empfing. Die großen ernsten und freudigen Ereignisse der Zwischenzeit hatten den Jüngling zum Mann gereift; Entschlossenheit sprach aus seinem von dunklem Backenbart eingerahmten Gesicht. Allein ebenso lebhaft und beweglich wie ehedem war die kleine, schlanke Gestalt des Königs; von der alten, herzgewinnenden, natürlichen Liebenswürdigkeit war sein Wesen, und womöglich noch beredter als vor Jahren flossen ihm die Worte vom Munde.

Er schilderte, wie er durch das Pronunciamiento von Sagunt, das ihn zum König ausrief, überrascht wurde und eigentlich als Ausreißer des englischen Heeres, in welchem er diente, nach Spanien kam; wie er mit einem zuchtlosen Heere die carlistische Empörung niederschlagen, wie er bei Lacar sich durch die Flucht vor den Carlisten retten mußte. Er schilderte das Glück, das in seinem einsamen Heim einkehrte, als seine Mutter endlich darein willigte, mit seiner älteren Schwester, der Prinzessin von Asturien, auch seine beiden jüngeren Schwestern, deren Erziehung er als treuer Bruder überwachen wollte, zu ihm ziehen zu lassen. Er gedachte mit Rührung seiner ersten Gemahlin Mercedes, die er dem anfänglichen Widerspruch seiner politischen Rathgeber und ihres eigenen Vaters, seines Oheims, des Herzogs von Montpensier, abgerungen hatte. Und mit aufrichtiger Dankbarkeit sprach er von dem schönen Wien und von Oesterreich, das ihm die neue Lebensgefährtin gesandt und mit allen Eigenschaften ausgestattet, die einem von den Sorgen und Widerwärtigkeiten seiner Stellung ermüdeten Manne im eigenen Heim Erholung schaffen können.

Gern hörte der König, daß dieses Heim, eines der stattlichsten Schlösser Europas, das dem vom Norden Kommenden mit seinen in den blauen Himmel emporragenden weißen Massen, seinen Terrassen und Gärten am Westabhange Madrids, über dem Manzanares einen majestätischen Anblick bietet, nunmehr in seinen inneren Räumlichkeiten den Charakter kalter Pracht mit demjenigen reicher, warmer Behaglichkeit vertauscht habe. Das Madrider Schloß besitzt nämlich einen Schatz von alten und modernen Gobelins, vielleicht so reich und kostbar wie die Hofburg in Wien. Mit diesem edelsten alles Wandschmucks, den man aus den Vorrathskammern hervorgeholt, konnten z. B. wie durch Zauber etliche vierzig kahle Räume des alten Jagdschlosses Karl’s V., Pardo, zum würdigen Empfang der königlichen Braut und ihres zahlreichen Gefolges hergerichtet werden. Der königliche Obersthofmeister erzählte mir auch, daß er einmal von einem Tag auf den andern nicht weniger als 150 Gemächer des Palacio Real zum Empfange des Prinzen von Wales vorbereitet habe, dessen Gefolge durch einen Fehler des Telegraphen als ein dreimal größeres, denn es wirklich war, angemeldet worden.

Die Gemächer, welche dem deutschen Kronprinzen zum Aufenthalt angewiesen sind, liegen über der großen Treppe, einem der berühmtesten Theile des Schlosses, mit den herrlichsten Stufen aus je einem schwarzen und weißen Marmorblocke. Man erzählt, Napoleon I. habe, als er diese Treppe im December 1808 hinanstieg, die Hand auf einen dort ausgehauenen Marmorlöwen gelegt und gesagt: „Endlich habe ich es, dieses heiß verlangte Spanien!“ und dann, zu seinem Bruder Josef sich wendend, beigefügt: „Bruder, Du wirst besser wohnen als ich in den Tuilerien.“

Um den unwillkommenen französischen Gast los zu werden, haben Spanier und Deutsche seiner Zeit lange Jahre hindurch blutig gerungen, und wenn der hohe Sproß des Hohenzollernstammes jetzt die spanische Gastfreundschaft genießt, so ist er nur von Eindrücken umgeben, die für gegenseitige herzliche Sympathie zeugen.

Am häuslichen Herde des Königs Alfonso XII. wird deutsch wie spanisch gesprochen; Königin Marie Christine besitzt das Geheimniß jener echt österreichischen Gastfreundlichkeit, die dem Sohne des Kronprinzen den Aufenthalt in Wien so angenehm zu machen pflegt; die Schwester des Königs, Donna Paz, die glückliche Gemahlin eines deutschen Fürsten, meldet in ihren Briefen von den großen Fortschritten, die sie im Deutschen mache; im Arbeitszimmer des Königs steht unter den Bildern seiner Gemahlin und Wiens auch dasjenige des Kaisers Wilhelm, und herumliegende deutsche Zeitungen und Zeitschriften zeugen für die anhaltende Theilnahme, mit welcher Alfonso XII. die Angelegenheiten Deutschlands und Oesterreichs verfolgt.

Diesen Herbst, als ich den König in der Hofburg, eine Stunde vor seiner Abreise nach Homburg, wiedersah – er war gerade von den Uebungen im Brucker Lager zurückgekommen und trug noch die Uniform des österreichischen Infanterieregiments, dessen Inhaber er ist, – sprach er von seinem leidenschaftlichen Wunsche, das spanische Heer nach dem Vorbilde des österreichischen und deutschen zu discipliniren und auszubilden. Nicht Republikaner und Socialisten glaubt er fürchten zu sollen, sondern nur jene Verderbniß des Heeres, welcher auch der letzte Aufstandsversuch von Badajoz entsprungen, weil etwa zweitausend Officiere, die früheren Pronunciamientos ihre Grade verdanken, die Ruhe nicht länger ertragen und ihrer Abenteuerlust nicht mehr widerstehen können. Deutsche Strammheit und die herzliche Ergebenheit des Oesterreichers gegen seinen obersten Kriegsheren gilt es im spanischen Heerwesen Wurzel fassen zu lassen. Und wenn der jetzt zur Heeresreorganisation berufene Kriegsminister Lopez Dominguez, der den Aufstand von Cartagena besiegt hat, den deutschen Kronprinzen in Barcelona empfängt und diesem letzteren König Alfonso als Ulanenoberst die Honneurs in Madrid macht, dann mag einem Jeden klar werden, daß an der Wachsamkeit und Entschlossenheit des jungen Königs die Anschläge innerer und äußerer Feinde gegen Spaniens Sicherheit und Ruhe zu Schanden werden müssen.

Wien, Mitte November.  Wilhelm Lauser.