Der Gesang von der Schwester und dem Bruder

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Der Gesang von der Schwester

und dem Bruder

Am Sonntag, am frühen noch vor dem Tag,
Da Nebelschleier am Feld noch lag;
Es kuckte kein Kuckuck, kein grauer, sein Lied,
Es zwitschert kein Vöglein; züküt, züküt!

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Es schickte die Schwester zum Bruder weit

Ihr Lebwohl – und gab ihm die Tränen zum Geleit,
Sie öffnet, sie öffnet ihr Fensterlein,
Sie spricht so mit Tränen: O Bruder mein,
Mein lieblicher, herzlicher Bruder,

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Mein Täubchen, mein Adler, mein Guter!

O komm doch zu mir von der Fremde weit,
O tröste mich doch im großen Leid!
O nein, meine Schwester, mein treues Herz,
Ich kann zu dir kommen nimmermehr,

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Ich kann dich nicht trösten im Leid und Schmerz,

Wenn ich mich auch sehne nach dir gar sehr!
Manch dunkler Wald auseinander uns hält,
Manch reißender Fluß, manch weites Feld.

O nein, mein Bruder, mein Herzchen süß,

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O komm doch zu mir, o komm gewiß!

Durch den dunkeln Wald wie ein Falke dich schwinge,
Durch das weite Feld wie die Wachtel durchdringe,
Über Fluß und See schwimm wie ein weißer Schwan,
Wie ein grauer Tauber komm in meinem Hofe an.

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 Dich setze vors Fensterlein

 Und neige das Köpfchen dein
Und girre ein Liedchen so traurig und lind…
 Ich komm’ aus der Hütte heraus,
Erkenn’, daß es deine Lieder sind,

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Und bitte dich freudig hinein ins Haus,

Ich drück’ dich ans Herz, ich weine laut,
Ich nenne dich, Bruder! so süß und traut,
Ich frage dich herzlich um dein Wohl, die Schmerzen,
Ich red’ dir und tröst’ dir all’ Leid aus dem Herzen!

35

O nein, meine Schwester, o nein!

Bei dir soll ich nimmer zu Gaste sein.
O harre auf mich, Schwester, nur dann bei dir,
Wenn im Juli du siehst, daß das Wasser gefrier’,
Wenn um Weihnachten wohl der Apfelbaum blüht.

40

Und geh noch, o Schwester, zur Donau blau,

’ne Handvoll Sand nimm von der Au
Und sah den Sand auf dem Felsen grau,
Mit deinen Tränen den Sand betau
Und erweck ihn vom Schlaf mit deinem Lied!

45

Wenn der Sand auf dem Felsen Keime wird treiben

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Und mit bunten Blumen verziert das Gestein.

Dann komm’ ich zu dir, um dort ewig zu bleiben,
Um dich zu behüten, o Schwester mein!

Mein Bruder, mein Herz, mein Sonnenlicht,

50

Lang leb’ ich, doch solches noch hört’ ich nicht!

Viel Sagen erzählen die alten Leute,
Doch solche noch hört’ ich nicht bis heute,
Daß im Juli ich sehe das Wasser gefrieren,
Daß um Weihnachten blühe der Apfelbaum,

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Daß der Sand je den Felsen mit Blumen sollt’ zieren –

Das erschien sogar mir wie im Traum.
O weh mir, was anders das Rätsel bedeut’:
Ich soll dich nicht sehen in Ewigkeit!
Ach, wie doch manchmals am festlichen Tag

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Die Leut in der Kirche sich scharen

Und alle so freudig, die einen den Andern nach,
Die Brüder mit Brüdern vergnügt sich paaren,
Es kommen zusammen Verwandte, Gevatter,
Ein jeder schaut um und Bekannte schon hat er.

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Sie grüßen sich freundlich, sie sprechen so traut,

Nur niemand, ach, niemand auf mich je schaut.
Ob Seit’ auch an Seite bei mir er schreit’
Er kehrt das Gesicht doch von mir zur Seit’,
Und als sie einst alle als Gäste saßen

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Bei unseren Eltern und tranken und aßen,

Dann hatten wir Freunde, dann waren wir lieb.
Doch als unser Glück sich wandt’ in Weh,
Verschwanden die Freunde wie der Frühlingsschnee,
Und kein Verwandter, kein Bekannter mehr blieb.

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Ach, schwer ist, o Bruder, mein Leben!

Wie’s schwer ist dem Vogel im baumlosen Feld
Die Nacht zuzubringen; wie schwer es fällt
Dem lebendigen Fisch ohne Wasser zu leben,
Wie’s schwer ist zu liegen unterm drückenden Stein,

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So schwer ist zu sterben in der Fremde allein!