Der Geschmack
[356] Der Geschmack. (Zu unserer Kunstbeilage.) Mannigfach hat sich schon die Phantasie der Künstler ergangen in Verbildlichnng der menschlichen Sinne, und die dankbare Aufgabe hat schon manche schöne Lösung gefunden. Zu den schönsten dürfte die des Wiener Malers R. Rößler zählen, wie unsere Leser aus der in unserer heutigen Kunstbeilage gegebenen Probe ersehen werden. „Der Geschmack“ ist dargestellt durch eine ideale Frauengestalt, umgeben von einer Fülle köstlicher Früchte. Niedliche Putten träufeln ihr den Saft der Traube in die emporgehaltene Muschelschale oder laben sich selbst an den schwellenden Beeren, während die rebenumwachsene Herme eines Fauns unsere Gedanken auf die Kreise des fröhlichen Weingottes Dionysos oder Bacchus hinlenkt. Das Ganze ist von einer reizenden duftigen Zartheit in der Auffassung wie in der malerischen Durchführung, und der Künstler hat eo glücklich vermieden, das Derbe, Materielle, wie es gerade dem Geschmacksinn des Menschen anhaftet, in den Vordergrund treten zu lassen.