Der Gevatter Tod (1812)
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Es war einmal ein armer Mann, der hatte schon zwölf Kinder, wie das dreizehnte geboren wurde, wußte er sich nicht mehr zu helfen, und lief in seiner Noth hinaus in den Wald. Da begegnete ihm der liebe Gott und sagte: „du dauerst mich, armer Mann, ich will dir dein Kind aus der Taufe heben und für es sorgen, da wird es glücklich auf Erden.“ Der Mann antwortete: „ich will dich nicht zum Gevatter, du giebst den Reichen und läßt die Armen hungern;“ damit ließ er ihn stehen und ging weiter. Bald darauf begegnet ihm der Tod, der sprach gleichfalls zu ihm: „ich will dein Gevattersmann werden, und dein Kind heben; wenn es mich zum Freund hat, da kanns ihm nicht fehlen, ich will es zu einem Doctor machen.“ Der Mann sagte: „das bin ich zufrieden, du machst keinen Unterschied und holst den Reichen wie den Armen; morgen ist Sonntag, da wird [194] das Kind getauft, stell dich nur zu rechter Zeit ein.“
Am andern Morgen kam der Tod und hielt das Kind über die Taufe. Nachdem es groß geworden war, kam er einmal wieder, und nahm seinen Pathen mit in den Wald; da sprach er zu ihm: „jetzt sollst du ein Doctor werden; du brauchst nur Acht zu geben, wenn du zu einem Kranken gerufen wirst und du siehst mich zu seinem Haupte stehen, so hats nichts zu sagen, laß ihn dann an dieser Flasche riechen, und salb ihm die Füße damit, so wird er bald wieder gesund seyn; steh ich aber zu den Füßen, dann ists aus, dann will ich ihn haben, und untersteh dich nicht eine Cur anzufangen.“ Damit gab der Tod ihm die Flasche, und er ward ein berühmter Doctor; er brauchte nur den Kranken zu sehen, so sagt’ er schon voraus ob er wieder gesund werde oder sterben müsse. Einmal ward er zum König gerufen, der an einer schweren Krankheit darnieder lag; wie der Doctor eintrat, sah er den Tod zu den Füßen des Königs stehen, und da konnte seine Flasche nichts mehr helfen. Doch fiel ihm ein, er wollte den Tod betrügen, packte also den König an, und legte ihn verkehrt, so daß der Tod an seinem Haupte zu stehen kam; es glückte und der König wurde gesund. Wie der Doctor aber wieder zu Haus war, kam der Tod zu ihm, machte [195] ihm böse grimmige Gesichter und sagte: „wenn du dich noch einmal unterstehst mich zu betrügen, so dreh ich dir den Hals um.“ Bald darnach ward des Königs schöne Tochter krank, niemand auf der Welt konnte ihr helfen, der König weinte Tag und Nacht, endlich ließ er bekannt machen, wer sie curiren könne, der solle sie zur Belohnung haben. Da kam der Doctor und sah den Tod zu den Füßen der Prinzessin stehen, doch weil er vor ihrer Schönheit ganz in Erstaunen war, vergaß er alle Warnung, drehte sie herum und ließ sie an der heilenden Flasche riechen und salbte ihr die Fußsohlen daraus. Kaum war er wieder zu Haus, da stand der Tod mit einem entsetzlichen Gesicht vor ihm packte ihn, und trug ihn in eine unterirdische Höhle, worin viel tausend Lichter brannten. „Siehst du, sagte der Tod, das sind alle Lebende, und hier das Licht, das nur noch ein wenig brennt und gleich auslöschen will, das ist dein Leben; hüt’ dich!“
Anhang Band 2
[LXIV] Num. 44. (Gevatter Tod.) Erweis vom Alter der Sage kann schon allein geben, daß sie Jakob Ayrer in einem Faßnachtsspiel (dem 6ten im opus theatr.) vom „Baur mit seim Gevatter Tod“ bearbeitet hat. Erst bietet sich Jesus dem Kindtaufvater an, der ihn aber verwirft, weil er einen reich, den andern arm mache. Darauf naht sich der Teufel, den er gleichfalls ausschlägt, weil er vor dem Namen des Herrn und des heiligen Kreuzes weglaufe, (gerade wie der h. Christoph, als er sich einen Herrn sucht) der Teufel schickt ihm zuletzt den Tod auf den Hals, der alle Leute gleich behandelt, Gevatter steht und verspricht ihn zum Arzt zu machen, als woraus ihm überreicher Lohn entspringen werde:
bey allen Kranken findst du mich
und mich sieht man nicht bey ihn seyn,
dann du sollst mich sehen allein;
wenn ich steh bey des Kranken Füßen
so wird derselbig sterben müssen,
alsdann so nim dich sein nicht an,
sichstu mich aber beym Kopfen stahn etc.
zum Schein der Arzenei solle er nur zwei schlechte Aepfelkern in Brot gesteckt eingeben. Dem Bauer gelingts damit, aber zuletzt holt der Tod seinen Gevatter selbst.
Dieselbe Fabel, jedoch mit eigenthümlichen Abweichungen (worunter die beste, daß nicht der Vater, sondern das neugeborene Kind selbst die Doctorgabe empfängt), erzählt Prätorius im Glückstopf 1669. S. 147–149.
Aus heutiger Volkssage aufgenommen, aber weitläuftig behandelt, steht sie in G. Schillings neuen Abendgenossen III. 145–286. Wie bei Ayrer ist nicht der Pathe, sondern der Vater selbst Doctor. Merkwürdig ist der gewiß echte Schluß: der überlistete Tod, um sich zu rächen, führt den Gevattersmann in die Lichterhöhle, für Kinder brennen große, für Eheleute halbe, für Greise kleine. Des Gevatters eignes Lebenslicht ist nur ein kleines Endchen noch; da bittet er den Tod, ein neues anzuzünden, welches aber nicht geht, da eins erlöschen muß, eh ein neues anbrennt; also bittet er, unten anzusetzen, damit es gleich fortbrennen könne. Der Tod thut, als willigte er ein, langt ein großes frisches Licht, versieht es aber absichtlich beim Unterstecken, daß das Stückchen umfällt und lischt. Damit fällt der Gevatter hin und ist todt. (Diese Lichter, woran das Leben gebunden wird, erinnern an den Nornengast und die noch gangbare Redensart vom „Ausblasen des Lichts, der Lebenskerze“ für: umbringen.)
Alles in diesem Märchen weist auf sehr tiefliegende Ideen hin. Der Tod und der Teufel sind die bösen Gottheiten und beide nur eine, wie die Hölle die Unterwelt und das Todtenreich, daher im Märchen vom Schmiedt auch beide nach einander auftreten. Aber der böse heißt wie der gute Gott, Vater und Tatta. Der Gevatter nicht blos Vater, sondern auch Pathe, Goth [LXVI] und Dod oder Tot (das getaufte Kind eben so: Pathe und Gothel, daher die Verwechselung beider in unserer Sage folgerecht. Altd. Wälder I. 104.) und auf dieser Grundlage des Glaubens und der Sprache wachsen die lebendigen Bilder der Fabel auf; so verhält es sich fast immer damit, scheint aber selten so durch.