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Der Giftmischer Palmer

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der Giftmischer Palmer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 78–79
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Giftmischer Palmer.

Die berühmtesten Giftmischer und Giftmischerinnen der vergangenen Jahrhunderte haben jetzt in dem Giftmischer und Fälscher William Palmer in England einen Genossen gefunden, der sich ihnen nicht nur kühn zur Seite stellen kann, sondern sie fast alle an Größe und Umfang seiner Verbrechen übertrifft.

Indem wir den umfänglichen Aufzeichnungen eines brüsseler Blattes über diesen entsetzlichen Menschen folgen, geben wir folgendes Nähere über seine Verbrechen.

Im Trentthale in Staffordshire liegt an der Nordwesteisenbahn die kleine aber wohlhabende Stadt Rugely. Nichts Anmuthigeres läßt sich denken, als die mit schattenden Bäumen besetzten Straßen des Ortes und die rings um denselben liegenden grünen Wiesen. Einen Büchsenschuß etwa von der steinernen Brücke, welche die Ufer des lieblichen Trent verbindet, erhebt sich ein anmuthiges Haus. Es ist aus Ziegelstein erbaut, und durch eine Allee, die von seiner Thür ausläuft, mit dem Flusse verbunden. Auf dem reinlichen Hofe stehen Orangen- und Lorbeerbäume in Kübeln, und unweit von dieser Wohnung dehnt sich ein Friedhof aus, unter dessen Hügeln die vergangenen Generationen schlafen.

In diesem anmuthigen Hause nun wohnt die Wittwe eines Holzhändlers, der, nachdem er sich durch geheimnißvolle Spekulationen bereichert hatte, durch einen eben so geheimnißvollen Tod in’s Grab sank. Unter dem Dache des Hauses ward eine zahlreiche Familie geboren. Mistreß Palmer, so heißt die Wittwe, gab fünf Söhnen und zwei Töchtern das Leben. Von diesen Söhnen ward der erste Advokat, der zweite Prediger, der dritte Arzt, der vierte Kornmäkler, der fünfte Holzhändler. Von den beiden Töchtern lebt die eine noch, und erfreut sich wie die Mutter einer allgemeinen Achtung. Die zweite fand, in Folge von Trunksucht, ein frühzeitiges Ende. Obgleich reich und deshalb einflußreich, hatte diese Familie in der Dunkelheit gelebt, bis eins ihrer Mitglieder, der Arzt William Parker, durch seinen Prozeß ihr eine traurige Berühmtheit verschaffte.

William Parker ist fünfunddreißig Jahre alt, und war bis vor Kurzem in seinem Geburtsorte ausübender Arzt. Mit einem angenehmen Aeußern verbindet er ein eben so angenehmes joviales Wesen; er war wohlthätig gegen die Armen, höflich gegen Leute, die tiefer standen als er, und ein großer Freund des weiblichen Geschlechts. Seine außer der Ehe erzeugten Kinder starben bald nach ihrer Geburt; vier seiner ehelichen Kinder hatten dasselbe Loos, nur ein einziges, sieben Jahre alt, ist noch am Leben. Palmer hatte die uneheliche Tochter des Obersten Brooks von der ostindischen Armee geheirathet. Nach dem Tode des Obersten, der ermordet wurde, ohne daß man den Mörder je entdeckte, fiel der Nießbrauch seines Vermögens seiner Geliebten und das Vermögen selbst seiner Tochter, der Frau Palmer’s, zu.

Palmer hätte in der Verbindung mit dieser liebeswürdigen Gattin ein glückliches Leben führen können. Aber andere Plane beschäftigten seinen ruhelosen und abenteuersüchtigen Geist. Ganze Nächte brachte er in seinem Studirzimmer zu, wo er sich mit den Eigenschaften der Gifte, des Strychnins, der Blausäure und des Morphins beschäftigte. Seine Leidenschaft für die toxikologische Wissenschaft war so groß, daß er einem seiner Lieblingspferde den Namen „Strychnin“ gab. Palmer war ein großer Pferdeliebhaber. In einer Stadt mit einem bedeutenden Pferdemarkt erzogen, keimte bald die Lust an diesen edlen Thieren in ihm auf, und in spätern Jahren war es seine Manie, wie die großen Herren des Landes schöne Pferde zu halten, die Wettrennen zu besuchen und hohe Wetten zu machen. Dieses sehr kostspielige Vergnügen verschlang indeß bald sein Vermögen. Seine unglücklichen Wetten führten ihn den Wucherern in die Hände, er lieh Geld zu hohen Zinsen und wußte sich endlich nicht mehr zu helfen. In dieser seiner Bedrängniß zog gerade seine Schwiegermutter in sein Haus, um ihrer Tochter nahe zu sein. Aber schon vier Tage nach ihrem Einzuge starb diese Frau, und die bedeutenden Einkünfte, die sie bisher von dem Vermögen ihrer Tochter gezogen hatte, gingen jetzt auf diese und ihren Mann über, der dadurch aus seiner Verlegenheit befreit wurde. Das Vermögen der Mistreß Palmer mußte indeß nach ihrem Ableben an ihre Kinder fallen. Palmer wandte sich daher an drei Lebensversicherungsgesellschaften, welche sich verpflichteten, ihm am Todestage seiner Gattin 13,000 Pfd. Sterling auszuzahlen. Bald nach diesem Schritte, am 24. Januar 1854, ward Mistreß Palmer von einem Kinde entbunden, das nur zwei Tage lebte. Am zweiten Tage ließ Palmer einen achtzigjährigen Arzt, Namens Bamford kommen, der eine Mixtur verschrieb. Der Vater reichte die Arznei selbst seinem Kinde, und dieses starb eine Stunde nachher. Einige Monate später kam ein Herr Bladen, der Agent einer großen Brauerei, von dem Palmer bei einem Wettrennen 400 Pfund Sterling geliehen hatte, nach Rugely um an die Wiederbezahlung zu mahnen. Palmer lud ihn ein, die Nacht bei ihm zu wohnen. Mr. Bladen willigt ein, und wird in der Nacht krank. Der alte Doktor wird gerufen und verschreibt eine beruhigende Arznei. Eine Stunde nachher hat er aufgehört zu leben und – Palmer sein Schuldner zu sein.

Im September 1854 kehrte Mistreß Palmer von einem Concert in Liverpool mit einer leichten Unpäßlichkeit nach Rugely zurück. Ihr Mann reichte ihr am folgenden Tage eine Tasse süßen Thee ohne Milch. Nachdem Mistreß Palmer davon getrunken [79] mußte sie stark erbrechen; wieder ward der alte Doktor Bamford gerufen, man sagte ihm, die Patientin leide an der Cholerine, und er verschrieb Pillen und Kalomel und Coloquinten. Er kam am Abend wieder, fand aber die Kranke noch in dem nämlichen Zustande. Seit dieser Zeit sah er sie nicht wieder; ehe er aber das Haus verließ, unterzeichnete er im Voraus eine Bescheinigung, daß Mistreß Palmer an der Cholerine gestorben sei. Ein anderer Arzt unterzeichnete eine ähnliche Erklärung, unter welche die alte taube Krankenwärterin gleichfalls ihre Unterschrift setzte. Am 29. September schrieb Palmer in sein Anschreibebuch: „Meine arme Frau starb 1 Uhr 10 Minuten.“ Am 8. Oktober schrieb er hinein: „In der Kirche gewesen, das heilige Abendmahl gefeiert.“ Die drei Lebensversicherungsgesellschaften zahlten die 13,000 Pfd. Sterling richtig aus.

Diese Spekulation hatte einen so günstigen Erfolg gehabt, daß Palmer sich bewogen fühlte, sie von neuem zu versuchen. Er hatte einen Bruder Walter, der schon am Delirium Tremens gelitten hatte. Nichtsdestoweniger gab es Aerzte, welche bezeugten, daß Walter Palmer sich einer guten Gesundheit erfreue, worauf es dessen Bruder gelang, verschiedene Lebensversicherungen zu der Verpflichtung zu bewegen, ihm beim Tode Walter´s die Summe von 15,000 Pfund Sterling auszuzahlen.

Walter Palmer war ein leidenschaftlicher Trinker; sein Bruder hatte also einen Vorwand, ihm einen Aufseher zur Seite zu stellen. Dieser Mann kostete ihn zwar 5 Pfd. Sterling die Woche, leistete dafür aber auch treffliche Dienste. Niemals erwachte Walter, ohne an seinem Bette eine Flasche Branntwein zu finden. Er trank stets, hustete viel und klagte über heftige Schmerzen in den Schulterblättern. Am 14. August 1855 kehrte Walter Palmer mit seinem getreuen Wächter von dem Wettrennen bei Wolverhampton in trunkenem Zustande zurück, was jedoch den gefälligen Diener nicht abhielt, ihm noch mehr zu trinken zu geben. In der Nacht bekam Walter eine Congestion, sein Bruder ward gerufen und reichte ihm ein Mittel. Walter starb noch vor der Ankunft des Dr. Bamford, welcher nicht anstand, ein Certifikat zu unterzeichnen, welches den natürlichen Tod des Gestorbenen bescheinigte. Die 15,000 Pfd. Sterling wurden übrigens diesmal nicht ausgezahlt und da William Parker diese Summe nicht reclamirte, entstand Verdacht. Dennoch ward keine Leichensection vorgenommen. Denn Palmer war in Rugely ein angesehener Mann, er hatte einen Geistlichen und einen Advokaten zu Brüdern, besaß herrliche Rennpferde, mit einem Wort, er war ein vollkommener Gentleman und Niemand wagte ihn anzuzeigen.

In seinen Hoffnungen diesmal getäuscht, glaubte Palmer jetzt durch Wetten bei der Steeple-Chase von Chrewsbury sich entschädigen zu müssen. Er begab sich dorthin in Gesellschaft eines intimen Freundes, Namens Parsons Cook, eines jungen Mannes von 28 Jahren. Eins von Cook´s Pferden trug den Preis davon, und der glückliche Eigenthümer des siegreichen Renners gab seinen Freunden im Wirtshause „Zum Raben,“ ein Diner, dem ein Gelage folgte, das mit Wein anfing und mit Grog endete. Beim ersten Glas Grog rief Cook: „Was ist in diesem Getränk?“ Aber Palmer leerte sein Glas in einem Zuge und nöthigte seinen Freund scherzend, das Nämliche zu thun. An demselben Abend ward Cook sehr unwohl und übergab dem Wirth 700 Pfd. Sterling, die er bei sich hatte, indem er, allerdings in trunkenem Zustande, Palmer beschuldigte, ihn vergiftet zu haben, um ihm sein Geld zu stehlen. Der Wirth wollte auf das Ansinnen eines Trunkenen nicht eingehen. Cook erholte sich auch und kehrte mit Palmer am folgenden Tage nach Rugely zurück. Aber bald nachher stellten sich die bedenklichen Symptome ein. Man ließ Palmer kommen, der ihm ein „beruhigendes“ Mittel eingab. Nachher wurden noch mehr Aerzte zugezogen, und einer derselben sah, wie Palmer dem Kranken zwei Pillen verschlucken ließ, nach deren Genusse der Letztere furchtbare Krämpfe bekam und nach kurzem Todeskampfe verschied.

In diesem Falle ließ sich eine Untersuchung nicht vermeiden. Der Vater des Verstorbenen schickte den Magen seines Sohnes dem Dr. Taylor, einem der geschicktesten Chemiker Londons, und dieser antwortete: „Der Tod ist durch den Tetanus und dieser durch Strychnin erfolgt.“ Tags darauf wurde Palmer unter der Anklage auf überlegten Mord in Verhaft genommen. Aber die Sache hatte damit noch nicht ihr Ende. Von den 700 Pfund, die Cook von Shrewsbury mitgebracht hatte, fanden sich nur 15 wieder. Das Register, worin er seine Wetten eingetragen, und das er auf dem Kamin liegen gelassen hatte, war verschwunden. Ferner wurde bewiesen, daß am ersten Tage nach der Krankheit Cook´s William Parker nach London geeilt war, um Wechsel mit der gefälschten Unterschrift Cook´s escomptiren zu lassen. Er hatte sich auf diese Weise 1000 Pfd. Sterling verschafft.

Nach der Verhaftung Palmer´s erhielt der Polizeichef vom Minister des Innern die Erlaubniß, die Leichen der Mistreß Palmer und Walter Palmer´s wieder ausgraben zu lassen. Die Eingeweide der Frau wurden gleichfalls von Dr. Taylor zur Untersuchung gesandt, und nach dessen Bericht, sowie nach dem Verdict der Todtenschaujury war der Tod der Mistreß Palmer nicht in Folge einer Cholerine, sondern in Folge wiederholter Dosen Antimon eingetreten, während Walter Palmer durch Blausäure und Cook durch Strychnin bei Seite befördert waren.

Wie Dr. Taylor sagt, brauchte der Giftmischer etwa ein halbes Jahr, um seine Gattin zu tödten, ein Jahr lang beförderte er die Ausschweifungen seines Bruders, damit dessen Tod als eine Folge des Trinkens, und nicht als eine Folge der Blausäure, wovon er in Wolverhampton kurz vorher eine Unze gekauft hatte, erschien.

Man kann sich denken, daß dieser Proceß in England die größte Sensation macht. Aber welch´ furchtbare Familientragödie enthüllt er auch! Der Vater Palmer´s stirbt nach Anhäufung eines großen Vermögens in mysteriöser Weise; eine Tochter stirbt in Folge ihrer Trunksucht, ein Bruder wird von seinem eigenen Bruder, die Frau von ihrem Manne vergiftet! Der Schwiegervater Palmer´s, Oberst Brooks, fällt durch die Hand eines unbekannten Mörders, seine Schwiegermutter stirbt an dem Gifte, welches er ihr gereicht. Vier illegitime Kinder finden in ein früzeitiges Grab, die legitimen haben das nämliche Schicksal. Vor einiger Zeit opferte er einen seiner Freunde, Mr. Bladen, vor zwei Monaten einen andern, Mr. Cook. Und als ob noch nicht genug Verbrechen damit auf das Haupt eines Menschen gehäuft wären, erzählt man sich, daß Palmer bei noch zwanzig Personen aus verschiedenen Orten Giftmordversuche machte. Das Gerücht sagt sogar, daß ihm der Tod Lord George Bentinck´s, des Sohnes des Herzogs von Portland, der als Führer der Protectionisten im Unterhause eine Rolle spielte, zuzuschreiben sei. Lord George starb plötzlich auf der Heimreise von dem Wettrennen bei Lancaster; das Buch, worin er seine Wetten verzeichnete, war gleichfalls verschwunden, und wie man versichert, war ihm Palmer eine bedeutende Summe durch unglückliche Wetten schuldig.

Uebrigens ist Palmer bis jetzt nur angeklagt; erst die Geschworenen werden das endgültige Verdikt sprechen, und da seine Schuld noch nicht streng bewiesen ist, so sind die Meinungen darüber noch getheilt; namentlich stehen sich in Rugely die Parteien schroff gegenüber, indem die „Palmeristen“ die Unschuld, die „Anti-Palmeristen“ die Schuld des Angeklagten behaupten. Wie es heißt, werden die bedeutendsten Juristen bei dem Prozeß mitwirken. Lord Campbell dürfte den Vorsitz im Gericht führen, Sir Alexander Cokburn das Amt des öffentlichen Anklägers übernehmen, der berühmte Advokat Wilkins und Sir Fred. Thesiger, Generalprokurator unter dem Ministerium Derby, den Angeklagten vertheidigen. Zum Schluß noch die Bemerkung, daß der Verkauf der Pferde des Angeklagten 4000 Pfd. Sterling aufgebracht hat. Der vierjährige Hengst Chicken ward für 800 Guineen verkauft, die achtjährige Stute Trickstreß kaufte Prinz Albert für 230 Guineen.