Der Hannoversche Spieler- und Wucherprozeß

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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Der Hannoversche Spieler- und Wucherprozeß
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1, S. 46–56
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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[46]
Der Hannoversche Spieler- und Wucherprozeß.
(Olle ehrliche Seemann.)

Eine der schlimmsten Leidenschaften, der in der ganzen Kulturwelt gefrönt wird, ist zweifellos das Spiel, und zwar ganz besonders das Karten- und Roulettespiel in den verschiedensten Formen, wenn es nicht zur Unterhaltung, sondern als Glücksspiel, zum Zwecke des „corriger la fortune“ betrieben wird. Den Spielbanken in Wiesbaden, Baden-Baden und Homburg wurde 1866 nach geschehener Annexion von dem Fürsten Bismarck ein jähes Ende bereitet. Soweit mir bekannt, ist der Inhaber dieser Spielbanken, Monsieur Blanc, damals nach Monaco übergesiedelt. Aber nicht nur dort, sondern auch in Nizza, Ostende und anderen Orten wird dem Glücksspiel in leidenschaftlichster Weise noch heute obgelegen. Obwohl das gewerbsmäßige Glücksspiel in Deutschland gesetzlich verboten ist, wird in allen Gesellschaftskreisen noch vielfach dieser Leidenschaft gefrönt. Der große Spielerprozeß in Hannover und der Prozeß gegen den Klub der „Harmlosen“ in Berlin haben blitzartig in das Spielerwesen hineingeleuchtet.

lm Oktober 1893 erregte ein vor der Strafkammer des Landgerichts Hannover geführter Spieler- und Wucherprozeß ein ganz unendliches Aufsehen, und zwar hauptsächlich, weil weit über 100 Offiziere aller Truppengattungen vom Generalmajor bis zum Leutnant abwärts aus allen Garnisonorten Deutschlands als Zeugen geladen waren. Angeklagt waren: 1. Bankier Max Rosenberg, 2. Bankier Albert Heß, genannt Seemann, 3. Bankier Louis Abter, 4. Bankier Ludwig Sußmann, 5. Rentier Johann Fährle, 6. Rittmeister a. D. Freiherr v. Meyerinck, 7. Rentier Samuel Seemann, genannt „der olle ehrliche Seemann“, 8. Bankier Julius Rosenberg, 9. Geschäftsreisender [47] Ludwig Stamer. – Max Rosenberg, Abter, Albert Heß und Rentier Albert Arnold Lichtner betrieben in Hannover ein „Bankgeschäft“, d. h. sie boten unter dem Deckmantel eines solchen den Offizieren der Hannoverschen Garnison und denen der Hannoverschen Militärreitschule durch Zirkulare Gelddarlehen an. Wenn nun ein Offizier Geld geliehen haben wollte, so trugen die „Bankiers“ zunächst Bedenken. Schließlich erklärten sie sich bereit, die verlangte Summe auf Wechsel und Ehrenschein gegen 5-6% Zinsen und 1-2% Provision, die sofort in Abzug gebracht wurden, zu leihen. Bares Geld erhielten aber die Offiziere in nur kleinen Beträgen, den größten Betrag erhielten sie in Gestalt von braunschweigischen, sächsischen und Hamburger Lotterielosen, und zwar nicht in Originallosen, sondern in Anteilscheinen, sogenannten Verzichtlosen, d. h. die Offiziere hatten nur auf die Klasse, auf die der Anteilschein lautete, ein Anrecht, aber auch nur bis zu einem Gewinn von 2000 Mark. Wenn das Los mit einem höheren Gewinn herauskam, so fiel er den Darleihern zu. Auf die folgende Klasse hatten die Offiziere in den meisten Fällen kein Anrecht. Auf die letzte Klasse, die bekanntlich die meisten Chancen bietet, hatten die „Verzichtlose“ niemals Anrecht. Es war keine Seltenheit, daß ein Offizier Verzichtlose im Betrage von 10000 Mark und darüber im Besitz hatte. Wenn nun am Verfalltage der Wechsel nicht eingelöst werden konnte, so war, um eine Prolongation des Wechsels zu bewirken, ein neuer Loskauf erforderlich, und zwar in noch höherem Betrage als bei der ersten Ausstellung des Wechsels. Es kam infolgedessen vor, daß ein Offizier, der sich einige hundert Mark geliehen hatte, in kurzer Zeit eine Schuldenlast von vielen tausend Mark hatte. Bei einer Prolongation der Wechsel oder einem zweiten Darlehen erhielten diejenigen, die für bestimmte Losnummern die erste oder mehrere Vorklassen bereits bezahlt hatten, andere Losnummern, wofür sie wiederum die Vorklassen bezahlen mußten. Deren bisherige [48] Nummern erhielten andere Offiziere, die die Vorklassen auch noch einmal bezahlen mußten. Ein Offizier, der sich von Abter 2500 Mark lieh, mußte für 8500 Mark Verzichtlose nehmen, so daß der zu unterschreibende Wechsel auf 11000 Mark lautete. Der Vater eines Offiziers, ein Rittergutsbesitzer, übergab diesem selben Abter 2000 Mark mit dem Auftrage, damit Schulden seines Sohnes zu bezahlen. Abter berechnete sich für seine „Bemühungen“ 300 Mark; die Schulden hat er nicht bezahlt, sondern das Geld für sich behalten. Max Rosenberg, Heß, Fährle, Samuel Seemann, v. Meyerinck, Stamer, Abter, der bereits erwähnte Rentier Lichtner und ein Leutnant a. D., Freiherr v. Zedlitz-Neukirch, besuchten alle größeren Badeorte und Rennplätze des In- und Auslandes und große deutsche Städte, in denen sie durch Falschspielen eine große Anzahl Offiziere, Rittergutsbesitzer, Studenten usw. in des Wortes vollster Bedeutung ausplünderten. Sie stellten ihre Kumpane unter falschem Namen als Großfabrikanten oder Großindustrielle, Barone oder Grafen vor, und flüsterten den Offizieren ins Ohr, diese Herren hätten stets viel Geld bei sich, seien leidenschaftliche Spieler, hätten aber kein Glück im Spiel, es sei daher ein leichtes, diesen Leuten 50 bis 80000 Mark abzunehmen. Wenn sich nun die herangeschleppten Opfer zum Spiel verleiten ließen, dann wendete sich das Blättchen. Die „Großindustriellen" waren „ausnahmsweise“ stark vom Glück begünstigt, denn sie spielten mittelst doppelter Roulette, bzw. gezeichneter Karten, und wußten auch durch Winke aller Art das Glück stets an sich zu fesseln, so daß die Offiziere, Studenten usw. oftmals in einer Nacht viele tausend Mark verloren. Wenn nun die Gerupften nicht das genügende bare Geld bei sich hatten, mußten sie für den Restbetrag einen Wechsel geben. Wenn Samuel Seemann, der in Berlin wohnte, mit seiner Roulette aber die Welt durchzog, nach Hannover kam, da bestellte v. Meyerinck die geeigneten Zimmer im Hotel de Russie daselbst; er sorgte außerdem dafür, daß zahlreiche Offiziere [49] ins Hotel kamen und daß beim Spiel keine Störung eintrat. Den aufwartenden Kellnern nahm v. Meyerinck die bestellten Speisen und Getränke vor der Tür ab. Lichtner schrieb einmal an seine Konkubine aus Baden-Baden: „Ich habe so ziemlich ein großes Unternehmen durchgeführt, jedenfalls habe ich mich nicht umsonst geplagt.“ Dieser Brief bezog sich auf ein Spiel in Baden-Baden, bei welchem er am Tage vorher, in Gemeinschaft mit v. Meyerinck, einem Rittergutsbesitzer Landfried 60000 Mark abgenommen hatte. Um den Verlierer nicht mißtrauisch zu machen, verlor Lichtner zum Schein ebenfalls 60000 Mark. v. Zedlitz wußte Landfried zu überreden, für 6000 Mark für ihn Bürgschaft zu leisten. v. Zedlitz versicherte dem Landfried: die Bürgschaft sei eine bloße Form, seine Mutter, die sehr begütert sei, werde die 6000 Mark sofort bezahlen. Landfried mußte jedoch die 6000 Mark bezahlen, denn die Mutter des v. Zedlitz, einstmals eine sehr begüterte Dame, hatte durch den Leichtsinn ihres Sohnes längst ihr ganzes Vermögen verloren. Stamer schrieb von Homburg an v. Zedlitz eine Postkarte: „Gestern großes Jeu mit Boditzka, nach allen Richtungen hin angeschossen. Es wird höchste Zeit für den Blattschuß auf Friedlaender.“ Mit Friedlaender wurde der Rittergutsbesitzer Landfried bezeichnet, dem bereits in Baden-Baden in einer Nacht 10000 Mark abgenommen worden waren und der in Homburg von neuem gerupft werden sollte. Zu den interessantesten Persönlichkeiten auf der Anklagebank gehörte der Rittmeister a. D. Freiherr v. Meyerinck. Dieser bekundete auf Befragen des Vorsitzenden, Landgerichtsdirektors Heinroth: Er habe bei Bresa zwei Güter besessen. Das eine hatte einen Kaufpreis von 180000 Talern, das andere von 110000 Talern. Für eins hatte er 120000 Taler, für das andere 80000 Taler angezahlt. Im Jahre 1880 sei er genötigt gewesen, beide Güter zu verkaufen. Er habe 855000 Mark und 360000 Mark dafür erhalten. Er sei alsdann mit seiner Familie nach Koburg, 1885 nach Hannover gezogen. [50] – Vors.: Sie haben bereits im Jahre 1879 in Straßburg den Manifestationseid geleistet? – v. Meyerinck: Ich war damals bereits im Vermögensverfall. – Vors.: Wovon haben Sie nach dem Verkauf Ihrer Güter gelebt? v. Meyerinck: Ich hatte zusammen mit meiner Schwiegermutter eine jährliche Rente von 22000 Mark. – Vors.: Nachdem Sie Ihre Güter verkauft hatten, haben Sie noch den Rest Ihres väterlichen Erbteils von 42000 M. erhalten, wodurch sind Sie trotzdem derartig in pekuniäre Bedrängnis gekomme? v. Meyerinck: Einmal durch Spielverluste, andererseits infolge Unterhaltung eines großen Haushalts. – Vors.: Ihr Haushalt muß allerdings sehr kostspielig gewesen sein, denn Sie wurden von einem Metzgermeister wegen 8000 Mark, die Sie ihm für Fleisch schuldeten, verklagt. Aus der Rechnung geht hervor, daß Sie von dem Metzgermeister für etwa 4000 Mark jährlich Fleich bezogen, und zwar war dies nicht der einzige Metzgermeister, bei dem Sie Fleisch kauften. Ihr jährlicher Fleischbedarf muß sich auf 5-6000 Mark belaufen haben? v. M.: Das ist richtig. – Vors.: Sie behaupten, Sie seien durch Ihre Spielwut in Vermögensverfall geraten, während die Anklage behauptet: Sie hätten durch das Spielen Ihre Vermögenslage aufbessern wollen und auch wirklich aufgebessert? v. M.: Das bestreite ich ganz entschieden. – Vors.: Wie kamen Sie mit Fährle und Lichtner zusammen, diese Leute stehen doch gesellschaftlich weit unter Ihnen? v. M.: Ich habe auch gesellschaftlich mit diesen Leuten nicht verkehrt, als Spieler waren sie mir aber sympathisch. – v. Meyerinck gab auf weiteres Befragen zu, daß er mit Lichtner, Albert Heß und dem Rittergutsbesitzer Landfried in Oynhausen gespielt und daß dabei Landfried 14000 Mark in wenigen Stunden verloren habe. In Baden-Baden habe Landfried 50000 Mark, Lichtner 40000 Mark verloren. Es haben dabei noch mitgespielt v. Zedlitz und ein Fräulein Schenk aus Berlin. Vors.: Wer hat denn nun die 90000 Mark gewonnen? – v. M.: Ich habe 62000 Mark, das übrige [51] v. Zedlitz und Fräulein Schenk gewonnen. Ich habe aber von Lichtner das Geld nicht erhalten, da ich ihm viel schuldete. – Der Vorsitzende hält dem Angeklagten vor, daß er in Gotha mit zwei Offizieren und einem Redakteur in Gemeinschaft mit Lichtner gespielt und daß einer der Offiziere ihn beschuldigt habe: er gebe dem Oberkellner falsche Karten zur Verteilung. Der Angeklagte bestritt dies. Vors.: Im Jahre 1891 haben Sie mit Fährle und dem Hauptmann v. Boditzka in Homburg v. d. Höhe gespielt. Hauptsächlich soll dabei Fährle gewonnen haben. Sie sollen sich plötzlich verabschiedet haben, unter der Angabe, daß Sie ein Rendezvous hätten. Bald darauf verschwand auch Fährle. v. Boditzka verfolgte Sie beide und traf Sie nicht auf dem Platze, wo Sie das Rendez vous haben wollten, sondern vor Ihrem Hotel. Bald darauf sollen Sie mit Fährle in Ihr Zimmer gegangen sein. v. Boditzka folgte Ihnen, und als er die Tür aufmachte, zählten Sie mit Fährle die gewonnenen Geldrollen? – v. M.: Das geschah, weil ich mir von Fährle Geld borgen wollte, Fährle mir aber sagte, daß er nicht soviel besitze. – Die Anklage behauptet, daß Sie gemeinschaftliche Sache mit Fährle beim Spiel gemacht haben und ins Hotel gegangen seien, um sich den Raub zu teilen. v. M.: Das bestreite ich ganz entschieden. – Im weiteren Verlauf wurde v. Meyerinck allgemein als der Schlepper bezeichnet. Er besitzt im Villenviertel von Hannover eine hochelegante, fürstlich eingerichtete Wohnung. In dieser veranstaltete er Bälle und andere Festlichkeiten, bei denen Offiziere der Hannoverschen Garnison, insbesondere aber die zur Reitschule nach Hannover kommandierten Offiziere stets eingeladen waren. v. Meyerinck dinierte auch vielfach mit Offizieren in den feinsten Hotels und sagte gewöhnlich nach aufgehobener Tafel: „Ich gehe zum Jeu.“ v. Meyerinck beschränkte seine Tätigkeit keineswegs auf Hannover. Er besuchte, wie bereits erwähnt, alle besseren Badeorte und Rennplätze, um Kavaliere zum Spiel zu verleiten. „Ganz zufällig“ [52] traf er in allen diesen Orten mit Fährle, Abter und Lichtner zusammen, die er als Barone, Großindustrielle usw. vorstellte. Fährle wurde allgemein „Herr Kommerzienrat“ tituliert. Eines Abends spielte v. Meyerinck und Lichtner mit einem Offizier. Lichtner gewann, der Offizier verlor etwa 50000 Mark. Als der Offizier schließlich in die Toilette ging, sah er in einem Spiegel, daß v. Meyerinck dem Lichtner einen vorwurfsvollen Blick zuwarf und mit dem Kopf schüttelte. Lichtner, der von Meyerinck zumeist als Baron v. Lichtner und als der Sohn eines österreichischen Großindustriellen vorgestellt wurde, der für seinen Vater in Linden bei Hannover eine große Samtfabrik verwalte, war in Wahrheit ein internationaler Hochstapler. Er hatte in Wien in einem Modewarenhandlungshause gelernt und auch eine Zeitlang als Kommis konditioniert. Er ist aber frühzeitig auf die Bahn des Verbrechens geraten. Er war vielfach wegen Veruntreuung, Hazardspiels, Wuchers und ähnlicher Straftaten mit langjährigem schwerem Kerker, verschärft mit Fasten, bestraft. Er war, gleich allen anderen Angeklagten, verhaftet. Es gelang ihm aber, aus dem Gefängnislazarett zu entfliehen. Erst nach langer Zeit wurde er in Preßburg verhaftet und da er österreichischer Untertan war, in seiner Vaterstadt Wien angeklagt. Ende April 1894 hatte er sich wegen der in Deutschland begangenen Straftaten vor dem kaiserlichen Landesgericht in Wien zu verantworten. Er wurde zu fünf Jahren schweren Kerkers, verschärft mit Fasten an einem Tage jeden Monats, und mit Zulässigkeit von Polizeiaufsicht bestraft. Stamer war ebenfalls entflohen; Freiherr v. Zedlitz war nicht aufzufinden. – Ein ebensolcher Hochstapler wie Lichtner war Fährle. Dieser gab auf Befragen des Vorsitzenden zu, daß er 17 Jahre lang in Österreich, Ungarn, Deutschland, Belgien, Holland, der Schweiz als Roulettebankhalter umhergezogen sei und sich dadurch ein Vermögen erworben habe. In Straßburg (Elsaß) wurde er wegen Diebstahls bestraft; er hatte in Baden-Baden beim Roulettespiel [53] fünf Napoleondor entwendet. Obwohl der Mann, der in seiner Jugend auf den Straßen Zeitungen verkauft hatte, vollständig falsch Deutsch sprach, hat er in den feinsten Badeorten mit hohen Offizieren, Rittergutsbesitzern usw. gespielt und stets hohe Summen gewonnen. Er soll eine ganz besondere Fingerfertigkeit besessen und vielfach mit gezeichneten Karten gespielt haben. Wo Fährle war, da war v. Meyerinck nicht weit. Dieser stellte Fährle als Kommerzienrat vor, damit war Fährle in die bessere Gesellschaft eingeführt. Im Wiener Café in Hannover ließ Fährle einmal zwei Karten, ein rotes Aß und ein Piquebube, verschwinden, der Oberkellner fand beide Karten in der Tasche des Fährle, er warf deshalb Fährle aus dem Café hinaus. Aber auch die anderen Angeklagten sollen mit gezeichneten Karten gespielt haben. Ein Offizier hat einmal vor dem Spiel die Bildseiten, aber nicht die Rückseiten der Karten untersucht. Ein junger Offizier traf eines Tages im Speisesaal des Hotels „Englischer Hof“ in Frankfurt a. M. den Freiherrn v. Zedlitz. Dieser stellte ihm v. Meyerinck vor. Plötzlich kam ein Herr in den Saal, die Herren begrüßten ihn und v. Zedlitz sagte: „Da ist ja Herr v. Lindner aus Berlin.“ v. Meyerinck versetzte: Den Herrn habe ich vor einiger Zeit in Helgoland kennen gelernt. v. Zedlitz sagte: Das ist ein sehr reicher Mann, mit dem können wir einmal ein Jeuchen wagen, der hat mindestens immer 50000 Mark bei sich, wir müssen aber dabei sehr vorsichtig zu Werke gehen. v. Meyerinck stimmte zu und die Herren näherten sich dem Herrn v. Lindner. – Vors.: Kam es Ihnen so vor als sollte dieser Herr v. Lindner eingefangen werden? Zeuge: Jawohl. Es wurde verabredet, in das Zimmer des Herrn v. Zedlitz zu gehen und dort Makao zu spielen. Ich wollte aber nur Ekarté spielen. Wir spielten etwa zehn Minuten Ekarté. Alsdann wurde gesagt: das Spiel ist doch gar zu langweilig, wir wollen lieber Makao spielen. Ich willigte ein und verlor 3000 Mark. – Vors.: Wer gewann denn? Zeuge: Herr v. Lindner. – Vors.: Das [54] war Lichtner. – Zeuge: Jawohl, ich hörte später, daß es Lichtner war. –

Ein nicht minder gefährlicher Betrüger war Samuel Seemann, genannt „der olle ehrliche Seemann“. Dieser spielte nicht bloß mit gezeichneten Karten, er zog auch mit einer Roulette in der Welt umher. Seemann wohnte überall in den feinsten Hotels. Sobald in irgendeinem Ort die Offiziere erfuhren, Seemann sei mit seiner Roulette eingetroffen, da strömten sie in Scharen zu diesem Mann, um sich am Roulettespiel zu beteiligen. Ein Offizier von hohem Adel, als Zeuge vernommen, bemerkte: Ich sagte mir, ob ich nach Monaco gehe oder zu Seemann, das bleibt sich im Grunde genommen ziemlich gleich. – Ein anderer Offizier bekundete als Zeuge: Er habe einige Male bei Seemann im Hotel de Russie in Hannover Roulette gespielt. Er habe den Eindruck gehabt, daß Seemann, der stets die Bank hielt, Betrügereien mache. Er hatte die Empfindung, daß zwei Kugeln in der Roulette waren. Wenn die richtige Kugel fiel, dann überschlug sie sich einige Male und fiel laut klappernd über die Felder. Wenn dagegen die falsche Kugel fiel, dann entstand ein dumpfes Geräusch und die Kugel fiel, ohne sich zu überschlagen oder zu klappern auf die Felder. – Angekl. Samuel Seemann: Ich habe eine zweite Kugel nicht gehabt. Ich bitte im übrigen, Herr Vorsitzender, alle Herren Offiziere nach meinem Renommee zu fragen. Obwohl ich leider schon seit vielen Jahren dies Geschäft betreibe, so hieß ich doch allgemein der olle ehrliche Seemann. (Allgemeine große Heiterkeit.) – Ein gefährlicher Spieler und Wucherer war auch der Angeklagte Abter. Auch dieser spielte mit falschen Karten und hat Offizieren innerhalb weniger Stunden 30 bis 40000 Mark „abgewonnen“. – Im Laufe der Verhandlung erschien als Zeuge Kaufmann Engelke (Schöneberg bei Berlin). Dieser bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Fährle habe in den letzten zwei Jahren mit Lichtner nicht verkehrt. Lichtner habe ihn einmal zum Zwecke einer Schuldregulierung [55] zu Fährle gesandt. Fährle habe aber das Geschäft mit dem Bemerken abgelehnt, er wolle mit Lichtner nichts mehr zu tun haben. Vors.: Sagte Fährle etwa: Es komme ihm so vor, als sei Lichtner ein Falschspieler, der die Offiziere ausräubere? – Zeuge: Herr Vorsitzender, darüber spricht man in Spielerkreisen nicht. Einer weiß vom andern, was er in dieser Beziehung leisten kann, gesprochen wird aber darüber nicht. Es wurde in der Verhandlung außerdem festgestellt, daß vielfach in Eisenbahncoupés gespielt und dabei sehr beträchtliche Summen Offizieren „abgewonnen“ wurden. - In diesem Prozeß war Sachverständiger für Karten- und Roulettespiel Kriminalkommissar Freiherr v. Manteuffel und ein gewerbsmäßiger Spieler, Namens Hingst (Berlin). Der bekannte Spieler Konrad Reuter (Berlin) erschien unter vielen anderen als Zeuge. – Die Anklagebehörde wurde vertreten von Staatsanwalt Wilhelm und Gerichtsassessor Seel. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Dr. Kius (Hannover), Justizrat Dr. Seckels (Göttingen), Justizrat Lenzberg (Hannover), Rechtsanwalt Dr. Fritz Friedmann, Rechtsanwalt Dr. Alfred Gotthelf und Rechtsanwalt Elsbach (Berlin), Rechtsanwalt Ascher (Hannover) und Rechtsanwalt Dr. Oppenheimer (Hamburg). – Es dürfte auch von Interesse sein, einen Blick auf die Anklagebank zu werfen. Der Rittmeister der Landwehr-Kavallerie, Sproß einer alten Adelsfamilie, Freiherr v. Meyerinck war ein stattlicher, großer Mann. Einen großen hellgrauen Mantel um die Schulter gehängt, betrat er gewöhnlich die Anklagebank. – v. Meyerinck saß zwischen Fährle und dem „ollen ehrlichen Seemann“, er wechselte aber mit seinen Mitangeklagten kein Wort. Er grüßte höchstens die Berichterstatter, denen er die Bitte aussprach, mit Rücksicht auf seine Kinder ihn „glimpflich“ zu behandeln. Sein schön gepflegter dunkelblonder, am Kinn ausrasierter Vollbart war bereits etwas grau meliert. Auch sein dunkelblondes, elegant frisiertes Haupthaar war etwas gelichtet und schon zum Teil ergraut. Seine Verteidigung war [56] eine sehr geschickte. Nur Abter war ihm an Ruhe überlegen. Abter war noch ein junger Mann, mittelgroß. Er hatte volles, schwarzes Haupthaar, schwarzen, gepflegten Vollbart. Er trug eine goldene Brille. Sein nicht unschönes Gesicht verriet eine gewisse Verschmitztheit. Recht ehrwürdig sah Fährle aus; man konnte ihn für einen Kommerzienrat halten. Er war ein großer, starker, älterer Herr mit kahlem Kopf und grauem Vollbart. Er sprach wohl falsch deutsch, dies machte jedoch nicht den Eindruck, als sei er ungebildet; seine Aussprache ließ vielmehr auf einen Ausländer schließen. Er war in Offenbach a. Main geboren, aber in Ungarn erzogen. Mit großer Unruhe schweiften seine lebhaften Augen im Saale umher; mit fieberhafter Aufregung verfolgte er die Aussagen der ihn belastenden Zeugen. „Es ist nicht wahr, was Sie da sagen, Herr Leutnant,“ rief er einige Male in den Saal hinein. Der Vorsitzende hatte alle Mühe, den Mann in den vorgeschriebenen Schranken zu halten. Selbst sein Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Fritz Friedmann, mußte ihm mehrfach den Mund verbieten. Eine echte Biedermann-Physiognomie hatte Samuel Seemann, der „olle ehrliche Seemann“. Er war ein ziemlich großer Mann mit vollem, grauem Haupthaar und ebensolchem Vollbart. Er besaß eine große Ruhe. Julius Rosenberg und Sußmann machten den Eindruck anständiger Kaufleute. – Nach zehntägiger Verhandlung wurden verurteilt: v. Meyerinck zu 4 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust, Fährle zu 4 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust, Samuel Seemann zu 2 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust, Abter zu 4 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust, Heß zu 2 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust, Julius Rosenberg wegen Lotterievergehens zu 750 Mark, Sußmann wegen desselben Vergehens zu 1000 Mark Geldstrafe. Max Rosenberg wurde freigesprochen. – v. Meyerinck hatte sich einige Tage nach dem Urteilsspruch in seiner Zelle erhängt. Samuel Seemann (der olle ehrliche Seemann) ist nach etwa dreiviertel Jahren im Gefängnis zu Hameln gestorben.